Sonntag, 4. September 2011

Von der Notwendigkeit des Bleibenden für die Notwendigkeit der Veränderungen.

Ich selber, von den Großeltern ins Heim, zu den Großeltern, zu den Eltern an die Schweizer Grenze, zur Großmutter nach Gröpelingen/Bremen, zu den Eltern gelegentlich, beständig in die Neustadt/Bremen, zur Mutter, geflohen nach Worpswede, zurück zur Mutter, endgültig geflohen, lebte vor allem auf durch die Häuser und die Menschen, die mich dort immer wieder empfingen, so wie eine sichere Bank wirkten, aus der ich das Kapital für mein Umherschwirren beziehen konnte. Kaum mit Angst um Orte oder Zukunft belastet, so lange diese Türen von diesen Menschen für mich aufgehalten wurden. Nicht alle besuchte ich gerne oder freiwillig. Onkel, Tanten, Großmütter waren so unterschiedlich wie meine Interessen an ihnen. Von der einen, dem einen gab es eine Auffrischung des Taxchengeldes, von anderen symphatische Nähe oder Familiengeschichte. Bisweilen stritten wir über Politik, bisweilen flog ich auch schon mal raus. Hinzu kamen Freunde, wohlmeinende Gefährten, ohne die ich wohl kaum hätte Fuß fassen können. Da gab es den späteren Krimi-Autor mit seiner lieben Frau, oder den stadtgeschichtlich und später wirtschaftlich visierten Kumpel, die Exfreundin, in deren Haus ich mich flüchten konnte, ein kleiner Briefmarkensammler, der schon als Schüler seine Eltern mittels Briefmarkenhandel auf Auktionen unterstützte. Es gab Parteigenossen und Genossinnen wie die Sonderschullehrerin und Kommunistin, die beim Empfang vom Bundespräsidenten zuerst begrüßt wurde. Es gab Künstler, Arbeitslose, Akademiker deren Häuser und Wohnungen mich anzogen und den Vorteil hatten, dass sie mich nie lange festhielten.
Ich war gerne Besucher, Menschen auf zu suchen und ihre Räume zu erfahren meine Leidenschaft. So schuf ich mir eine andere Art vom festen Zuhause und sicherem Hafen für die Fahrt ins Leben. Aber es gab noch etwas: die Partei, die ich überall auf der Welt aufsuchen konnte, nicht nur in Häusern, auch in Gesprächen mit Wildfremden im Zug oder im Jeepney, im Bretterverschlag beim Bier oder einfach auf Demos. Ergänzend dazu gewöhnte ich mir an, in jeder Stadt, die ich besuchte, alte Häuser und Kirchen zu besichtigen. Ich war derlei von meiner Geburtsstadt mit deren Dom, Rathaus, Schnoor und Böttcherstrasse gewohnt. Das alles gab mit ein Gefühl von Verbundenheit mit der Geschichte und den Ahnen, ein Gefühl von anvertrauter Ewigkeit.
So konnte ich furchtlos radikal mich gebärden, mich wegträumen oder auf machen zu neuen Orten und Ländern. Innerlich nahm ich meine Koordinaten immer mit. Bis Onkel und Tante ein Haus weiter zogen, deren Wohnzimmer mir plötzlich die gewohnten Ansichten vorenthielt.
Inzwischen ist dort mehr Veränderung als in meinem eigenen Leben. Je länger ich an Orten blieb und bei einer Sache, um so mehr verschwanden die Besuchsplätze aus meinem Leben. Viele Gastgeber sind verstorben, nur noch zwei ehemalige Weggefährten in ihren Häusern geblieben. Spätestens mit dem Auszug meiner Großmutter aus ihrem Haus und dem Tod meiner Mutter, wurde mir bewusst: “Ich kann nicht mehr einfach mal zurück, die Zeit anhalten, im Gestern verschnaufen und danach gestärkt weiterziehen. Plötzlich bin ich auf meinen eigenen Mist, die eigenen Wände angewiesen, die ich folgerichtig mit geerbten Zeichen der Vergangenheit voll stopfte. Ich habe Bilder, Briefe und Gegenstände aus den Häusern und fühle mich doch nicht ganz wohl dabei. Sie gehören nicht in meinen Rahmen.
Noch immer lockt mich die Sehnsucht nach Veränderung, auch in der Gesellschaft, nach Taten, nach Reisen und Platzwechsel. Aber wohin zurück, wo wieder auftanken und mich selber fangen, mich vergewissern des Weges?
Jetzt bleibe ich wo ich bin und reise fast nur noch in Gedanken. Dort stürze ich um, laufe weg oder zu, entwickle Schreitiraden oder Wortbauwerke für mehr Ökologie und Frieden, bessere und mehr Nahrung, für eine lebenswertere Welt und Gesellschaft.
Längst sehe ich die für mich einst als ewig empfundenen Bauwerke als Zeiterscheinungen und die einstmals geglaubte Konstanz als vorübergehende Atempausen im Laufe der Geschichte. ES wirkt jetzt alles nutzloser, verschwenderischer, sinnloser. Selbst die Überbleibsel von Mittelalter und Altertum wirken nur wie von Geschichte übersehene Monumente der Vergänglichkeit von Schönheit, Kunst, Verstand und Kraft ihrer Erbauer. C’est ca! Carpe Diem. Oder: Laßt uns retten, was noch zu retten ist, damit unsere Kinder und Enkel sich weiter Veränderungen zu trauen und die unzähligen Wege von Freiheit und Entdeckungen.

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