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Freitag, 4. April 2014

Marianne



Warum schreibe ich? Ich weiß es nicht – nicht so genau – habe die Frage nach dem Warum nie recht begriffen. Ich tue und tat es schon als kleines Kind. Ich wollte es, träumte davon, mal mehr hingetrieben, mal bedächtig herangetreten und es angesehen nach und vor neuen Schreibtaten.
Warum schreibe ich? Nun ja, vielleicht wegen Marianne, die eines Tages oben aus dem Hause ihrer Familie trat, das letzte Haus der Dorfstraße, das kleinste Haus, das Haus mit den meisten Schadstellen, wo der Wind bereits durchpfeift und die Streitereien und Schläge verrät, das erschrockene Winseln des Hundes und höllentonmäßige Fiepen der Katze auch.
Marianne mit jungen Jahren in Haar und Gesicht, auf den schmalen Beckenknochen und der von Fett und Fleisch noch verschonten Brust, Jahre 13 an der Zahl, frisch vollendet, wenig gepflegt, was kommt kann nur schöner werden, für Gestern ist ihr alles zu spät.
Sie ging, ja hüpfte wie so oft, froh dem Haus entkommen zu sein, für dieses Mal, kam so den Abhang hinunter ein kleines Stück, sah die Kirchtürme an der Kreuzung vor sich, irgendwo das Ziel ihres Ausfluges, sah hin oder auch nicht, beeilte sich oder auch nicht.
Der Wind, diese Bö im Gepäck, aus dem Hinterhalt, erst hinter feinstem Säuseln und leisem Klappern an den Schindeln des alten Fachwerks versteckt, dann einfach da, laut, heftig, stark, kam so über den Berg gebraust, packte Marianne, packte sie ganz, mit Leib und viel zu dünnem, viel zu durchscheinendem Flatterkleid, verschluckte die Schuhe, riss an den Haaren, trug sie schneller und höher davon, als es das neue Coupe des Brauereibesitzers hätte tun können, ein Jagdflieger vielleicht, einer von denen, die in der Nähe ihre Blindbomben mit ähnlich lautem Getöse zu Übungszwecken abwarfen.
Dennoch näherte sich ihr das Tal, sank sie tiefer, hing nach vorn übergebeugt wie ein Skispringer, ließ sich tragen, genoss das Luftpolster, sank und sank, unter ihr die Dorfstrasse, näher kommend die alte Kastanie, die Kreuz- und Dorfmittelpunkt zugleich war, Schattenspender für Generationen von Dörflern, auf deren Rundbank die Jugend am Abend saß, auf bessere Zeiten und Orte hoffend, sank so immer näher der Erde, bis ein Aufflammen der Bö sie packte und in die Krone der Kastanie warf, zu ihrem Glück so, dass sie auf einem kräftigem Ast zum Sitzen kam.
Dort überließ der Sturm sie ihrem Schicksal, schüttelte noch ein wenig die Äste und damit auch sie kräftig durch und verschwand wie er gekommen war. Schon bald weder zu hören, noch zu spüren.
Nachdem sich die Marianne auf ihrem Ast von Schreck und Flug benommen, etwas erholt hatte, betrachtete sie staunend den Himmel, der ihr auf so ungewöhnliche Art  und Weise näher gekommen war. Angst hatte sie keine, nur Gottvertrauen, noch mehr Vertrauen gab sie der Maria, wie die meisten Mädchen und Frauen im Dorf. Der Maria hinten rechts in der Ecke der klobigen Kirche gegenüber der Kastanie, dieser uralten Schnitzkunst, kindhoch, Farben verlierend neben dem Altarraum.
Da die Kastanie auf der Kreuzung stand, die seit kurzem zum Kreisverkehr geworden war um die Ampeln zu sparen, von deren Rotmännchen die wenigsten sich hatten aufhalten lassen, wurde Marianne schnell von Treckern, Fahrrädern und Autos umfahren,  Trecker, Fahrräder, Autos die sich nicht mehr in eine der abgehenden Alleen flüchteten, sondern immer weiter im Kreis fuhren, alls hätten sie ihren Weg verloren.
Aus dem „Kolonialwarenladen Hergans“ kamen Leute, aus der Kirche ein paar der ganz Alten, aus der Schule die zwei Lehrer mit ihren Schülern und alle sahen zu Marianne hoch, zu ihrem Ast, ihrem Haar, dass leicht wehte als wäre es Vorbote der Blätter, die hier sonst vom Wind zum Tänzchen gebeten wurden.
Die Männer feixten und schielten unter ihr Kleidchen, wo kein Unterhöschen ihren Blicken verwehrte was ihnen weder gehörte noch schicklich war.
Die Stimmen, gefüllt mit den Augenblicken von Mariannes kurzem Höhenflug mit Landung auf dem Baum, schwollen auf und ab, ohne dass Marianne auf sie hörte oder gar einzelne Worte verstand. Sie sah und spürte, zu ihrem Glück,  auch nicht die gierigen Blicke an ihren fast formlosen, dünnen Beinen entlang. Sie sah den Himmel, befand sich im Himmel, fühlte sich leicht und warm und die Stimmen um sie herum waren ihr wie Wolken, die sie einluden, auf ihnen weiter zu ziehen, dorthin, wo wohl die Engel wohnen, von Maria beaufsichtigt.
So ging es eine ganze Weile bis die Burschen das Feuerwehrauto herausbrachten, dessen Leiter ausfuhren und Marianne, trotz deren verzweifelter Gegenwehr, hinunter holten, weil sie um sich schlug und biss, unsanft auf die Erde fallen ließen, viel unsanfter als des Sturmes Bö es mit ihr getan.
Da saß sie nun, zwischen all den Beinen, bis der Pfarrer kam, ihre Hand ergriff und sie hochzog.
„Danke dem Herrn, mein Kind!“
„Und der Maria!“ hauchte Marianne.
„Ja, der wohl auch, denn Du musst wirklich starke Schutzengel heute bei Dir gehabt haben. Aber bevor Du in die Kirche gehst, gehe bitte nach Hause und ziehe Dich vollständig an. „
Ja, auch der Pfarrer hatte hingesehen wo er besser nicht hingesehen hätte, nutzte oft die Gelegenheiten für Einblicke, ohne aber je dafür einer Person Gewalt an zu tun, nahm nur mit, was sich ergab, das aber konsequent, wenn auch heimlich.
Marianne nun, die hörte ihn, nickte, obwohl sie ihn nicht verstand.
Sie rannte nach Hause, zog sich einen Mantel über, obwohl es ihr warm war, rannte so wieder hinunter, wo noch immer viele Leute standen, nur die Männer, da es für die nichts mehr zusehen gab, nicht das, was sie im Stillen immer noch genossen, hatten sich verzogen.
Marianne ging durch die Menschen hindurch, die sie zu berühren versuchten, „so ein Glück“ murmelten oder „fast wie’n Heilige“, ging in die Kirche, wo der Pfarrer die kleinen Kerzen vor der Maria auffüllte, da gewiss jetzt viele hineinkämen und sie anzünden wollten, um so auch an dem Wunder der Marianne teil zu haben. Sie ging zur Maria, warf eine Mark in die hölzerne Spendenbox an der Wand, nahm wie dadurch gestattet zwei Kerzen und zündete sie auf dem schwarzen Eisenständer an, der einen Rosenstock symbolisieren sollte.
Der Pfarrer nickte ihr aufmunternd zu und stellte sich neben ihr beim Beten. Er war sicher, dass sie jetzt mit Unterhose bewaffnet war, auch wenn ihm die Wahrscheinlichkeit, dass sie bald wieder solch schamlosen Blicken ausgesetzt sein könnte, recht unwahrscheinlich vorkam.
Und bald schon waren alle Leute von der Kreuzung in die Kirche gekommen und dem Pfarrer fiel ein, was ihm noch nie eingefallen war. Er ging zum Altar und begann eine Messe, eine Messe für Marianne und ihr Wunder. Alle ließen es sich gefallen, gingen zu ihren Plätzen, sangen, hörten, sprachen, sangen, wie sie es gelernt hatten seit ewigen Zeiten in dieser Kirche, die einst mehr Burg und Schutz vor Überfällen war als Gotteshaus.
Und Marianne bekam kaum mit, hätte es wohl nicht glauben mögen, dass diese Messe ihr galt. Marianne betete und sang, wusste hinterher kaum wie sie zurück in ihr Heim gekommen war, wie alles wieder normal zu weden begann, die stimmen verschwanden, „Mariannes Wunder“ verblasste, mit ihm Ehrfurcht, respekt und Toleranz, wusste nicht, dass es ihr größter Tag gewesen sein sollte, einziger ohne Sorgen, dem Himmel nah wie nie, dass sie noch 60 Jahre später an den Krankenhausapparaten gebunden, dem Tode nah, daran denken sollte, wie zuvor in vielen schweren Stunden, die das Leben in seiner bisweilen echt hartherzigen und ungerechten Weise in Fülle ihr aufgetragen hatte. Unbeeindruckt hielt sie auch in den letzten Augenblicken ihres Daseins den Rosenkranz in ihren Händen, überzeugt davon, dass all ihr Beten ihr geholfen, Maria sie wunderbar getragen und gerettet habe. Die würde, so sah sie das Geschehnis als ihr Zeichen, gewiss alles angenehm für die Marianne im Himmel vorbereiten. Warum sonst hatte sie schon einmal dem so nah sein dürfen?
Aber auch für das Dorf geschah lange nichts mehr, was sich so erzählen ließe. Kriege und Herrscher kamen, trieben ihren Wahnsinn und verschwanden, wie auch alte Häuser und Betriebe verschwanden und neue kamen. Und als Marianne starb, war kaum noch einer Bauer, die meisten Familien fortgezogen oder kurz vor dem Aussterben.
Nur die Kirche und die Kastanie erinnerten mit gleichem Antlitz an die Zeit als Marianne auf den Baum flog.

Ja, vielleicht schreibe ich deswegen, wegen Mariannes einzigem Moment, der himmelsgleich ihr war und all denen, die so anders von den Stürmen der Zeit davon getragen werden. Und nicht alle landen so weich, wie die Marianne. Ja, weil sie nie darüber schreiben werden, nur die anderen sich die Münder wetzen, manche mit gierigem Blick, lüsterner Zunge über den Lippen. Ja, ich glaube, auch deswegen schreibe ich, dass auch die anderen Geschichten erzählt werden, die, die nicht ganz so lustig sind und wie der Barde Troubadix in den Asterixcomics ferngehalten werden, wenn es in den Gaststätten hoch und das Erzählen losgeht.

(c) bild + text jörn laue-weltring bad wildungen 2014

Dienstag, 25. Juni 2013

Der bestellte Sommer

für Heiko Bauriedl der weiß warum



Lieber alter Freund, stelle Dir vor, ruft mich mein Lektor dieser Tage an und bestellt im Auftrag seiner Verlegerin eine aktuelle Sommergeschichte bei mir, auf keinen Fall aber solle ich wieder über die Vergangenheit schreiben, nein, auf jeden Fall müsse es etwas über Sommer heute sein, am besten über den aktuellen Sommer, denn sie plane eine Ausgabe mit Sommergeschichten ihrer Autoren.
Auf meinen Einwurf, dass das Buch doch wohl für diesen Sommer zu spät käme und ob sie denn meine, die Leute hätten im Herbst wirklich noch Lust über diesen Sommer zu lesen mit all seinen Überschwemmungen, Stürmen, Zerstörungen in den Städten und Häusern, getöteten Menschen und Tieren und die lange noch nachdauernden üblen Gerüche über Seen und Flüssen, die Badeverbote wegen Krankheitserregern und Giften, so etwas wolle doch keiner mehr lesen, auf all das antwortete der doch glatt, dass es ja positive Geschichten sein sollten, Sommergeschichten wie die von Tucholsky damals, und es solle erst im nächsten Frühjahr erscheinen und zwei Wochen hätte ich Zeit, alle anderen hätten bereits zugesagt, zumindest die Lebenden.
Und so, lieber Freund, sitze ich nun hier und quäle mich noch mehr mit diesem Sommer ab, der heuer, bisher jedenfalls, noch nicht einmal ein richtiger Sommer war, muss es, ja, kann, darf nicht fehlen in dieser bekloppten Anthologie, da bei den paar Autoren dieses Kleinverlages, der dankenswerter Weise mir beim Überleben hilft und das dank dieses famosen Lektors, der als erster und bisher einziger mein Geschreibe für den Buchmarkt fähig hielt und, auch dies gerne zugegeben, durch seine feine Lektorarbeit an meinen Zeilen tatsächlich auch mit Erfolg für den Verlag und mich verwirklicht hat, also bei den paar Autoren ich sofort auffiele, wenn ich fehle und wer weiß schon die Konsequenzen von so etwas und so richtig leisten kann ich sie mir auch eher nicht.
Andererseits, Du weißt es ja selbst, in unserem Alter freuen wir uns mehr über Frühling und Herbst, vertragen die Hitze von Sommer und die Kälte vom Winter nicht mehr so recht und sind jedes Mal froh und erleichtert, wenn wir sie gesund überstanden haben.
Natürlich, früher war das anders, ganz anders, da gingen die Träume des Frühlings im Sommer in Erfüllung, da gab es nichts schöneres als aus der Hitze ins Wasser zu springen, zwischen den hohen Halmen zu radeln, über Berge und Brücken zu wandern, vor den Cafés an Getränken zu nippen, leicht bekleideten Mädels hinter her zu gaffen mit der damals zumindest noch theoretischen Chance auf ein schönes Abenteuer. Aber über diese Sommer soll ich ja dieses mal nichts von mir geben.
Stattdessen über heute, jetzt, diese Wochen, und da erklärt mir gerade der Radiowitzbold auch noch, dass heute der Welttag des Stacheldrahtes sei, weil der heute vor mehr als hundert Jahren zum Patent angemeldet worden sei. Stacheldraht! Welttag! Als wenn der das Wasser aufhalten könnte oder den Sturm bändigen. Im Sonnenschein sieht er auch nicht gerade schön aus, obwohl er schon zum Sommer gehört, weißt Du noch, wie wir unsere Hose an ihm rissen und dafür Ärger zu Hause bekamen, obwohl das auch im Herbst geschah wegen der schönen Äpfel.
Also den Stacheldraht lasse ich besser auch weg.
Was fängst Du mit dem Sommer an? Verkriechst Du Dich wie ich in den Schatten, schaust grimmig das Thermometer an, fallen Dir auch alle Bewegungen schwer, weil die Knochen matt und schlapp sind von der Hitze, oder sind es die langsam sich mehr und mehr sperrenden Muskeln?
Sehnst Du auch den milden Abend herbei, fängst erst dann an zu aufzuleben, genießt auf der Terrasse den Abendschmaus bei einem kühlen Glas Weißwein oder angenehm temperierten Rotwein?
Ich jedenfalls kenne nichts was mir heute mehr gefiele als diese angenehm warmen Sommerabende auf der Terrasse oder auf dem Rad bei einer kleinen Abendtour zwischen den Feldern und Weiden. Nur hatten wir bisher dieses Jahr davon man gerade eine Handvoll, vor und nach den Wassermassen und Stürmen.
Aber weißt Du, was ich nach wie vor merkwürdig und phantastisch finde: kaum sitze ich wie beschrieben am Abend mit meiner Frau so angenehm in die Nacht hinein, sind Wasser und Sturm wie ausgelöscht, als gäbe es sie nicht, nur diese herrlich entspannenden Wohlfühlmomente. Diese Fähigkeit scheint der Sommer auch uns Älteren, Alte darf man ja nicht mehr sagen, geschweige denn schreiben und das Wort Senioren mag ich nicht, jedenfalls bleibt diese Fähigkeit auch uns erhalten und schafft es weiterhin, dass auch wir dem Sommer noch etwas abgewinnen können.
Früher haben wir im Sommer ja regelmäßig unseren Urlaub gemacht, möglichst dort, wo garantiert die Sonne scheint. Heute aber verreisen wir nur noch im Frühling und Herbst, jeweils für ein paar Tage, nicht mehr diese langen drei Wochen, wozu auch, haben wir es uns daheim doch auch recht kommod eingerichtet, ja ich liebe dieses Wort „kommod“, und so freuen wir uns schon nach kurzen Ausflügen fast mehr auf unser Zuhause als vorher auf die Urlaubsfahrt. Na ja, fast.
Und nun grübele ich, wie daraus mir eine Erzählung zu wachsen soll, so eine richtige mit Handlung, Start, spannendem Höhepunkt und möglichst Happy End. Auf unserer Terrasse geschieht ja nichts, was wir auch sehr begrüßen. Ruhe suchen wir dort, keine Abenteuer. Das Aufregendste sind dort ein Igel, der in den Abendstunden schmatzend um unsere Terrakotta Töpfe streicht und die Fledermäuse, deren Körper für kurze Momente als kleine Schatten über uns hinweg huschen.
Spannender geht es natürlich auch zu, wenn die Kinder mit den Enkeln uns besuchen und wir auch die Hitze mit ihnen unter der Jalousie verbringen, den Kleinsten zu sehen oder mit ihnen herumalbern und soweit es uns möglich ist herumspielen. Ja, das genießen wir natürlich sehr und es ist im Sommer allemal schöner, herrlicher und lenkt wunderbarer ab, als zu den anderen Jahreszeiten in denen wir nur Spaziergänge mit ihnen machen können und ansonsten uns in Räumen aufhalten, meist Gaststätten mit irgendwelchen angeblich sensationellen Gerichten, die wir unbedingt probieren wollen oder sollen, während die Enkel sich eher langweilen und mühsam bei Laune gehalten.
Wir freuen uns jetzt schon auf den nächsten Besuch, da mag der Stacheldraht ruhig heuer seinen Welttag haben, und hoffen dafür auf Sonne und klaren Himmel.
Überhaupt der Himmel, findest Du nicht auch, dass der im Sommer stets am schönsten und aufregendsten ist? Man kann ihn von der Liege oder der Terrasse aus betrachten und in seinem Blau versinken, den Wolken nachschauen, sich von deren Formen erheitern lassen und bezaubern. Sommerhimmel, ein Gottesgeschenk, ein Hinweis auf das himmlische Paradies von dem so viele Menschen hoffen, es möge sie nach ihrem Weggang von hier in Gnaden aufnehmen für alle Ewigkeit.
Ist das Paradies wirklich ewiger Sommer? Ich möchte im Paradies auf keine der Jahreszeiten verzichten, stört der Körper sich doch nicht mehr an ihren Auswüchsen und Extremen, kann man endlich wieder alles so genießen wie einst in Kindertagen. Also, wenn es den gütigen Herrn geben sollte und sein ewiges Himmelreich, dann bitte mit allen Jahreszeiten und auch auf keinen Fall nur tropisch, also nur mit Regen- und Sommerzeit und schon gar nicht nur mit Sommer.
Wo aber nehme ich jetzt bloß eine Geschichte her, eine so schön wie die von dem Tucholsky mit seinem Schloss Gripsholm, dass der ja angeblich auch aufgrund eines solchen dubiosen Verlangens seines Verlegers geschrieben haben soll.
Seit ich verheiratet bin und das mehr und mehr mit den Jahren, gelingt es mir kaum noch Liebesgeschichten zu erfinden und mich daran zumindest beim Schreiben zu vergeben, bis sie zu Ende geschrieben ist. Ich kann sie auch nur in Vergangenheitsform, als gegenwärtig erscheint es mir absurd. Und die Liebe, die ich heute so genieße, ist keine Geschichte, keine Handlung, mehr ein Zustand, ein Dasein, ein kühlender Fächer im Sommer, ein wärmender Kachelofen und Wärmflasche zugleich im Winter, ist ein Blick in die Augen, gemeinsames Schweigen und Ruhen, mit vier Augen durch die Welt sehen, mit dem Körper des Anderen als zutiefst erkundete Landschaft, bestens vertraut und immer wieder als herrlich empfunden nicht zuletzt aufgrund der alten Erlebnisse und neuen, jungen Begegnungen mit der Schönheit des Alters.
Hörst Du, lieber Freund, sie hier lachen, sie lacht, weil sie die letzten Zeilen mitgelesen hat und versucht meine Glatze zu küssen und fest zu halten. Jetzt verdreht sie mir doch glatt den Kopf, ja in echt, dreht ihn so, dass ich nur noch blind tippen kann und ich ihr in die Augen sehen muss.
Und da sehe ich ihn wieder, meinen alten Frühlingstraum, sie, in der engen, noch tatsächlich im Sinne des Wortes, Bluejeans mit dem rotbraunen Ledergürtel, darüber diese weiße Bluse, die um ihren schlanken Oberkörper in kleinen Wellen flattert, ihr kräftiges, braunes Haar über meinen Augen tanzen und schmecke ihre Lippen.
Und jetzt küsst sie mich auch noch, hält weiter meinen Kopf fest, als wolle ich es nicht ebenso, küsst und mir wird ganz warm und kuschelig.
Ihre Arme sind weicher geworden, ihre Berührungen zarter, Kleider und Röcke mag sie inzwischen lieber als Hosen, wegen der Figur, wie sie meint, aber Blusen kräuseln sich immer noch um ihren Oberkörper und flattern leicht im Wind. So auch jetzt, wie sie da vor mir steht, die nackten Füße in den modernen Gummilatschen, fest im Stand, als müsste sie mich halten, dass ich nicht umfalle. Und küsst mich schon wieder.
„Was ist los“, schaffe ich es nach einem Kuss sie zu fragen.
„Na was? Sommer ist!“ antwortet sie ironisch, nein auch zärtlich mich angrinsend.
Sie hat recht, bei mir gehen plötzlich alle Türen auf und ich empfange den Sommer, den schönsten wie immer, den, den wir brauchen für unsere Körper und unser Seelenheil und umarme sie fest, genieße den Gegendruck ihres Bauches, spüre an der Wange ihren Busen und rieche, ja was? Ja, ich rieche ihn, rieche den Sommer!
Ziehe sie mir herunter, auf den Schoß und zusammen tippen wir weiter, starten mit einem Ausflug zu den Flusswiesen, auf denen wir unsere Wolldecke ausbreiten, wo wir uns langsam gegenseitig die Kleidungsstücke entfernen und daraufhin der schwache Wind aus dem leisen Rascheln der Büsche über unsere noch wintermüde Haut streichelt.
„Geht doch,“ meint sie und zeigt auf die Schwäne, die langsam an uns vorbeigleiten, die Raubvögel über den Baumkronen der Flussaue auf der anderen Seite.
„Siehst Du, wie immer!“
Ich sage nichts, will nur noch genießen, sie sehen, die Sonne spüren, den Himmel sehen, vergessen, wie viel Tage, Wochen, ja Monate ohne ihn verstrichen sind. Will nur noch das hier, was wir uns jeden Sommer gönnen, vor allem wenn aus den Nachbargärten die Grillschwaden zu uns herüber ziehen.
Den Geruch mögen wir nicht so gerne, jedenfalls nicht so häufig. Er kratzt uns zu sehr an unserem Sommergenuss.
Und so fliehen wir an den Fluss, kennen diese Stelle, die sonst keiner zu kennen scheint, schon lange, haben hier früher mit den Kindern gezeltet, davor sie hier vielleicht gezeugt, zeitlich käme es hin, und streicheln uns jetzt, einfach so, aus purer Lust am Streicheln, nicht mehr so wie zu Beginn unseres Liebens hier mit Ziel und Drang nach Erlösung, nein, heute sind wir schon vorab erlöst, streicheln und lassen geschehen, geben unseren Händen freien Auslauf, genießen einfach, was unsere Körper zu erzählen haben, gleiten von einer Handlung in die nächste, treiben wie auf einem Floß dahin, haben auch keinen Picknickkorb wie früher dabei, lassen den Hunger daheim, hören alles was um uns herum zwitschert, kaum wahrnehmbar ächzt und stöhnt am Wiesenrand, was flattert in den Lüften, uns selbst, unseren Herzschlag, den Atem, bis wir wie jedes Mal nichts mehr hören außer uns selbst, nichts mehr sehen mit den Augen, nur noch von innen uns schauen, dieses klare phantastische Bild von uns beim sommerlichen Lieben.
Sanfte Ermattung und kicherndes, aufgeregtes Flüstern wechseln sich ab mit Schlingern und Tanzen der Körper, mit entspannten Liegen Bauch an Bauch, Gesicht an Gesicht, während ich wie immer das Gefühl habe, ihr Haar rieche im Sommer einfach am schönsten, irgendwie sommerlich.
Wir haben kein Alter mehr, sind wieder zeitlos und unsterblich, haben keine Verpflichtungen mehr, weder im Haus noch auf der Arbeit, müssen nicht gehorchen und nicht lernen, haben keinen Wunschzettel, der vergeblich auf die Geschenke wartet, sind beschenkt, sind im Heute, im Hier und Jetzt in der größten Weite, die Leben bieten kann, sind das ganze Leben, nicht mehr nur durchorganisiertes Kleinteil davon, tanzen leicht über die Gräser, schweben liegend zu den Wolken, alles ist Gefühl, Gefühl ist wieder alles, wirklich alles und alles ist Liebe.
Aber das hier kann ich den Lesern natürlich nicht erzählen, geht sie nichts an, auch Dich geht es nichts an, lieber Freund.
Dieser Sommer gehört nämlich uns, meiner Frau und mir, ganz allein und wenn wir uns etwas wünschen, dann das, dass unsere Kinder auch möglichst viele dieser Sommer erleben mögen mit ihren Liebsten.
Und wie so häufig fallen gegen Abend plötzlich diese kleinen warmen Sommertropfen auf unsere Haut, die sich darauf und darüber freut. Unsere Gesichter sehen aus, als weinten wir, und ein bisschen tun wir es auch, innerlich. Wir weinen vor Glück.

„Und deine Sommergeschichte?“
„Züchte ich mir einen Kaktus drauf! Wer braucht im Sommer angebliche Sommergeschichten? Die will man doch lieber selber erleben und nicht nur lesen.“


In diesem Sinne, mache es gut, lieber alter Freund, bis zum nächsten Mal und schenke Dir und Euch Beiden in unserem Namen auch einen herrlichen Sommer ein, mit allen euren Zutaten.


Donnerstag, 21. März 2013

Peter Silie zum Tag der Poesie: Die Eule












Peter Silies Beitrag 
zum Tag der Poesie, 
heute, 21. März 2013



Es war das Jahr, in dem nicht nur der Frühling lange auf sich warten ließ, sondern auch die Sonne und mit ihr der blaue Himmel, der die Besucher bei uns so närrisch macht und die Kinder froh.

Wir fuhren zu einem schwedischen Möbelhaus auf der Landstraße und wussten nicht, ob wir in die Morgendämmerung rein oder aus der Abenddämmerung raus fuhren.

Da sah ich sie plötzlich durch die Autoscheibe auf einem der Eichenäste lauern. Gerade hatte ich auf dem Tacho gesehen, dass wir 43,5 Kilometer hinter uns gebracht hatten und die Uhr 20 Minuten nach zehn zeigte.

59 Jahre alt war ich in dem Moment, genauer, habe es zu Hause nachgerechnet, 59 Jahre, 4 Monate und drei Tage.

Und dann das: die Eule. Meine erste lebendig und frei in der Natur. 

Sie hockte da, sah mir scheinbar mit ihren großen Telleraugen ins Gesicht, ich ihren Schnabel, spürte ihre Haltung und obwohl ich noch den Kopf nach ihr umdrehte, war sie auch schon wieder vorbei, meinem Blickfeld entzogen.

Gut, dass ich dieses Mal nicht selber am Steuer saß.

Mein großer Moment. Noch heute, Wochen später, der Frühling ist doch noch gekommen und mit ihm die Sonne und der blaue Himmel, kann ich sie da hocken sehen, gerade, lauernd, stark, ja fast majestätisch, mich ansehen, obwohl ich weiß, dass sie sich nach Gehör orientiert, weil sie der Nacht gehört.

Meine Eule ist sie, die erste und vielleicht die letzte, die sich mir in meinem Leben zeigt. 

Mir erschienen, für mich dort oben auf dem Ast zwischen Himmel und Erde, zu der Zeit, da die Dämmerung nicht weichen wollte und wir der Nacht stets näher schienen als einem Tag.

Und ich spürte die Kraft in mir sich neu sammeln, neue Kraft und neue Hoffnung, dass sich doch noch alles wenden lässt im Leben, sogar durch mich. Schließlich hatte ich meine erste Eule gesehen und gespürt. Ihren Blick, ihre Furchtlosigkeit.

Und wenn ich mich wieder schlapp fühle, erschlagen, mich nicht aufraffen kann, dann kommt sie  zu mir, meine Eule. Dafür schenkte sie mir ihr Bild für meinen Kopf.

Sie kommt, ich sehe sie an und schon fühle ich mich stark und lege los, als hätte ich ihre Schwingen an.

Mittwoch, 20. März 2013

"Am Ende stehen wir da, wo wir angefangen haben." Fortsetzung 2 (Neubearbeitung und Integration von „Komm auf die Schaukel Luise“)







„Was musste sie sich, sie die stolze Hilde, ewiger Jungschwarm der Straße, „Mädel, warum hast Du keinen von uns genommen?!“, sportliches Idol der 7. Klasse, Tag für Tag hier ansehen? Diese milchigen Hände mit den dicken, blauen Adern, die wie Krallen das Brot packten, als könne hier jemand auf die nun wirklich unsinnige Idee kommen, ihm das Essen zu mopsen.  Ausgehungert hatten sie ja auch nichts von ihm, nur noch weniger zu erwarten. Nicht mal richtig am Tisch sitzen kann er, immer fielen ihm die Schultern fast in die Teetasse und dann diese schlappe, fahrige Geste, alle fünf Minuten, als wenn ihn ein Wecker auf die Sekunde genau antriebe, seine linke Hand langsam an die Stirn, die dünnen Haarsträhnen aus der Stirn streichend, über seinen kleinen Ansatz von Glatze nach hinten und dann Hand zurück vorsichtig auf den Tisch, als hätte er Angst vor der Berührung mit dem Holz, so war er, so ist er, so wird er wohl immer bleiben, dieser warum auch immer ihr Karl.

So war der ganze Kerl, wie diese sinnlose Geste, so sein Leben, nach dem noch nicht mal der Führer und seine Leute gerufen hatten, nicht die Wehrmacht, nicht der Volkssturm, auch nicht jetzt wo es wohl doch schief lief, mit dem ganzen großen Reich nicht mehr viel war. Und was machte er mitten in diesem Krieg, der Entscheidungsschlacht überhaupt wo alle anderen an den Fronten ihr Leben in die Waagschale werfen?  Rechnungen schreiben, mit zwei anderen Backpfeifen, unter dem Regiment eines invaliden Rentners, das mit seinen einunddreißig Jahren und Malocherkreuz. Im besten Mannesalter, in der größten Bedrohung in der der Führer und sein Volk jeden Mann brauchten.

„Was ist das für ein Schicksal, dass der Mann ein Mann ist und ich eine Frau?“ fragte sich Hilde wie schon so oft, wenn sie dieses zornige Grübeln überfiel. „ Ich hätte und würde sofort für den Führer alles geben. Und der da, der schafft es ja nicht einmal einem Kind das Leben in mir zu wecken. „ Dies war jedes Mal der Moment in ihrem abendlichen Gedankenspiel, an dem das Bild kam, dieses entsetzlich peinliche Bild, wie er sich tapsig, mit vorsichtigen, schlappen Händen an ihrem Leib zu schaffen machte, hier drückte, da entlang strich, als sei sie eine Mimose, ein Pflanzenblatt, wie sein Schweiß bald darauf auf sie tropfte, sein Gesicht sich so merkwürdig verzerrte, sein Atem röchelnd wurde, seine Hast, wie er kam und in ihr abließ, was sie noch gar nicht haben wollte, nicht so schnell, kaum , dass er in ihr ihr war, nachdem ssie resignierend die Beine geöffnet hatte. Und das ihr, die von starken Händen träumte, kräftigen Schenkeln und Stößen, von Kerlen, die sich trauen, wenn doch einmal nur einer irgendwo nachts, sie ganz heimlich ….! Warum nur hatte sie dieses Kind von Mann geheiratet, war ihrer Mutter und ihren Ratschlägen gefolgt, da wäre doch manch einer, den sie vorher, …. Nur nicht dran denken!  Ihr Karl hatte doch noch nicht mal gemerkt, dass sie ihre Jungfräulichkeit längst los war, sie verfluchte noch immer den leichtsinnigen Abend, auch von ihrer Mutter arrangiert, wo der Kerl sie in das Bett ihrer Mutter gezerrt hatte und sich ausgetobt, als wäre sie seine Mangelrolle. Der hatte sie hin und her geworfen, war Gewalt pur gewesen und lange brauchte es bis er endlich kam. Und dafür ließ er es auch noch auf ihren Bauch tropfen, der so von Folgen bewahrt blieb. Danach hatte sie immerhin den Freibrief gehabt es mit mehreren zu probieren, Häutchen war eh hin. Nur wollte keiner der Kerle bleiben, egal wie gut es ihnen geschmeckt hatte und ihr. Wollten alle was Solides. Und darum ging es ja auch ihrer Mutter. „Du musst Dich beeilen, sonst bleibst Du als alte Jungfer hängen. „  Das wollte sie natürlich auch nicht,. Hatte ja gehofft, auf ihre Art einen Kerl fester zu packen. Doch es kam halt so, diese Kundgebung, dieser Hinweis, den die Mutter verteufelt von wem erhalten hatte, und dieser Karl hatte doch glatt zugegriffen, war zu allem bereit. Na ja, das würde ihr heute nicht mehr geschehen. Aber was nützte ihr das. Führer kurz vor dem Scheitern, ein Kerl am Hals ohne Mumm. Was sollte, was konnte da noch kommen für sie. Warum hatte sie dieses große, tapsige Kind geheiratet und keinen richtigen Mann?!
Die Arschkriecher, die erst später eingetreten waren, was hatten die für Karieren gemacht?! Und Karl und sie?!  Natürlich hatten die nicht eine Sekunde Karl auf der Liste geführt, war er doch schon 1932, bei seinem Eintritt, den sie immer noch nicht richtig verstand, was hatte den ausgerechnet dazu geführt, war von Anfang an nur ein Mitläufer, einer mit Mühe und Not seinen Federhalter im Büro über die Akten führte.
Seinetwegen mussten sie in diesem viel zu kleinen, engen Haus wohnen bleiben, als wenn sie dem nachgetrauert hätte nur wegen dem alten Sack, dem Vater und ihrer Mutter, die sich noch nie sehr dafür stark gemacht hatte. Ein starker Typ ja, immer sofort zur Stelle und Kommandos ohne Ende, weiß der Teufel, wie der ihre Mutter im Bett behandelt hatte, vor allem nach seinen Heimkünften mit bärenmäßigen Räuschen.  Zu ihr, ja, der war meistens nett gewesen, mit Süßigkeiten und über das Haar streichen, immer mit Lob und gerne auf seinem Schoß gesessen hatte sie, irgendwie blöd von der Mutter dabei angesehen. Die hatte es sie spüren lassen, wenn er weg war! Und wie! Mache doch aus dir kein Turteltäubchen. Das Prinzeschen konnte sie sich abschmieren, dafür sorgte die Alte.
Aber später, als es darauf ankam, sie keine Ausbildung bekommen und nur diese Arbeiten an den Fließbändern bekommen hatte, ja, da war die da! Und als keiner der Kerle sie nehmen wollte als Braut mit Haus und Einkommen, da sprang sie ein. Verhalf ihr zur Karl, immerhin. Einkommen war gesichert, das Haus wurde weiter abgezahlt, sie konnte zu Hause bleiben, auf Hausfrau machen, sich die Zeit einteilen. Aber nie hatte es gereicht zu den großen Auftritten, Auszeichnungen, nicht dazu, ohne ihre Mutter zu leben. Wenigstens in einem größeren Haus mit ihr in der Dachwohnung wie andere es geschafft hatten.
Schon ihr Vater hatte diese kleine Bienenwabe, wie er es nannte, nur als „vorübergehendes Heim“ angesehen, nur war sein grandioses Geschäft zu früh pleite gegangen, aber was sollte er auch gegen diese wahnsinnige Inflation ausrichten, irgendwann hatte er mehr Papiere in Geldform als Waren. Wahrscheinlich hatte das ihn mehr hingerafft als der Suff, was die Leute auf der dann doch noch wirklich großen Beerdigung hinter ihrem Rücken getuschelt hatten.
„Oh Vater, gut, dass Du ihn nicht mehr kennen gelernt hast, sehen musstest, wie wir hier versauern!“
Der war ein Mann, und für Deutschland an der Front! Hatte dabei so einiges für seine Familie zu Hause bei der Versorgung schieben und schicken können.  Wer das Glück hat und es nicht anpackt, hat selber schuld! So war sein Spruch dazu gewesen. „Und gekämpft hast Du trotzdem, die Front nicht gemieden, wie meiner.“ Und so die Mutter gewonnen, war mit ihr glücklich verheiratet worden, und Vater, nicht wie sie, deren Kinder wohl im Himmel warteten, aber einfach nicht bei ihr eintreffen wollten. Ja, die beiden, da hatte jeder Respekt vor, auch nach der Pleite!
Sie hatte ihn nicht mehr sehen dürfen,  mit seinem Loch im Kopf im leeren Geschäft, an dem großen Schreibtisch mit den vielen Papieren, die zum Schluss immer weniger geworden waren, aber nicht, weil er besser aufgeräumt hätte. Das war ihrer Ansicht sowieso Sache der Frauen, also ihrer Mutter Sache.
Mutter hatte ihr selbstverständlich verboten zu weinen. „Wer sind wir denn!  Habe immer Respekt vor Deinem Vater, der hat auch nicht geheult! „  Aber sie war weder gehorsam noch in der Lage dazu gewesen, auf ihre Tränen Einfluss zu nehmen,. Er fehlte ihr so sehr.
„ Dein Vater tat immer seine Pflicht, hat immer mehr an uns als an sich selbst gedacht!  Er war tapfer, Dein Vater, bis zum Schluss!  Er tat immer seine Pflicht, hat uns gut ernährt und beschützt in schwierigsten Zeiten!
Er war immer tapfer, mein Mann, dein Vater! Wir können stolz auf ihn sein, für immer! Wenn er auch nur ein kleiner Krauter war, hatte er doch den gleichen Mut wie sie am Anfang jedenfalls Führer und seine Leute besaßen! Vergiss das nie!“  
Hilde hatte ihr das gerne geglaubt, wenn sie auch das Gefühl nicht verdrängen konnte, dass sie mehr um ihren Vater trauerte als ihre Mutter.
Und dann hatte sie auf Anraten und Initiative ihrer Mutter den schmächtigen Hungerlappen, kurzatmigen und dünngesichtigen Karl geheiratet. Warum nur?
Diese Frage trieb sie um und Schuldgefühle gegenüber ihrem Vater, der sich so viel von ihr versprochen hatte. Und so kam es, dass sie sich vor dem Bild ihres Vaters auf der kleinen Anrichte im Wohnzimmer schämte, dass ihr jeden Abend bei jedem Umdrehen in Richtung Tür neben dem Bild des Führers , nur etwas kleiner, in die Augen sah.

Ihre Mutter war mehr mit dem Essen beschäftigt, was überhaupt zu ihrem Hauptlebensinhalt geworden zu sein schien, außer ihrer Lust ihren Schwiegersohn zu malträtieren.  Sie kaute stets schnell und erfolgreich, war immer als erste fertig. Sobald sie alles verspeist hatte, was sie zu sich nehmen wollte, räumte sie ohne sich um ihre Tochter und den Schwiegersohn zu kümmern, sofort alle Brotteller und Auflage nebst Butter und Streichmesser weg.

Karls Messer war an der Spitze abgebrochen.  Ohne große sichtbare Regung gab er es hin und nahm die restliche Hälfte seiner Brotscheibe in die Hand, biss dabei bedächtig ab, Essen war für ihn nun mal eine wichtige Beschäftigung an diesem Tisch und bei ihrem Zusammenhocken, dem er nun mal nicht entkommen konnte.“

Wir haben uns ausgesprochen. Ab heute beginnt etwas Neues, von dem wir nicht wissen, worauf es hinausläuft. Sie war traurig und entsetzt. So etwas mit mir war unerwartet, passte überhaupt nicht in das Bild. Vorsichtig habe ich ihr meinen Plan erklärt. Solange kein Psychologe für mich Zeit hätte, keiner unter drei Monaten Wartezeit, würde ich weiter meiner Geschichte nach spüren, anhand der der vorhandenen Bilder und mit Textversuchen darüber.  Sie willigte unsicher sein.

"Am Ende stehen wir da, wo wir angefangen haben." Fortsetzung 2 (Neubearbeitung und Integration von „Komm auf die Schaukel Luise“)








„Was musste sie sich, sie die stolze Hilde, ewiger Jungschwarm der Straße, „Mädel, warum hast Du keinen von uns genommen?!“, sportliches Idol der 7. Klasse, Tag für Tag hier ansehen? Diese milchigen Hände mit den dicken, blauen Adern, die wie Krallen das Brot packten, als könne hier jemand auf die nun wirklich unsinnige Idee kommen, ihm das Essen zu mopsen.  Ausgehungert hatten sie ja auch nichts von ihm, nur noch weniger zu erwarten. Nicht mal richtig am Tisch sitzen kann er, immer fielen ihm die Schultern fast in die Teetasse und dann diese schlappe, fahrige Geste, alle fünf Minuten, als wenn ihn ein Wecker auf die Sekunde genau antriebe, seine linke Hand langsam an die Stirn, die dünnen Haarsträhnen aus der Stirn streichend, über seinen kleinen Ansatz von Glatze nach hinten und dann Hand zurück vorsichtig auf den Tisch, als hätte er Angst vor der Berührung mit dem Holz, so war er, so ist er, so wird er wohl immer bleiben, dieser warum auch immer ihr Karl.

So war der ganze Kerl, wie diese sinnlose Geste, so sein Leben, nach dem noch nicht mal der Führer und seine Leute gerufen hatten, nicht die Wehrmacht, nicht der Volkssturm, auch nicht jetzt wo es wohl doch schief lief, mit dem ganzen großen Reich nicht mehr viel war. Und was machte er mitten in diesem Krieg, der Entscheidungsschlacht überhaupt wo alle anderen an den Fronten ihr Leben in die Waagschale werfen?  Rechnungen schreiben, mit zwei anderen Backpfeifen, unter dem Regiment eines invaliden Rentners, das mit seinen einunddreißig Jahren und Malocherkreuz. Im besten Mannesalter, in der größten Bedrohung in der der Führer und sein Volk jeden Mann brauchten.

„Was ist das für ein Schicksal, dass der Mann ein Mann ist und ich eine Frau?“ fragte sich Hilde wie schon so oft, wenn sie dieses zornige Grübeln überfiel. „ Ich hätte und würde sofort für den Führer alles geben. Und der da, der schafft es ja nicht einmal einem Kind das Leben in mir zu wecken. „ Dies war jedes Mal der Moment in ihrem abendlichen Gedankenspiel, an dem das Bild kam, dieses entsetzlich peinliche Bild, wie er sich tapsig, mit vorsichtigen, schlappen Händen an ihrem Leib zu schaffen machte, hier drückte, da entlang strich, als sei sie eine Mimose, ein Pflanzenblatt, wie sein Schweiß bald darauf auf sie tropfte, sein Gesicht sich so merkwürdig verzerrte, sein Atem röchelnd wurde, seine Hast, wie er kam und in ihr abließ, was sie noch gar nicht haben wollte, nicht so schnell, kaum , dass er in ihr ihr war, nachdem ssie resignierend die Beine geöffnet hatte. Und das ihr, die von starken Händen träumte, kräftigen Schenkeln und Stößen, von Kerlen, die sich trauen, wenn doch einmal nur einer irgendwo nachts, sie ganz heimlich ….! Warum nur hatte sie dieses Kind von Mann geheiratet, war ihrer Mutter und ihren Ratschlägen gefolgt, da wäre doch manch einer, den sie vorher, …. Nur nicht dran denken!  Ihr Karl hatte doch noch nicht mal gemerkt, dass sie ihre Jungfräulichkeit längst los war, sie verfluchte noch immer den leichtsinnigen Abend, auch von ihrer Mutter arrangiert, wo der Kerl sie in das Bett ihrer Mutter gezerrt hatte und sich ausgetobt, als wäre sie seine Mangelrolle. Der hatte sie hin und her geworfen, war Gewalt pur gewesen und lange brauchte es bis er endlich kam. Und dafür ließ er es auch noch auf ihren Bauch tropfen, der so von Folgen bewahrt blieb. Danach hatte sie immerhin den Freibrief gehabt es mit mehreren zu probieren, Häutchen war eh hin. Nur wollte keiner der Kerle bleiben, egal wie gut es ihnen geschmeckt hatte und ihr. Wollten alle was Solides. Und darum ging es ja auch ihrer Mutter. „Du musst Dich beeilen, sonst bleibst Du als alte Jungfer hängen. „  Das wollte sie natürlich auch nicht,. Hatte ja gehofft, auf ihre Art einen Kerl fester zu packen. Doch es kam halt so, diese Kundgebung, dieser Hinweis, den die Mutter verteufelt von wem erhalten hatte, und dieser Karl hatte doch glatt zugegriffen, war zu allem bereit. Na ja, das würde ihr heute nicht mehr geschehen. Aber was nützte ihr das. Führer kurz vor dem Scheitern, ein Kerl am Hals ohne Mumm. Was sollte, was konnte da noch kommen für sie. Warum hatte sie dieses große, tapsige Kind geheiratet und keinen richtigen Mann?!
Die Arschkriecher, die erst später eingetreten waren, was hatten die für Karieren gemacht?! Und Karl und sie?!  Natürlich hatten die nicht eine Sekunde Karl auf der Liste geführt, war er doch schon 1932, bei seinem Eintritt, den sie immer noch nicht richtig verstand, was hatte den ausgerechnet dazu geführt, war von Anfang an nur ein Mitläufer, einer mit Mühe und Not seinen Federhalter im Büro über die Akten führte.
Seinetwegen mussten sie in diesem viel zu kleinen, engen Haus wohnen bleiben, als wenn sie dem nachgetrauert hätte nur wegen dem alten Sack, dem Vater und ihrer Mutter, die sich noch nie sehr dafür stark gemacht hatte. Ein starker Typ ja, immer sofort zur Stelle und Kommandos ohne Ende, weiß der Teufel, wie der ihre Mutter im Bett behandelt hatte, vor allem nach seinen Heimkünften mit bärenmäßigen Räuschen.  Zu ihr, ja, der war meistens nett gewesen, mit Süßigkeiten und über das Haar streichen, immer mit Lob und gerne auf seinem Schoß gesessen hatte sie, irgendwie blöd von der Mutter dabei angesehen. Die hatte es sie spüren lassen, wenn er weg war! Und wie! Mache doch aus dir kein Turteltäubchen. Das Prinzeschen konnte sie sich abschmieren, dafür sorgte die Alte.
Aber später, als es darauf ankam, sie keine Ausbildung bekommen und nur diese Arbeiten an den Fließbändern bekommen hatte, ja, da war die da! Und als keiner der Kerle sie nehmen wollte als Braut mit Haus und Einkommen, da sprang sie ein. Verhalf ihr zur Karl, immerhin. Einkommen war gesichert, das Haus wurde weiter abgezahlt, sie konnte zu Hause bleiben, auf Hausfrau machen, sich die Zeit einteilen. Aber nie hatte es gereicht zu den großen Auftritten, Auszeichnungen, nicht dazu, ohne ihre Mutter zu leben. Wenigstens in einem größeren Haus mit ihr in der Dachwohnung wie andere es geschafft hatten.
Schon ihr Vater hatte diese kleine Bienenwabe, wie er es nannte, nur als „vorübergehendes Heim“ angesehen, nur war sein grandioses Geschäft zu früh pleite gegangen, aber was sollte er auch gegen diese wahnsinnige Inflation ausrichten, irgendwann hatte er mehr Papiere in Geldform als Waren. Wahrscheinlich hatte das ihn mehr hingerafft als der Suff, was die Leute auf der dann doch noch wirklich großen Beerdigung hinter ihrem Rücken getuschelt hatten.
„Oh Vater, gut, dass Du ihn nicht mehr kennen gelernt hast, sehen musstest, wie wir hier versauern!“
Der war ein Mann, und für Deutschland an der Front! Hatte dabei so einiges für seine Familie zu Hause bei der Versorgung schieben und schicken können.  Wer das Glück hat und es nicht anpackt, hat selber schuld! So war sein Spruch dazu gewesen. „Und gekämpft hast Du trotzdem, die Front nicht gemieden, wie meiner.“ Und so die Mutter gewonnen, war mit ihr glücklich verheiratet worden, und Vater, nicht wie sie, deren Kinder wohl im Himmel warteten, aber einfach nicht bei ihr eintreffen wollten. Ja, die beiden, da hatte jeder Respekt vor, auch nach der Pleite!
Sie hatte ihn nicht mehr sehen dürfen,  mit seinem Loch im Kopf im leeren Geschäft, an dem großen Schreibtisch mit den vielen Papieren, die zum Schluss immer weniger geworden waren, aber nicht, weil er besser aufgeräumt hätte. Das war ihrer Ansicht sowieso Sache der Frauen, also ihrer Mutter Sache.
Mutter hatte ihr selbstverständlich verboten zu weinen. „Wer sind wir denn!  Habe immer Respekt vor Deinem Vater, der hat auch nicht geheult! „  Aber sie war weder gehorsam noch in der Lage dazu gewesen, auf ihre Tränen Einfluss zu nehmen,. Er fehlte ihr so sehr.
„ Dein Vater tat immer seine Pflicht, hat immer mehr an uns als an sich selbst gedacht!  Er war tapfer, Dein Vater, bis zum Schluss!  Er tat immer seine Pflicht, hat uns gut ernährt und beschützt in schwierigsten Zeiten!
Er war immer tapfer, mein Mann, dein Vater! Wir können stolz auf ihn sein, für immer! Wenn er auch nur ein kleiner Krauter war, hatte er doch den gleichen Mut wie sie am Anfang jedenfalls Führer und seine Leute besaßen! Vergiss das nie!“  
Hilde hatte ihr das gerne geglaubt, wenn sie auch das Gefühl nicht verdrängen konnte, dass sie mehr um ihren Vater trauerte als ihre Mutter.
Und dann hatte sie auf Anraten und Initiative ihrer Mutter den schmächtigen Hungerlappen, kurzatmigen und dünngesichtigen Karl geheiratet. Warum nur?
Diese Frage trieb sie um und Schuldgefühle gegenüber ihrem Vater, der sich so viel von ihr versprochen hatte. Und so kam es, dass sie sich vor dem Bild ihres Vaters auf der kleinen Anrichte im Wohnzimmer schämte, dass ihr jeden Abend bei jedem Umdrehen in Richtung Tür neben dem Bild des Führers , nur etwas kleiner, in die Augen sah.

Ihre Mutter war mehr mit dem Essen beschäftigt, was überhaupt zu ihrem Hauptlebensinhalt geworden zu sein schien, außer ihrer Lust ihren Schwiegersohn zu malträtieren.  Sie kaute stets schnell und erfolgreich, war immer als erste fertig. Sobald sie alles verspeist hatte, was sie zu sich nehmen wollte, räumte sie ohne sich um ihre Tochter und den Schwiegersohn zu kümmern, sofort alle Brotteller und Auflage nebst Butter und Streichmesser weg.

Karls Messer war an der Spitze abgebrochen.  Ohne große sichtbare Regung gab er es hin und nahm die restliche Hälfte seiner Brotscheibe in die Hand, biss dabei bedächtig ab, Essen war für ihn nun mal eine wichtige Beschäftigung an diesem Tisch und bei ihrem Zusammenhocken, dem er nun mal nicht entkommen konnte.“

Wir haben uns ausgesprochen. Ab heute beginnt etwas Neues, von dem wir nicht wissen, worauf es hinausläuft. Sie war traurig und entsetzt. So etwas mit mir war unerwartet, passte überhaupt nicht in das Bild. Vorsichtig habe ich ihr meinen Plan erklärt. Solange kein Psychologe für mich Zeit hätte, keiner unter drei Monaten Wartezeit, würde ich weiter meiner Geschichte nach spüren, anhand der der vorhandenen Bilder und mit Textversuchen darüber.  Sie willigte unsicher sein.