Mir gegenüber
sitzt ein Mann, an der anderen Seite der Theke. Der schreibt wie ich,
irgendetwas, so etwas vielleicht wie diese Worte hier oder etwas ganz anderes.
Er lehnt sich
wie ich zurück. Er raucht wie ich von Zeit zu Zeit eine Zigarette, denn das
darf man hier noch in dieser Hotelbar des Maritim im Waldecker Land.
Er trägt ein
dunkel gestreiftes Hemd, darüber einen schwarzen Pullunder, der so heißt obwohl
auch der Mann ihn wie ich über dem Hemd trägt.
Er hat graue
Haare im Übergang zum Weiß der letzten Jahre so wie ich. Scheint, zumindest im
Sitzen, ungefähr gleicher Körpergröße zu sein, vielleicht auch fünf Zentimeter
kleiner.
Er knabbert
zwischendurch wie ich die Nüsse, aus dem Glas in die linke Hand gekippt, nimmt
sie mit rechts einzeln heraus und steckt sie sich in den Mund, Kopf und Rücken
dabei leicht zurückgelehnt, die Augen auf dem Geschriebenen.
Er trägt wie
ich eine Brille aus dünnem schwarzen Material, so dass es von mir aus aussieht,
als hätte jemand mit dünnem Bleistift ihm diese in das Gesicht gezeichnet.
Aber er ist
nicht ich. Es gibt keinen Spiegel vor mir, auch wenn es für mich so wirkt, als
mache er meine Bewegungen nach. Er schreibt auch noch mit rechts, wie ich, und
ich ihn lieber mit links schreiben sehen würde.
Er schweigt
wie ich, blickt aber immer öfter zu dem Barmädchen auf und umher, als erwarte
er etwas oder suche jemanden. Ich will nicht, dass er mich sucht. Ich will
nicht mit ihm reden, nur wissen, was er schreibt. Im Zweifel aber verzichte ich
lieber auf seine Schreibe für den Genuss hier weiter schweigend sitzen zu
können und zu schreiben.
Er blickt
jedes Mal nur kurz, als wolle er diese Blicke verbergen, mit ihnen nicht
entdeckt werden.
Weil er
weniger schreibt und mehr Nüsse knabbert, raucht er auch weniger als ich. Er
wirkt jetzt sprungbereit. Aber wozu oder zu wem?
Ich sehe nur
noch kurz auf, so wie er, hoffe er entdeckt meine Augen nicht, übersieht meine
Gegenwart.
Ich esse
keine Nüsse im Moment, während er knabbert und Kurzblicke verschießt, rauche
auch nicht, da ich parallel schreibe zu ihm und seinen Blicken.
Er trinkt
Bier, ich Wein. Es ist ein guter Tropfen. Den hat mir der Junge, nicht das
Mädchen ausgesucht und vorgeschlagen. Der ist der Profi, sie die Azubine.
Das Bier des
Gegenüber verschafft mir die Sicherheit, dass ich nicht vor meinem Spiegelbild
sitze, es sei denn der Spiegel zeigt mich lieber mit Bier statt mit Wein. Aber
warum sollte ein Spiegel das tun, selbst dann, wenn er in einer Hotelbar hängt?
Also, er ist
nicht ich. Zweifelsfrei. Zumindest heute nicht. Vielleicht in ein paar Jahren,
wenn mein Haarweiß so weit fortgeschritten ist wie bei ihm, mein Gesicht wie
seins in müden Falten hängt.
Ja, er ist
älter, nicht weil ich das unbedingt will, auf die Erdnüsse und Zigarette
verzichte, damit ich schreiben kann, während er zur Abwechslung wieder Nüsse
einzeln seiner linken Hand entnimmt und im Mund verschwinden lässt, um sie dort
langsam zu zerkauen. Nein, er ist älter weil er es ist, so wie er nicht ich
ist.
Er ist
zumindest älter als ich mich fühle oder sehe hier im Barlicht und dem Spiegel
zu meiner rechten, der mich von der Seite zeigt, wie ich schreibe, während der
drüben weiter Nüsse isst.
Dann ist
plötzlich alles anders. Er bricht alle Spielregeln, spricht mit der Azubine,
dem blonden Barmädchen, während ihr Kollege mein Glas betrachtet. Ich nicke und
er bringt ein neues Glas, gefüllt, nimmt das leere Glas mir weg, leert den
Aschenbecher, dies alles wortlos. Wir lächeln uns nur kurz an, wissen von
einander was wir wissen müssen, was wir wissen wollen, quatschen nicht.
Der Mann mir
gegenüber dagegen quatscht, schreibt nicht mehr, hat den Stift dafür
verschwinden lassen, vielleicht sogar sein Geschriebenes, zumindest kann ich es
nicht mehr sehen.
Nein, der ist
nicht wie ich. Ich quatsche keine Barmädels an, schon gar nicht wenn sie so
jung und noch Azubinen sind.
Ich schreibe.
Bin wütend, irgendwie, obwohl der mir ja eigentlich egal sein könnte, wenn er
nicht ich ist und mir auch gar nicht mehr ähnlich, jetzt.
Die spricht
natürlich auch mit ihm, wieso auch nicht, wenn er sie anspricht. Ist er doch
ein Kunde und der darf sie ansprechen.
Sie steht
dabei steif mit ihrem Rücken an den Kassentisch gelehnt und wirft ihren blonden
Zopf beim Sprechen ab und zu zur Seite, mal nach links, mal nach rechts.
Hübsch sieht
sie aus, jung, hat spürbar ein Leben vor sich, ein Leben dass er und ich so
ziemlich hinter uns gebracht haben, wie auch immer.
Die
unterhalten sich und ich beende mein Schreiben. Werde zahlen und gehen. Bis der
Barmann soweit ist sehe ich im Spiegel, was da sich zum Verlassen der Bar
vorbereitet, sehe meine müden Anziehversuche, den Ansatz von Buckel, silbern schimmerndes Bürstenhaar vom Gläsergefunkel über mir.
Ich erkenne
mich nicht.
Der da drüben
quatscht und ich suche mich und erkenne mich nicht. Weiß nicht, wer sich da
hölzern anzieht und vom Barhocker schiebt.
Der Preis ist
genannt. Ich zahle, könnte jetzt eigentlich gehen. Aber ich bestelle noch einen
„Absacker“, einen Grappa und sehe zu dem da drüben hin, der zu mir hinsieht,
wieder nur kurz, weiter mit ihr quatscht, dann lachen sie.
Ich kippe meinen Grappa und verziehe mich. Vielleicht lachen sie über
mich oder ich bin doch er und lache mit ihr über mich selber, dieses trottelige
Spiegelbild eines alten Mannes, der sich am Schreiben festhält statt zu
quatschen, dafür sogar sein Rauchen und die Erdnüsse verschmäht und flieht,
wenn man lacht. Vielleicht. Genaueres weiß auch der kalte Februarwind nicht,
der mich draußen in Empfang nimmt. Vielleicht sollte ich demnächst über den
schreiben. Im Alter spürt man ihn mehr, den Wind.(c) bild + text jörn laue-weltring bad wildungen 2014
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