Gekauft
hatte ich ihn schon vor langer Zeit, eines Tages während des Wochenvorrateinkaufs
bei einem der Discounter mit Sonderangeboten der Woche, die sich sehr zum
Leidwesen meiner Frau, Lebensgefährtin, besten Freundin und was nicht alles
noch mehr, im Keller stapelten, dort die eigentlich aus unserem Wohnleben
ausrangierten Schränke und Regale füllten. Manches davon, das kann ich hier zu
meiner Verteidigung anführen, stammte aus den Nachlässen unserer Eltern und insbesondere
aus dem Fundus meines Vaters, der offensichtlich parallel zu mir und auch völlig
unabhängig von mir zu den gleichen, unwiderstehlichen technischen Geräten gegriffen
hatte, die angeblich das Arbeiten im Garten leichter, den Computer besser und die
Wohnung schöner machten.
Das
Gerät damals war klein, weder bei den geerbten noch bei den bereits von mir erworbenen
Schätzen, war der neuen Zeit angemessen, ja, ein Verwandler von alter in neue
Zeit, hieß deswegen wohl auch schlicht und einfach „GENIE“, alles in
Großbuchstaben, als wäre der Hersteller unsicher ob wir Kunden nicht bei der
Schreibform in Kleinbuchstaben das „GENIE“ einfach übersehen oder nicht für
erstrebenswert halten.
Klein
also, ein GENIE, ein „Dia-Film-Scanner“ auf den ab Eintritt in unser Haus
hunderte, vielleicht tausende von Dias warteten, auf ihre Wiederbelebung und
Reise in das digitale Zeitalter. Zu meinem Unglück hatte ich eigentlich nur
Margarine, Dosenmilch und Mineralwasser einkaufen, auf gar keinen Fall schon
wieder eines dieser Teile aus dem Wunderland der Elektronik kaufen sollen. Und
so kam es, dass ich ihn erst einmal in einem der Schränke verschwinden ließ, in
die sie, meine Geliebte, Frau und Wegbegleiterin, Mutter unseres Sohnes und
viel mehr, so gut wie nie hineinsah.
Monate
später sah ich ihn zufällig wieder, befreite ihn samt Beipackutensilien aus der
Verpackung, beschloss es mit ihm und den Dias bei nächster Gelegenheit zu
versuchen, verstaute alles wieder, damit er für sie weiterhin unsichtbar
bliebe, vielleicht eine Möglichkeit für eine Geburtstagsüberaschung.
Dieses
„demnächst“ entpuppte sich dann als ein ganzes Jahr, wonach er mir während der alljährlichen
herbstlichen Aufräum- und Aussortierungsaktion wieder in die Hände fiel. Ich
ersparte ihm natürlich das Kellerschicksal und nahm mir fest vor ihn nun
wirklich endlich ein zu setzen. Und kaum hatte ich durch eine Krankheit mit
längerem Hausaufenthalt den genügenden Freiraum und natürlich Zeit, holte ich
ihn hervor, las mich in das „Instruction manuel“ ein, stellte gleich zu Beginn
fest, dass kein Stromadapter fehlte, was ich eigentlich befürchtet hatte, taten
doch schon zwei Video-Kameras und ein Akuschrauber aus diesem Grunde nicht
mehr, sondern es sollten zwei Schienen dabei sein, auf denen Dias oder Filme in
den „GENIE“ eingeführt werden konnten zwecks der Virtualisierung ihres in den
letzten Jahrzehnten wahrlich schnöden Daseins. Und genau diese Schienen lagen
nicht dabei, nur in meinem Gedächtnis als ein schemenhaftes Bild von der
Aufräumaktion, leider ohne Schlussbild, wo sie denn gelandet sein könnten. Die
schmale Reinigungsbürste hingegen, ein Teil, dass ich schon öfter verwundert in
der Hand gehalten hatte, ohne jede Ahnung was das sein sollte und wozu gehörig,
lag in der Nähe des GENIE auf dem gleichen Brett im Schrank. Also ging das
übliche Großsuchen los, bei dem ich wieder einmal die Freude hatte, allerlei
längst Vermisstem wieder zu begegnen und manchem, von dem ich gar nicht mehr gewusst
hatte, doch noch oder überhaupt davon Besitzer zu sein. Aber als ich
glücklicher, über alle Maßen erleichterter Mensch am Ende der Woche zufällig
diese Schienen in die Hand bekam, war jede Chance für einen Einsatz des kleinen
GENIE vorläufig vorbei. „Vorläufig“ belief sich auf ein gutes Dreivierteljahr,
da erwischte mich meine Jahresgrippe und so konnte ich mich hustend, mit
tränenden Augen und vom vielen Schnäuzen nassen Händen endlich mich wieder an
den GENIE machen.
Dieses
Mal war alles beisammen und froh darüber installierte ich erstmal gemäß „instruction
manuel“ die Software, die sich zwar mit einer Fehlermeldung, dass sie etwas
nicht konnte und ihr fehle, aber doch zügig darauf als „icon“ auf meinem Desktop
einfand.
Gewöhnliches
Doppelklicken, sofort sprang ein Bild mich an, verschwand wieder und das war
es. Nichts weiter geschah. Alle meine Versuche von anderen Programmschwierigkeiten
unter lauten Flüchen, Verzweiflungen über das Leben und die Ungerechtigkeit
sowie Unzuverlässigkeit moderner Technik ausgerechnet immer bei uns her
gespeichert halfen nichts.
Also,
alles noch einmal Installieren. Und oh Wunder: es lief, jetzt kamen genau die
Bildchen wie im „manuel“ blassfarben abgebildet, nur dass ich natürlich beim „Kalibieren“
schon verbotener Weise die ersten Dias eingeführt hatte und somit die Bilder
eher aussahen, wie die ersten Bildverwandlungen unseres Sohnes mit Photoshop.
Aber danach, also nach dem Kalibieren ohne Dias im Schacht, lief alles wie
gewünscht.
Nur
dass die Mutter unseres Sohnes, meine Geliebte, Freundin, Wegbegleiterin,
Ehefrau und noch viel mehr, das häusliche Arbeitszimmer betrat, dass mir
zugestanden wurde als Räucherkammer und Platz für all das, was ich meinte nie
wegwerfen zu dürfen oder unbedingt für mein Seelenheil hier hinein tragen zu
müssen. Sie sah mir über die Schulter, geschickt am kleinen GENIE vorbei zu den
Diakästen und kommentierte, wie zu erwarten war, aus ihrer Weltsicht heraus: „Was
gibst Du Dir damit noch so viel Mühe? Wenn wir seit Jahrzehnten die Bilder
nicht mehr angesehen haben, werden wir das doch auch in Zukunft nicht tun?!“
Erleichtert
darüber, dass sie kein Wort zum kleinen GENIE sagte, antwortete ich ihr
einfühlsam, selbstbewusst und ganz liebender, fürsorglicher Ehemann, Freund,
Geliebter, Vater unseres Sohnes und viel mehr, mit all dem, was mir dazu einfiel.
Dass
wir die Bilder ja nur deswegen nicht mehr angesehen hätten, weil es mit dem
Aufbau des Diaprojektors und der Leinwand immer so viel Mühe machte und auch
nicht wirklich gut in unserer guten Stube aussah und es mittlerweile peinlich
war, Dias zu haben und alle nur genervt gewesen wären von langweiligen Abenden
mit Urlaubsdias, jetzt aber, in unserem Alter es doch trotzdem sehr schön und
wichtig für unsere Psyche wäre, unsere Zeit in Bildern wieder mal an zu sehen,
all die Momente, die unser Leben gestaltet, geformt, geprägt hätten.
Es
war ein guter Tag. Sie gab mir ihr Einverständnis mit den Worten:“Dann können
diese hässlichen Kästen auch endlich aus meinem Arbeitszimmer verschwinden.“
Tapfer
legte ich jeweils drei Dias in die Schiene, schob diese nach und nach durch den
GENIE und gab erst weit nach Mitternacht auf, nach 356 Dias immerhin, schaffte
die ersten Kästen, immer noch grippig blökend, schniefend, nassnasig aber dafür
nun stolz in den Keller, denn gleich in den Müll, das traute ich mich nicht,
wie üblich, ließ hundemüde wie ich war den PC laufen und legte mich herrlich
müde und zufrieden ins Bett.
Am
nächsten Morgen war sie vor mir aufgestanden, jedenfalls lag sie bei meinem Erwachen
nicht mehr neben mir im Bett. Dafür hörte ich komische Geräusche vom Flur, die
mich sofort aus dem Bett in den selbigen trieben und vor dort zur Quelle, in
mein Arbeitszimmer. Sie weinte tatsächlich. Sie, meine Ehefrau, Mutter unseres
Sohnes, beste Freizeitkameradin, Geliebte und noch viel mehr, saß vor dem
Computer und weinte laut mit allem Drum und Dran wie anfallartigem
Schulterzucken, lauten Schniefgeräuschen und auf und abschwellendem Heul- und
Schluchztönen. Ich trat leise auf sie zu, legte vorsichtig meine Arme um sie
und sah auf den Bildschirm.
Dort
lachten wir beide, Arm in Arm, im wahrsten Sinne des Wortes lauthals, entsprechend
verzerrten Gesichtern, aber mehr als fröhlich und irgendwie auch richtig
glücklich, völlig losgelöst von der Erde, dem Lebenstrott mit seinen
Nicklichkeiten und Hürden.
Sie
drehte mir ihr Gesicht zu und lächelte, sagte nur „Da!!“ und schmiegte sich an
mich wie lange nicht mehr. Ja, „Da!!“.
Dank
GENIE sahen wir das Bild, unser Glück in einem wahren Moment der heiteren
Zweisamkeit. Da passte kein Seidenpapier mehr zwischen uns, so nah und innig
waren wir auf dem Bild. Es brachte mir die schönsten und gewaltigsten
Freudentränen, die ich je erlebt hatte und ein wunderschönes Wochenende mit
vielen altern Bildern, uns unser altes Leben zurück in vielen kleinen, längst
verdrängten Puzzleteilen.
Aber
vor allem das eine Bild brannte sich auf unseren eigenen, nicht durch
Discounterangebote „tun-“ oder „optimierbaren“ Festplatten tief und fest ein.
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