Also
hier, liebe Mitbewohner dieses altehrwürdigen Seniorenheims, hier ist mein
Abenteuer des Lebens, das erste Mal erzählt:
In
der Straße hing wieder dieser süßlich strenge Geruch der Werften mit ihrem
Löten, Schmieröl und Metallbearbeiten und der Kaffeefabriken, Duft meiner
Nächte, wenn ich nicht schlafen konnte, vor allem jetzt im Mai, da die Tage
wärmer wurden und auch die Restwärme in den Nächten stieg. Da wanderte ich
besonders gerne um den Pudding, wie wir hier sagten. Alle drei Wochen trieb es
mich so rum, Folge der Nachtschichten, wenn danach die Spätschicht kam. Dafür konnte
ich morgens ausschlafen.
Ich
versuchte stets so leise wie möglich unser Haus zu verlassen, diese Nummer 25,
von Schwiegereltern mit Adolfs Geld erbaut und ratenmäßig noch vor dem Ende des
Krieges abbezahlt. Damit ist klar, wir waren die Ungeraden und die auf der
anderen Straßenseite die Geraden. Dazwischen die Kopfsteine mit Farbflecken von
Bierkutschen, die gestern zu unserer Freude durchkamen und reichlich
Pferdeäpfel da ließen für unsere Gärten.
Leise
musste ich sein, schliefen doch in den Zimmern auf das ganze Haus verteilt
meine Schwiegermutter, mein arbeitsloser Schwager ohne Aussicht auf eine Frau,
meine Schwester mit ihrem wachsenden Babybauch, den noch keiner sehen sollte,
meine drei Kinder, 8, 10 und 14 Jahre. Ja, eines ist gestorben im Kindsbett,
wäre nun 12 Jahre alt. Und natürlich meine Frau, die nun alleine unser Ehebett
warm hielt.
Mehr
Personen als Zimmer, trotz der Kammern auf dem Dachboden. Leider, andererseits
sah es hier in allen Häusern so aus. Zwar zogen jetzt die Kinder in die großen
und modernen Hochkästen am Stadtrand mit Badezimmer und Balkon, noch aber wollten
wir hier geborenen lieber weiter hier ausharren. Wer wusste, was noch käme?
Hier wusste man, was man hatte.
Einige
Häuser waren regelrecht verwaist, nur noch die Großeltern, zum Beispiel hier
die Meyerdierks, Witwe, dort die Beermann, auch verwitwet, und da die Hasenklee,
Mann schon Pflegefall. Ihre Häuser waren gut zu erkennen an den Zäunen der
kleinen Vorgärten, ihre dicken Lackmäntel werden jedes Jahr erneut
übergestrichen um glänzend den Vorbeikommenden an zu lächeln. Eine Oberfläche
wie eine Berglandschaft, verkratert, versplittert, nirgends eine glatte Fläche.
Und
wir anderen freuten uns über die Parkfläche, bei Feiern standen die Autos
bereits in zweier Reihen und durch die Kinder, die schon in Ausbildung waren, wurde
es noch enger.
Ich
ging gerne hier durch, vor allem nachts, wo auch die dicke Martha schlief und
nicht am Zaun mit ihren neugierigen Kugeläugchen herumhängen und mich
anquatschen konnte. Ganz sicher war ich mir trotzdem nicht, ob sie nicht doch
hinter der Gardine lauerte, sobald unser Pförtchen leise quietschte. Ihr Mann fuhr
zur See und so quälte sie ihre Schwiegertochter, ebenfalls eine Seemannsbraut,
ließ sie schuften und machte sich mit ihrem Enkel ein bequemes Leben. Ihm sah
man es auch an, wuchs im Umfang ihr entgegen, während seine Mutter irgendwie es
schaffte immer schmaler und dünner zu werden. Vielleicht hoffte sie, eines
Tages ganz unsichtbar werden zu können. Wenn die Männer da waren, klang es auch
nicht lustiger bei denen, nur lauter.
Wir
Familien hatten neue Zäune aus glattem, grauem Metall, tauschten aus, ließen
nicht mehr streichen oder reparieren. Auch pflanzten wir anders als die Witwen.
Büsche, die nur im Herbst geschnitten werden mussten, etwas Rasen vorne, viel
Rasen hinten, wo früher noch Kartoffeln in der Erde steckten, Bohnengestänge
bis zu den Balkonen reichten. Und wir guckten Farbe, während die Witwen sich
weiter mit Neckermann Drehknopf und schwarz-weiß begnügten. Radio spielte bei
uns nur noch am Tag und wir saßen auch nicht mehr mit gefalteten Händen um den
Couchtisch gequetscht davor. Schwester und Schwager guckten bei ihm in den
kleinen Transportalen mit Zimmerantenne. Ja, es hatte sich viel geändert für
uns und jedes Jahr stiegen die Löhne, in dem Jahr über 10%.
Trotzdem
konnte ich nachts nicht gut schlafen und so dachte ich auch an die, die weniger
Glück hatten, wie Paul, der Sohn von Inge Harms, in den glühenden Stahl
gefallen und nun als unförmiges Gussstück auf dem Werksgelände aufgestellt,
neben all den anderen, die wie er einmal nicht aufgepasst hatten. Für die Werksleitung
war die Ursache immer ähnlich: „Selbstverschulden durch Alkohol oder
Leichtsinn, Missachten der Vorschriften“. Zu viele Überstunden zählten nicht
dazu.
Und
die machten wir alle reichlich. Unsere Sparguthaben wuchsen, nur von Autokäufen
und Mobilaraustausch etwas geschmälert. Urlaub in Italien, mal nach Amerika,
alles war möglich geworden.
Ja,
und Heinz, dem fehlte der rechte Arm, abgesägt in der Schlosserei, Willy, der
witzige Willy, Hand zerquetscht in der Rührmaschine der Bäckerei an der Ecke.
Da hatte der junge Ernst noch Glück gehabt, nur zwei Fingerkuppen weg. Mit den
Stumpen rührte er gerne den Frauen den Kaffee um, was die schimpfen und
kreischen ließ, dachten die Fremden doch, er hätte seine Kuppen in ihrem Kaffee
versenkt.
Mir
ging es dagegen also richtig gut. Familienvater, Schweißer mit gutem Einkommen,
mehr als jeder Bürofutzi den ich kannte, wohnten natürlich nicht hier, waren
als erstes in die dem Himmel näheren Neubauten gezogen, entsprach ihren den
ganzen Tag sauberen Klamotten und weißen Hemden wohl mehr.
Bei
uns dagegen: etwas beengtes Wohnen, dafür Garten am Wochenende mit neuen
Liegestühlen, Wasserklosett, jedes Jahr ein neues Auto. Was wollte Mann mehr.
Und für die Ruhe hatte ich ja die Nacht.
Bis
Addo auftauchte in der Nacht. Addo, dessen Eltern ihn nach dem Gröfaz genannt
hatten, Hitler Adolf, was ihnen weder Leid noch Kummer im Krieg ersparte. Haus
in Trümmern, Vater gefallen, erfroren in Russland, genaues unbekannt. Sie wegen
eines Witzes vom Blockwart denunziert im Knast, Addo im Heim. Erst nach dem
Krieg ließ man sie nach etlichen Behördengängen wieder zusammen. Da war es wohl
zu spät, auf jeden Fall für Addo. Der kam bis zu diesem Tag nicht mit seinem
Leben zurecht. Hatte dabei schon längst vergessen, dass er eigentlich Adolf hieß
und nach wem.
Ich
traf ihn in eines nachts in der „Langen Kante“ an, der einzigen Stadtkneipe,
die durchgehend offen haben durfte, neben vier kräftigen Zuhältern sitzend, je
zwei links und rechts von ihm.
Addo
und ich kannten uns von der Straße als Nachbarskinder, waren in den Rotten auch
mal zusammen unterwegs gegen die Kinder der anderen Straßen losgezogen. Waren
uns aber nie näher gekommen, lag vielleicht auch am Altersunterschied und
daran, dass ich in der 13 als Pflegekind angekommen und bei Hermann und Luise,
einem kinderlosen älteren Ehepaar aufgewachsen war, die mich vor allem
abschirmten, wo nach ihrer Meinung mir unzulässige Gefahren drohen könnten.
Kurz, ich galt als Feigling und Sensibelchen mit Hang zum Petzen. Bestimmt
keine Empfehlung für eine Freundschaft mit dem jüngeren Addo, der keiner
Klopperei aus dem Wege ging und jeden Tag neue Ideen mitbrachte zum Toben und
Spielen.
Ich
kam gerade dazu, als Addo kurz davor stand eine gescheuert zu bekommen von
Gustavo, dem links von ihm, so eine Art Revierkönig im Viertel der kleinen
Hütten und dunklen Zimmer, kurz Rotlichtviertel genannt, obwohl es eher violett
leuchtete in der Nacht am Hafen. Auch die „Lange Kante“ war eine solche
Bretterbude, in ihrer Mitte wuchs eine große Buche durch das Dach und als Boden
galt die dunkle, nackte Erde, in die sich unzählige Kippen verkrümelten. In
Anbetracht einer drohenden Schlägerei suchte ich mir gerade meine Ecke für
solche Gelegenheiten und wollte schon auf dem Baumstumpf Platz nehmen, die hier
als Hocker dienten, da kam Addo schon angeflogen auf diese graue Erde, bekam
davon ins Gesicht und in den Kragen, was ihm weniger Kummer bereitet haben
dürfte als der gezielte Fußtritt vom „bunten Peter“, der zweite Revierförster
für die Mädels draußen an den Bordsteinen.
Leider
sah Addo mir in diesem Moment direkt in die Augen, flüsterte „Hallo“ und
krabbelte auf mich zu. Ich winkte vorsichtshalber entwarnend zu den Zuhältern
rüber, die beruhigt uns ihre Rücken zukehrten und über das Geschäft prahlten.
Konnten sie auch, der Peter hatte draußen einen roten Porsche wie Jerry Cotton
und Gustavo fuhr einen Ferrari wie sein Idol Günter Netzer. Die anderen beiden
gaben sich mit Masaratis zufrieden. Man konnte gut mit ihnen auskommen, ich
jedenfalls, gut musste mal ne Runde mehr blechen oder Zigaretten für sie aus
dem Automaten im Türeingang ziehen, was für sie natürlich unter ihrer Würde
war, aber dann grüßten sie freundlich und gaben auch mal einen aus. Keiner von
uns anderen wäre je auf die bescheuerte Idee gekommen, sich mit denen an zu
legen. Warum auch? Die hatten ihr Geschäft, wir unseren Job. Und ohne deren
Angebot hätte es in manchen Häusern noch mehr Terz gegeben. Also, was solls.
Noch schwangen in uns allen die Lieder von Freddy und Hans Albers nach,
Hafenromantik und wir lebten hier schließlich am und vom Hafen.
Addo
machte sich andere Gedanken.
„Kannst
Du mir hochhelfen?“
Ich
konnte, hätte es aber besser bleiben lassen sollen, wenn ich an später dachte.
Addo war an diesem Abend wie verwandelt, stellte viele Fragen, frotzelte und
witzelte kein einziges Mal, hörte richtig zu und brachte mich ins Erstaunen und
in die Bredouille, ihn von da an ständig bei meinen Nachtspaziergängen an den
Fersen zu haben. Vorbei war es mit der Ruhe, den Gedanken, dem einfach mal
Umgucken, Zuhören und Hinschauen.
Die
Nacht schritt voran und beim ersten Mal ließ er mich ohne Gegenwehr meinen
Heimweg antreten.
Mit
der Zeit bekam ich mit, dass alle hier besser über Addo informiert waren als
ich. In der Fremdenlegion soll er angeheuert haben und dann zur Bundeswehr
geflohen sein. Gesessen hätte der auch schon und auf keinem Fall Geld geben,
auf „Nimmer Wiedersehen“! Den Führerschein hätten sie ihm abgenommen als er im
Vollsuff einen Panzer der Kaserne entführt und in das Haus seiner Angebeteten
gefahren hätte, die danach noch mehr froh gewesen wäre, nicht auf diesen „Onkel
Schnatter“ reingefallen zu sein.
Es
gab also gute Gründe ihm aus dem Weg zu gehen, was nicht so einfach war, da man
nachts alle Schritte hören konnte, ungeachtet der Arbeitstöne von den
beleuchteten Werften und Kaffefabriken, in denen die Nachtschichten noch mehr
Kohle brachten. Glück hatte ich, wenn ich ihm in die „Lange Kante“ entkam, denn
dort hatte er nach der Nacht unserer Wiederbegnung Lokalverbot bekommen weil er
seinen Deckel nicht bezahlen konnte und Gitta und Trude, die beiden Wirtinnen
einfach keine Lust mehr auf seine Angebereien und Streitereien mit den Gästen
hatten. Vielleicht hatten aber die Revierförster ihnen auch bedeutet, dass er
ihnen auf den Sack ginge.
Viele
meinten in der Firma, Gitta und Trude wären ein Paar, „hässlich und hässlich“
sagten die, die es nicht besser wissen konnten oder wollten. Dabei sahen wir
alle reichlich schräg aus, sichtbare Folgen des Krieges und der Hungerjahre
danach. Einige hatten Schwämme im Gesicht, anderen waren die Lippen gespalten
worden oder ein Auge entfernt, Zähne waren auch nicht gerade unser Stolz und
viele hinkten, hatten bescheuerte Angewohnheiten oder Zuckungen bekommen. Manche
waren aufgepumpte Masse wie Ludwig Erhard, andere ließen Fett und Speck einfach
keine Chance an ihren Knochen Halt zu finden. Auch unsere Frauen waren nicht
gerade Kandidatinnen für Pin-Up-Kalender. Trotzdem galten Gitta und Trude als
die Hässlichen.
Die
von uns, die zwischen durch mal von Gitta oder Trude nach oben gelockt worden
waren, hielten darüber hinterher stets die Klappe, galten die beiden ja nicht
gerade als tolle Eroberung. Nur der Rottler, der freute sich noch immer, dass
er mit beiden sein Stündchen hatte haben dürfen und schwärmte leise von ihren
Liebesfähigkeiten und „echt geilen Körpern“, so was hätte er noch nie gehabt. Aber
der galt ja auch als Kommunist, war unter Adenauer im Knast, vorher bei den
wilden Streiks auf der Werft dort rausgeflogen, ein paar Jahre zur See gefahren
und hatte dann beschlossen, an Land zu bleiben, echtes Kind unserer Straße,
ging jeden tag, wenn ein Hilfsjob zu Ende war zum Arbeitsamt im Hafen, nahm
jede Arbeit an und galt trotzdem als Frohnatur, ein echtes Stehaufmännchen.
Wenn
man Gitta und Trude so hinter der langen Theke hin und her wuseln sah, beide
grobknochig, Hakennasen, wilde Flecken auf den Wangen, Struppelhaare ohne
Versuche der Bändigung, die eine blond, die andere schwarzhaarig, mit Stimmen
wie aus einem tiefen Brunnen, Kleider wie aus dem Bestand des roten Kreuzes,
mochte man sich so etwas wie die Andeutungen vom Rottler gar nicht vorstellen.
Wir schätzten ihr Alter auf ungefähre Mitte vierzig, sicher war aber keiner. Wer
sie zum ersten Mal erlebte, konnte leicht auf die Idee kommen, die beiden seien
Schwestern, so sehr ähnelten sie sich in den Bewegungen, Stimmen und Aussehen.
Aber in Wahrheit waren sie dies nicht und keiner von uns wusste wie sie das
Schicksal hierhin geführt hatte und es zu ihrem Kneipendasein gekommen sein
mochte.
Als
in einer Nacht mal nichts los war und sie Zeit zum Reden hatten, erzählte mir
Trude, sie seien sich in Stukenbrock, einem Strafgefangenenlager, eigentlich KZ
der Nazis, begegnet und nach ihrer
Befreiung zusammen weiter gezogen, weil sonst niemand mehr auf sie gewartet
hätte und so seien sie in unsere Stadt gekommen, hätten diese Hütte billig
bekommen und seitdem wäre dies ihr zu Hause. Und ja, sie seien zufrieden,
besser als ihr Nuttendasein im 3.Reich an der Front. Ja, das hätten die Nazis
damals so organisiert, als Truppenbetreuung. In Frankreich sei das gewesen und
da hätten sie Kontakt mit Leuten der „Roten Kapelle“ bekommen und für die
Resistance gearbeitet bis sie verraten wurden. Ihr Angebot nach oben, habe ich
aber abgelehnt. Danach wurde ich von beiden eine Weile misstrauisch angesehen
und wenig beachtet.
Ich
entkam Addo trotzdem natürlich nicht, eine um die andere Nacht stellte er mich,
und so wehrte ich Vorschläge ab wie Besuche der dunklen Hinterkammern, der
Mitnahme von zwei Mädels in meinem Wagen, einen Bruch in den neuen Supermarkt
von „Kaisers Kaffee“, auch zum Fischmarkt nach Hamburg mal eben wollte ich
nicht und leihen wollte ich auch nicht, tat es aber doch , immer nur kleine
Beträge, waren eh weg.
Das
ging so bestimmt 2 bis drei Monate und ich flüchtete bereits in weit entlegene
Viertel, um ihn nicht treffen zu müssen. Da passte er mich direkt in der
nächsten Seitenstraße bei den Zollhäusern ab.
„Ich
brauche Dich! Du musst mitkommen! Bitte, kostet Dich auch nichts und kein
Bruch! Ehrenwort“.
Er
stand direkt vor mir, klein, kräftig, ungewaschene Discoklamotten, viel zu dünn
für die Nacht mit nackter Brust und Goldkettchen.
Ich
dachte nur: „Armer Addo. Arme Hermann und Luise, wenn die mich jetzt mit ihm sehen
müssten! “ Und versuchte weiter zu gehen.
Aber
er ließ mich einfach nicht vorbei, nervte, tat auf Mitleid, ließ mich einfach
nicht vorbei, dass ich schließlich doch fragte, was denn los sei.
„Du
hast doch diese Münzen, diese Olympia-Taler, die von denen Du neulich gequatscht
hast?!“
Ja
hatte ich und wusste nicht, warum ich ihm dies eigentlich erzählt hatte.
Vielleicht weil ich über meine Schwiegermutter verwundert und verärgert
zugleich gewesen war, denn diese hatte mir die Serie von 5-Mark Stücken mit
Olympia-Motiven geschenkt, obwohl ich überhaupt keine Münzen sammelte, auch
kein großer Sportfan und mir der Spektakel der gerade in München ablief,
ziemlich egal war. Und so hatte ich in der Nacht auf der Suche nach einem
Gesprächsthema mich wohl mit dem Restfrust im Bauch verplappert..
„Kannst
Du die holen, sofort?!“
Klang
mehr wie ein Befehl als wie eine Frage. Ich sträubte mich, wollte plötzlich auf
keinen Fall mich von den Münzen trennen, auf jeden Fall sie nicht in Addos
Taschen verschwinden sehen. Aber der Kerl hatte einfach das Talent mich zu
überreden und das, obwohl er mit keiner Silbe verriet, was er damit vorhatte. Gingen
wir also zurück zu mir, bat, beschwor ich ihn bei der Ecke und nicht vor
unserem Haus zu warten, holte sie tatsächlich heraus als wäre ich von ihm
hypnotisiert worden, ging neben ihm wie ein Schlafwandler und kochte innerlich
über meine eigene Dummheit und Schwäche.
Wir
gingen nicht weit, nur bis zu dem schwarz-weiß gefliesten Striptease Lokal in
der Nebenstraße, das hier seit Kriegsende seine Dienste anbot weit weg vom
Viertel der Bordschwalben und ihrer Förster. Kein Mensch wusste wovon die
lebten und wer dort hinging. Ich kannte niemanden. Alle im Viertel vermuteten
Geldwäsche und Drogengeschäfte dahinter.
Addo
drückte den verrosteten Knauf, der wohl als Klingel diente. Es kam mir vor, als
würde er morsen. Vielleicht ein Geheimcode für besondere Gäste. Eine Weile
geschah nichts und ich hoffte schon, ich könnte mich mit den Münzen rasch verziehen,
als ein Hüne von Kerl in Motorradkluft die Tür öffnete, kurz auf die Straße sah
und uns rein schob.
„Ihr
werdet erwartet. Der Boss dachte schon, wärst mal wieder stiften gegangen! Pass
auf, dass Du Dir nicht mal den Hals brichst!“
Ich
versuchte in dem schmalen Gang und den sich danach öffnenden dunklen Raum etwas
zu erkennen. Stange auf einer Minibühne, wie erwartet und das war wohl zugleich
der Tresen, davor Apfelsinenkisten mit Kissen. Dicke Scheinwerfer hingen schwer
von der Decke herab, beleuchteten schwach die rauchgeschwängerten dicken
Samtkordvorhänge in violett und rot an den Wänden, die hier als Tapete dienten
und wohl auch als Schallschutz. Es roch nach Schweiß und Urin, wahrscheinlich
stand die Tür zum WC auf.
Der
Hüne führte uns in einen weiteren kleinen Gang und klopfte an eine mit dunkelgrünem
Kunstleder gepolsterte Tür, dessen Nieten golden glänzten. Von ihm kam
offensichtlich der hier in der enge fast unerträgliche Schweißgeruch. Einen
Moment lang war ich versucht zu glauben, es könne sich um Angstschweiß handeln,
aber ein Blick in sein trockenes Gesicht sagte mir, dass es wohl an mangelnder
Körperhygiene lag.
Den
Anblick, der sich uns hinter dieser Tür bot, werde ich mein Leben lang nicht
vergessen. Es war, als treten wir in einen billigen Amifilm aus Cappones
Zeiten. Hier war alles in helles, richtig grelles Licht getaucht. Wir betraten
einen richtigen Thronsaal mit Leoparden Fellen links und rechts der mit
goldfarbenen Decken geschmückten Bühne, auf den Fellen lagen in Lebendgröße
zwei Leoparden aus Porzellanwie die Sphinxen vor den Pyramiden, dazwischen saß
aufrecht ein kleiner Mann auf einem Thron wie zu König Richards Zeiten, ganz
unpassend aber dazu mit offenem Hawaihemd, wohl damit man seine Haare und die darauf
ruhende Goldkette sah, an deren Ende irgendein Gebilde tapfer Edelsteine
versuchte festzuhalten. Dieser Schmuck ruhte auf einem regelrechten Kugelbauch,
den man fast für einen dunkel verschmierten Globus halten konnte.
Offensichtlich versuchte das Wesen vor uns seine Haut mit Piz Buin zu bräunen,
was aber zu einer Fleckenkarte geführt hatte mit einem Braun wie beim
Dünnschiß. Den Mann schien das nicht zu stören, im Gegenteil, er sah uns selbstbewusst
und wie bereits von seinem Türsteher angedeutet, etwas ungeduldig an. Neben ihm
standen noch so zwei Kawenztypen in Lederkluft, behängt mit schweren Ketten und
die stemmten, warum auch immer, ihre Fäuste in die hervorquellenden Hüften.
Hinter dem Thron befand sich eine von den scheußlichen Fototapeten mit
Südseemotiv für Arme.
Ich
dachte nur, wenn Hermann und Luise mich hier sehen müssten, oder meine Familie,
was würden, ja müssten die über mich denken? Als unser Hadeswächter auch noch
die Tür hinter uns schloss und sich dann breitbeinig hinter uns, allerdings
mehr hinter Addo als hinter mir, aufgestellt hatte, wurde mir klar, dass wir
hier nicht so einfach wieder rauskämen.
Addo
zeigte sich zu meiner Überraschung von allem völlig unbeeindruckt und bat mich
nur, dem Häuptling vor mir, er nannte ihn tatsächlich „King Dschordsch“, die
Münzen zu zeigen. In diesem Moment war mir völlig egal, was mit denen geschah,
möge er sie mir doch entreißen oder was auch immer. Hauptsache wieder heil raus
hier.
Dann
fing das Wesen vor mir an zu sprechen. Die Stimme musste er einer Kreissäge
gestohlen haben. Fast hätte ich mir vor Schreck die Ohren zugehalten, was
sicherlich seinen Belzebuben vor mir nicht gefallen hätte, ihm wahrscheinlich
noch weniger.
„Und
Du kannst unbegrenzt davon besorgen für 5 Mark den Satz?“
Nein
natürlich nicht, nicht mal einen, schließlich hatte ich den hier nur geschenkt
bekommen. Erschrocken sah ich zu Addo und was tat der Kerl? Der nickte und so
nickte auch ich. Was sollte mir schon geschehen, im Moment glaubten die ja wohl
nicht, dass ich auf der Stelle ein paar Tausend Sätze präsentieren könnte.
Hoffte ich zumindest.
„Bis
wann?“
Ja,
bis wann, ich sah weiter zu Addo. Der nickte mich jetzt energisch an, als wolle
damit behaupten, ich hätte einen Plan und könnte den spielend in die Tat um setzten.
„Ich
kann nur welche besorgen, mit dem Verkauf kann ich nicht dienen!“
Zeit
schinden, Zeit schinden. Zeit schinden.
Alle
schienen mich neugierig an zu sehen, als wäre ihnen so etwas wie ich noch nie
untergekommen. Dann beendete die Kreissäge das Schweigen.
„Ist
doch klar. Keine Sorge! Das Verkaufen übernehmen wir.“
Im
B-Film lachten die dann immer grässlich. Es war ein B-Film. Sie lachten grässlich.
„Also
bis wann?“
Ja,
gute Frage, vor allem ob jemals überhaupt. Ich überlegte, sah Addo an, der sah
mich langsam nervöser werdend an und die sahen uns an. B-Film eben.
„In
Ordnung, bis Freitag! Geht das für Dich klar?“
Immer,
klar ging das klaer, Hauptsache nicht heute und hier und jetzt.
„Freitag
geht klar.“
Woher
hatte ich bloß diese mickrige Stimme plötzlich auf der Zunge rumkrabbeln?
„Addo?!“
Der
zuckte leicht zusammen, grinste aber schon wieder.
„Freitag,
rodscher! Wie viel?“
Lange
Sätze kannten die hier offensichtlich nicht oder mochten sie nicht.
„Hugo?“
„10.000
geht klar. Sind da!“
Der
Hugo neben ihm war offensichtlich der Kassenwart von diesem Verein. Aber die
wollte er mir doch wohl nicht mitgeben jetzt für die Münzen? Oder doch?
„Aber
nicht an Addo! Nur an den Typen, der brennt bestimmt nicht damit durch, nicht
wahr Onkelchen?!“
Hörten
B-Filme nicht irgendwann auf? Onkelchen? Addo neben mir nickte mal wieder.
„Aber
wenn doch, dann lieber Addo …. Komm mal her, ja ganz, so ja, also Addo, dann
puhlen wir Dir Dein Gehirn mit ein paar feinen Kugeln aus Deiner hohlen Schale!
Klar?“
„Klar!“
Irre, wie Addo lügen konnte direkt in das Gesicht dieses kleinen Möchtegern
Napoleons.
Und
dann gab mir Hugo 10.000 Mark und der Erzengel Gabriel dieses Strip-Lokals
brachte uns zurück durch die kleinen Flure und Räume zur Tür, hieb Addo kräftig
auf die Schulter und gab ihm auch noch eine Kopfnuss, so dass Addo eine
Platzwunde auf der Stirn bekam und dann standen wir wieder in der klaren Nacht,
ließen uns vom Mond bescheinen und in meiner Hand zitterten tausend Riesen.
Kaum
waren wir ein paar Schritte gegangen meinte Addo „Halbe Halbe“ und streckte seine
Hand aus.
„Auf
keinen Fall“, rief ich. „Leiser“, flüsterte Addo, „willst Du alles, biste
bescheuert?“. „Nein,“ antwortete ich nun auch leise, „gar nichts. Ich will Null
von dieser Kohle! Verstehst Du? Nimm sie und hau ab damit!“
Addo
strahlte, nahm das Geld und verschwand hastig an der nächsten Straßenecke.
Seitdem haben wir uns weder gesehen, noch habe ich je wieder von ihm gehört. Mit
mulömigen Gefühl schlich ich durch das Viertel, immer in der angst sie könnten
irgendwo auf mich lauern. Schließlich aber beruhigte ich mich etwas und als ich
vor unserer 25 stand, war ich ziemlich sicher, dass sie mich nicht bis hierhin
verfolgt hatten. Das war mein letzter Nachtspaziergang.
Seitdem
wälzte ich mich schlaflos neben meiner Frau hin und her, begann Bücher in der
Nacht zu lesen im Wohnzimmer und sah mich auch tagsüber noch Monate danach nach
ihren Gestalten um. Die Straße mit ihrem Lokal mied ich völlig.
Mit
der Zeit kam mir die ganze Geschichte immer absurder vor, gab es wirklich
solche Deppen in dem Milieu? Wenn ich tatsächlich so billig an die Sätze
herangekommen wäre, warum sollte ich dann ihnen den Gewinn überlassen? Völlig
bescheuert. Ich habe bis heute nie davon erzählt, niemanden, irgendwann
tatsächlich an einen schlechten Traum gedacht.
Natürlich
merkte meine Familie in den nächsten Tagen und Wochen eine Veränderung bei mir.
Sie gewöhnten sich daran und fragten nie. Recht schnell begann ich meiner Frau
auseinander zu setzen, dass unser Erspartes langen müsste für ein eigenes Haus.
Sie war begeistert und bald schon machten wir Pläne, erkundigten uns, Ende vom
Lied, wir bauten außerhalb der Stadt in einer neuen Pendlersiedlung, zogen dort
ein und die anderen blieben bei Schwiegermutter bis sie starb. Danach
verkauften wir das Haus an eine große Familie von rußlanddeutschen die mit noch
mehr Personen als wir damals einzogen und ohne Murren ein stattliches Sümmchen
zahlte.
Wir
fühlten uns wohl in unserer Siedlung und dachten kaum noch an unsere alte
Straße zurück. Hier hingen nirgendwo röhrende Hirsche über den Sofas oder schwarzhaarige
Zigeunermädchen von Woolworth. Hier hingen Farbtupfer auf weißen Raufasertapeten,
standen richtige Regale und Schränke und keine kleinen Bücherborde für fünf
Bücher und ein Bild. Nur unsere Nachbar kennen wir kaum, viele gar nicht. Addos
tauchten hier nicht auf und man hörte es auch nicht, wenn Ehemänner heimkamen
und wieder das Regiment übernahmen.
„So,
das war mein Abenteuer, mein einziges in meinem Leben, bisher jedenfalls. Und
jetzt bin ich neugierig auf Eure Geschichten.“
„Oh,
vielen Dank, das war ja richtig spannend. Aber gleich ist Abendbrot und danach
wollen wir uns doch den Dia-Vortrag von Herrn Huber ansehen und hören.„
„Schon
wieder!“ Alle im Chor.
„Italien,
Italien habt ihr noch nicht gesehen. 1951, mit dem Käfer und Zelt in Rimini! Müsst
ihr sehen, mit FKK!“
„Herr
Huber!!!“
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