Montag, 15. April 2013

"Am Ende stehen wir da, wo wir angefangen haben." Fortsetzung 8




„Auch Hilde gewöhnte sich sehr an den schriftlichen Verkehr mit ihrem Mann und entdeckte mit der Feder ungeahnte Möglichkeiten. Sie entdeckte die Sprache der Anweisungen, lernte mehr und mehr, wie sie es zu formulieren hatte, dass er genau das tat, fühlte, so reagierte, wie sie es wollte. Sie entdeckte den Chef in sich, den Kommandeur auf neue Weise, lernte, wie sich durch Abmilderungen, leichte Schlenker mehr erreichen lässt und weniger Widerstand. Natürlich spürte sie genau, dass er sich ihr entzog, seine eigenen Gedanken hatte und die ihr nie verraten würde. Aber es wurde ihr noch mehr egal, als sie bemerkte, dass seine Gedanken und Gefühle für einen reibungslosen Ablaufs ihres Alltags auch gar nich nötig waren. Sie begriff, dass sie mit diesem Trainingsfeld mehr anfangen könnte, das erreichen, was ihr bisher durch seine Laschheit verwehrt war. Manchmal in der Nacht, da kam es ihr vor, als könne sie sogar in des Führers Fußstapfen treten, hatte sie nicht herausgefunden wie man führt ganz ohne direkte mündliche Rede, einfach so, durch Zettel.

Hätte man ihr gesagt, sie führe ja nur eine Zettelwirtschaft, wäre sie empört gewesen. Ihr schien klar vor Augen, dass das Land sie brauchte, gerade jetzt, wo sein Reich in Trümmern lag und verraten war.

Also machte sie sich auf das Feld zu finden, das ihres sein konnte und musste.

Machte sich auf ohne Blick zurück, überzeugt, ihre Zeit sei gekommen und dieser Karl könnte dabei, zumindest zu Beginn eine hilfreiche Rolle spielen. Schließlich galt nur er, nicht sie, wirklich als unbelastet. Was scherten sie die Nachbarn, die sie nicht mehr grüßten nach der Niederlage, die diese Tragödie unverschämter Weise auch noch Befreiung nannten. Den Karl hatte sie auch hinbekommen. Also was solls. Auf zu neuen Taten.

Karls Rückzug, vor allem seine Null-Gegenwehr, vom Leiterposten zerstörte ihr sich etwas entspannendes Verhältnis nach ihren neuen Ambitionen sofort wieder. Sie sah sein Verhalten als persönlichen Affront gegen ihre Pläne und dachte nur, der „faule Sack“ wolle ihr damit auf der Tasche liegen, glaube, er hätte ein Recht auf diese so miese, gescheiterte Ehe, könne sich genauso bequem in der neuen Zeit einrichten wie in der alten. Der würde sich noch umgucken, weg schießen würde sie den, sobald sie nicht mehr auf ihn und sein Einkommen angewiesen wäre.

Ihre Zettel wurden wieder schärfer, gerieten zu scharfen Kommandos, was ihn nicht daran hinderte, das zu tun, was er in seinen Kräften und durchaus für angemessen hielt. Aber er horchte, sah genau hin, fühlte sich wie in einem neuen Film, wo alle irgendwas taten und nur er sah die Zusammenhänge, konnte abwarten, sich in Ruhe wappnen gegen die nächsten Explosionen, Vergewaltigungen und Zerstörungen.

Erbost trat sie ohne ihn zu informieren in die CDU ein und beschloss, noch mehr in ihrem Entschluss bestärkt, selber Karriere zu machen, informierte ihn über nichts und lachte offen, wenn er etwas zur Politik von sich gab, in seinem nie ablassenden Willen, wieder mit ihr ins Gespräch zu kommen, über seine offensichtliche Naivität und Verlangen, es möge endlich etwas anderes besseres heraus kommen aus der Politik, als in der Vergangenheit. Der „alte Dämelak“,  der war einfach zu dumm, zumindest aus ihrer Sicht der Dinge, die neue Zeit mit ihren Möglichkeiten zu begreifen.

Von da an saßen Karl und ihre Mutter immer häufiger abends allein zu Hause und Hans Albers musste sehr oft zu ihm kommen, da halfen auch nicht seine Gespräche mit den Hobbels. Hans Albers half ihm mehr, war so zu sagen sein Kompass, nicht für Luise, aber für die Schaukel auf der er sich befand und von der er nicht wusste, auch nicht durch die Hobbels, wie er von der mal runter kommen könnte.

Im Gegenteil, sogar der blonde Hans hielt ihn auf der Schaukel fest, erklärte sie zu seinem Schicksal und meinte nur in der ihm eigenartigen Art und Weise: „Dat is so wie et kömmt, Du mien Dschung und die Schaukel, dat bleevt, frog mie nie nach dem End!“

Eines Tages kam Post: "Hiermit geben sich die Ehre mitzuteilen ..."

Das Mädchen hatte geschrieben, die mit der warmen tiefen und so jungen Stimme, hatte ihm eine Einladung geschickt. Eigentlich unter Nachbarn hier eher normal als ungewöhnlich, die Post ging noch an den Haushaltsvorstand, was in der Regel der Mann war und insoweit nicht ungewöhnlich.

Das Mädchen heiratete halt. Mehr war dazu nicht zu sagen. Aber für Hilde, die immer noch gemieden, zu nichts eingeladen wurde in der Nachbarschaft, nicht gegrüßt und von nichts informiert, einfach wie Luft behandelt, war das ein Alarmsignal. Die Karte galt ihrem Karl und der hatte noch nie eine solche Karte erhalten und vor allem nicht mit so einer Widmung: „Meinem Retter, wir würden uns besonders freuen wenn Sie mit ihrer Gattin …“.

Hilde schrieb ihrem Mann einen Monat lang keinen Zettel mehr.

Was hatte der nur mit dieser Frau gehabt und zu schaffen, deren Eltern ihr wohlbekannt waren, stadtbekannte Querdenker, nach 45 und wahrscheinlich auch schon vorher heimlich, wie diese hinterlisten Leute ja üblicherweise
sind, Rudolf Steiner Anhänger, ausgerechnet von diesem Wirrkopf mit seinen Erziehungsideen und Schulen, die plötzlich wie die Pilze sich im Umland ausbreiteten und in aller Munde waren?

War ihr Karl etwa auch schon von dieser Seuche infiziert, plante gar den Absprung dorthin. Sie wusste, „stille Wasser sind tief“ und Wasser passte genau auf Karl, still sowieso, nur was die Tiefe anbelangte war sie sich nicht so sicher.

Karl war alles egal, fast alles wenn es nur nicht seine Ruhe störte oder ihn zu neuen, eventuell Ärger bringenden Schritten zwang

Mit großen Augen sah er, wie sein Land wieder aufstieg wie Phönix aus der Asche. Auch er verdiente langsam mehr, ohne selber darum kämpfen zu müssen. Das taten die Gewerkschaften und deren Leute für ihn, regelmäßig und zu seiner Verwunderung kamen sie damit durch. Sogar mit ihren Streiks und zum Teil, für ihn jedenfalls, utopischen Forderungen. Die Hobbels sahen das meist etwas anders und versuchten ihn auf zu klären, was er in der Regel meistens auch dankbar annahm. Überhaupt waren diese Treffen inzwischen für ihn fast ein Familienersatz. Hier konnte er sich aussprechen, und Hilfe erhalten für seine doch oft wirren Gedanken. Selbst die Studierten unter ihnen hatten Geduld mit ihm und er fühlte sich stets auf Wolke sieben, wenn er sah, wie die sich alle um ihn bemühten.

Bald schon konnte er sich einen Roller leisten. Mit dem fuhr er vergnügt durch die wieder aufgebauten Straßen zur Arbeit. Holte Hilde nachts auch schon mal von einer Parteisitzung ab, auch wenn sie nur unwillig dabei hinter ihm saß und meinte, dass ein richtiges Auto doch viel besser wäre, wie es irgend ein X oder Y doch auch schon sich hätte leisten können, und die wären nur einfache Malocher im Gegensatz zu ihm. Natürlich schrieb sie das nur, auf der Fahrt sprach sie nie ein Wort, nicht beim Betreten des Hauses, nicht beim Abschied in ihre jeweiligen Betten.

Er wählte dann auch CDU, nur Mitglied wollte er erst nicht werden.  Das mochte er seiner ersten Partei nicht antun, trotz seiner Kritik an ihr, „Einmal falsch verbunden, dann für immer“, so dachte er. Erst der sanfte Hinweis der Hobbels, dass er so wenig für seine, ihre Ziele erreichen könnte, brachte ihn zum Umdenken.

Die CDU fand er dann auch nicht spannender oder viel erträglicher als seine alte Partei, traten die gleichen Herrschertypen auf, nur mit mehr Gelaber, aber auch das „Wir sind die Besten, sind die Einzigen!“ hatten die völlig drauf. Auch wenn sie für den phantastischen Wirtschaftsaufschwung sorgte, jedenfalls nach seinem Eindruck, wurde er nicht mit ihr warm.“

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