Mittwoch, 30. Oktober 2013

Zehn kulturpolitische Forderungen an die neue Bundesregierung


Drucken PDF
Berlin, den 26.09.2013. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, hat sich in seiner Sprecherratssitzung und in seiner Mitgliederversammlung mit den Anforderungen an die Kulturpolitik der nächsten Wahlperiode befasst. Er unterstreicht mit dieser Resolution, dass Kunst und Kultur eine herausragende Bedeutung für die Gesellschaft haben. In Kunst und Kultur werden Utopien entwickelt und es findet eine ganz eigene Auseinandersetzung mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft statt. Kulturelle Bildung eröffnet den Zugang zu Kunst und Kultur. Mit einem Staatsziel Kultur im Grundgesetz würde unterstrichen werden, dass Kunst und Kultur – ähnlich den natürlichen Lebensgrundlagen – des Schutzes und der Förderung durch den Staat bedürfen.
  
Der Deutsche Kulturrat hat die nachfolgenden zehn Forderungen an eine zukunftsgerichtete Kulturpolitik für die nächsten vier Jahre formuliert.
  
  
1. Kulturelle Vielfalt zur Richtschnur kulturpolitischen Handelns machen
  
Der Erhalt, die Stärkung und die Weiterentwicklung der kulturellen Vielfalt muss die Richtschnur kulturpolitischen Handelns auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene sein. Deutschland und Europa verfügen über eine bemerkenswerte kulturelle Vielfalt, die über Jahrhunderte gewachsen ist, sich kontinuierlich verändert und im zeitgenössischen künstlerischen Schaffen weiterentwickelt. Diese kulturelle Vielfalt muss gesichert und ausgebaut werden. Das gilt insbesondere in Krisenzeiten, wenn gravierende Einschnitte in die kulturelle Substanz vorgenommen werden. Der Deutsche Kulturrat appelliert daher nachdrücklich an die neue Bundesregierung, im Koalitionsvertrag festzulegen, dass sie die „UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ als Grundlage ihrer nationalen, europäischen und internationalen Kulturpolitik nimmt. Als Unterzeichnerstaat dieser Konvention hat die Bundesrepublik die Aufgabe, sich insbesondere bei europäischen Liberalisierungsbemühungen und bei internationalen Handelsabkommen an die Ziele und Verpflichtungen dieser Konvention zu halten. Das gilt insbesondere für das derzeit in Verhandlungen befindliche Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA.
  
2. Kulturelle Teilhabe verbessern durch Stärkung der kulturellen Bildung
  
Eine gut ausgebaute, vielfältige kulturelle Infrastruktur ist die Voraussetzung für die Teilhabe am kulturellen Leben. Die Zugangsmöglichkeiten zu dieser Infrastruktur dürfen weder vom Geldbeutel noch vom Wohnort abhängig sein. Kulturelle Bildung kann Zugänge zu Kunst und Kultur eröffnen und dadurch Teilhabe ermöglichen. Dazu muss aber auch die autonome künstlerische wie wissenschaftliche Fachlichkeit als Grundlage von kultureller Bildung gesichert sein. Medienbildung kann im digitalen Zeitalter einen wesentlichen Beitrag zur kompetenten Nutzung von und der kritischen Auseinandersetzung mit Medien, der Einordnung von Informationen sowie zum Dialog und zur Interaktion zwischen Künstlern und Nutzern leisten. Der Deutsche Kulturrat fordert daher, die Sicherung der kulturellen Infrastruktur im Koalitionsvertrag zu fixieren. Die kulturelle Bildung, einschließlich der Medienbildung, soll als eigenständiges Aufgabenfeld im Koalitionsvertrag verankert und durch adäquate Maßnahmen – institutionell und projektbezogen – gefördert werden.  
  
3. Kooperativen Kultur- und Bildungsföderalismus wieder etablieren
  
Bildung und Kultur sind eine gesamtstaatliche Aufgabe. Der Zugang zu ihnen darf nicht davon abhängig sein, in welchem Bundesland jemand lebt. Bund, Länder und Kommunen haben daneben je eigene Aufgaben in der Kultur- und Wissenschaftspolitik, -förderung und -finanzierung, die einander ergänzen. Ein kooperativer Kultur- und Bildungsföderalismus schafft durch die Zusammenarbeit einen Mehrwert. Der Deutsche Kulturrat hält es daher für erforderlich, wieder einen kooperativen Kultur- und Bildungsföderalismus zu etablieren und ein Kooperationsgebot von Bund und Ländern in Bildung und Kultur grundgesetzlich abzusichern. In Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen können nachhaltige Akzente zur Weiterentwicklung der Infrastruktur von Kunst, Kultur und kultureller Bildung gesetzt werden.
  
4. Instrumentalisierung der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik beenden
  
Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik hat in der globalisierten Welt eine neue Dimension gewonnen. Es geht darum, die Zusammenarbeit mit den Partnern anderer Länder zu stärken, Kultur aus Deutschland vorzustellen und in stärkerem Maße Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik mit der Kultur- und Bildungspolitik im Inland zu verzahnen. Dabei hat die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik einen Eigenwert, der sich aus ihrem Gegenstand ableitet. Der Deutsche Kulturrat fordert die neue Bundesregierung auf, diesen Eigenwert Auswärtiger Kultur- und Bildungspolitik im Koalitionsvertrag festzuschreiben, einer Instrumentalisierung dieses Politikfeldes entgegenzutreten und die Einbeziehung weiterer zivilgesellschaftlicher Akteure neben den Mittlerorganisationen in dieses Themenfeld zu vereinbaren.
  
5. Kulturpolitik in Europa
  
Der europäische Einigungsprozess ist von herausragender wirtschaftlicher und kultureller Bedeutung. Die Urheberrechts-, Medien- und Steuerpolitik werden auf der europäischen Ebene vorgeprägt. Bei den verschiedenen bi- und multilateralen Handelsabkommen werden die Verhandlungen nicht mehr von der deutschen, sondern der europäischen Seite geführt. Dieses trifft auch auf das geplante Freihandelsabkommen zwischen der USA und der EU zu. Hier ist die Europäische Kommission der Verhandlungspartner der USA. Der Deutsche Kulturrat hält es für erforderlich, im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung dieser Entwicklung Rechnung zu tragen und die entsprechenden finanziellen und personellen Ressourcen für eine Beteiligung der Zivilgesellschaft bereitzustellen. Ebenso muss im Koalitionsvertrag unterstrichen werden, dass bei den laufenden Verhandlungen zum Freihandelsabkommen EU-USA die „UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ konsequente Anwendung findet.
  
6. Soziale Sicherung der Künstler und Publizisten gewährleisten
  
Mit der Künstlersozialversicherung verfügt Deutschland über ein europaweit einmaliges System der sozialen Absicherung von Künstlern und Publizisten. Dieses System gilt es zu stärken. Dazu gehört, dass durch geeignete Maßnahmen Abgabegerechtigkeit hergestellt wird. Wenn der Gesetzgeber Unternehmen, Vereine oder andere Gruppen von der Abgabepflicht ausnimmt, muss der Bund für die dadurch entstehenden Finanzierungslücken bei der Künstlersozialabgabe einstehen und den Bundeszuschuss erhöhen. Darüber hinaus müssen Modelle der sozialen Absicherung für jene Berufsgruppen von Selbstständigen aus dem Kulturbereich gefunden werden, die derzeit nicht in das System der verpflichtenden Sozialversicherung einbezogen sind. Der Deutsche Kulturrat fordert die neue Bundesregierung auf, sich im Koalitionsvertrag zur Stärkung des Künstlersozialversicherungsgesetzes und seiner Durchsetzung zu verpflichten.  
  
7. Urheber in Digitalisierungsdiskussion in den Mittelpunkt rücken
  
Die Digitalisierung ist ein Epochenumbruch in mannigfacher Hinsicht. Tradierte Vorstellungen über das Verhältnis von Künstlern, von Vermittlern und von Nutzern gelten nicht mehr in gleichem Maße wie in der analogen Welt. Umso mehr gilt es zu unterstreichen, dass das Internet eine technische Infrastruktur mit der Möglichkeit der Teilhabe an Kunst und Kultur sowie der Verbreitung künstlerischer Werke ist. Es erwächst hieraus die Anforderung, den Wert kreativer Leistungen stärker zu vermitteln und zu verdeutlichen. Dazu gehören auch, die Kenntnis und die Akzeptanz des Urheberrechts zu verbreitern und zu vertiefen. Der Deutsche Kulturrat fordert die neue Bundesregierung auf, im Koalitionsvertrag klarzustellen, dass kreative Leistungen als geistiges Eigentum geachtet, geschützt und bei Nutzung eines Werks vergütet werden müssen. Ein durchsetzungsstarkes Urheberrecht ist in der analogen wie der digitalen Welt unerlässlich. Es dient dem Schutz des Urhebers und seines Werks und schafft Anreize zur Schöpfung neuer Werke. Dieser Schutz muss in der digitalen Welt, in der territoriale Grenzen keine Rolle mehr spielen, aufrechterhalten und verbessert werden.
  
8. Datenschutz und Privatsphäre gewährleisten
  
Die digitalen Techniken ermöglichen die sekundenschnelle Weitergabe von Texten, Tönen, Filmen und Bildern. Dieses ist eine große Chance für den Kulturbereich, da dadurch die Weitergabe künstlerischer Werke gefördert werden kann. Zugleich sieht der Deutsche Kulturrat mit Sorge, dass die Privatsphäre verletzt wird, hemmungslos Daten weitergegeben und ohne Anlass gespeichert werden. Damit werden Grundrechte verletzt. Der Deutsche Kulturrat fordert die neue Bundesregierung auf, sich im europäischen und internationalen Kontext für einen starken Datenschutz einzusetzen. Die Akzeptanz digitaler Techniken ist eng mit der Wahrung des Datenschutzes verbunden.
  
9. Öffentliche Kulturfinanzierung sicherstellen
  
Öffentliche Kulturförderung erlaubt Entwicklungsmöglichkeiten von Kunst und Kultur unabhängig vom Markt und ermöglicht eine breite Teilhabe an Kunst und Kultur. Sie bildet damit einen Gegenpol zur immer stärker eingeforderten Ökonomisierung der Kulturproduktion und -vermarktung. Die Kulturfinanzierung des Bundes hat in den letzten Jahren eine erfreuliche Steigerung erfahren. Diese ist auch ein wichtiges Signal an Länder und Kommunen. Mit Blick auf die im Jahr 2020 in den Ländern greifende Schuldenbremse und die finanzielle Notlage von Kommunen sieht der Deutsche Kulturrat das Erfordernis zu einer grundlegenden Finanzreform. Diese muss sowohl Länder als auch Kommunen in die Lage versetzen, ihren Aufgaben in der Kulturfinanzierung nachkommen zu können, die kulturelle Infrastruktur zu sichern und auszubauen.  
  
10. Bundeskulturministerium einrichten
  
Im Jahr 1998 wurde das Amt des Staatsministers für Kultur und Medien im Bundeskanzleramt etabliert. Dieses Amt hat sich bewährt und ist allseits anerkannt. Jetzt ist es Zeit für den nächsten Schritt: die Etablierung eines Ministeriums. Der Deutsche Kulturrat fordert die neue Bundesregierung auf, ein Bundeskulturministerium einzurichten, in dem die Bundeskulturpolitik, die Kulturpolitik im europäischen Kontext, die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, die Kulturwirtschaftspolitik sowie die Politik für digitale Medien gebündelt werden.

Keine Kommentare: