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Mittwoch, 22. Januar 2014

ferne Wünsche








aus
Peter Silies
Beziehungskiste



als er sie
von Ferne sah
kam sie ihm
gleich unheimlich
irre nah

dass er sie
in der Nähe
heute bisweilen
lieber mal
öfter auch

von Ferne sähe

Freitag, 5. April 2013

Peter Silie rätselt in der Straßenbahn:




eine Frau zu einer
anderen Frau:
„Ach wissen sie,
mein Mann
ist wie er bleibt!“
„Ja, da sagen sie was,
so sind sie!“
„Und wissen Sie was,
so waren die
schon immer!“
„Und wo bleiben wir?“
„Ja, Das ist
schon was!“
„Ja! Nicht leicht!“
„Aber so lange sie
nicht fort sind
ist es ja auch
schon was.“
„Wäre ja
noch schöner!“
„Trauen sich ja nicht!“
„Wenigstens das!“

wat sind wir
bloß für Kerle
wat passt Denen
an uns nicht
warum sollten 
wir fortgehen
trauen uns 
aber nicht

ahnen die beiden
da was die kein
Wort über sich
selbst gesagt haben?

Sonntag, 17. März 2013

"Komm' auf die Schaukel, Luise!" Fortsetzung 1






Wie jeden Abend vermied er es, seinen Blick hoch und gerade aus zu richten, ihren Anblick, ihr massiges, in schlaffen Falten vom Bluthochdruck geplagten Gesicht zu blicken, das Gesicht ihrer Mutter, die seine hatte werden wollen, sofort nach dem ersten Anstandsbesuch, wo er doch quasi Waise wäre, obwohl ihm das komisch vor kam so als arbeitender, erwachsener Mann Waise sein zu sollen, nur weil er keine Eltern mehr am Leben hatte, aber andere lebten doch auch ohne ihre Eltern. Waise. Er nahm es hin, wie er danach noch vieles hinnehmen sollte, war ihm doch das bisschen Familie, was er hier bekam, doch auch ein wenig was Gutes, was Beruhigendes, ein Ort, der leicht an zu laufen war und blieb, nicht verschwand wie die Eltern, manch guter Freund und Nachbar. Hinter ihr war sowieso der Blick verstellt durch die Pappen für die Verdunkelung und so konnte er auch nicht an ihr vorbei zu dem Baum sehen, der ihm die Jahreszeiten vorlas und stets so ruhig ablenkte von dem was um ihn herum an Worten ausgestoßen wurde.  Wann hatte er den Baum, wann die vom Stadtdunst stets scheinbar leicht zitternden und blinkenden Sterne das letztemal ohne Angst betrachten können, froh und optimistisch, mit Lust auf die Nacht und den Tag?

Hilde saß wie von Anfang an, vielleicht schon seit ihren Kindheitstagen, am von ihm aus gesehen, rechten Tischende, saß, nein thronte, präsidierte, saß vor, gab vor, nahm nie etwas zurück, sah ihn an, sah zur Mutter, machte auf Gespräch, was ihm sinnlos vor kam, was sollten sie sich zu sagen haben nach den vielen Tagen der Angst, der ständigen Aufbrecherei in den Bunker, die Rückkehr, das nächste Warten, Hoffen, Bangen, was sollte man sich da noch wirklich zu sagen haben, worüber sprechen, wenn selbst die Namen der letzten Toten wie ein ewig gleicher Rosenkranz zwischen ihnen hin und her ging, bedeutungslos wurde, Alltag, mit nichts auf zu frischen, nicht einmal mit Tränen, Wut oder Abschiedsschmerz. Sie hatten sich abgefunden. Ja das war es und im Abfinden, da war Karl ja Meister, Großmeister.

Zwischen der Tür und ihm saß seine Hilde wie ein unüberwindlicher Fels. Nie hätte er es gewagt einfach an ihr vorbei auf zu stehen und die Tür an zu streben. Die Tür gehörte ihrer Mutter, wie die Küche, das Geschirr, das Handtuch für die Glühbirne, nur Brot und Wurst kamen von ihm, durch ihn, aber das verschwand jeden Tag hier an diesem Tisch, von den Frauen mit gespreizten Fingern zum Mund geführt und weggebissen, weggekaut,  runtergeschluckt, am nächsten Morgen, wenn es die Angriffe ermöglichten, auf seinem Klo, seiner Klobrille, sein Klodeckel im Rücken, von ihm so liebevoll selbst aus Holz angefertigt, gestrichen, dort nun das durch ihn verschaffte Essen ausgeschissen, bisweilen mehr hörbar, als er es vertragen konnte.

Hilde brauchte ihn nicht an zu sehen, schon seit Ewigkeiten nicht mehr, sie hatte ihn im Kopf, seinen, ihrer Meinung nach und auf der hielt sie was, war ja nicht von Dummsdorf, wenn sie auch mit ihm nicht den fang gemacht hatte auf der Versammlung, wie anfangs erhofft, also seinen immer nur teilnahmslosen, gelangweilten Blick, diese undurchschaubare Miene, obwohl sie sicher war, dass bei ihm nicht viel zu holen wäre mit dem Durchschauen, auch wenn ihre Mutter immer wieder warnte: „Pass auf! Stille Wasser sind tief. Man weiß ja nie, schon gar nicht bei den Kerlen!“
Hilde sah zur Mutter, dachte: „Was ist das nur für ein Waschlappen, kaum siegen wir mal eine Weile nicht, dreht der sein Gehirn aus und markiert toten Mann, den das alles jetzt nichts mehr angeht.“

Wenn sie das doch nur geahnt hätte, wie wenig in diesem stets bleichen, etwas kurzgeratenen Kerl steckte, gut, solide war er ja, ließ sich auch viel gefallen, vor allem von ihrer Mutter, da war er ja ein guter Blitzableiter, vor der Ehe war sie dauernd dran gewesen, die Kopfnüsse mochte sie gar nicht zählen, die sie von ihr bekommen hatte. 

Mutter war es ja auch gewesen die ... , aber das durfte der Kerl nie erfahren, nie! Trotzdem, ein bisschen mehr Ehrgeiz, die Größe, nun gut, aber der Führer war auch nicht groß gewachsen und trotzdem hatte der Deutschland, ja was, im Moment sah es wirklich nicht gut aus, aber der war … , natürlich Blödsinn ihren Kerl mit dem zu vergleichen, durfte sie nicht mal laut sagen, kam bestimmt nicht gut an, trotzdem, der Karl hätte mehr werden können und blieb einfach stur son kleiner Malochermann mit Lohntüte am Freitag, die, ja die er immer vollständig ablieferte. Was anderes hätte sie, vor allem Mutter ihm auch nicht raten mögen. Sollte der nur mal wagen. Ach was, tat der noch nie. Zu feige, erbärmlich, Bettelhund, Winselknabe. Sie hätte ihn am liebsten beschimpft und gerüttelt und die Bomber draußen wären weg gewesen wie ihre Angst am Nachthimmel verschwunden. Irgendwie, vom Gefühl her jedenfalls!

"Komm' auf die Schaukel, Luise!" Teil 1



Wie oft schon hatten sie so zusammengesessen, an diesem kleinen Tisch mit der durch die Tassen und Gläser arg in Mitleidenschaft gezogenen Farbe, nun bereit an einigen Stellen auf zu platzen und ab zu blättern, weil die Tischdecken geschont werden mussten, nur für besondere Anlässe da waren, in diesem trüben Licht einer einzigen nackten Glühbirne, die leicht zu schwingen begann in ihrer Fassung, wenn sie sich durch den Raum bewegten, bei Luftalarm sofort von einem Handtuch bedeckt?

Karl Feldmann fiel keine Zahl dazu ein, nur das Bild seiner Hochzeit mit Hilde in diesem Stadtteil, in dem er seither wohnte, fern seines Stadtteils, der alten Freunde und Nachbarn, der Eltern, die den Krieg nicht mehr erreicht hatten, verstorben in den Hundejahren der zwanziger, Tuberkulose, wie so mancher seiner Schulkameraden. 1932, das wäre eine Zahl gewesen.  Oder sein damaliges Alter: 18 Jahre.  Oder die Parteizugehörigkeit, seine Parteizugehörigkeit, nicht ihre: 1 Jahr vor ihrem erstem Zusammentreffen. 

Sie waren tatsächlich, wenn auch zufällig am gleichen Tag eingetreten, in verschiedenen Ortsgruppen.  Er in seiner am Bahndamm der Werkszüge für die Lagerhäuser und Werften, die Mühlen und Kaffeefabriken, in der vor allem die Krauter, die Bürohengste mit ihren Miezen und ein paar Arbeitslose die ersten Mitglieder stellten,  sie hier, wo die Häuser klein und schmächtig in erster Linie Arbeiter und kleinen Angestellteneinkommen gesicherten, warmen Unterschlupf, und vor allem für sie ohne größere Einschränkungen finanzierbar, bot, die Partei hier nur mühsam, so richtig eigentlich erst nach dem Sieg des Führers über die Weimarer Republik, nennenswert Mitglieder gewann. 

Auf dieser gemeinsamen Veranstaltung im Norden der Stadt, im Herzen der Stadtteile der Roten, mit dem späteren hiesigen Gauleiter, war es irgendwie mit ihnen geschehen, vielleicht begünstigt durch die Stimmung, dieser Euphorie über den Sieg, das Gefühl der Kraft und mit sicherer Zukunft in der Tasche, da es jetzt doch endlich aufwärts gehen sollte, keine haarsträubende Inflation mehr, deren Billionen-Scheine noch immer auf dem Dachboden in dem Pappkarton schmorten,  auch keine Straßenschlachten mehr, keine Streiks, keine Fluchten durch die hier so beliebten, notwendigen, lebensrettenden Schrebergärten und über die Dächer von Feuerleiter zu Feuerleiter. Ja, er Karl, Karl Feldmann hatte von alledem genug, die Schnauze voll, von diesen Roten, deren Arbeiterparadies, das ja doch nicht kommen würde, nur Krieg und Verfolgung auslösen konnte, er, Karl, wollte Sicherheit, jetzt und für immer, und seine Ruhe.

Sie jedenfalls war ihm um den Hals gefallen, einfach so, obwohl er sie gar nicht kannte, bis dahin auch nicht beachtet hatte, obwohl ihr Röschenkleid mit dem weit sich bauschenden Falten ab dem Po, ihre dunklen Haare, die in dichten Locken ihr Gesicht umrahmten, diese strahlenden, blauen Augen in diesem Moment, da sie sich förmlich in sein Leben hineinwarf, in seine nur zögernd sie aufnehmenden Arme, ihm sofort gefielen, in etwa seinem Bild einer möglichen, netten Braut entsprach und so fing er auf, was kam, hielt schüchtern fest, was da bei ihm blieb und laut rief „Wir, wir die wir von Anfang dazu gehört haben, hört ihr? Wir haben gesiegt! Wir sind Deutschlands Zukunft! Jetzt hält uns nicht mehr auf!“ Und Karl, der zwar ähnlich dachte, fühlte, sich aber nie getraut hätte in diesem Saal mit den hunderten von Leuten, so etwas laut von sich zu geben, drückte sie zur Bestätigung, sagte nichts, genoss, was an Leib er spüren konnte, riechen, drücken, den Grund des Widerstandes an bestimmten Stellen erahnen, wartete ab, wie lange sie so bei ihm bleiben würde, während vorne auf der Bühne der Redner das Mikrophon zerschrie und den Staub von den Bodenbrettern hochstampfte, dass er wie Nebel um seine braune Hosenbeine schwebte.

Ja, so hatte es angefangen. Der erste von vielen späteren Abenden, an dem er nicht mit seinen Nachbarn und Kumpels weiter gezogen war, auch Bier hatte er sich nicht getraut in ihrer Gegenwart zu trinken und die Shag-Pfeife ließ er auch lieber in der Jackentasche, wegen dem Atem.   

Sie hat ihm nie erklärt, wie es zu diesem Überfall, zu dieser Umarmung gekommen war, warum sie ihn ausgesucht hatte und keinen anderen. Genug Auswahl war schließlich dagewesen.  Sei es wie sei, gewesen ist gewesen, so oder so, Karl dachte nicht gerne darüber nach, sinnlos erschien es ihm schon lange mit den Gedanken in der Vergangenheit zu wühlen, auch  diesen schönsten, ja sicher mit Abstand schönsten Moment ihrer Beziehung suchte er nicht gerne auf, irgendwie schien es ihm als lauere auch dort etwas Dunkles dahinter, was er besser nicht antraf oder erfahren wollte. Heute ist heute, dachte Karl, „ändern kannste nix, musse so hinnehmen“.  Was konnte das Grübeln schon bewegen, sind andere schon dran verrückt geworden. Er kannte da welche.

Dicht an seinem Ohr plärrte der Volksempfänger auf dem Brett in der Ecke über dem Tischchen mit der Leselampe, warum er immer so dicht daran sitzen musste, wo Hildes Mutter doch schwerhörig war und er es nicht werden wollte, jedenfalls saß er so dicht dran und bekam wider ein leichtes Ziehen in den Ohren mit diesem Druck von ganz innen, bekam keine Erlaubnis das „Ding“, wie er es nur noch nannte, einfach aus zu stellen, andererseits war es das einzig noch intakte in dieser Küche, seitdem sie ihre Bomben über die Straßen hier warfen, angekündigt wurden in dem „Ding“ anstelle von Etappensiegen, Aufmärschen, Jubelfeiern, und diese Marika Röck und Zarah Leander mochte er aus dem „Ding“, diesem „Kasten“ auch nicht mehr hören. Er mochte keine starken Frauen mehr. Schon länger..  

Vorsichtig hob er die Tasse aus dem Geschirr der Schwiegermutter an den Mund. Wie alle anderen aus dem Service, Alltagsservice, hatte auch diese ihren Henkel geben müssen bei irgendeiner hektischen Flucht raus zum Bunker. Der Teller vor ihm mit dem Brot hatte einen Sprung, würde sich vielleicht schon nach dem nächsten Abwasch zerteilen und in den Müll wandern. Hilde stellte ihm von Anfang an das kaputte Geschirr hin, als wollte sie ihm damit sagen: „Sieh her, was aus unserem schönen Geschirr geworden ist! Und, was tust Du dagegen?“