„Auch
Hilde gewöhnte sich sehr an den schriftlichen Verkehr mit ihrem Mann und
entdeckte mit der Feder ungeahnte Möglichkeiten. Sie entdeckte die Sprache der
Anweisungen, lernte mehr und mehr, wie sie es zu formulieren hatte, dass er
genau das tat, fühlte, so reagierte, wie sie es wollte. Sie entdeckte den Chef
in sich, den Kommandeur auf neue Weise, lernte, wie sich durch Abmilderungen,
leichte Schlenker mehr erreichen lässt und weniger Widerstand. Natürlich spürte
sie genau, dass er sich ihr entzog, seine eigenen Gedanken hatte und die ihr
nie verraten würde. Aber es wurde ihr noch mehr egal, als sie bemerkte, dass
seine Gedanken und Gefühle für einen reibungslosen Ablaufs ihres Alltags auch
gar nich nötig waren. Sie begriff, dass sie mit diesem Trainingsfeld mehr
anfangen könnte, das erreichen, was ihr bisher durch seine Laschheit verwehrt
war. Manchmal in der Nacht, da kam es ihr vor, als könne sie sogar in des
Führers Fußstapfen treten, hatte sie nicht herausgefunden wie man führt ganz
ohne direkte mündliche Rede, einfach so, durch Zettel.
Hätte
man ihr gesagt, sie führe ja nur eine Zettelwirtschaft, wäre sie empört
gewesen. Ihr schien klar vor Augen, dass das Land sie brauchte, gerade jetzt,
wo sein Reich in Trümmern lag und verraten war.
Also
machte sie sich auf das Feld zu finden, das ihres sein konnte und musste.
Machte
sich auf ohne Blick zurück, überzeugt, ihre Zeit sei gekommen und dieser Karl
könnte dabei, zumindest zu Beginn eine hilfreiche Rolle spielen. Schließlich
galt nur er, nicht sie, wirklich als unbelastet. Was scherten sie die Nachbarn,
die sie nicht mehr grüßten nach der Niederlage, die diese Tragödie
unverschämter Weise auch noch Befreiung nannten. Den Karl hatte sie auch
hinbekommen. Also was solls. Auf zu neuen Taten.
Karls
Rückzug, vor allem seine Null-Gegenwehr, vom Leiterposten zerstörte ihr sich
etwas entspannendes Verhältnis nach ihren neuen Ambitionen sofort wieder. Sie
sah sein Verhalten als persönlichen Affront gegen ihre Pläne und dachte nur,
der „faule Sack“ wolle ihr damit auf der Tasche liegen, glaube, er hätte ein
Recht auf diese so miese, gescheiterte Ehe, könne sich genauso bequem in der
neuen Zeit einrichten wie in der alten. Der würde sich noch umgucken, weg
schießen würde sie den, sobald sie nicht mehr auf ihn und sein Einkommen
angewiesen wäre.
Ihre
Zettel wurden wieder schärfer, gerieten zu scharfen Kommandos, was ihn nicht
daran hinderte, das zu tun, was er in seinen Kräften und durchaus für
angemessen hielt. Aber er horchte, sah genau hin, fühlte sich wie in einem
neuen Film, wo alle irgendwas taten und nur er sah die Zusammenhänge, konnte
abwarten, sich in Ruhe wappnen gegen die nächsten Explosionen, Vergewaltigungen
und Zerstörungen.
Erbost
trat sie ohne ihn zu informieren in die CDU ein und beschloss, noch mehr in
ihrem Entschluss bestärkt, selber Karriere zu machen, informierte ihn über
nichts und lachte offen, wenn er etwas zur Politik von sich gab, in seinem nie
ablassenden Willen, wieder mit ihr ins Gespräch zu kommen, über seine
offensichtliche Naivität und Verlangen, es möge endlich etwas anderes besseres
heraus kommen aus der Politik, als in der Vergangenheit. Der „alte
Dämelak“, der war einfach zu dumm,
zumindest aus ihrer Sicht der Dinge, die neue Zeit mit ihren Möglichkeiten zu
begreifen.
Von
da an saßen Karl und ihre Mutter immer häufiger abends allein zu Hause und Hans
Albers musste sehr oft zu ihm kommen, da halfen auch nicht seine Gespräche mit
den Hobbels. Hans Albers half ihm mehr, war so zu sagen sein Kompass, nicht für
Luise, aber für die Schaukel auf der er sich befand und von der er nicht
wusste, auch nicht durch die Hobbels, wie er von der mal runter kommen könnte.
Im
Gegenteil, sogar der blonde Hans hielt ihn auf der Schaukel fest, erklärte sie
zu seinem Schicksal und meinte nur in der ihm eigenartigen Art und Weise: „Dat
is so wie et kömmt, Du mien Dschung und die Schaukel, dat bleevt, frog mie nie
nach dem End!“
Eines
Tages kam Post: "Hiermit geben sich die Ehre mitzuteilen ..."
Das
Mädchen hatte geschrieben, die mit der warmen tiefen und so jungen Stimme,
hatte ihm eine Einladung geschickt. Eigentlich unter Nachbarn hier eher normal
als ungewöhnlich, die Post ging noch an den Haushaltsvorstand, was in der Regel
der Mann war und insoweit nicht ungewöhnlich.
Das
Mädchen heiratete halt. Mehr war dazu nicht zu sagen. Aber für Hilde, die immer
noch gemieden, zu nichts eingeladen wurde in der Nachbarschaft, nicht gegrüßt
und von nichts informiert, einfach wie Luft behandelt, war das ein Alarmsignal.
Die Karte galt ihrem Karl und der hatte noch nie eine solche Karte erhalten und
vor allem nicht mit so einer Widmung: „Meinem Retter, wir würden uns besonders
freuen wenn Sie mit ihrer Gattin …“.
Hilde
schrieb ihrem Mann einen Monat lang keinen Zettel mehr.
Was hatte der nur mit
dieser Frau gehabt und zu schaffen, deren Eltern ihr wohlbekannt waren,
stadtbekannte Querdenker, nach 45 und wahrscheinlich auch schon vorher
heimlich, wie diese hinterlisten Leute ja üblicherweise
sind, Rudolf Steiner
Anhänger, ausgerechnet von diesem Wirrkopf mit seinen Erziehungsideen und
Schulen, die plötzlich wie die Pilze sich im Umland ausbreiteten und in aller
Munde waren?
War
ihr Karl etwa auch schon von dieser Seuche infiziert, plante gar den Absprung
dorthin. Sie wusste, „stille Wasser sind tief“ und Wasser passte genau auf
Karl, still sowieso, nur was die Tiefe anbelangte war sie sich nicht so sicher.
Karl
war alles egal, fast alles wenn es nur nicht seine Ruhe störte oder ihn zu
neuen, eventuell Ärger bringenden Schritten zwang
Mit
großen Augen sah er, wie sein Land wieder aufstieg wie Phönix aus der Asche. Auch
er verdiente langsam mehr, ohne selber darum kämpfen zu müssen. Das taten die
Gewerkschaften und deren Leute für ihn, regelmäßig und zu seiner Verwunderung
kamen sie damit durch. Sogar mit ihren Streiks und zum Teil, für ihn
jedenfalls, utopischen Forderungen. Die Hobbels sahen das meist etwas anders
und versuchten ihn auf zu klären, was er in der Regel meistens auch dankbar
annahm. Überhaupt waren diese Treffen inzwischen für ihn fast ein
Familienersatz. Hier konnte er sich aussprechen, und Hilfe erhalten für seine
doch oft wirren Gedanken. Selbst die Studierten unter ihnen hatten Geduld mit
ihm und er fühlte sich stets auf Wolke sieben, wenn er sah, wie die sich alle
um ihn bemühten.
Bald
schon konnte er sich einen Roller leisten. Mit dem fuhr er vergnügt durch die
wieder aufgebauten Straßen zur Arbeit. Holte Hilde nachts auch schon mal von
einer Parteisitzung ab, auch wenn sie nur unwillig dabei hinter ihm saß und
meinte, dass ein richtiges Auto doch viel besser wäre, wie es irgend ein X oder
Y doch auch schon sich hätte leisten können, und die wären nur einfache Malocher
im Gegensatz zu ihm. Natürlich schrieb sie das nur, auf der Fahrt sprach sie
nie ein Wort, nicht beim Betreten des Hauses, nicht beim Abschied in ihre
jeweiligen Betten.
Er
wählte dann auch CDU, nur Mitglied wollte er erst nicht werden. Das mochte er seiner ersten Partei nicht
antun, trotz seiner Kritik an ihr, „Einmal falsch verbunden, dann für immer“,
so dachte er. Erst der sanfte Hinweis der Hobbels, dass er so wenig für seine,
ihre Ziele erreichen könnte, brachte ihn zum Umdenken.
Die CDU fand er dann auch nicht spannender oder viel
erträglicher als seine alte Partei, traten die gleichen Herrschertypen auf, nur
mit mehr Gelaber, aber auch das „Wir sind die Besten, sind die Einzigen!“
hatten die völlig drauf. Auch wenn sie für den phantastischen
Wirtschaftsaufschwung sorgte, jedenfalls nach seinem Eindruck, wurde er nicht
mit ihr warm.“
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