Montag, 15. April 2013

"Am Ende stehen wir da, wo wir angefangen haben." Fortsetzung 9



Ich würde sie aufsuchen müssen, versprochen ist versprochen. Aber den Rest der Karlgeschichte liebe ich nicht. Mit der Hobbelei darin, hat sie sich verschoben. Eigentlich ging es doch um das Schweigen der Frau, ihre Hartnäckigkeit, ihre Rachsucht und Unfähigkeit zu verzeihen und es ging um seine Unfähigkeit sich zu befreien, selbst da, wo es für ihn doch nur noch gemachtes Essen, eine gewisse Ordnung und einen Stand zu holen gab, keine Liebe, keine Zärtlichkeit, keinen Rückenwind. Wie hatten die beiden das nur ausgehalten.

Während ich noch so am Überlegen war, klingelte es. Komisch, sonst besucht mich niemand und jetzt das zweite Mal in einer Woche. Ich ließ mir Zeit beim Hingehen und Öffnen. Vor mir stand ein junger Mann mit modischer Lederjacke, weißem Hemd ohne Krawatte in Jeans mit breitem Ledergürtel und einem freundlichen Gesicht, das mich strahlend lächelnd ansah. Hinter ihm standen zwei ältere Polizisten, wirkten müde und leicht griesgrämig. Vielleicht mochten sie ihn und seine Freundlichkeit nicht. Warum ich das alles so genau wahrnahm, weiß ich nicht.
„Sie sind …?“
„Ja, ja! Bin ich!“

Erwartungsvoll standen wir voreinander. Er erlöste uns: „Wir müssen Sie leider bitten, mit uns zu kommen. Und wir bräuchten auch Ihren Wohnungsschlüssel. Wenn Sie vielleicht ein paar Toilettenartikel und etwas Wäsche mit nehmen wollen?!“ Das sagte er so, als würde er mich zum Essen in einem Erste-Klasse-Hotel einladen und so war ich einfach nur sprachlos, drehte mich um, ließ die Tür offen, sie folgen, verschwand im Badezimmer, packte mir dort brav etwas zusammen, verließ es und ging zum Kleiderschrank, suchte ein paar Sachen zusammen, fand im Flur die Sporttasche, die ich eigentlich nie brauchte, weil ich kein Sport betrieb, und füllte sie mit den Utensilien. Der junge Mann nickte zufrieden. „Dann können wir?“ und schob mich zum Flur hinaus. Die beiden Polizisten folgten uns und schlossen mit meinem Schlüssel hinter uns ab.

Es stand tatsächlich eines dieser neuerdings blauen Polizeifahrzeuge da draußen und wartete anscheinend auf mich. Immerhin ohne Martinshorn fuhren wir ab, nicht ohne ein paar Gaffer, die sich natürlich zu diesem Zeitpunkt auf der Straße und in den Fenstern befinden mussten. Bisher war mir gar nicht aufgefallen, wie viel hier tagsüber Zeit haben, jedem Pfurz hinter her zu starren. Mir konnte es egal sein. Ich kannte sie nicht und würde sie auch künftig nicht kennen.
„Hauptkommissar“ hatte der junge Mann neben mir gesagt, sei er, Und stumm blieb er, während der ganzen Fahrt, stumm und freundlich lächelnd. So langsam verstand ich die Polizisten vor mir im Wagen. Konnte einem mit der Zeit die Nerven rauben, dieses Lächeln. Ich lächelte doch auch nicht.

Bisher hatte ich mir in meinem Leben den Kontakt mit der Polizei ziemlich erspart. Nur einmal fassten sie mich, als ich in meinen vorletzten Sommerferien von einer frisch aus der Entziehung heimgekehrten und dies mit ihren Nachbarn kräftig feiernden älteren Alkoholikerin hatte abfüllen lassen mit Schnaps, einem meinem Magen bis dahin völlig unbekanntes Getränk, und so wohl zu sehr torkelnd vor dem Haus meinen Heimweg suchte und ihn nicht richtig finden konnte. Die Polizisten luden mich damals auch in ihr Fahrzeug ein und fanden für mich den Weg, nach dem ich irgendwie meine Adresse in Worte gefasst hatte. Meine Mutter war nicht zu Hause und so konnte ich mich ohne irgendwelche Auseinandersetzung in das Bett verziehen und schlafen. Zwar wunderte sie sich, als sie nach der Arbeit nach Hause kam über den Gestank und ihren Sohn beim Schlafen, sagte aber nichts. Auch nicht am nächsten Tag. Dafür meldeten sich Polizei und Jugendamt, als ich schon gar nicht mehr an die Sache gedacht hatte. Natürlich war ich etwas erschrocken über diese Geschichte als ich am nächsten Tag wieder Kontakt zu mir selber bekam, wenn auch mit dem klassischen Brummschädel. Auch war sie mir peinlich, nur mit Schrecken dachte ich an diese saufende, lallende, herbe Gesellschaft in Unterhemden, Morgenmänteln und einem Fuselgeruch, der für 5 Kneipen ausgereicht hätte. Bin danach auch nie wieder in der Siedlung mit irgendjemand hoch gegangen. Es war ja auch nur dazu gekommen, weil das Mädchen, dass ich gerade am Anbaggern war, ihre Tante hatte besuchen wollen, eben diese Spritdrossel, und mich dann wegen einem Babysittern-Einsatz dort zurück gelassen hatte.

Meine Mutter wurde natürlich sauer, als die Schreiben kamen und drückte sich wie gewohnt nach solchen Anlässen mit stark kummervollen Gesicht durch die Wohnung, signalisierte aber gleichzeit dauernd, wie sehr sie hinter mir stände und was sie nicht alles und son Zeugs, also, was ich noch weniger brauchen konnte als den Besuch im Polizeipräsidium der Stadt. Dort landete ich bei einem auch damals freundlich lächelnden Beamten, Polizeirang weiß ich nicht mehr, in der Abteilung für Drogen, Prostitution und ähnliches, konnte ich an den Ordnern an der Wand feststellen, unsere Strichstraße kannte ich natürlich schon, wenn auch nur außen und dem Namen nach. Hier erwartete mich ein gemütlicher Mann, knapp jünger als mein Vater, erklärte mir den Grund der Einladung und  so erfuhr ich, dass Erwachsene mir Minderjährigen nicht einfach Alkohol einflößen dürften, auch nicht bei sich zu Hause und es demnach nicht gegen mich ginge, obwohl er dennoch fragen müßte, ob ich den schon öfter so viel getrunken habe, überhaupt bereits regelmäßig Alkohol zu mir nehme und ob meine eltern, die erziehungsberechten, mich nicht kontrollieren würden, was ich dann doch wieder eher als Verdächtigung und Verfolgung meiner Person betrachtete. Ich durfte vor ihm sitzen, auf Augenhöhe sozusagen, schielte bisweilen zu den Ordnern mit den Prostituierten, die aber nicht mehr verrieten als Buchstaben des Alphabets, das ich mittlerweile ja auswendig kannte und bereits an zu wenden wußte. Der blieb nett, ich antwortete nett auf alle Fragen mit „Nein!“, erklärte, wie es zu dem einmaligen erlebnis gekommen war und war noch so jung und verstört, dass ich ein schlechtes Wissen bekam, weil ich beim Besuch meines Vaters bereits einmal abgestürzt war, wenn auch durch zu viel Bier und schlechter schokolade und ein Babyzimmer anschließend versaut hatte, wo mein Vater die ganze Nacht das erbrochene zu beseitigen versuchte, vor allem den geruch, da das Baby am nächsten Tag mit der jungen Mutter aus dem Krankenhaus kommen sollte. Das verschwieg ich also, durfte aber gehen und „Nein, das war es, es kommt nichts mehr nach“, kam aber doch, nämlich eine Frau vom Jugendamt und ein Anschiß vom Scvhulleiter obwoghl ich doch versprochen hatte, „es“ also das Saufen, nie wieder zu tun, was ich wohl ein Jahr eingehalten habe, warum auch immer.

Mehr Erfahrung besaß ich also nicht mit Polizeigewahrsam und trotzdem saß ich in dem Auto, wurde irgendwo hingefahren mit meiner Sporttasche auf den Knien und schwieg wie alle in dem Wagen. In dem Moment konnte ich Karl gut verstehen, mit seiner Sehnsucht nach Hans Albers und seinem Ruf, ihm in die Südsee zu folgen. Als wir hielten, war es nicht vor unserem mächtigen Klinkerbau der vorletzten Jahrhundertwende, unser Polizeipräsidium am „Hintern“, wie wir in der Stadt sagten, der Gerichtsgebäude,  sondern ein Wischi-Waschi-Bau der 60er Jahre des letzten jahrhunderts mit den üblichen gelben Streifen unter hohen Glasfenstern ohne Schmuck und Stil.

„Unsere Forensik“, bekam ich mitgeteilt, was mich weder beruhigte noch schlauer werden ließ. Wir gingen durch in unsderer  Zeit immer noch normale Behördengänge mit Namensschildern an jeder Tür, obwohkl sie doch uns Bürger neuerdings als Kundenb betrachten und behandeln wollen, bis zu einer dicken, gelblich grauen, nur Schatten durchlassenden Schwingtür. Die Polizisten waren freundlich, einer stieß sie für mich und dem Komissar auf, der andere fing ihren Schwung hinter uns ab und so kamen wir von ihr unbeschädigt in eine verkachelte Welt, vollgestellt mit fahrbaren Liegen, an den Wänden die üblichen, jedem Krimizuschauer bekannten Gerätschaften.

Vielleicht sollte Hans Albers auch mir jetzt mal helfend beiseite springen, denn das kam mir nun wirklich nur noch wie ein Film vor, in dem ich irgendwie mitspielte, aber völlig ohne Textbuch und Rollenvorgabe. Und das, das gefiel mir ganz und gar nicht. Aber es gelang mir einfach nicht, daraus zu erwachen und zu einer rettenden Tasse Kaffee zu eilen.

Sie schlugen, wie nicht anders zu erwartzen, ein Tuch zur Seite um ein Gesicht frei zu geben, natürlich tod und mir tatsächlich bekannt. Hatte ich jemand anderes erwartet, überhaupt jemand erwartet? Nein, konnte ja nur ein Alptraum sein und entsprechend egal war mir, was da vor mir rum lag. Jedenfalls bis ihn sah, sofort wieder erkannte und gar nichts mehr verstand. Es war der Großonkel Arzt und Hobbelberichter, bleich, etwas eingefallen, seinem tatsächlichen Alter hier in dem Kunstlicht sehr viel näher, ja eigentlich, mehr drüber als wie bei seinem Besuch in meiner Wohnung.

Schließlich spürte ich sie, ihr Warten auf mich, darauf, dass ich wohl etwas sagte, den Toten für sie identifizierte, warum auch immer, hatte den Mann nur einmal in meinem Leben gesehen und wer konnte das überhaupt wissen und wenn, wieso die hier?
Aber sie sahen mich nur an, als ich es sagte. Und ich spürte, wie ein Bild, irgend etwas in mir auftauchen wollte, ein heißes Gefühl, etwas, was ich hier besser nicht losließ und auch gar nicht wissen wollte. Zu Hause, da beschäftigte ich mich mit dem was von da unten hochkam, den turbulenzenzen, deswegen war ich ja unter anderem auf der Suche. Aber nicht hier, jetzt, in diesem irgendwie geschlechtsneutralem Licht, angesichts der Männer und des TV-Krimi-Ambientes.

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