Es
war in meinem vorletzten Jahr im Tal auf dem Weg zum Rhein zwischen den sanften
Bergen an der Grenze zur Schweiz.
Ich
war am Morgen des Heiligen Abends aufgestanden aus meinem Bett und wollte,
schlaftrunken wie ich noch war, wohl nach dem Stubenofen sehen, dessen
Bestückung mit Kohlen und Briketts aus dem Keller in mein tägliches Aufgabengebiet
fiel. Jedenfalls an normalen Wochentagen, wenn Vater und Mutter fort zu ihrer
Arbeit waren.
Ich
öffnete also die Tür zum Wohnzimmer, war fast schon drinnen, als ich den
Tannenbaum und darunter die Geschenke wahrnahm. Fast zeitgleich hörte ich meine
Mutter nach mir schreien.
Das
Grün des Baumes wirkte matt und stumpf im Tageslicht und war ohne das Leuchten
der weißen Wachskerzen bar jeder Festlichkeit. Schnell schloss ich die Tür
wieder und wendete mich in Richtung Küche. Meine Mutter stand bereits im Flur,
hatte vor Zorn ein rotes Gesicht und schrie mich an.
Was
ihre genauen Worte waren, weiß ich nicht mehr. Nur dass die Stimmung den ganzen
Tag über verdorben war. Dass sie mir in ihrer Art wohl laut und immer wieder
vorwarf, ihr die Stimmung verdorben zu haben und ich kein guter Junge sei,
sondern verlogen und verschlagen und womit sie das denn verdient habe. Und dass
ich mich gegen den Vorwurf zu verteidigen versuchte, absichtlich und neugierig
die an diesem Tag verbotene Tür geöffnet zu haben. Ich wollte wirklich nicht
schnüffeln. Es war ein Versehen, es war, weil ich noch nicht ganz wach war und
daher nicht daran gedacht hatte, welcher Tag war.
Es
war nicht möglich den Eltern das begreifbar zu machen und irgendwann dachte
ich, dass es besser gewesen wäre, ihrer Sicht meines Missgeschicks, denn das
war es für mich, nachzugeben und den Reumütigen zu spielen.
Bis
zu diesem Tag, ich muss in der zweiten Klasse gewesen sein, glaubte ich noch
irgendwie an den Weihnachtsmann, wollte an ihn glauben, trotz allerlei
verschwörerische Hinweise seitens meiner Schulkameraden- und Freunde.
Spielkameraden waren wir noch nicht, die gab es erst in späteren Zeiten.
Spielten wir nicht? Damals, in unseren kurzen Lederhosen? Wahrscheinlich nicht.
Wir stromerten herum, beobachteten die Erwachsenen und wir lasen,
beziehungsweise betrachteten Filmplakate und Comics. Auch hingen wir wohl öfter
vor Schaufenstern und wünschten uns etwas von den ausgestellten Waren. Auf
jeden Fall nannten wir uns Freunde, ohne
Spiel davor.
Seit
der morgendlichen Begegnung mit dem Tannenbaum geriet meine
Weihnachtsmannvorstellung gefährlich ins Wanken. Waren es doch die Eltern, die
das Zimmer für Heiligabend bestückten?
Auf
jeden Fall kam der Abend und ich ging mit noch mehr Angst und klopfendem Herzen
nach dem leisen Läuten der Glöckchen an der Hand meiner Mutter in die Stube.
Mein Vater schaffte es mit seinem Frohsinn und dem von ihm angestimmten „Oh Tannenbaum“
rasch, die Laune in unserer kleiner gewordenen Familie zu heben. Es war das
erste Weihnachten ohne die jüngeren Geschwister, die bereits beide bewegungslos
und stumm in einem Krankenhaus lagen, und dann begann, als fast alles wieder
gut schien, wie seitdem an jedem Heiligen Abend meine Mutter laut zu weinen und
ließ sich nur schwer trösten vom Vater, während ich beruhigt und begeistert
meine Geschenke auspackte.
Welche
es in dem Jahr waren, weiß ich nicht mehr, nur meine Freude darüber, dass sie
mir unter dem Tannenbaum geblieben waren und sich nicht verflüchtigt hatten
wegen meines Missgeschickes, was die Mutter mir tagsüber angedroht hatte, daran
kann ich mich noch heute gut erinnern. Und des Gefühls meinen Eltern gegenüber,
die auf dem Sofa hockten, Mutter in Vaters Arm, weinend, von meinen
Geschwistern redend, und nur schwer dazu zu bewegen, sich doch ihr Geschenk
einmal an zu sehen, diese beiden, die mir nun ganz sicher die Schenkenden
waren, meine Weihnachtsmänner und ich weiß noch, wie mir warm wurde bei diesem
Gedanken. Das tröstete mich an dem Abend auch über die von mir so gefühlte
Ungerechtigkeit der Vorwürfe hinweg.
So
verlor ich zwar den Glauben an den Weihnachtsmann, gewann dafür aber den
Glauben an meine so lieb schenkenden Eltern und ich begann sie kindgemäß noch
mehr zu lieben.
Selbst
heute noch, nach allerlei Streit und neuen „Ungerechtigkeiten“, den späteren Jahren
des zornigen Schweigens und immer selteneren Begegnungen, vereint mehr in
Verbitterung als in Verständnis und Liebe, lässt mich dieser Abend sie in einem
milderen, versöhnlicherem Lichte erscheinen und mich in Gedanken manch Abbitte
leisten.
Längst
musste ich beide begraben, weit auseinander in zwei verschiedenen Städten und
fern den Gräbern ihrer Kinder.
In
der Erinnerung dieses Abends aber sind wir auf immer vereint, weinend meine
Mutter, tröstend mein Vater, erleichtert ich und in Dankbarkeit ihnen
zugewandt.
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