Mittwoch, 12. Juni 2013

Holzberg: Meine Bücherstube zum Aufgalopp in die Literatur und deren Verkauf

Heute sind sowohl meine alte Buchhandlung Holzberg als auch das alte Möbelhaus Berning aus der Gymnasialstraße in Lingen verschwunden, abgerissen, auf dem Platz von unserem "Lädchen" steht heute die Stadtbibliothek.



Die Fläche vom Möbelhaus, das längst in der Perepherie von Lingen sich viel größer und dem Zeitgeschmack angemessen und näher sich aufgeplustert hat wie es den Möbelhäusern zur Zeit eigen zu sein scheint.
Ein Trost immerhin: die Buchhandlung Holzberg lebt in unmittelbarer Nähe weiter, unter gleichem Namen mit ebenso engagierten neuen Besitzern, dem Buchhändler-Ehepaar Franz.
In dieser Buchhandlung Holzberg war ich Auszubildender zum Sortimentsbuchhändler bei der in Lingen und Buchhändlerkreisen unvergessenen Ingeborg Rosenthal, von uns heimlich "Röschen" genannt, in der Zeit von 1980 bis 82, zu meinem Glück mit dem gewünschten Erfolg.
Wir nannten unseren Arbeitsplatz bei ihr "Lädchen" und erlebten dort damals den Beginn der Umstellung der Buchhandlungen auf die Elektronik, wenn auch nur über Telefon, dem vorgeschaltetetem, uns von Beginn an mißtraueisch beäugtem grauen Kästlein der Sofortlieferer, von denen bei Lieferung ausgedruckten Buchlaufkarten und Nummernsalat wie der ISBN, die wir in der Schule zu entziffern hatten.
Ich war leider für Ingeborg Rosenthal kein einfacher Azubi, war ich doch selbst nach kurzer Aufenthaltsdauer ein stadtbekannter Linker, wegen dem sie auch mal abends von darüber erbosten Kunden aufgefordert wurde, den schleunigst nach Bremen, in seine rote Heimat zurück zu schicken.
Ansonsten aber zeigten sich die Bürger Lingens und Kunden mir gegenüber sehr tolerant, aufgeschlossen gegenüber meinen Vorschlägen und Beratungen und überhaupt war es eine bemerkenswerte, überaus engagierte Zeit, in der das Lingen, wie es sich heute zur recht stolz und genießerisch präsentiert, aus der nicht immer leichten Taufe gehoben wurde und für die Zukunft neu konzipiert und gestaltet.
Lingen war eine Stadt damals, die von ihren Kindern neue erfunden wurde, so, wie sie sich eine lebenswerte Stadt vor zu stellen vermochten und sie lagen tatsächlich nach ihrem Husarenritt mit vielen Umgestaltungen genau richtig, was nicht zuletzt durch steigende Besucherzahlen und das hohe Wohlfühlpotential ihrer Zugewanderten auf das Anschaulichste verraten.
Meine Aufnahmen zeigen das wunderbare Team von Holzberg von damals wahrscheinlich im Winter 1981.
Leider habe ich damals nicht dafür gesorgt, dass zumindest einmal alle gemeinsam auf ein Bild kommen.


Das ganze "Lädchen" hatte etwas von Improvisitation, vielles war einfach irgendwie dahin gekommen und wurde irgendwie eingebaut und dazu gestellt, kein Designermobilar, fürwahr, mehr ein Leben zwischen Sperrmüll und Apfelsinenkisten, aber wir und die Kunden liebten es genau so.
Für Röschen hatten immer die Bücher Vorrang, dafür gab sie gerne Geld aus. Aber nicht für Tünnef und Einrichtungsschnickschnack.
Sehr wohl aber für witzige und geschmackvolle, handwerklich saubere Kunsthandwerksergebnisse. Das kam dann in das Lädchen als Dekoration.
Als alleinerziehende Mutter mit drei, nicht immer leichten Kindern (die alten Lingener wissen mehr), mußte sie auf das Geld sehen und kalkulierte immer haarscharf auf Messers Klinge. Sie ließ das aber nie die Kunden spüren.
Daher hat es mich nicht nur damals immer sehr empört, wenn sich Kunden, vor allem Lehrer, von ihr lange beraten ließen und ich sie dann später durch einen Botengang bei der wirklich großen Buchhandlung in Lingen "von Acken" wieder traf, wo sie mit vielen Büchern an der Kasse standen.
Nicht selten waren es gerade die Männner und für uns nicht wirklich Kunden, die sie neckisch aber zugleich respektvoll "Väterchen" nannte und mit einem Buch für ihr Kleinkind beschenkte.
Es waren die Gleichen, die nervten mit Versuchen den Preis zu drücken, obwohl der Buchpreis in Deutschland zugunsten der Leser geschützt ist.
Ausgerechnet vor allem diese für uns mageren Kunden, meist Lehrer, diskutierten im Lädchen auch immer wieder gerne über die Ladenöffnungszeiten, die nach ihrer Meinung wie im Süden Europas sein müßten, durchgehend und auch am Wochenende, als wenn ausgerechnet sie als Lehrer nicht über genügend Zeit zum Einkaufen verfügten.
Was sollten wir Buchhändler denn sagen, bei deren Feierabend auch alle anderen Geschäfte Feierabend machten. Wir hatten wirklich, wie alle anderen Verkäufer auch, Schwierigkeiten unserere Einkäufe zu tätigen.




Röschen ließ sich davon nicht verbittern, zumindest zeigte sie es nie. Unerbittlich und streng war sie nur fachlich, da erwartete sie viel, vor allem von ihren Auszubildenden.
Wir sollten das Sortimentsgeschäft einerseits verstehen und beherrschen lernen, andererseits permanent lesen, zuerst die Fach-Publikationen über Neuerscheinungen, dann aber auch diese selber. So nahm ich jede Woche nicht unter 5 Zeitungen mit nach Hause und las drei bis fünf Bücher jede Woche abends durch.
Zu  "von Acken" hatte sie immer ein sehr gutes Verhältnis, verehrte ihn durchaus, war er doch zu meiner Zeit dort ein Buchhändler voll auf der Höhe der Zeit, Sprecher der mittelständischen Buchhändler in Niedersachsen,  abgesehen davon alteingesessener Unternehmersohn, der mit seinem Bruder das Erbe Druckerei, Verlag, Zeitung und Buchhandlung damals zu seinen Gunsten geschickt hatte aufteilen lassen. Inzwischen ist auch die Druckerei ihre Zeitung los zugunssten eines Osnabrücker Monopolisten in der Region von Osnabrück bis zur Küste und kurz vor die Tore von Bremen.

Und er war ein "Väterchen",wie sie ihn auch gerne nannte, im wahrsten Sinne des Wortes, denn größer als ihre war seine Kinderschar.
Ich bin nur froh, dass sie das Ende seiner Buchhandlung, die Schwierigkeiten seines Lebensabends nicht mehr erleben mußte.

Er glich jahrelang die Defizite seiner Buchhandlung aus seinem Privatvermögen, verlor die unterstützende Gegenwart seiner Frau und Kinder aufgrund seines hohen Einsatzes für seine Buchhandlung, verlor sie an die Welt aller möglichen und unmöglichen Alternativen, blieb ganz allein zurück ohne Alterssicherung und nicht zuletzt vor allem allein auf seinem Stuhl in der katholischen Hauptkirche der Stadt.
Das alles hätte ihr sehr weh getan. Er war es dann, der anläßlich ihres Todes den wirklich guten und respektvollen Nachruf über sie in der Presse verfaßte.

Keine Kommentare: