Dienstag, 10. Dezember 2013

Welche Worte


Es geschah nicht lange nach dem großen Krieg in einer kleinen Stadt der Mittelgebirge. Ein junges Ehepaar, immer noch frisch verliebt und noch frischer verheiratet, wenn auch nur standesamtlich, stand in ihrer kleinen, frisch renovierten Wohnstube vor dem Adventskranz.
Draußen stürmte es mächtig. Immer wieder rüttelten Orkanböen an den hölzernen Fensterklappen und an den Dachpfannen. Dazu schlugen kleine Hagelkörner mit schepperndem Klang gegen alles was aus Blech oder Kupfer am und rund um das Haus war.
Es war zu der Zeit, da die Männer noch dachten, sie wären Haushaltsvorstand, hätten alles zu entscheiden und die wichtigsten Dinge alleine in die Hand zu nehmen.
Uns so stand der junge Mann mit seinem vom Vater geerbten Benzinfeuerzeug vor dem Adventskranz und zündete mit seiner Hilfe langsam und vorsichtig die erste von den vier großen, kugelrunden leuchtend roten Kerzen an. Den kräftigen Kranz aus edlen Tannenzweigen hatten sie gemeinsam ausgesucht. Da waren sie modern. Er wollte einen großen Kranz. Den hatte er bekommen. Sie wollte keinen Schmuck daran, keine Schleifchen und Glitzerbändchen oder gar Lametta wie bei ihren beiden älteren und schon lange mit Kindern gesegneten Schwestern. Und so war es geschehen.
Jetzt beherrschte ein dicker, von den Tannenzweigen kräftig grün leuchtender Kranz, der von der Decke über ihrem Esstisch hing und matt leuchtete vom flackernden Licht der weißen Flamme, den Raum.
Und weil er ja jetzt Ehemann war und ihr Vorstand und überhaupt ein Mann, frisch examinierter Jurist und sie seit Jahren bereits eine fleißig akribische Bankbeamtin mit Weihnachtsgeld und Firmenrente, beide also am Beginn eines danach zu beurteilenden angenehmen Lebens in Sicherheit und Wohlstand, beide sich dessen im Kerzenlicht wohl auch bewusst waren, begann er die, wie er meinte, ihm nun zustehende und wohl auch abverlangte kleine Ermahnungsrede zu halten, aber mehr nachdenklich und besinnlich als ermahnend. In dieser Beziehung zeigte er sich wiederum modern.
„Sieh diese Kerze, Schatz. Sie flackert vor uns her im Dunkeln, bedarf keiner Worte, unserer Worte jedenfalls nicht und doch schwirren uns Bilder und Worte durch Kopf und Herz. Ich zum Beispiel sehe mich wieder als kleinen Bub vor eben diesem Kranze stehen und staunen und fühle mich wieder so angenehm wohl und geborgen, ja sorgenfrei, verstehst? Kein Gedanke mehr an die Mathe-Arbeit und das verflixte Diktat oder an Nachbars Paul und seine Hänseleien auf dem Schulweg. Ich sehe, wie wir im Krieg so wie jetzt dagestanden, einen Moment die Angst vergessen und gesungen haben, die Fenster verdunkelt wegen den Kampffliegern. Und ich sehe dieses Jahr, unser Jahr, wie uns alles so schön gelungen ist und ich sehe uns in ein paar Jahren, in einem wunderschönen Haus mit vielen Kindern vor eben solch einem Kranze andächtig stehen. Ja, diese Adventskerze erleuchtet uns und hilft uns aus der Zeit, schenkt uns Bilder aus Zukunft und Vergangenheit. Hast Du gehört, Schatz. Jetzt habe ich sogar gereimt. Schatz?“
„Ja Liebster?“
„Hörst Du überhaupt zu. Da gebe ich mir so viel Mühe mit meinen Worten und Du!“
„Worte? Was für Worte, Liebling?“
Erschüttert in seiner Männlichkeit sah er sie an, begann aber dessen ungeachtet wie sie schweigend in das Kerzenlicht zu sehen. Nach einer für ihn mehr als langen Zeit des Schweigens und ohne große Gedanken vor sich hin Starrens, dachte er, nicht ohne einen zärtlichen Blick in ihr schein’s träumendes Gesicht zu werfen: „Ja, Worte! Was für Worte?!“
Und so ändert sich bisweilen etwas auf der Welt, einfach so, fast kaum zu merken und doch ist etwas anders geworden. So hat er nie wieder versucht gewichtige und erhabene Worte für seine danach rasch wachsende Familie zu finden. Schaffte es mit der Zeit sogar umgekehrt deren Worte zu erhören. Auch das Anzünden der Kerzen überließ er forthin ihr. Und wenn sie nicht gestorben sind, stehen sie vielleicht tatsächlich in einem schönen Haus, bekommt er noch immer seinen großen Wunschadventskranz und sie den Verzicht auf jegliche Schmückung, stehen sie mit ihren Kindern im Advent stumm und staunend vor ihren flackernden Kerzen und denken gemeinsam an nichts und lassen die Bilder kommen. Ja,
diese Adventskerzen erleuchten sie
helfen ihnen aus der Zeit
schenken ihnen stumm die Bilder
aus Zukunft und Vergangenheit
sind ihnen in des Winters dunkler Nacht

heller Traum, wärmende Gegenwart.

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