Montag, 13. Mai 2013

Ein merkwürdiges Motiv



Er saß ruhig und verschlossen auf der Anklagebank. Ließ alles seine Verteidigerin machen.

Seine Frau trat als Nebenklägerin gegen ihn auf. Auch sie überließ alles ihrem Anwalt.

Eine alltägliche Geschichte. Gewalt in der Ehe. Seit einigen Jahren aber unter Strafe gestellt.

Der Mann soll seine Frau jahrelang geschlagen, vergewaltigt, gedemütigt haben.
Die Verteidigerin stellte die Beweislage in Frage.

Die Polizei legte Aufnahmen vor von ihren Verletzungen, der Kellertreppe mit Spuren ihres Sturzes, der alten Matratze dort unten mit Spermaspuren von ihm.

Nein, unmittelbar keine Zeugen.

Familiensituation? Keine Kinder. Er wollte nicht. Sie wollte nicht. Ließ sich nicht klären, war auch unerheblich für das Gerichtsverfahren.

Großes Haus, zwei gute Mittelklassewagen. Abonnements für Theater, Kunsthalle und Oper. Keine Vereine. Nur Geschäftsfreunde des Mannes. Kaum Familienangehörige, alle weit entfernt wohnend, in Kanada, der Schweiz und Argentinien. Also sehr weit entfernte Verwandte.

Beide Mitte vierzig, beide in zweiter Ehe verheiratet seit nunmehr 11 Jahren.

Die Verteidigung bot als Erstes Nachbarn als Zeugen auf.

„Ruhige Leute, beide, sie etwas hochnäsig, gelegentlich Krach unbestimmbarer Herkunft, vielleicht Schreie, vielleicht Schläge, aber nicht mit Sicherheit.“

Aber der Mann da sei oft mit dem Hund draußen gewesen und für ein Schwätzchen auch mal stehen geblieben. Wo war der Hund jetzt, es war keiner im Haus gewesen?

Vergiftet. „Durch ihn“, „durch sie“. Ließ sich nicht weiter klären. Vielleicht später.

Die Frau sei als verlogen bekannt in dem Viertel und als faul. Das sagten alle übereinstimmend aus.

Schlecht für die Anklägerin. Brach in Tränen aus.

Wie und woher die Zeugen das wüssten? Der arme Mann habe oft geklagt, erst schüchtern, dann aber immer öfter. Worüber, na, die Frau sei wohl verlogen und würde ihn dauernd hintergehen und er sei nur zum Schuften und Geld anbringen da.

Der Mann? Ja, der Mann. Bei allen hatte er sich beklagt.

Triumph der Anklage, Verdüsterung im Gesicht des Angeklagten.

Eine perfide Inszenierung gegen die Frau, damit sie keine Chance bekam draußen etwas zu erzählen oder Gehör zu bekommen.

Das interessierte die Presse, sogar zwei Illustrierte und das Fernsehen begannen zu berichten. Beide, Angeklagter und Klägerin strahlten in die Kameras, ließen ihre Verteidiger, ihre Sicht der Dinge schildern.

Eine Cousine war bereit aus zu sagen, bestellt von der Verteidigung. Kaum noch Kontakt, vor allem weil ihre Cousine hier sei sehr verlogen, selbstsüchtig und nur auf Geld und Ansehen aus. Der Mann da, ja, der Angeklagte, hätte ihr von Anfang an leid getan.

„Verlogen?“
„Ja, verlogen, wohl schon aus der Gewohnheit heraus.“

Die Presse war begeistert. Jetzt sah der Angeklagte wieder fröhlicher aus und die Klägerin weinte. Das konnte sie gut, wurde aber unter gut gespielt abgehakt.

Die Gutachter konnten sich nicht einigen. Ja, schlimme Verletzungen, Spuren jahrelangen Missbrauchs.

Ja, auch selbst zu fügbar. Oder durch Liebesspiele.

Liebesspiele? Sado-Maso! Aha!

Die Presse überschlug sich förmlich mit Schlagzeilen. Das Flaggschiff des Boulevards berichtete jetzt jeden Tag auf der ersten Seite.

Beide, Angeklagter wie Angeklagte, hatten bereits Exklusivverträge mit Illustrierten unterschrieben, für viel Geld, wie im Gerichtssaal gemunkelt wurde.

Der Mann gab solche Spiele zu, benannte Clubs, wo sie hingegangen wären und Geschäfte.

Seine Verteidigung ließ etliche Zeugen antreten. Die Öffentlichkeit wurde ausgeschlossen.

Seine Frau begann ihr Gesicht vor den Kameras zu verbergen.

Ihr Anwalt rief sie in den Zeugenstand. Ja, das mit dem Sado-Maso hätte es gegeben. Aber er hätte sie gezwungen und zu Hause seinen Hass auf Frauen noch härter ausgelebt. Aber die Zeugen hätten doch gesagt, sie hätte die Herrin gegeben und er den Sklaven.

Ja, aber unfreiwillig, da er ihr zu Hause alles doppelt und dreifach zurückgezahlt habe. Ihn habe das nur angestachelt, darum hätte er darauf bestanden, dass sie die Herrin.

Die Presse und demzufolge die Leser blieben skeptisch und auf der Seite des Angeklagten.

Die Anklage schaffte eine Tante des Angeklagten herbei, die aus Kanada.

Sie schilderte ihn als hinterhältig, brutal, Charmeur, arbeitsscheu, „konnte nie mit Geld umgehen“.

Dann kam seine Ex-Frau in den Zeugenstand. Gleiches Bild. Auch mit ihr Sado-Maso aber nur kurz, hätte sie angeekelt. Kinder hätte er auch nicht gewollt, warum dann noch diese Ehe. Heute hätte sie drei nette Kinder und denke nur noch mit Schrecken an ihn.

Seine Aktien schmolzen dahin. Die öffentliche Meinung schlug um.

Ich hatte die Nase voll von dem Verfahren, ließ von der Staatsanwaltschaft die finanziellen Verhältnisse des Ehepaares darstellen. Hätten wir eher tun sollen.

Nein, nur nach außen noch topp, in Wirklichkeit pleite. Das Einkommen des Mannes nach wie vor hoch, aber noch höhere Ausgaben. Ja, im Marketing ließe sich offensichtlich gut Geld verdienen, aber so viel, wie die beiden bräuchten, offensichtlich auch nicht.

Da kam mir der Verdacht. Ich setzte eine Verhandlungspause an und lud die Staatsanwaltschaft und die Anwälte in mein Büro.

Alles fingiert? Nur vorgetäuscht? Wegen der Aussicht auf die Einnahmen aus den Verträgen? Mit dem Risiko von Gefängnis und öffentlicher Brandmarkung? Sie waren skeptisch. Die Anwälte versprachen trotzdem, vorsichtig auf den Busch zu klopfen, obwohl sie natürlich nur im Interesse ihrer Mandanten und so weiter. Die Staatsanwaltschaft nahm die Ermittlungen wieder auf.

Nachdem die Anwälte beim nächsten Treffen verlegen schwiegen und sich auf ihre Pflichten beriefen, wurde es klar.

Es gelang die beiden zu überführen. Sie hatten beide auch noch einen Buchvertrag abgeschlossen und etliche Talkshows hatten sie gebucht.

Die Verteidigung legte ihr Mandat nieder, da das Gerücht aufkam, sie hätte die beiden bei der ganzen Geschichte juristisch vorab beraten um das Risiko zu minimieren. Empört legte daraufhin auch die Kanzlei der Klägerin ihr Mandat nieder, und ließ öffentlich erklären, das Vertrauensverhältnis sei massiv durch das Verhalten der Mandantin zerstört worden.

Der Mann erklärte sich als erstes, schob alles auf die Frau und das, was er den Nachbarn erzählt hätte, sei wahr gewesen und hätte nichts mit dem Plan zu tun gehabt.

Die Frau beschuldigte daraufhin ihn, dass er sie unter Druck gesetzt habe mit der drohenden Pleite.

Wir ließen die Anklage fallen, dafür bekamen beide saftige Strafen für die Vortäuschung einer Straftrat, Missachtung des Gerichts in einem besonders schweren Fall, Behinderung der Polizei bei ihren Ermittlungen und was wir sonst noch so finden konnten.  Dafür wurden wir als „rachsüchtige Justiz“ an den Pranger gestellt.

In den Medien ein letztes großes Berichtsgewitter, tatsächlich tauchten die beiden nun als „besonders dreistes Gaunerpaar“ redegewandt und fröhlich auf.  

Sie schrieben nur ein Buch, dies zusammen, was sich aber schon nicht mehr so gut verkaufen ließ. Sie sollen sich wenig später getrennt haben, als das Interesse an ihnen erloschen war.

Das war das sonderbarste Motiv, das ich erleben musste als Richter. Fand es aber irgendwie zeitgemäß, angesichts der Entwicklung unserer Medien. Wenig später war ich froh aus dem Amt scheiden zu dürfen.

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