Es
geschah nicht lange nach dem großen Krieg in einer kleinen Stadt der
Mittelgebirge. Ein junges Ehepaar, immer noch frisch verliebt und noch frischer
verheiratet, wenn auch nur standesamtlich, stand in ihrer kleinen, frisch
renovierten Wohnstube vor dem Adventskranz.
Draußen
stürmte es mächtig. Immer wieder rüttelten Orkanböen an den hölzernen
Fensterklappen und an den Dachpfannen. Dazu schlugen kleine Hagelkörner mit
schepperndem Klang gegen alles was aus Blech oder Kupfer am und rund um das
Haus war.
Es
war zu der Zeit, da die Männer noch dachten, sie wären Haushaltsvorstand,
hätten alles zu entscheiden und die wichtigsten Dinge alleine in die Hand zu
nehmen.
Uns
so stand der junge Mann mit seinem vom Vater geerbten Benzinfeuerzeug vor dem Adventskranz
und zündete mit seiner Hilfe langsam und vorsichtig die erste von den vier
großen, kugelrunden leuchtend roten Kerzen an. Den kräftigen Kranz aus edlen
Tannenzweigen hatten sie gemeinsam ausgesucht. Da waren sie modern. Er wollte
einen großen Kranz. Den hatte er bekommen. Sie wollte keinen Schmuck daran,
keine Schleifchen und Glitzerbändchen oder gar Lametta wie bei ihren beiden
älteren und schon lange mit Kindern gesegneten Schwestern. Und so war es
geschehen.
Jetzt
beherrschte ein dicker, von den Tannenzweigen kräftig grün leuchtender Kranz,
der von der Decke über ihrem Esstisch hing und matt leuchtete vom flackernden
Licht der weißen Flamme, den Raum.
Und
weil er ja jetzt Ehemann war und ihr Vorstand und überhaupt ein Mann, frisch
examinierter Jurist und sie seit Jahren bereits eine fleißig akribische Bankbeamtin
mit Weihnachtsgeld und Firmenrente, beide also am Beginn eines danach zu
beurteilenden angenehmen Lebens in Sicherheit und Wohlstand, beide sich dessen
im Kerzenlicht wohl auch bewusst waren, begann er die, wie er meinte, ihm nun
zustehende und wohl auch abverlangte kleine Ermahnungsrede zu halten, aber mehr
nachdenklich und besinnlich als ermahnend. In dieser Beziehung zeigte er sich
wiederum modern.
„Sieh
diese Kerze, Schatz. Sie flackert vor uns her im Dunkeln, bedarf keiner Worte,
unserer Worte jedenfalls nicht und doch schwirren uns Bilder und Worte durch
Kopf und Herz. Ich zum Beispiel sehe mich wieder als kleinen Bub vor eben
diesem Kranze stehen und staunen und fühle mich wieder so angenehm wohl und
geborgen, ja sorgenfrei, verstehst? Kein Gedanke mehr an die Mathe-Arbeit und
das verflixte Diktat oder an Nachbars Paul und seine Hänseleien auf dem
Schulweg. Ich sehe, wie wir im Krieg so wie jetzt dagestanden, einen Moment die Angst vergessen und gesungen haben, die Fenster verdunkelt wegen den Kampffliegern. Und ich sehe dieses Jahr, unser Jahr, wie uns alles so schön gelungen ist und ich sehe uns in ein paar Jahren, in einem wunderschönen Haus mit vielen Kindern vor eben solch einem Kranze andächtig stehen. Ja, diese Adventskerze erleuchtet uns und hilft uns aus der Zeit,
schenkt uns Bilder aus Zukunft und Vergangenheit. Hast Du gehört, Schatz. Jetzt habe ich
sogar gereimt. Schatz?“
„Ja
Liebster?“
„Hörst
Du überhaupt zu. Da gebe ich mir so viel Mühe mit meinen Worten und Du!“
„Worte?
Was für Worte, Liebling?“
Erschüttert
in seiner Männlichkeit sah er sie an, begann aber dessen ungeachtet wie sie
schweigend in das Kerzenlicht zu sehen. Nach einer für ihn mehr als langen Zeit
des Schweigens und ohne große Gedanken vor sich hin Starrens, dachte er, nicht
ohne einen zärtlichen Blick in ihr schein’s träumendes Gesicht zu werfen: „Ja,
Worte! Was für Worte?!“
Und
so ändert sich bisweilen etwas auf der Welt, einfach so, fast kaum zu merken
und doch ist etwas anders geworden. So hat er nie wieder versucht gewichtige
und erhabene Worte für seine danach rasch wachsende Familie zu finden. Schaffte
es mit der Zeit sogar umgekehrt deren Worte zu erhören. Auch das Anzünden der
Kerzen überließ er forthin ihr. Und wenn sie nicht gestorben sind, stehen sie vielleicht tatsächlich in einem schönen Haus, bekommt er
noch immer seinen großen Wunschadventskranz und sie den Verzicht auf jegliche
Schmückung, stehen sie mit ihren Kindern im Advent stumm und staunend vor ihren flackernden
Kerzen und denken gemeinsam an nichts und lassen die Bilder kommen. Ja,
diese Adventskerzen erleuchten sie
helfen
ihnen aus der Zeit
schenken
ihnen stumm die Bilder
aus
Zukunft und Vergangenheit
sind
ihnen in des Winters dunkler Nacht
heller
Traum, wärmende Gegenwart.
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