Ausgerechnet mein Lieblings Onkel, der Pfeifenraucher, der Bücherleser,
der stets ein offenes Ohr für mich Knirps hatte und für mich ungewohnt so
gelassen, wenn auch bestimmend, in seiner Familie ruhte: ein überzeugter,
unverbesserlicher Nazi! Und das noch in
den Siebzigern des jüngst vergangenen Jahrhunderts mit seinen fürchterlichen
Verbrechen!
Ihr ja, ihr hätte ich sofort zugetraut, meiner Tante, meiner von mir in
Kindheitstagen so empfundenen Tante „Insektenfrau“,
schrill, wuselig und überallhin ihre Fühler, Krallen und Tabernakel ausstreckend,
so jedenfalls hatte ich sie zuerst meist empfunden, was sich erst Jahrzehnte
später durch viele Begegnungen relativieren ließ.
Und das bei einer tollen, gut belesenen und freundlichen Schwester, die
als KPD-Mitglied der Nazi-Zeit entkommen und nach dem KPD-Verbot unter Adenauer
in der DVU und bei den Naturfreunden Unterschlupf gefunden hatte. Der hatte ich
mehrere Jahre die Kohlen aus dem Keller in ihre Wohnung getragen für 5 Mark und
jeder Menge gute Gespräche zwischen vollbestückten Bücherregalen. Na gut, die
sei lesbisch, wie meine Mutter betonte, und offensichtlich war das nichts Gutes
nach ihrer Stimmlage. Mir dagegen war das egal, warum weiß ich auch heute noch
nicht genau. Mir kam eher komisch vor, dass sie so weiße Blusen trugen, mit
Kragen und Stickereien, die stramm aus schwarzen Röcken sich aufplusterten. Das
kannte ich nur von aus meiner Sicht uralten Photographien wie zum Beispiel von
der von mir später so verehrten Rosa Luxemburg.
Meine Eltern hatten bei meiner Sicht auf Tante und Onkel mütterlicher
Seite natürlich ihren unleugbaren
Anteil. Nichts war einfacher für uns in jenen Jahren, als das
Gemeinschaftsgefühl durch Herablassungen gegenüber anderen zu stärken,
vielleicht sogar erst zu ermöglichen. Weder Vater noch Mutter gaben mir gegenüber
ihre Anhängerschaft bezüglich der SPD in den ersten Jahren bekannt, noch ihre
Bekanntschaft durch die von Kommunisten zu ihrer Zeit stark durchsetzten
Naturfreunde. Viel hätten wir uns zu
erzählen gehabt in meinen wilden Jahren, aber leider kam das dann Jahrzehnte zu
spät, kurz vor ihrem Tod erst zustande.
Ich fand das mit der Nazi-Onkel-Tante-Geschichte jedenfalls nicht gut, erwischte
mich so zu sagen „kalt“, wollte es zu Beginn nicht wirklich wissen. Gab es doch
meiner Mutter auf fast dämonische Art recht, ihrem in meinen Augen von Anfang
an eher neidvollen, verklemmten Hass auf die beiden. Bei ihrem Bruder fand ich
bei ihr nur sehr persönlichen, fern jeder Politik und Vernunft, schon gar
geschwisterlichen Gefühle, eine merkwürdig starke ambivalente Hassliebe und
zugleich Liebeshass. Er war stets zugleich ihr Held und Feind, und so hat sie
sich später jahrelang von ihm fern gehalten und doch stets vermisst. Sie haben
sich wahrscheinlich, ich weiß es nicht genau, nie wirklich ausgesprochen. Was
wirklich zwischen ihnen war ist mir nie klar geworden.
Und jetzt verteidigt ausgerechnet er mir gegenüber die Morde im Stadion
von Santiago in Chile nach dem Mord an dem legal und demokratisch gewählten
Allende, die zerschlagenen Hände von Victor Jara, und das wie gewohnt in vielen
Stunden meiner Besuche bei ihnen mit ruhiger, unaufgeregter Stimme, seiner so
sanften behutsamen und nachdenklichen, zugleich zuhörenden Stimme, die stets
eher argumentiert denn bestimmt, der so ganz anders als mein Vater zu reden wusste.
Der wählt NPD, hält zu den faschistischen Deutschen in Chile!
Erst danach beichtete mir meine Mutter, dass ihr Bruder im Faschismus freiwillig
eine große Kariere eines internationalen Konzerns zugunsten einer Offizierslaufbahn
aufgegeben hätte. Und meine Tante hätte im Büro in den Emslandlagern im Moor gearbeitet,
wo Ossietzky eingepfercht worden war. Klar kannte ich da das Lied der
Moorsoldaten schon und die Geschichte dieser Lager.
In mir brach eine Welt zusammen.
Trotzdem haben wir viel später wieder einen Draht zu einander gefunden,
waren sie noch oft für mich da, ausgerechnet für mich, der in fast allem ihrem
Leben entgegen stand und wirkte, luden uns regelmäßig ein, ja auch mein Sohn
wurde wunderbar von ihnen aufgenommen und so muss, kann ich trotzdem sagen,
dass sie mir stets zuverlässige Freunde und Onkel und Tante waren, wie man sie sich
nur wünschen kann.
Ja, wir haben vorsichtig immer wieder Mal das Thema ihrer Zeit unter „Adolf“
berührt, uns ausgesprochen, zu einander gefunden aber über andere Themen, die
vor allem meiner Tante Sorgen bereiteten. Dazu gehörte unser Umgang mit unserer
Umwelt, unser wahnsinniger Verbrauch von wichtigen Recourcen.
Sie blieben so tatsächlich auf einschneidende und mir noch heute
wichtige Art wirksam und lebensbestimmend für mich mit ihrem klaren und aktivem
Vorleben einer bürgerlich, der abendländischen Kultur zugewandten Lebensweise
und in ihren Räumen angenehm umgesetzten Wohnästhetik. Sie brachten mich zwar in große
Gewissenskonflikte und doch lernte ich durch sie, den Beginn des Landes nach
der Befreiung besser zu verstehen und auch die Konflikte, die in vielen Familien
unterschwellig waberten und bei Aussprachen eher auseinander denn zu einander führten.
Der Schmerz ist mir geblieben, die Enttäuschung und gleichzeitig große
Dankbarkeit, denn ich war ja nicht ihr Opfer gewesen. Und oft muss ich bei
ihnen an die Südafrikaner und Chilenen denken, an die, die eines Tages ohne DDR
da standen oder an die Afrikaner nach den entsetzlichen Bürgerkriegen. Wie kann
man nach so viel Unrecht, Morden und Misshandlungen wieder zu einander finden,
wie mit den Tätern, den Mitläufern und Sympathisanten, wie ihnen begegnen, wenn
man ein friedliches neues Miteinander schaffen will, ja muss?
Nichts scheint mir seitdem mehr einfach, aber alles schwer genug und
nie ganz ohne Ausweg.
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