Freitag, 15. März 2013

Die 1te Ankunft


















Eigentlich ist ja nichts an ihr dran. An dieser Straße, und auch nicht an den anderen Straßen, die sie umgeben. Ihre Häuser locken keine Antiquitätensammler hinter den Vitrinen hervor, kein Reisebus käme auf die Idee hier Touristen auszuladen, ihre Zeit in dieser Stadt ist nur halb so alt, wie die der in ihr wartenden Großväter und Großmütter, ist also zu frisch, um sie in genießbaren Anekdoten und Geschichtchen genießen zu können oder um Respekt vor längst vergangenen Tagen zu erwecken.

















Aber die Raten für die Häuser sind schon länger abgetragen, einige von den ersten Ratenzahlern haben das sogar noch er- und überlebt. Längst schon sind neue Kredite getilgt worden, für das Dach, einen Ausbau, Badezimmer oder Balkon. Es ist eine Straße wie hunderte, eher noch zigtausende im Land, von den darin Geborenen meist nur noch genutzt als Besucherräume mit Kaffee und Kuchen, das schlechte Gewissen nach der Flucht von hier zu beruhigen.
 

















Wer Stuckdecken oder Fachwerkfassaden liebt, malerisch gestaltete Vorgärten, Kulissen für geschichtsverliebte Träumer oder Spielwiesen städtebaulicher Ideen wird so natürlich enttäuscht. Für sie wurde hier nicht gebaut. Auch von den Balkonen, einige davon immer noch reine Wäschetrocknerflächen im Sommer und Kühltruhen im Winter für das Essen von Gestern, das Fleisch für Morgen oder das Obst für das Frühjahr, darf man sich hier nicht viel versprechen. Angerostet, schmucklos, einfarbig verwittert mit dicken Glasscheiben, die bei jedem Windzug klappern, kleben sie über den schmalen Gärten an den Hauswänden, zugehängt, dass keiner den Nachbarn sehen kann, wie Eiterbeulen oder Ausschlag.


 
















Hierhin wurde ich heimgetragen. Meine erste Ankunft. Ein Baby, über dessen Schicksal noch verhandelt wurde. Der Bruder meiner Mutter trug mich. Sie hatte nur den einen, vom Alter her eher ein Vater, an dessen Stelle er mit ihr nach Hause kam. Der frischgebackene junge Vater dagegen hatte erst noch Hausverbot. So begann meine Ankunft hier mit einem Onkel und einer verschüchterten Mutter, ohne Tante, ohne Vater. Der Onkel trug mich die drei Treppenstufen das erste Mal hoch. Ich weiß davon natürlich nichts mehr. Darum hat es mit dieser Straße als meiner Straße auch nichts zu tun. 

 
















Jetzt ist er achtzigjährig nach dem dritten Schlaganfall gestorben und ich habe mich gefragt, was mit ihm in mir verloren ging. Diese erste Begegnung war nicht dabei. Nicht wirklich. Nur die Erzählung davon. Das Wissen. Aber das bleibt mir ja. Er hatte selbst bereits drei Kinder, zwei davon Söhne. Wie wäre es gewesen, wenn es drei Töchter und nun mich als ersten männlichen Spross gegeben hätte. Hätte er mich anders getragen, wäre ich seinen Augen anders begegnet, hätte ich seinen Blick heute noch in mir? Es soll sowas geben. In Büchern gibt es so viel. Bei mir war es nicht so und vielleicht wäre manches anders gekommen, aber wohl auch ohne Erinnerung. Die erste Ankunft, die ohne handhabbare Erinnerung, ist wie nie geschehen, fast müßig daher, darüber mehr zu erzählen. Es sind doch nur die Geschichten und Erinnerungen anderer.
Ich kann mich auch nicht sehen, wie ich in seinen großen Händen liege. Ich kenne mich nicht als Baby, nicht mal als Kleinkind. Es gehört einfach nur zu meiner Geschichte, dass auch ich nicht gleich erinnernd und sprechend angekommen bin. So entsteht die erste Abhängigkeit und Hilflosigkeit. Es gab diese Ankunft, diesen Beginn meines Lebens und ich kann nichts wirklich aus mir heraus erzählen. Nur gut, dass es keinen Grund für dieses Erzählen gibt, keinen Sinn, mit dem ich das nun ausdisputieren müsste. Ich erzähle es einfach und lasse mich in diese Straße bringen, in das Haus hineintragen, von Hermiene und Diedrich ab knuddeln, in das große Ehebett legen und einschlafen, wenn meine Mutter es denn verstanden haben sollte, mich ob der neuen Umgebung gleich zu beruhigen. Ich durfte wahrscheinlich an ihrer Brust liegen in diesem kalten Zimmer. Wärme hat mir immer gut getan. Ich hätte nur noch mehr davon gebrauchen können. Wahrscheinlich. Vielleicht war es ja auch zu viel Wärme oder ohne die Kälte meines Geburtsmonats, seinen Wetterkapriolen hätte ich die Wärme gar nicht als so Vermissenswertes empfinden können. Sehnen sich Sommerkinder nach Kälte?

  Wann wurde diese Straße meine Straße, was an ihr hat mich gebunden. War es das Heim, in das ich bald darauf kam, zu diesen, mir nur von einer einzigen Fotografie erinnerlichen Schwestern, aus dem mich dann, wie sie später immer gerne erzählte, entsetzt Hermiene zusammen mit Diddi befreite in ein wunderbares Enkeldasein mit Pfeife rauchendem, gemütlichen Opa und stets beschäftigter, Küchenlieder trällernder Oma? Waren es die ewig gleichen Geräusche, die den Tag einteilten, morgens, mittags, abends die Sirene der Akschen, deren Helligen den Horizont unserer Straße beherrschte, dazwischen das aufstöhnende schlecht geölte Knarzen der gusseisernen Vorgartenpforten, Nachbarin M. mit ihrem eingepissten Geruch und der knurrenden Stimme, wenn sie am Zaun zwischen den Häusern von ihren Treppenstufen aus über die Nachbarn tratschte, war es der ältere Spielkumpel, hinter dem ich immer vergeblich hinterher laufen musste, der mich dann tröstete und das Spiel mit dem Ball beibrachte und dessen verzweifelte Übungen auf dem Schifferklavier ich durch die Wand unseres Wohnzimmers hören konnte, war es der Auftritt des großen und kräftigen Käptens von hoher See kommend, meines Kumpels Vater, wenn der sich nach allen Seiten umdrehend laut von draußen nach seiner verschüchterten Hilde rief, war es der Garten, in dem ich die Verpackungen vom Bau des Balkons als Hütten und U-Boote nutzen konnte, mich verstecken und weite Schiffsreisen unternehmen wie Freddy in seinen Liedern abends in der Radiotruhe, oder war es der Waschtag, wenn ich Oma helfen durfte die Wäsche in den großen Steinbottich im dunklen Keller zu werfen, zum Schluss selbst dort abgeschruppt und bibbernd auf das rettende raue Handtuch hoffend, ja sehnend, an anderen Tagen, wenn die Verwandten Hermienes vom Dorf kamen, Fleisch, Gemüse und anderes mitbrachten und alle zusammen mit geröteten Gesichtern, die Flasche Schnaps immer an mir vorbei geführt, die Gläser füllten und in dem Wäschebottich einkochten? Wie gerne habe ich mich später in dem eigens dafür frei gehaltenen Kellerraum meine Gläser ausgesucht, zu Beginn aber weniger, weil mir vor der steilen Treppe in die dunkle, übel muffige Unterwelt, wo gleich neben der Treppe Kohlen und Kartoffeln in großen Holzverschlägen vor sich hin rochen, grauste. Aber Gläser mit Obst, mit Marmelade oder Gelee, das war immer was Feines.

 Ich weiß es also nicht, spüre nur mein Herz schlagen, wenn ich heute durch diese Straße gehe, wo alle längst gestorben sind, die einst um den armen „Unehelichen von der Ruth“ herum waren, gestorben an Krebs, Schlaganfällen, zerfressenen Lebern, kaputten Nieren, aufgehängt auf dem Dachboden, eingequetscht im blechernen, farbig chromblitzenden,  jeden Samstag so fleißig polierten Stolz, oder ganz friedlich entschlafen wie Hermiene, die mit 99 ihrer Pflegerin zum Abschied mit besonderer Betonung gesagt haben soll: „Ich bin müde“ und morgens mit entspanntem Gesicht tod in ihrem Bett gefunden wurde.

Ich sehe alle noch vor mir, im Sonntagsstaat, frisch gewaschen , Duschen und Badezimmer gab es noch nicht, daher meist vor dem Waschbecken in der Küche mit großen Waschlappen zelebriert oder in den Waschbottichen, die Bettwäsche und Tischdecken wurden in der Woche geplättet, wo wir Kinder helfen durften, mussten, die Kragen wurden versteift und die Hemden korrekt gebügelt, die Röcke ebenso bis sie gut gewellt abstanden von den Beinen, so standen die Straßenbewohner, unsere Nachbarn die wir noch mit Namen kannten,  draußen, sprachen über die Gartenzäune hinweg über Politik, die Arbeit und das Wetter, am liebsten aber über die Kollegen und ihre bekloppten Chefs, die auch nicht besser als die Politiker seien, am Abend dann in der ein paar Häuser entfernten Eckkneipe weiter.  

Bisweilen mussten wir Kinder mit, sie dort ab zu holen, das sollte den Druck verstärken. Wir bekamen dann meist im Dunst der diversen Rauchutensilien wie Zigarren, Kurzschnitt-Tabakspfeifen oder Zigaretten ein paar Süßigkeiten wie Erdnüsse, Gummibärchen oder Schokolade, für ein längeres Verbleiben der Väter und Großväter, die sich mühsam an der Theke festhielten und versuchten lautstark der Musikbox neben dem Vorhang zur Toilette Konkurrenz zu machen.

Manch einer folgte auch dann nicht und manchmal sah ich sie von Oma und Opas Schlafzimmer aus mühsam nach Hause wanken, eine Hand immer an den Zäunen unserer Vorgärten.

Über den einen oder anderen wurde dann am nächsten Tag gesprochen. „Dass der Kerl datt Suppen“ nicht sein lassen könne, wo doch „sien Fruu und deren Bälger“ kaum was zu essen hätten.

Manche zogen mit den Jahren für mich sichtbar ihre schweren schwarzen Mäntel nicht mehr aus, als könnten die sie vor den unvermeidlich kommenden Katastrophen beschützen und bewahren.  Sie kamen auch ohne Sonntagsputz aus und waren zufrieden meist nur im Blaumann in den Gärten, den kleinen Parzellen in der Mitte der Straße, wo die meisten ihr Gemüse, ein paar Blumen, Stachel- und Johannisbeeren, sowie Salate pflanzten für den Eigenbedarf.

Dort waren sie zu Späßen aufgelegt und jeder grüßte sie nett und flachste rum, tauschte Gärtnerwissen aus und die neuesten Ergebnisse von Werder Bremen. Auch Polenwitze und Geschichten wurden erzählt. Ich erfuhr erst Jahre später, dass ich durch meinen Opa polnisches Migrantenkind in der vierten Generation bin. Noch später, dass das Trauma der Migration und Integration bis in die fünfte Generation weiter gereicht würde. Über so etwas wurde bei uns nie gesprochen. Ich musste mich viel später selber und alleine aufmachen, die Spuren meiner Familie in Polen und Wilhelmshafen zu finden.

Die Stadt hatte nach dem Krieg viele polnische Kriegsgefangene, die lieber in unserer Hafenstadt mit ihren verlockenden Arbeitsplätzen vor allem im Hafen geblieben waren.  Aber die Presse veröffentlichte recht schnell Nachrichten mit Überfällen, Einbrüchen und anderen Straftaten von Polen und schürte so eine Anti-Polen-Stimmung, die bis heute, vor allem in den Polenwitzen anhält. Mein Großvater hat zu allem geschwiegen und nie hörte ich das Wort Polen in der Familie, außer so, wie es die anderen aussprachen.

Vielleicht ist es ja meine Straße, weil sie alle Widersprüche, Verdrängungen, Leiden und Hoffnungen des vergangenen Jahrhunderts in sich geborgen und ihr jeweiliges Leben gewähren lassen hat, ohne dass auf Dauer nachhaltiger Schaden über uns Nachgeborene dadurch kam. Zumindest hoffe ich das, nicht zuletzt für mich selber!

Und da ist ja noch die Hausnummer von Diddi und Hermiene, diese 64, die rechts vom Eingang selbstbewusst in Augenhöhe, zumindest der der Erwachsenen, hing, für mich ganz weit oben, meine erste Zahl, die mich bis heute begleiten sollte, immer eindeutig, für alle Zeiten festgelegt, das ist ihr Haus in der Straße, meine Unterkunft, meine Herkunft, mein Rückhalt und Rückzugsgebiet, zumindest war es das letzere bis Hermiene dann mit über 90 doch die 64 anderen überlassen musste, mit dem Erlös von dem Verkauf finanzierten wir ihren Pflegeplatz, auch mit Balkon, auf dem sie weiter träumte, es sei ihrer, der, den sie einst als Mitgift hatte bauen lassen für ihren Didi, träumte und uns nicht mehr erkannte aber freundlich grüßte und nach uns selber ausfragte und wann wir denn mal kämen, sie zu besuchen. Ja die 64, das ist meine Hammerzahl, ein Schlüssel, von keiner späteren übertrumpft, weder von Geburtstagen, eigenen Hausnummern noch die viel zu langen Telefonnummern. Nein, die 64, das hatte was und ich nahm sie mit auf die Reise.

Bei meiner ersten Ankunft jedenfalls schien sich endlich Nebel über die Vergangenheit zu legen, Neues rasch empor zu wachsen, sichtbar an den ersten Fahrzeugen meist Ford und Opel oder Käfer, in den Stuben anstelle der alten Volksempfänger aus der Nazizeit auf den schwarzen Regalbrettern in den Ecken über dem Sofa erste Musiktruhen in den Ecken gegenüber, reichlich Alkohol bei Feiern, modische Kleider und „gute“ Uhren. Manch einer leiste sich Zigarren oder hochwertige Pfeifen. Andere legten Wert auf bessere Schuhe, neue Zäune der Vorgärten, und Hüte, sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern, Hüte waren wichtig. Die gut genannten Männer erlaubten ihren Frauen den wöchentlichen Besuch beim Friseur, der mit viel Spray Turmbauten über ihre Gesichter pflanzte. Ich habe diese Frisuren geha0t, lag ich doch oft, vor allem bei Feiern, hilflos im Schlafzimmer, wo ich schon schlafen sollte, bevor es richtig losging, hilflos ihren stinkenden, den Atem lähmenden Spray-Attacken ausgesetzt.

Die meisten Nachbarn erlebte ich zugleich als müde vom Leben, schnell sarkastisch und bitter, selten politisch. Es wurde geputzt, vor allem wir Kinder, die Wäsche, die Einrichtung und manch kleines dazu gekommene Mitbringsel der ersten Urlaubsversuche, so stand bei uns der Kölner Dom in weißlichem, sich schnell gelb färbenden Plastik und an der Wand hing eine Schwarzwalduhr als Wetterhäuschen.

Meine Eltern waren wohl mitten drin in alledem, froh dem Krieg entronnen zu sein, noch in den Nächten von den Angriffen der Bomben tragenden und abwerfenden „Tommys“, wie sie sie später immer nannten, verfolgt, den Napalmnächten, den Nachrichten von „gefallenen“ Freunden und Verwandten, bei meiner Mutter vor allem der Freund, der schnicke U-Boot-Soldat, der irgendwo im Atlantik am Meeresboden vom Wasser konserviert wie seine Kameraden als Skelett sein Grab fand, ihre Freunde, die im Napalm direkt neben ihr verbrannten, die Bekannten, die nicht rechtzeitig zu den Bunkern kamen, mit ihren Häusern begraben wurden, nicht zuletzt die vielen Nächte im Bunker, schließlich wohnten sie in unmittelbarer Nähe der Werften und Häfen, was den Bombenwerfern Auftrieb und dringend zu eliminierende Punkte für ihre Kriegsziele eingab.

Von Auschwitz und Buchenwald war meine Straße, unsere Straße, fürchterlich weit entfernt und es sollte noch Jahrzehnte dauern und vieler Generationen bedürfen, bis diese auch dort und in den Köpfen den gebührenden Platz bekamen.  Und die Männer ließen den Krieg, ihre Erlebnisse dort, in ihren Köpfen bis auf die Stammtischparolen. Die waren vielleicht ihr Ventil.

Nein, meine Straße war Aufbruch, frisches Leben nach  mörderischen Jahren, genau das, was einem Baby gut tut, wenn es dort hineingeboren wird. In ein richtiges Leben mit viel Liebe und Aufmerksamkeit, Abwechslung, lebendigen Menschen, Tönen und Geräuschen, die der Zeit ihr unverwechselbares Gesicht malten, kräftig, unbekümmert, jeder Sünde gegenüber offen und zugleich verklemmt, voller Widersprüche und doch klar in den Aussagen und vorgelebten Taten. Hinter den Vorhängen wurde geweint, geschlagen, geflucht und doch fand man ihre Bewohner täglich bei den netten Leuten, die grüßten und fröhlich den Tag anlachten. Ich verstehe dass heute noch nicht, wie sie das so konnten und ausgehalten haben.

 Und dazwischen kam mein Vater, mich auf den Stufen, wenigstens da, in den Armen halten zu können, lernte meine Mutter mich zu wickeln, trug mich stolz mit sich rum, beschloss mit meinem Vater trotz aller Widerstände ein gemeinsames Leben außerhalb und weit weg von dieser Straße zu führen.  

Und es kamen die Jahreszeiten in die Gärten, in die mehr Rasenflächen und Blumenbeete zogen, das Gemüse verdrängten, vor allem die langen Bohnenstangen fehlten mir am Anfang sehr, die Sträucher und Obstbäume mit Büschen ersetzten. So wie sie sich in den kleinen Zimmern arrangiert hatten, bis genügend Geld da war und sie auf die Untermieter verzichten konnten,  so passten sie sich jetzt den größeren Möglichkeiten für Veränderung an, so kamen braun lackierte Ölöfen und ersetzten die kleinen schwarzen Kohlenverbrenner, auch Kanonenöfen genannt, die größeren Kinder verloren eine Aufgabe, das Kohlenschleppen und die Bürgersteige blieben fortan sauberer, da weder Koks noch Briketts mehr darauf ausgekippt wurden, um mit Schaufeln in die Keller geworfen zu werden. Es verschwanden die Hühnerställe und mit ihnen die Ratten, auch die Emaille verschwindet von den Wänden und blätterte im Müll weiter ab, vielleicht von Sammlern später freudig auf dem Flohmarkt entdeckt und günstig erworben für das neue Heim, ja so sind heute die Leute, und es verschwand, die Siebe, Schüsseln und Eimer zugunsten von Porzellan und Plastik, tja, und dann war damals die Wäsche noch da, flatterte fast jeden Tag im Wind, große, bewegte Farbtupfer in einer noch wenig bunten, eher schwarzweißen Welt, Flaggen und Ausweispiere zugleich in den Gärten mit Holzklammern an dicken Stangen befestigt, wo sie samstags den Teppichen weichen mussten, die hier kräftig durchgeklopft wurden und alle sahen, hörten es, kontrollierten die Hausfrauentüchtigkeit und dann verschwanden die Stangen, mit ihnen die Farben, das Bunt kam nun nur noch vom auf dem Wochenmarkt erstandenen Zierpflanzen und in den Kellern stritten nun  wuchtige Waschmaschinen mit Trockner, die manchmal quer durch den Keller tanzten, um den Platz, die Boden wurden isoliert, zu Trockenboden,  nicht Böden, wir sagten Boden, und man zeigte die Wäsche nicht mehr, niemanden mehr, schon gar nicht die Schlüpfer.

 





















Dafür kam Farbe an die Hauswände, Maler gingen ein und aus, alles sollte schöner werden, heller, sauberer und mit mehr Platz. Mindestens alle zwei Jahre wurden die Zäune übergestrichen und bei manch einem platzt heute noch die dadurch gewachsene dicke Lackschicht auf und wartet auf die Entsorgung beim Wertstoffhof, ersetzt von ganz anderen Materialien, die nicht mehr lackiert werden müssen.

Große Aufregung gab es, wenn die Bierwagen durch die Straße fuhren, gezogen von breitärschigen goldgelben Pferden, hinter deren „Äpfel“ waren die Nachbarn her und so rannten sie in die Häuser, kamen mit Schaufeln zurück und wer Glück hatte, Äpfel erwischen konnte, strahlte vor Glück. Anders, wenn die „Zigeuner“ mit ihren Töpfen, Körben und zum Messer- und Scherenschleifen ihre Leiterwagen durch die Straßen zogen. Da ging erst der Blick vorsichtig durch die Gardinen, die Kinder wurden dann mit Messern und Scheren nach draußen vorgeschickt, bis man selber nach kam zum bezahlen. „Up keenen Foll in’t huus rinlooten!“ hieß es.

Sonntags war es harmloser, da kam nur der Zeitungsverkäufer und rief laut, so laut, so unentwegt, dass es bestimmt fast eine halbe Stunde dauerte, bis wir seinen Ruf nicht mehr hören konnten: „Biiiilt! Bilt am Soooontak! Die neue Bilt! Biiiilt am Sooontak!“

 













Fast fünf Jahre lebte ich so und roch, schmeckte, spürte das alles und konnte mir gar nicht vorstellen, dass es anderswo anders zu gehen könnte, die Hochzeit meiner Eltern kam, mich ließen sie zu Hause, wegen dem „unehelich“, das war ihnen doch etwas peinlich und störend bei ihrem großen Tag. Aber mein Onkel kam, ließ mich in frische Klamotten stecken und brachte mich pünktlich zum Tanzen zu ihnen, wo ich auf ihren Armen gar nicht wusste wie mir geschah und auch nicht recht, was ich von diesem Auftrieb halten sollte, schließlich war es meine erste Hochzeit und eigentlich wusste ich mit 3 Jahren auch nicht so recht, was das sein sollte. Froh sank ich später, wieder vom Onkel retour gebracht, denn der hatte als freier Handlungsreisender in Sachen Farben bereits ein Auto, in das kalte dicke Federbett in dem Schlafzimmer von Opa und Opa, wurde früh am Morgen vorsichtig in die Kammer unter dem Dach gebracht, wo ich auf einem alten Kanapee mein Bett hatte.

Ach ja, das Innenleben des Hauses, unten Untermieterin Marga mit ihrem Sohn, eine entfernte Verwandte von Opa, Cousine glaube ich, mit zwei Zimmern, abgetrennt von dem einen zum Garten hinaus die kleine Küche, zwischen den Zimmern das Spülklosett, immerhin eine Errungenschaft. Ein Stockwerk höher Oma und Opa mit gleicher Aufteilung, nur dass die das große Zimmer zur Straße hin für ihr Ehebett und das kleinere abgetrennte als Wohnzimmer nutzten. Und das gab es eben das kleine Mansardenzimmer, ehemals Zimmer meiner Mutter, nun für mich, gleich daneben unverkleidet, also kalt im Winter und bisweilen mit Schnee bedeckt, der „Boden“  wo die Kaffeemühle hing, die Opa nur sonntags mit Bohnen füllte um dem regelmäßigen Kaffeekränzchen unten einen guten „Bohnenkaffee“ servieren zu können.

Nun sind sie alle fort, die Wände innen eingerissen weil der Platz heute so nicht reicht und man nicht mehr dicht an dicht gequetscht feiern mag, die Öfen wichen Heizungen und die „Akschen“ gab schon lange ihren Geist auf und damit auch den dieses Stadtteils, dieser Straße, meines Lebens, aber das Jahrzehnte nach meiner 1sten Ankunft bei den Eltern, die noch keine waren, es auch gar nicht vorgehabt hatten, so schnell welche zu werden, aber so etwas geschieht hier wohl immer noch und es sind immer noch die Arbeiterfamilien, die in der Straße und ihren Häusern ein Zuhause finden.

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