Freitag, 15. Februar 2013

Wunschlos glücklich?



Es gibt Leute, die müssen überall andere Leute anquatschen. So auch dieser dunkelgelockte Mittfünfziger im Abteil  auf der Strecke nach München.
Es gelang ihm mit sanfter Stimme mich in ein Gespräch über das Glück zu verwickeln. Er selber sah nach etwas Glück im Leben aus. Im gebräunten Gesicht bildeten sich Lachfältchen um  Augen und Mund ab, es wirkte entspannt und wenig von Schlaflosigkeit geplagt. Ich dagegen hätte gerne die Zeit für ein Nickerchen genutzt.
Beruflich tippte ich auf mittleres Bürgertum, Landwirt könnte auch sein. Die sehen im 21. Jahrhundert ja auch anders aus als früher.
Er klärte mich natürlich auch darüber auf. Er begann aber mit seiner früheren Beschäftigung.
„Da war ich Broker, ein erfolgreicher, oder ist Ihnen Spekulant lieber?“ Meine Antwort darauf wartete er erst gar nicht ab. Ich hätte eh nur ein Kopfschütteln zu Stande gebracht.
„Egal, ich war wie ich war. Sie wissen schon: mein Haus, meine Yacht, meine Frau. Alles prima, alles bestens. Und dann kam, Sie können es sich bestimmt schon denken, das Platzen der Börsenblase. Und ich flog raus, verlor die Frau, das Haus, die Yacht. Immerhin, ich behielt das Leben und floh zurück in das Dorf meiner Eltern, aus dem ich wenige Jahre zuvor so glücklich entkommen war.
Um mich neu zu justieren, machte ich lange Spaziergänge in die Umgebung. Wir haben schöne Berge und Wälder, wissen Sie. Es lohnt sich.
Na ja, jedenfalls saß ich eines Mittags auf einer Bank und betrachtete einen antiquarischen Flakon, den ich eigentlich meiner Frau hatte schenken wollen und der nun vergessen in meiner Manteltasche geruht hatte.
Als ich ihn vorsichtig aufschraubte und daran riechen wollte, bekam ich, ehrlich, einen Schupser von dem dünnen Rauch, der plötzlich sich aus dem Fläschchen herauswand. Etwas irritiert betrachtete ich das Geschehen, wobei ich den Flakon weit von mir hielt. Der Rauch oder Nebel oder was auch immer formte sich zu einem Wesen meiner Kinderzeit. So ungefähr hatte ich mir Aladdins kleinen Flaschengeist damals vorgestellt. Und wie dieser begann auch mein Wesen plötzlich zu sprechen.“
Nein, ich war nicht eingeschlafen bei seiner Erzählerei, wenn auch kurz davor. Aber an dieser Stelle horchte ich doch auf und sah ihn vorsichtig genauer an. Warum erzählte er mir das? Hielt er mich für ein Kind, dem man die Zugfahrt mit Märchen verkürzen muss? Er nickte mir zu, als habe er meine Gedanken erraten.
„Ich weiß, das klingt unglaubwürdig und ist nichts, was wir Erwachsenen uns erzählen sollten. Aber hören sie mir, bitte, noch etwas weiter zu.
Dieses Wesen leuchte vor mir her und sprach:“Drei Wünsche, die bring ich Dir. Nicht einen weniger, nicht einen mehr“.
Sie können sich meine Verfassung bestimmt vorstellen. Vorsichtig sah ich mich nach einer versteckten Kamera um und beschloss den Flakon hier zu lassen und fort zu gehen.
„Stopp, wünschen musst Du, vorher gehen kannst Du nicht. Wünsch Dir was von meinem Licht.“
Was sollte ich tun. Also stieg ich ein in das Spiel und sagte spontan:“ Dann wünsche ich mir Glück im Leben“, schließlich erinnerte ich mich gut an solche Märchen und manch unsinnigem Wunsch. Das Wesen schüttelte irgendwas wie einen Kopf und antwortete: „Das geht leider nicht. Du musst Dir schon was Richtiges wünschen, eine Villa, ein Schloss oder ein Amt.“
Was sollte ich mit sowas? Hatte ich das nicht gerade hinter mir. Und jetzt, jetzt saß ich hier belästigt mit Wünschen, die ich, zu der Zeit jedenfalls, gar nicht hatte. Ruhe suchte ich, Frieden, eine bessere Partnerin. Ich sagte ihm das und er meinte das mit der Partnerin ginge, Prinzessinnen hätte er zu Hauf für mich Angebot.
„Bloß nicht“, entfuhr es mir entsetzt. „Nicht noch eine!“
„Dann wünsche Dir halt was anderes, aber mach zu. Die Zeit für Dich läuft sonst ab!“
Irgendwie traute ich mich nicht, ihn zu fragen wie er das nun meinte. Da kam mir eine Idee und ich sagte:“Dann wünsche ich mir, dass Du keine Wünsche mehr für mich hast!“
Sie hätten das Wesen sehen müssen, es tobte und jaulte erst vor mir, dann um mich her und verschwand zack, im Flakon, ohne Gruß und letztes Wort.
Allein saß ich wieder nach dem Spuk auf der Bank und sah hinunter in das Tal. Tja, so war ich denn faktisch „wunschlos“ und machte mich auf ein neues Glück für mich zu entdecken.“
Es reizte mich dann doch ihn zu fragen, ob er denn nun so auf diese merkwürdige Art und Weise „wunschlos glücklich“ geworden sei?
Er zuckte mit den Schultern:“Ein bisschen ja, ein bisschen nein.  Im Dorf traf ich auf eine alte Schulfreundin, sie kam gerade von der Meisterprüfung. Tja, und heute ist sie meine Frau und Chefin. Wir haben die Schlachterei ihrer Eltern übernommen, drei Kinder und ich stehe im Laden, verkaufe, mache abends die Bücher, bin in drei Vorständen und an meinem Geburtstag melden ein paar Leute sich. An manchen Tagen kann ich mein Glück nicht fassen, an anderen lebe ich halt so vor mich hin.“
„Und, haben sie noch Wünsche?“
„Eigentlich nur einen, dass es so mit der Familie und allem noch recht lange so geht.“
Als wir uns in München von einander verabschiedeten, wusste ich zwar immer noch nicht, warum er ausgerechnet mir das alles erzählt hatte, ging aber etwas mutiger zur Agentur für Arbeit, wo ich mich wegen drohender Arbeitslosigkeit zu melden hatte. Unterwegs hatte ich plötzlich sogar Lust ein Lied zu pfeifen.



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