Mittwoch, 7. August 2013

Ein Klodeckel mit Vergangenheit


Als meine Oma starb erbten meine Eltern ihr Häuschen. Während ich noch traurig war und meine Oma vermisste, böse in den Himmel sah, der sie mir genommen hatte, ließen meine Eltern das Häuschen „modernisieren“. Alles wurde raus gerissen und raus geschleppt. Ein großer Container auf dem Bürgersteig nahm Omas Sachen auf.
Mein Vater war voller Elan und freute sich obwohl die Oma doch seine Mutter gewesen war und auch er auf der Beerdigung geheult hatte, was sonst nur meine Mutter ab und zu tat.
„Oma war alt“, hieß es immer wieder: „Sie wurde erlöst.“
 „Das wird nun unser Heim“, sagten sie und „Freue Dich. Das wird schön!“
Die Erwachsenen erschienen mir plötzlich verlogen und herzlos. Wieso sollte jemand meine Oma „erlösen“ und von was und wozu? Nur um im Himmel auf einer Wolke Harfe zu spielen? Oma, das wusste ich genau, mochte weder Harfen noch klassische Musik. Sie mochte Küchenlieder wie „Ein Loch ist im Eimer“ oder „Mariechen saß weinend im Garten“.
Ich war für meine Eltern nur ein Kind und wurde darum nicht gefragt. Aber als sie den schönen alten Toilettendeckel aus dunklem, rötlich schimmerndem Holz, der meinen Hintern immer so schön warm und nicht hart getragen hatte beim „Geschäft“, als sie den entfernten und auch in den Container werfen wollten, da hielt ich mich an ihm fest und schrie sie an, dass der vom Opa, dem Vater meines Vaters selbst gemacht worden sei und ich nie, niemals mich auf einen anderen Klodeckel setzen würde und sie mich ja auch gleich mit in den Container werfen könnten.
Es war vergeblich, sie lösten meine Finger vom Deckel, trugen mich in mein Zimmer, sprachen lange auf mich ein und lasen Geschichten vor, bis ich leise weinend eingeschlafen war.
Kurz darauf kamen verschiedene Fahrzeuge und brachten neue Sachen, die meisten weiß, vieles aus Plastik und Metall, Holz mochten sie wohl nicht mehr, nicht dessen braune Farbe, nicht dessen Lack in dem ich mich spiegeln konnte.
„Modern!“ Das war ihr Ziel. Wir sollten „modern“ wohnen ab jetzt. „Ich konnte das alte Zeugs schon lange nicht mehr sehen“, meinte mein Vater und meine Mutter nickte dazu.
Auf die Toilette kam ein Deckel in Weiß und Plastik und mit weicher Federung, so dass der Deckel nur langsam runter ging und nicht mehr knallte. Sie fanden den ganz toll und „hygienisch“.
Mit der Zeit gewöhnte ich mich an den Kram und nach ersten Anraunzern, wenn ich etwas beschmiert, verdreckt oder angestoßen hatte, kam ich mit dem neuen Outfit klar. Bis auf den Toilettendeckel. Ich fand ihn eklig am Po. Er wurde schnell glitschig wenn es warm war und ich schwitzte und im Winter war er blöd kalt. Auch rutschte er unter einem wenn man drückte. Und drücken musste man ja, sonst kam nichts raus und es wurde nichts mit dem „Geschäft“. Sogar Vater war grummelig darüber. Mit der Zeit hieß der Klodeckel nur noch das „Scheißding!“ und wurde schließlich durch einen einfachen von ALDI ohne Federung ausgetauscht. Der knallte wenigstens wieder, wenn ich ihn zufallen ließ.
Eines Tages kamen wir im Urlaub an einem Laden vorbei, der laut meinen Eltern „tolle Designersachen“ führte. Im Fenster lag ein Holzklodeckel, der sah aus, als wenn er vom Großvater gemacht worden sei, ja, ganz wie unser alter.
„Guckt mal, unser alter Klodeckel,“ rief ich.
Sie sahen mich nur verständnislos an, bis sie das Exemplar entdeckten. „Ja, wie der von Opa.“
Ich bat sie, den Deckel zu kaufen. Sie lächelten mich mitleidig an und schüttelten den Kopf.
„Der ist zu teuer, sowas können wir uns nicht leisten. Aber Du hast Recht: er sieht schön aus.“
Verstehen sie das? Wie blöd dürfen Erwachsene eigentlich sein? Schmeißen sowas ohne mit der Wimper zu zucken auf den Müll obwohl es so teuer ist, dass sie es sich nicht wieder kaufen können.
Immerhin konnte ich den Klodeckel noch fotografieren. Das Bild hängt heute noch in meiner Wohnung, auf dessen Klo er heute wieder liegt, warm am Hintern im Winter, kühl im Sommer, leicht rötlich schimmernd.
In letzter Zeit allerdings habe ich öfter Kämpfe mit meiner Frau, für die er „unhygienisch“ ist und „eklig warm“ am Hintern, sie meint sogar, sie hätte jedes Mal das Gefühl die Wärme des Hinterns vom Benutzer vorher zu spüren. Auch hätte sie lieber einen von den Modernen, die sich selbst reinigen und sanft zufallen. Aber diesmal bleibe ich hart, schließlich bin ich kein Kind mehr und als Erwachsener nicht verblödet.
Irgendetwas aus der Kindheit sollte und muss man sich schließlich bewahren können.

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