Heidi
kannte die beiden Stammgäste in ihrem Scene-Lokal „Litfaß“ bestimmt schon seit
zwanzig Jahren, gefühlt seit einer Ewigkeit. Beide verteidigten ihre
Stammplätze an der Theke seit eben so langer Zeit durch dafür notwendiges
frühes Erscheinen und nie gingen sie zusammen aufs Klo. Rauchen taten sie schon
länger nicht, so dass sie weder in Heidis gemütlichen Raucherraum oben, noch
vor die Türe gehen mussten. Dreimal in der Woche kamen sie. Auch dies seit
Jahren.
Sie
wusste dass Günter, der stets links sitzende, verheiratet war wie sein Kumpel
Hans-Georg neben ihm aber im Gegensatz zu dem drei Kinder stattdessen zwei hatte.
Günter war in der Stadt bekannt als erfolgreicher Web-Designer und Werbeprofi,
sein Kumpel war Geologe und reiste für eine nach mehreren Übernahmen und Krisen
mittlerweile französische Firma in der Welt herum auf der Suche nach fossilen
Brennstoffen. Diese Abwesenheiten führten zu einsamen Sitzungen von Günter an
der Theke. Er blieb dann nicht so lange.
Meist
war es Günter der sprach. So auch an diesem Abend.
„Weißt
Du, eigentlich ist ja alles nichts, fast nichts.“
„Ja!“
„Rein
gar nichts, weißt Du. Andererseits ist aber auch Alles alles, fast alles,
jedenfalls mehr als nichts.“
„Ja!“
„Wie
in dem Moment beim Aufwachen nach einem Traum, weißt Du, irgendwie war gerade
noch alles real, was im Traum war, dann aber ist das alles plötzlich genau so nichts und der Tag wird
real, es sei denn Du wachst in der Nacht auf. Dann ist plötzlich nur noch diese
scheiß Nacht real.“
„Ja!“
„Der Traum ist einerseits nur noch nichts. Aber im Traum ist alles genau so real und auf
jeden Fall viel mehr als nichts. Weißt Du. Und vom Nichts, also vom Traum, geht nichts rüber und vom Tag alles, in den Traum geht alles. Rein, meine ich, weißt Du, alles, obwohl nichts davon bleibt. So wird Alles zum Nichts und das Nichts wird Alles. “
„Ja,
trinken wir noch‘n Bier?“
„Ja.
Das ist mehr als nichts.“
„Auf
jeden …!“
In
dem Moment rutschte Hans-Georg, als er sich am rechten Bein kratzen wollte,
unglücklich vom Hocker und konnte sich im Fallen gerade noch rechtzeitig mit
der rechten Hand auffangen.
Günter
half ihm hoch.
„Ist
was?“
„Nee,
nichts. Es ist nichts.“
„Wie
kam’s?“
„Einfach
so. Irgendwie. Prost aufn Schost!“
„Jupp,
Prost aufn Schost!“
Diesen
Trinkspruch hatten sie vor Jahren für sich selbst kreiert, als sie noch Cognac
dazu tranken und dabei vom Aufstieg träumten.
„Aber
das hier eben war was, oder?“
„Nee,
war nichts. Bin abgerutscht. Die Hocker sind auch zu glatt. Wahrscheinlich
gebohnert.“
„Ja,
es wird überhaupt zu viel gebohnert heut zu Tage.“
„Ja!“
Erst lachte Hans-Georg und dann auch Günter.
„Habt
ihr einen guten Witz?“ Heidi war neugierig geworden. Lachen taten die beiden
selten.
„Nee,
nichts, nur so.“
„Ja,
nur so, nichts, kein Witz.“
„Ach
so, und warum lacht Ihr beiden?“
„Nur
so. Warum nicht?“
„Ja,
warum auch nicht.“
„Auf
jeden ist oft alles alles und leider nichts nichts. Dazwischen hängen wir rum
wie blöd, als wären auch wir mehr nichts als alles. Geht Dir doch auch so.“
„Ja!“
Heidi
sah ein, dass da nichts zu holen war und wendete sich wieder ihren anderen
Gästen zu.
„Letzte
Runde?“
„Letzte
Runde!“
„Und
bei Dir?“
„Ja,
wie immer halt, nichts.“
„Du
sagst es.“
Wenig
später zahlten und gingen sie. Vor der Tür sahen beide in den schmalen Streifen
Himmel hoch, den die Straßenschlucht ihren Blicken frei gab.
„Das
da ist wirklich alles“
„Ja,
absolut.“
„Und
doch das große Nichts in dem alles verschwindet.“
„Ja,
schwarze Löcher warten da auf uns.“
„Ja,
bis dahin, Tschüss!“
„Tschüss“
Sie
wohnten in entgegengesetzter Richtung und so trennten sie sich, während der
Mond vorsichtig hinter einer Wolke hervorkam, als hätte er auf das Verschwinden
der beiden gewartet.
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