Montag, 23. Juli 2018

Peter Silies Sommerzeit:




meine Steine warten auf die sanften Schläge
Wurzel und Astgabel strecken sich geölt am Rand
die Leinwände trocknen neben ihren zukünftigen Rahmen
Hammer, Meißel, Feilen und Pinsel
warten im Regal gut sortiert, frisch gesäubert
noch weiß mein Körper zu schwitzen
lockt mich die Sonne mit ihren breiten Schatten
keine Gasse werde ich heute durchstreifen
der Marktplatz mit Rathaus bleibt ungesehen
als Kind die Berge, Kuhwiesen und Bäche am Weg
die Hausaufgaben auf dem Schreibtisch der Mutter
die kam spät von der Schicht, der Vater
mit dem Motorroller über die Berge
in der Schweiz saß am Tisch, Gläser schleifen
und träumte vom Vertreterberuf
Sommer wie heute auch damals, Blumen im Wind
Farben die mir geblieben sind, der Hauch
zwischen den Bäumen, ich war ein Sommerkind
in den Dörfern, an den Brunnen aus denen man nicht trinkt
keine Ruinen wie bei den Großeltern in der fernen Hansestadt
keine Geschichten vom Krieg, keine Kneipen
für den verlorenen Feierabend danach
nur große Steine, Kopfsteinpflaster,
vieles ungepflegt, karges Lächeln, Mädchen
hinter den Scheunentoren versteckt, kichernd
zwischen Katzen und Hunden, so wurde ich geweckt
die Welt zu betrachten, auf der Burg die Urzeiten
in vergessenen Mauern zu entdecken, die Jahreszeiten
alle haben sie mir geschmeckt, Haustür- und Wohnungsschlüssel
um den Hals, eben ein Schlüsselkind
tippe ich heute im Garten, fahre durch flaches Land,
Mais und Korn vertrocknen vor der Zeit, welche Ernte
wird es geben, mein Supermarkt gibt mir Bescheid
die Gedanken verknotet im Shitstormgebell
klappe ich das elektronische Flachtierchen zu
genieße mein veraltetes Leben, diese neue Sommerzeit
fern der schmelzenden Eisberge und Schollen
vielleicht lässt sich auf ein gemäßigtes Frühjahr hoffen

Sonntag, 22. Juli 2018

Peter Silie vor dem Teleskop:


Auf jeden Fall: im All
da findste keene
so wunderschönen Beene
wie dereinst die von Marlene

Peter Silie auf der Flucht


dunkel und schwer die Wolken
schieben den Himmel zu
verändern Stürme Gezeiten
verblasst der helle Mond

verprasselt die Paradiese
unserer kleinen Fluchten
teuflisch hier zu überleben
als Strandgut der Liebe

kosten wir vom hellen Morgen
schweißgebadet verfangen uns
eingetaucht in Brandungswellen
einer Liebe ganzes wilde Leben

gibst Du mir den Rettungskuss
Schierlingsbecher gehen zur Neige
bieten unseren Augen Höhenflüge
Täler, in denen wir nicht verdorren

Mittwoch, 9. Mai 2018


Lamento der 50er oder warum 68

jeden Abend Geschrei, putzt die Zähne,
wascht den Hals, was für schmutzige
Fingernägel, danach nur noch
merkwürdigen Laute im Schlafzimmer nebenan

lautstarke Worte und Silben
beherrschten die Räume
die uns gestattet waren
steh, lauf, sitz gerade

schweig, sei still, mach hinne
trödel nicht, pack an, halt fest
gib her, iss auf, trink, schlaf jetzt
verdammt noch mal

das darf doch nicht wahr sein
womit Euch verdient, Respekt,
Respekt, waren das wirklich Worte,
Sätze, hörten wir oder schlugen sie
das in unser Fleisch, zwischen die Kniekehlen

schlugen oder sprachen sie
wovon, weshalb, woher diese Wut
dieser Hass, dieser völlige Verzicht
auf schöne Sätze, Laute, Musik,

stattdessen plärrend Wagner, Blasmusik
väterliche Furze und Rülpser beim Essen,
aber zu uns: schmatzt nicht
benehmt Euch beim Essen

sitzt gerade, seid still



Spiel der Kindertage

Aufgewachsen in den alten, vor kurzem
erst wiederhergestellten Häusern
spielten wir, ahnungslos
in ihren Schluchten, ihren Städten
warum die Bewohner so harte Worte
durch die Räume jagten
warum ihre Gesichter so versteinert,
ihre Hände so rot und rissig
unruhig auf den Tischen lagen
spielten wir dreimal Krieg und
fünfmal Indianer und Cowboys
schossen uns mit Platzpatronen
die Seelen frei während der Fußball
in Nachbarsgarten für uns in Gefangenschaft ging

spielten wir und lauschten
unseren eigenen kreischenden Stimmen
auf der Suche nach unserem Leben
zwischen Kohlgestank aus den Küchen
Seemannsliedern, Waschküchennebelschwaden
und Babygeschrei, wir Nachgeborenen,
die nicht wussten, was vorher war
und warum das Jetzt
nichts von uns wissen wollte,
nur Gehorsam, Leistung, Arbeit
schlugen wir uns frei, ahnungslos,
wie wichtig das noch für uns werden würde