Donnerstag, 10. Oktober 2013

Mein Bremen


eine Stadt
zwei Türme kupfergrün groß ihre Schatten über dem Land
dort den Bauern war ihr Preis stets zu hoch
schon früh von den Bürgern
gegen den Dom
ein Rathaus gepflanzt
ohne Türme
Rathaus und Dom
davor der steinerne Roland
ihm gegenüber
in der Börse noch immer mit Getreide gezockt
schön aber ihre Renaissancefassaden
im Fadenkreuz von Napoleons Heerstraßen
ist die Welt für uns nicht weit

*
vergattert in den Gesang von Werkssirenen
warteten wir auf die Ferien
unsere Ohren tief in die Kopfkissen versenkt
unser Horizont
die Helligen von AG Weser von Vulkan
die Schiffe aus Übersee
beladen entladen
weiter unten
wo die Stadt spitz zum Meer hinzeigt
der flüssige Stahl
sind einige hineingesprungen gefallen
wie es hieß
wurde viel erzählt
am Kiosk beim Bier fiel für uns das Pfandgeld ab

*
oft auf der anderen Seite vom Fluss
wo sie die Zigarren drehten
fand mein Onkel kein Glück
zwei Zimmer einer Familie Wohnung grau das Haus grau die Zeit
zum Liebe machen kam er auf unsere Seite der Stadt
zu den Glühlampengirlanden frisch lackierte Baracken am Hafen
wo schon Großvater sich hingetragen
nackte Weiber satt
nichts gegen ihre Frauen dick angezogen im Kittel den ganzen Tag
kam von der See ein anderer Onkel
zurück mit wilder Braut
aus seiner Kneipe dort wuchs der letzte alte Lindenbaum
deren Geschlecht unserer Straße den Namen gab
hingen wir Kinder vor seiner Theke
kickten die Murmeln auf nackter Erde bis vor die Nacht

*
nie zu sehen für uns
der Stadt Bürgerbarone Kaufmannes Macht
Schätze versteckt hinter blätternden Fassaden
munkelte man hinter verschlossenen Türen
aus England mitgebracht bezahlt
aus Waffenhandel plus geröstetem Kaffee für die ganze Welt
vom Kaffee wurde geprahlt
Waffen verlassen den Hafen noch immer diskret
freuten wir uns über neue Knallpatronen
aus Tante Emmas Schreibwarenladen
für die Trommeln unserer Plastikcolts
Wyatt Earp war das Vorbild
Gandhi hatte bei uns noch keinen Schlag

*
In dieser Stadt
wurden wir dies wurden wir das
schnell kamen die Kinder nur im Suff
wie verschwiegen es aus unseren Häusern kroch
legten wir stolz unsere mühsam geschnorrten Groschen
auf die Ladentheke für Sigurd Heftchen im Querformat
Mecki auf Reisen in Din A 4 mit Hardcover Umschlag
Hör Zu zum Lesen in kargen Zeiten der Kirchenbote
unsere Diaspora polnisch sprachen wir Polen
seit Großvater hier nicht mehr

*
haben wir uns oft geschlagen
mit Stangen vom Schrottplatz den Ritter gemacht
auf Trümmergrundstücken kein Fußballplatz
bis die Farben auf die Wände kamen
„ihr sollt es mal besser haben“
von uns wörtlich genommen
verstanden wir
was man uns angetan
haben wir die Fassaden zerschlagen hervor gezerrt
aus den Kellern von den Böden die Fundstücke
unserer Scham saure Muttermilch

in unserer Väter Stadt

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