Es wohnte ein
sehr alter Mann in einem kleinen Bauernhaus in den Bergen und wartete dort nur
noch auf den Tod. Seine Kinder hatten sich in alle Welt verstreut und
erinnerten ihn nur an Festtagen durch Postkarten daran, dass es sie einmal für
ihn gegeben hatte.
An einem
Ostersamstag nun machte er sich auf, zu seinem Kreuz oben bei der Kapelle zu
wandern, bevor die Jungen aus dem Dorf dort alles mit ihrem Lachen und ihrer
Geschäftigkeit füllten, denn dort bereiteten sie jeden Samstag vor Ostern das
große Feuer vor, an dem sie dann am Sonntag in der Dunkelheit Feuerscheiben
entzünden und hinunter in das Tal katapultieren würden.
Er kam gut
vorwärts und vergaß bald die Schmerzen des Alters in seinen Knochen. Oben
angekommen meinte er, dass mit seinem Kreuz, dass er von seinem Küchenfenster
jahraus, jahrein betrachten konnte, etwas nicht stimmte. Als er näher trat, sah
er, dass es einen tiefen Riss am Sockel hatte. Er drückte leicht dagegen und
dann geschah es:
Das große
Holzkreuz knirschte kurz und fiel um, genau auf seinen linken Arm, woraufhin er
mit dem Kreuz zu Boden stürzte. Schnell wurde ihm klar, dass der Arm gebrochen
sein könnte und er bekam furchtbare Schmerzen, sobald er versuchte ihn zu
bewegen. Gewohnt in seinem langen Leben immer wieder mit überraschenden
Situationen und Problemen alleine fertig zu werden, überfiel ihn auch jetzt
keine Panik oder gar Mutlosigkeit. Er nickte nur, stemmte sich, kroch dabei so
unter das Kreuz, dass er es vorwärts bewegen konnte.
Und schon
stand sein Entschluss fest, kaputter Arm hin, kaputter Arm her, das Kreuz musste
runter in das Tal, dort repariert werden.
Er kroch
mehr, als das er ging, mit dem Kreuz auf dem Rücken zurück den Weg, den er
gerade froh und heiter hoch gekommen war.
Es fiel ihm
schwer und er wußte, dass es sein konnte, dass er es nicht schaffen würde. Aber
ein Versuch ist es wert, dachte er. Es hat keinen Sinn, so früh auf zu geben.
Trotzdem reichten seine Kräfte nur für kleinere Abschnitte. Dann ließ er sich
fallen, roch die frische Frühlingserde und betete. Das tat er für sein Leben
gern, denn Beten war seine letzte Kommunikationsmöglichkeit geblieben in dem verlassenen
Haus. Er betete nicht für sich sondern für das Kreuz, das es gelingen möge, es
nach unten und in die Reparatur zu bringen. Das Kreuz war ihm heilig.
Und nach
jedem Gebet fühlte er sich frischer und gestärkt und robbte seine nächsten paar
Meter.
Da kam ein
halbverhungertes Wildschwein aus dem Wald direkt auf ihn zugerast. Es krachte
mit vollem Schwung gegen das Kreuz, flog dabei etwas in die Luft und blieb dann
benommen kurz liegen. Der Mann robbte weiter und versuchte nicht an das
Wildschwein zu denken.
In der Nähe,
auf einem Wanderweg, der um den Hügel herumführte, tauchten ein paar Touristen
auf mit ihren Kindern. Er hörte ihr Lachen und sah zu ihnen hin. Sie hatten ihn
entdeckt, zeigten mit Finger auf ihn, erzählten irgendwas ihren Kindern,
lachten wieder und holten ihre Handys raus, offensichtlich, um ihn zu
fotografieren.
Er versuchte
zu schreien, sie mögen ihm helfen, bekam aber nur ein leises, heiseres Stöhnen
heraus und gab es auf. So machte er sich, kräftig fotografiert, weiter auf
seinen steinigen Weg hinunter in das Tal.
Die Zeit
wurde ihm lang, die Sonne wanderte hinter ein paar Wölkchen immer höher hinauf
in den blauen Himmel und ihm wurde langsam heiß, sein Magen knurrte bisweilen
wie ein Wolf, der Arm schmerzte und das Gewicht nahm ihm bisweilen die Luft. Da
betete er: „Herr, willst Du mich ersticken. Lasse mir etwas Luft, bitte, und
ein bisschen mehr Kraft auch, sonst schaffe ich es nicht. Ist doch Dein Kreuz!“
Nach Stunden
kam er an den Rand des Dorfes. Da kam ihm der Briefträger mit seinem Fahrrad
entgegen.
Spöttisch sah
er das merkwürdige Bild mit dem spindeldürren, alten Mann unter dem riesigen
Holzkreuz kurz an und rief: „Wo willst Du denn damit hin, Bauer, in der Kirche
haben sie schon eins! Lass es liegen! Du überhebst Dich noch!“
Ohne auf den
Briefträger sonderlich zu achten kroch der Mann weiter. Beim Bäcker kamen ein
paar Frauen mit frischem Brot und Brötchen heraus. Eine bückte sich zu ihm
hinunter und fragte, was los sei.
„Unser Kreuz!
Ist kaputt! Muss gemacht werden!“
Da gab sie ihm
ein Laugenbrötchen. Die mochte er besonders gerne und er fragte sich, ob sie
das wissen könne. Er blieb unter seinem Kreuz auf der Dorfstraße liegen und aß
das Laugenbrötchen mit kleinen Bissen und großem Appetit. Dabei murmelte er: „Danke
Herr“.
Die
freundliche Frau hörte das und sagte leichtverwundert: „Wieso Herr, das
Brötchen habe ich Dir doch gegeben!“
„Ich weiß und
dank auch recht schön. Trotzdem!“
Kopfschüttelnd
ging die Frau weiter. Ansonsten kümmerte sich keiner der anderen Frauen weiter
um ihn. Mochte der doch ein Kreuz über die Dorfstraße ziehen. Was ging sie das
an. Alte Leute hatten halt ihre Marotten.
Kurz vor der Schreinerei,
wohin er das Kreuz zu bringen dachte, hupte plötzlich ein Auto ihn an. Dann sah
er vor sich dicke Stiefel und spürte, wie ihm das Kreuz abgenommen und er hoch
gehoben wurde.
„Aus dem Weg
Alter! Das ist eine Straße für Autos! Also, mach hinne!“ und damit legten sie
ihn auf dem Fußweg ab, woraufhin er sie bat, sie mögen ihm das Kreuz wieder
auflegen, da er zu schwach sei, es selber zu tun.
Sie scherten
sich nicht darum, eilten in ihr Fahrzeug und fuhren hastig davon.
So scob sich
der alte Mann noch einmal mühsam unter das Kreuz und drückte es so weit hoch,
dass er es weiter schieben konnte.
So kam er die
letzten Meter bis zur Schreinerei. Dort hatte die Frau des Meisters mit großer
Verwunderung sein handeln bemerkt, ihren Mann gerufen und zusammen traten sie
zu ihm hin.
Der Schreiner
erkannte gleich die Schäden am Kreuz und um welches es sich handeln musste. Er
zeigte hinauf zur Kapelle, sie sah hin und nickte.
„Wahnsinn,
warum hast Du uns nicht einfach Bescheid gesagt. Wir hätten es mit unserem
Fahrzeug viel leichter runter geschafft.“
„Es ist doch
mein Kreuz!“
Das war der
Moment, in dem ich zufällig auf der Suche nach einer warmen Stube mit gutem
Kaffee vorbei kam. Ich trat hinzu und sah, wie der Mann sanft zuckte, sich
unter dem Kreuz streckte, die Augen dabei geschlossen. Dann blieb er still
liegen. Schnell befreiten wir ihn von seiner Last. Es war zu spät. Er war tod.
Traurig standen wir um ihn herum und wußten nicht so recht etwas mit uns an zu
fangen. Aber wir sahen in sein Gesicht und sahen es: ein tiefes zufriedenes
Lächeln.
Schließlich
sagte die Frau des Meisters: „Irgendwie ja auch ein schöner Tod“ und lief ins
Haus, den Notruf an zu wählen. Wir Männer nickten nur, hielten unsere Hüte in
den Händen und senkten die Köpfe.
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