Donnerstag, 18. April 2013

Altersgemäße Grüße







 









 







manche Altersstufen
scheinen etwas Besonderes zu sein
zum Beispiel meine jetzige, die 60, gerade frisch
erklommen, begrüßt man mich oben angekommen
doch plötzlich mit: „Willkommen im Club“ und „wird
schon werden!“, was auch immer sie mir so wohl 
meinend ins Gepäck damit packen wollen

offensichtlich gehöre ich jetzt
irgendwie zu den Aussätzigen, solle mir deswegen
aber nur „ein Ei darauf pellen“, wozu aber hat man dann
als Mann deren zwei, egal geht gleich weiter „Leben fängt erst an“
und dauernd „wirst schon sehen!“ als hätte ich ohne diese liebevoll
tröstenden Hinweise vorgehabt bereits jetzt 
meine Augen für den Rest der Zeit zu schließen
als kleines Training für die Ewigkeit

warum überhaupt werde ich plötzlich
von allen Seiten getröstet, so merkwürdig
fest in den Arm genommen und gedrückt
selbst im Supermarkt heute am helllichten Tag
danach besorgten Auges angelächelt auf-
munternd kräftig auf dem Rücken beklatscht
mit „Die lassen Dich auch noch gehen,
wollen uns Alte ja doch nicht mehr
egal was die Pressefritzen schreiben!“
und dann ist es da das Wort, das ich eigentlich
noch nicht ernsthaft für mich benutzen wollte:
„“ALT, alt, egal groß ob klein, eben alt!“

plötzlich betrübt durchblättere ich die wenig
gewordenen Geburtstagskarten, als da sind
eine von meinem Zahnarzt und
„seinem ganzen Praxisteam“, da steht
noch ein teurer Zahnersatz an, wahrscheinlich
eine nett gemeinte Erinnerung an dieses künftige Loch
in meiner  Haushaltskasse

eine von meinem Bundestagsabgeordneten,
bangt wohl, ob ich ihn wieder wähle, 5 von Hotels
in denen ich schon länger meinen Kopf nicht mehr
habe betten lassen, eine von meiner Bank, die haben
wohl vergessen vorher meinen Kontostand zu checken
zwei von Versicherungen, die wohl auf einen Termin hoffen
für weitere unnötige, teure Policen,

dann noch eine von meinem KZ-Schrauber
wahrscheinlich steht der nächste TÜV an
oder ich habe noch immer
die Winterreifen drauf, kein Wunder
bei dem Wetter zuletzt


ach, ja, eine von meiner letzten Tante und damit
letzten direkten Angehörigen, schickte ein Packet
und von den jungen Cousinen kamen auf das Mail-Konto
ein paar E-Cards, das Ausdrucken fand ich aber zu fad
wahrscheinlich schon ein typischer Altersreflex, 
nicht zu vergessen ein paar Anrufe von den Schwägern
die rufen immer an


keine Karte von meiner Firma, wohl auch 
wegrationalisiert die Grüße zu den runden Zahlen
dabei müssen sie mich doch nur noch
ein halbes Jahrzehnt ertragen, könnte ihnen doch
ein kleiner Gruß wert sein, zumindest mal wieder
nach Jahren eine einzige, winzige Briefmarke nur für mich
vielleicht haben sie aber auch nur Angst, ich würde ihnen
bei einem netten Gruß zu meinem 60ten
gar nicht mehr aufhören wollen ihnen
die Personalkosten zu sprengen, womit auch
immer, mein Gehalt jedenfalls besitzt
aus meiner Sicht viel zu wenig Sprengkraft
 
und keine von vielen anderen von Freunden, Bekannten
ehemaligen Kollegen nichts mehr, kein Zeichen
zu viele wohl inzwischen gestorben, aus den Augen verloren
zu lange nicht mehr drum gekümmert, zu ihnen
gekommen, ziemlich offensichtlich dieser karge Rest
dafür auf Facebook 210 Grüße, auch vom Rest 
der Freunde, Kollegen, die wir uns dort wiedergefunden
Bilder und Gedichte nur für mich, aus ganz Europa
Himmel hilf womit habe ich das nun wieder verdient
wahrschnlich eher nicht, halt der Sog des Mediums
Wahnsinn wie sich die Zeiten ändern können

und immer wieder dieser Trost, dieses „Sieh vorwärts“,
„Du hast noch so viel vor Dir!“, aber dann, zwischen den vielen Grüßen
ein junger Rapper, kurz und knapp: „alter Sack, nee das noch lange nicht!“

das baute mich doch glatt und sofort wieder auf, habe gleich 
meinen Rentenantrag beiseite geräumt, meiner Liebsten ein 
unsittliches Angebot gemacht, was sie prompt, wie
lang ersehnt, angenommen, danach mit einer Flasche Wein
mit mir zusammen im jugendlichen Überschwang geschworen,
„So schnell kriegt uns  kein Alter klein!“

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