Montag, 28. Oktober 2013

Kratzibasti


Es begann kurz nach dem 50ten Geburtstag meines Mannes und entsprechend kurz vor meinem eigenen 45ten Geburtstag. Vielleicht auch schon früher, aber dann hatte ich es noch nicht bemerkt.
Mein Mann bekam den Kratzibasti, erst nur gelegentlich, mit der Zeit regelmäßig und immer heftiger. Zuerst haben wir beide uns nichts dabei gedacht. Nervosität, dachten wir, Überarbeitung, Urlaub ist fällig. Was man so denkt am Anfang, wenn der Kratzibasti auftaucht.
Mit der Zeit ließ sich aber nicht mehr leugnen, dass der Kratzibasti meinem Mann in Besitz genommen hatte, immer nachts, jede Stunde für mindestens 5, höchstens 10 Minuten.
Natürlich hatten wir vorher, also  vor seinem 50ten Geburtstag, keine Ahnung vom Kratzibasti gehabt, nichts darüber gewusst, dass es ihn gab oder gar wie. Aber als es uns, vor allem mich, das sei hier leise mal gesagt, so heftig traf, da waren wir schon übelst entsetzt und zuerst äußerst hilflos und gefangen. Der Kratzibasti trieb seinen Schabernack immer ärger und doller und wir fühlten uns zuerst nur ausgeliefert und fanden dann überhaupt keinen Anlass mehr darüber zu lachen.
Mein Mann kratze sich zu Beginn noch nichts auf, kratzte einfach irgendwo auf seinem Körper rum und nur das Geräusch allein begann mich zu nerven. Mit der Zeit aber wachte er blutig gekratzt auf und im Bett nervten ihn die Blutflecken, was dazu führte, dass wir endlich jeden Tag die Betten frisch bezogen. Schließlich kratzte er sich von Nacht zu Nacht mehr alle Hautpartien auf seinem Körper auf.
Dieses Geräusch verfolgte mich bald so sehr, dass ich auch aufwachte, wenn er sich nicht kratzte. Natürlich ging er zum Arzt, nicht nur zu einem, aber nichts half. Keiner brachte uns Erlösung. Keiner sprach vom Kratzibasti. Alle hatten andere Namen und Ursachen drauf. Nur, dass nichts davon uns vom Kratzibasti befreite.
Wir wechselten die Waschmittel, ließen Gewürze weg und verspeisten nur noch hundertprozentig biologische  und keimfreie Ware.
Eines Tages hatte mein Mann die Nase voll, er verließ mich, räumlich nicht seelisch, wanderte aus nach Italien ans Meer, aß nur noch von Mamma Italia gefertigte Speisen, lief in den Bergen dort umher und schwamm in deren Meer. Kaum zu glauben, aber es hörte auf, die Kratzer wurden weniger und nach einiger Zeit fand er auch kein frisch getrocknetes Blut mehr in seinem Bett. Da rief er mich zu sich mit der Bitte, dass wir dort nun unser Zuhause aufschlagen.
Tatsächlich ging es eine Zeitlang gut und der Kratzibasti war fern. Mit der Zeit aber kam der Teufel zurück. Und irgendwann hatte er uns wieder völlig in seiner Gewalt.
Als wir uns vor lauter Verzweiflung gar nicht mehr zu helfen wussten, trafen wir auf einen Greis, der sein Heim oberhalb der Felsen über dem Meer in einer Höhle gefunden und ausgebaut hatte. Dem schilderten wir, wie es uns die Dorfbewohner empfohlen hatten, unser Leid.
Der lachte daraufhin, umarmte uns und meinte, er hätte lange schon nicht mehr so einen Spaß gehabt. Empört warfen wir ihm sein sichtbar geringes Mitgefühl vor.
Aber er kümmerte sich nicht darum und lachte weiter, bis er schließlich nur mühsam zu Atem kommend zu uns sagte: „Das ist der Kratzibasti, der kommt zu denen, die zu viel vom Leben wollen. Erfolg im Beruf, Liebe in der Familie, jeden Tat Glück und Sieg. Der Kratzibasti verzieht sich nur dort, wo die Menschen sich bescheiden, in sich ruhen und nicht immer der Zeit zu gehorchen versuchen. Ich lache, weil ihr so ein Superpaar seid, das musste den Kratzibasti einfach anlocken, versteht ihr?“
Es dauerte, ehrlich gesagt, etliche Monate und Jahre bis wir zuerst verstanden und danach anders leben konnten. Aber schließlich war der Kratzibasti tatsächlich für immer fort, zumindest bis heute.

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