Donnerstag, 29. August 2013

Das Unwort



Der junge Mann konnte kaum schlafen. Die ganze Nacht rang er mit sich und dem Wort. Er hatte es in der Zeitung gelesen und auch im Fernsehen hörte er es. Es steckte in ihm und fraß ihn auf, verdeckte seine Gedanken und Gefühle wie eine klebrige, zu dick geratene Soße und schmecken tat es auch nicht.
Er kannte wie alle das Wort sein Kindertagen, ein Unwort, eines, das man nicht am Kragen haben sollte und nicht auf der Stirn oder in den Augen. Aussätzig war es schlimmer als die Aussätzigen. Verpönt war es, schlimmer als Pfurzen und Rülpsen am Tische. Und jetzt hielt man es ihm und seinesgleichen vor, bewarf sie geradezu damit.
„Neid, nur purer Neid!“ So schrieben sie, so redeten sie. Und er sah seinesgleichen dazu im Hintergrund, als Bild daneben oder im Text unüberlesbar genannt.
Und doch, es musste sich etwas ändern, war das alles ungerecht, musste etwas geschehen!
Und er wollte für sich jetzt damit anfangen, aussteigen aus dem Schweigen, dem Abnicken, dem Hinnehmen.
Trotzdem hatte er einen schweren Stand gegen das Wort und so dauerte es bis zum frühen Morgen, bis er sich zu einer Entscheidung und einer darauf aufbauenden Handlung durchringen konnte.
Er hatte zum Schluss für sich klar, dass sie das Wort als Waffe gegen ihn und die anderen einsetzten, damit ablenken wollten von dem Skandal und sie am Widerstand hindern, vor allem sollte es helfen, die, die noch nicht aufstanden, davon abzuhalten sich dem Widerstand an zu schließen.
Nach dem Aufstehen und einem schnellen Frühstück verkleidete er sich als Batmann und fuhr so mit dem Fahrrad zu seiner Arbeitsstelle. Dort lehnte er das Fahrrad an den Werkzaun und schlich geduckt zum Firmenparkplatz. Bei dem Porsche seines Chefs angekommen, holte er die Sprayerfarbe raus und sprühte auf den silbrig glänzenden Lack:
„Es ist kein Neid, wenn ich hier ihren Porsche bemale! Es ist Not! Sie können sich viele Autos wie diesen leisten und wir müssen noch zum Amt, um dort Geld zu erbitten, weil ihr Lohn für unser Leben nicht reicht. Sie beschimpfen uns täglich als zu faul und zu habgierig, machen  auf unsere Kosten den dicken Matze! Weil sie uns nicht den Lohn zahlen, der uns zusteht, sind sie ein echter Sozialschmarotzer, der auf Kosten von uns Steuerzahlern im Luxus lebt. Und darum ist das hier kein Neid, das was ich geschrieben habe.“
Als er fertig war, fotografierte er das Auto mit dem Text, schlich zurück zu seinem Rad und fuhr nach Hause. Dort stellte er das Bild sofort in das Internet und wartete. Schon bald gab es viele Klicks, Likes und Kommentare. Fast alle positiv.
Es war sein freier Tag und er hatte zum ersten Mal seit langer Zeit das Gefühl, dass er wirklich frei war an diesem Tag.

(c) Bild und Text: Jörn Laue-Weltring, Lingen 2013

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