Ab
und zu raffte ich mich auf, Roswitha, ehemaliges Kindermädchen für Onkel und
Tante, nun rechtmäßige Witwe und Erbin meines Großvaters, in ihrem Elternhaus
am Rande der Stadt zu besuchen. Vor allem nach dem verwässerten und nicht sehr
erhellenden Trip nach Wilhelmshaven, der Suche nach Bildern und Gedanken von
Diddi und Agatha, bekam
ich das Bedürfnis, besser ein schlechtes Gewissen, auch mal die andere Seite betrachten
zu müssen:
Die
Kums, die zwar auch irgendwann aus Polen rüber kamen, lange vor Diddi seiner Sippe, in Polen wohl aber nur zwei drei
Generationen gesiedelt, gearbeitet, was weiß ich, hatten und nun quer über das
heute angrenzende nordische Bundesland verteilt ihre Stammbäume unabhängig
voneinander erweiterten. Der Nachname war ein Rätsel und ließ sich zwar finden,
nicht aber schlüssig herleiten. Alle
zusammen hatten es laut Internet auf zurzeit knapp 100 lebende Kum gebracht,
mit nur knapp dreißig, die ihr Telefon angemeldet hatten, dafür auf ein
viertelhundert Städte und Landkreise verteilt.
Irritierend
wie so vieles in dieser Seite meiner Herkunftsgeschichte, die Namen, die ich
dort fand im Netz: Sung Bin, Cemile, Mustafa, Du-Nam, Zülfikar, Bülent oder
Yadigar. Nur drei Namen erinnerten an meine Kum-Seite: Daniel, Patrizia und Stefanie.
Wir aber hießen alle anders und waren nicht zu finden.
Auch
die Übersetzungs- und Herleitungshinweise lassen mich eher ratlos zurück: „Abkürzung
für Indian Ehrentitel Kumari für unverheiratete Frauen“ oder „chinesisches
asiatisches Instrument“. Vielleicht kamen sie aber einfach und schlicht nur vom
Berg Kum in Slowenien, aus der Stadt oder dem Dorf Qom im Iran und
Aserbeidschan ist mit Ghom auch noch im Angebot. Als Kim wird es mir zu
Chinesisch, da glaube ich eher an die beiden Orts- oder den Bergnamen.
Es
ist eine stille, mit sanften Farben vor sich hin ruhende Straße, die mich
empfängt und an deren Ende, links vor der Schleife für die Autobesitzer, die
hier nicht wenden müssen sondern Halbkreis fahrend wieder aus der Straße raus
finden, so hoffe ich, auch sie mich empfängt, vielleicht mit einem Kaffee und
einem Stück selbstgebackenen Kuchen.
Aber
ich habe Pech. Auf mein Klingeln öffnet niemand und vom Seitenweg aus kann ich
über die Büsche schielend auch niemanden entdecken. Schade. Vielleicht sollte
ich doch mal vorher anrufen. Zu gerne hätte ich mit ihr an dem Tisch gesessen,
wo auch er zumeist geduldig saß und ihr beim Arbeiten in der Küche zu sah.
Vielleicht hätte ich ihn innerlich spüren, riechen, noch mehr sehen können.
Vielleicht. So gehe ich fort von hier,
nur diese Geschichte, die sie mir in Fragmenten einmal erzählt hatte, eben an
jenem Tisch, im Kopf:
„Wie
oft schon hatten sie so zusammengesessen,
an diesem kleinen Tisch mit der durch die Tassen und Gläser arg in
Mitleidenschaft gezogenen Farbe, nun bereit an einigen Stellen auf zu platzen
und ab zu blättern, weil die Tischdecken geschont werden mussten, nur für
besondere Anlässe da waren, in diesem trüben Licht einer einzigen nackten
Glühbirne, die leicht zu schwingen begann in ihrer Fassung, wenn sie sich durch
den Raum bewegten, bei Luftalarm sofort von einem Handtuch bedeckt?
Karl
Feldmann fiel keine Zahl dazu ein, nur das Bild seiner Hochzeit mit Hilde in
diesem Stadtteil, in dem er seither wohnte, fern seines Stadtteils, der alten Freunde
und Nachbarn, der Eltern, die den Krieg nicht mehr erreicht hatten, verstorben
in den Hundejahren der zwanziger, Tuberkulose, wie so mancher seiner
Schulkameraden.
1932,
das wäre eine Zahl gewesen. Oder sein
damaliges Alter: 18 Jahre. Oder die
Parteizugehörigkeit, seine Parteizugehörigkeit, nicht ihre: 1 Jahr vor ihrem
erstem Zusammentreffen.
Sie
waren tatsächlich, wenn auch zufällig am gleichen Tag eingetreten, in
verschiedenen Ortsgruppen. Er in seiner
am Bahndamm der Werkszüge für die Lagerhäuser und Werften, die Mühlen und
Kaffeefabriken, in der vor allem die Krauter, die Bürohengste mit ihren Miezen
und ein paar Arbeitslose die ersten Mitglieder stellten, sie hier, wo die Häuser klein und schmächtig
in erster Linie Arbeiter und kleinen Angestellteneinkommen gesicherten, warmen
Unterschlupf, und vor allem für sie ohne größere Einschränkungen finanzierbar,
bot, die Partei hier nur mühsam, so richtig eigentlich erst nach dem Sieg des
Führers über die Weimarer Republik, nennenswert Mitglieder gewann. Auf dieser
gemeinsamen Veranstaltung im Norden der Stadt, im Herzen der Stadtteile der
Roten, mit dem späteren hiesigen Gauleiter, war es irgendwie mit ihnen
geschehen, vielleicht begünstigt durch die Stimmung, dieser Euphorie über den
Sieg, das Gefühl der Kraft und mit sicherer Zukunft in der Tasche, da es jetzt
doch endlich aufwärts gehen sollte, keine haarsträubende Inflation mehr, deren
Billionen-Scheine noch immer auf dem Dachboden in dem Pappkarton schmorten, auch keine Straßenschlachten mehr, keine
Streiks, keine Fluchten durch die hier so beliebten, notwendigen,
lebensrettenden Schrebergärten und über die Dächer von Feuerleiter zu
Feuerleiter. Ja, er Karl, Karl Feldmann hatte von alledem genug, die Schnauze
voll, von diesen Roten, deren Arbeiterparadies, das ja doch nicht kommen würde,
nur Krieg und Verfolgung auslösen konnte, er, Karl, wollte Sicherheit, jetzt
und für immer, und seine Ruhe.
Sie
jedenfalls war ihm um den Hals gefallen, einfach so, obwohl er sie gar nicht
kannte, bis dahin auch nicht beachtet hatte, obwohl ihr Röschenkleid mit dem
weit sich bauschenden Falten ab dem Po, ihre dunklen Haare, die in dichten
Locken ihr Gesicht umrahmten, diese strahlenden, blauen Augen in diesem Moment,
da sie sich förmlich in sein Leben hineinwarf, in seine nur zögernd sie aufnehmenden
Arme, ihm sofort gefielen, in etwa seinem Bild einer möglichen, netten Braut
entsprach und so fing er auf, was kam, hielt schüchtern fest, was da bei ihm
blieb und laut rief „Wir, wir die wir von Anfang dazu gehört haben, hört ihr?
Wir haben gesiegt! Wir sind Deutschlands Zukunft! Jetzt hält uns nicht mehr
auf!“ Und Karl, der zwar ähnlich dachte, fühlte, sich aber nie getraut hätte in
diesem Saal mit den hunderten von Leuten, so etwas laut von sich zu geben,
drückte sie zur Bestätigung, sagte nichts, genoss, was an Leib er spüren
konnte, riechen, drücken, den Grund des Widerstandes an bestimmten Stellen
erahnen, wartete ab, wie lange sie so bei ihm bleiben würde, während vorne auf
der Bühne der Redner das Mikrophon zerschrie und den Staub von den Bodenbrettern
hochstampfte, dass er wie Nebel um seine braune Hosenbeine schwebte.“
Ab
jetzt trage ich auch so einen kleinen, klappbaren Computer mit mir rum. Hat mir
heute beim Arzt schon sehr geholfen, die Zeit zu überbrücken. Leider nicht beim
Verdauen seiner Diagnose und, so habe ich es empfunden, seines Befehls: „Ich
schreibe sie jetzt endgültig krank und stellen Sie sich auf ein paar Wochen,
vielleicht sogar Monate ein. Vor allem meiden Sie Ihre Arbeit und alles, ich
sage alles, Herr Kum, was damit zu tun hat!“
Ich
sah ihn, fragte ob es das sei was …, er nickte und ich wusste, dass es
eigentlich nicht neu für mich wahr, nicht wirklich, nur nicht akzeptiert, nicht
für mich, schon gar nicht wo es zur Zeit überall Thema war. Und jetzt schleiche
raus und frage mich, wie ich es anstellen soll, was er da von mir verlangte. „Wenn
Ihnen ihr Leben noch lieb ist!“ Gut Reden hatte er, sah auch nicht besser aus
hinter seinem Schreibtisch, viel zu dick für sein Alter, zu müde im Gesicht, zu
blass die Haut und davor sah es auch nicht besser aus, nur nach viel Arbeit,
wenig Ruhe, purer Stress!
Bringt
mich auch nicht weiter. Vor drei Jahren hatte ich bereits gespürt, dass ich in
meinem Leben etwas ändern, anders vorgehen muss mit mir und meiner Zeit. Durch
einen Zufall kam ich auf die Idee als selbständiger „fliegender Wurstverkäufer“
die Innenstadt zu beglücken. Nach dem die Wogen der Entrüstung vorbei waren,
akzeptierten alle in meiner Umgebung den Schritt, vor allem, als sie sahen,
dass ich damit viel Erfolg und bereits nach kurzer Zeit 10 Angestellte hatte,
die abwechselnd wie ich mit einem Grill vor dem Bauch Bratwurstspezialitäten
aus dem Süden des Landes anboten. Natürlich begann damit neuer Stress, durch
Krankheitsausfälle, Unzuverlässigkeit mancher Mitarbeiter, Behördenkrieg, Ärger
mit Imbissbetreibern, deren Umsatz ich offensichtlich zu sehr schmälerte, und
und und!
Und
jetzt alles zu Ende, Schluss, aus? Aber wie?
Gleich
um die Ecke setze ich mich in eines meiner Lieblingscafés, von der Betreiberin
liebevoll mit Mosaiken, witzigen Stühlen und Tischen selbst ausgestattet, hervorragenden Kleinigkeiten zum
Schnabulieren. Genau das richtige für mich jetzt und um mich erst mal ab zu
lenken, lese ich, was ich bisher über ihn, Roswithas Besucher, formuliert
hatte:
„Ja,
so hatte es angefangen. Der erste von vielen späteren Abenden, an dem er nicht
mit seinen Nachbarn und Kumpels weiter gezogen war, auch Bier hatte er sich
nicht getraut in ihrer Gegenwart zu trinken und die Shag-Pfeife ließ er auch
lieber in der Jackentasche, wegen dem Atem. Sie hat ihm nie erklärt, wie es zu diesem
Überfall, zu dieser Umarmung gekommen war, warum sie ihn ausgesucht hatte und
keinen anderen. Genug Auswahl war schließlich dagewesen. Sei es wie sei, gewesen ist gewesen, so oder
so, Karl dachte nicht gerne darüber nach, sinnlos erschien es ihm schon lange
mit den Gedanken in der Vergangenheit zu wühlen, auch diesen schönsten, ja sicher mit Abstand
schönsten Moment ihrer Beziehung suchte er nicht gerne auf, irgendwie schien es
ihm als lauere auch dort etwas Dunkles dahinter, was er besser nicht antraf
oder erfahren wollte. Heute ist heute, dachte Karl, „ändern kannste nix, musse
so hinnehmen“. Was konnte das Grübeln
schon bewegen, sind andere schon dran verrückt geworden. Er kannte da welche.
Dicht
an seinem Ohr plärrte der Volksempfänger auf dem Brett in der Ecke über dem
Tischchen mit der Leselampe, warum er immer so dicht daran sitzen musste, wo
Hildes Mutter doch schwerhörig war und er es nicht werden wollte, jedenfalls
saß er so dicht dran und bekam wider ein leichtes Ziehen in den Ohren mit
diesem Druck von ganz innen, bekam keine Erlaubnis das „Ding“, wie er es nur
noch nannte, einfach aus zu stellen, andererseits war es das einzig noch
intakte in dieser Küche, seitdem sie ihre Bomben über die Straßen hier warfen,
angekündigt wurden in dem „Ding“ anstelle von Etappensiegen, Aufmärschen,
Jubelfeiern, und diese Marika Röck und Zarah Leander mochte er aus dem „Ding“,
diesem „Kasten“ auch nicht mehr hören. Er mochte keine starken Frauen mehr.
Schon länger..
Vorsichtig
hob er die Tasse aus dem Geschirr der Schwiegermutter an den Mund. Wie alle
anderen aus dem Service, Alltagsservice, hatte auch diese ihren Henkel geben
müssen bei irgendeiner hektischen Flucht raus zum Bunker. Der Teller vor ihm
mit dem Brot hatte einen Sprung, würde sich vielleicht schon nach dem nächsten
Abwasch zerteilen und in den Müll wandern. Hilde stellte ihm von Anfang an das
kaputte Geschirr hin, als wollte sie ihm damit sagen: „Sieh her, was aus
unserem schönen Geschirr geworden ist! Und, was tust Du dagegen?“
Wie
jeden Abend vermied er es, seinen Blick hoch und gerade aus zu richten, ihren
Anblick, ihr massiges, in schlaffen Falten vom Bluthochdruck geplagten Gesicht
zu blicken, das Gesicht ihrer Mutter, die seine hatte werden wollen, sofort
nach dem ersten Anstandsbesuch, wo er doch quasi Waise wäre, obwohl ihm das
komisch vor kam so als arbeitender, erwachsener Mann Waise sein zu sollen, nur
weil er keine Eltern mehr am Leben hatte, aber andere lebten doch auch ohne
ihre Eltern. Waise. Er nahm es hin, wie er danach noch vieles hinnehmen sollte,
war ihm doch das bisschen Familie, was er hier bekam, doch auch ein wenig was
Gutes, was Beruhigendes, ein Ort, der leicht an zu laufen war und blieb, nicht
verschwand wie die Eltern, manch guter Freund und Nachbar.
Hinter
ihr war sowieso der Blick verstellt durch die Pappen für die Verdunkelung und
so konnte er auch nicht an ihr vorbei zu dem Baum sehen, der ihm die
Jahreszeiten vorlas und stets so ruhig ablenkte von dem was um ihn herum an
Worten ausgestoßen wurde. Wann hatte er
den Baum, wann die vom Stadtdunst stets scheinbar leicht zitternden und
blinkenden Sterne das letztemal ohne Angst betrachten können, froh und
optimistisch, mit Lust auf die Nacht und den Tag?
Hilde
saß wie von Anfang an, vielleicht schon seit ihren Kindheitstagen, am von ihm
aus gesehen, rechten Tischende, saß, nein thronte, präsidierte, saß vor, gab
vor, nahm nie etwas zurück, sah ihn an, sah zur Mutter, machte auf Gespräch,
was ihm sinnlos vor kam, was sollten sie sich zu sagen haben nach den vielen
Tagen der Angst, der ständigen Aufbrecherei in den Bunker, die Rückkehr, das
nächste Warten, Hoffen, Bangen, was sollte man sich da noch wirklich zu sagen
haben, worüber sprechen, wenn selbst die Namen der letzten Toten wie ein ewig
gleicher Rosenkranz zwischen ihnen hin und her ging, bedeutungslos wurde,
Alltag, mit nichts auf zu frischen, nicht einmal mit Tränen, Wut oder
Abschiedsschmerz. Sie hatten sich abgefunden. Ja das war es und im Abfinden, da
war Karl ja Meister, Großmeister.
Zwischen
der Tür und ihm saß seine Hilde wie ein unüberwindlicher Fels. Nie hätte er es
gewagt einfach an ihr vorbei auf zu stehen und die Tür an zu streben. Die Tür
gehörte ihrer Mutter, wie die Küche, das Geschirr, das Handtuch für die
Glühbirne, nur Brot und Wurst kamen von ihm, durch ihn, aber das verschwand
jeden Tag hier an diesem Tisch, von den Frauen mit gespreizten Fingern zum Mund
geführt und weggebissen, weggekaut,
runtergeschluckt, am nächsten Morgen, wenn es die Angriffe ermöglichten,
auf seinem Klo, seiner Klobrille, sein Klodeckel im Rücken, von ihm so
liebevoll selbst aus Holz angefertigt, gestrichen, dort nun das durch ihn
verschaffte Essen ausgeschissen, bisweilen mehr hörbar, als er es vertragen
konnte.
Hilde
brauchte ihn nicht an zu sehen, schon seit Ewigkeiten nicht mehr, sie hatte ihn
im Kopf, seinen, ihrer Meinung nach und auf der hielt sie was, war ja nicht von
Dummsdorf, wenn sie auch mit ihm nicht den fang gemacht hatte auf der
Versammlung, wie anfangs erhofft, also seinen immer nur teilnahmslosen,
gelangweilten Blick, diese undurchschaubare Miene, obwohl sie sicher war, dass
bei ihm nicht viel zu holen wäre mit dem Durchschauen, auch wenn ihre Mutter
immer wieder warnte: „Pass auf! Stille Wasser sind tief. Man weiß ja nie, schon
gar nicht bei den Kerlen!“
Hilde
sah zur Mutter, dachte: „Was ist das nur für ein Waschlappen, kaum siegen wir
mal eine Weile nicht, dreht der sein Gehirn aus und markiert toten Mann, den
das alles jetzt nichts mehr angeht.“
Wenn
sie das doch nur geahnt hätte, wie wenig in diesem stets bleichen, etwas
kurzgeratenen Kerl steckte, gut solide war er ja, ließ sich auch viel gefallen,
vor allem von ihrer Mutter, da war er ja ein guter Blitzableiter, vor der Ehe
war sie dauernd bei ihr dran gewesen, die Kopfnüsse mochte sie gar nicht
zählen, die sie von ihr bekommen hatte. Mutter war es ja auch gewesen die, aber
das durfte der Kerl nie erfahren, nie! Trotzdem, ein bisschen mehr Ehrgeiz, die
Größe, nun gut, aber der Führer war auch nicht groß gewachsen und trotzdem
hatte der Deutschland, ja was, im Moment sah es wirklich nicht gut aus, aber
der war … , natürlich Blödsinn ihren Kerl mit dem zu vergleichen, durfte sie
nicht mal laut sagen, kam bestimmt nicht gut an, trotzdem, der Karl hätte mehr
werden können und blieb einfach stur son kleiner Malochermann mit Lohntüte am
Freitag, die, ja die er immer vollständig ablieferte. Was anderes hätte sie,
vor allem Mutter ihm auch nicht raten mögen. Sollte der nur mal wagen. Ach was,
tat der noch nie. Zu feige, erbärmlich, Bettelhund, Winselknabe. Sie hätte ihn
am liebsten beschimpft und gerüttelt und die Bomber draußen wären weg gewesen
wie ihre Angst am Nachthimmel verschwunden. Irgendwie, vom Gefühl her
jedenfalls!“
Andere
Zeiten, andere Sorgen. Ich werde mich mal bei einem der streitlustigen
Imbissbetreiber melden. Vielleicht haben die ja Lust, meine Truppe samt Konzept
zu übernehmen. Und zu Hause Bescheid
geben. Begeistert wird sie nicht sein, bin ich ja auch nicht. Andererseits
hatte sie mich ja schon öfter angesprochen, was diese Spurensuche solle und
diese Notizen und ich hatte es ihr nicht schlüssig erklären können, nicht mal mir
selber. Es zog mich einfach zu all dem hin, jetzt, wo so viele mir keine
Antworten mehr geben können, die Originalschauplätze längst gewichen, versenkt,
umgestaltet, allen Versuchen trotzen, ihnen etwas von meiner Geschichte ab zu
gewinnen. War es das, die Sehnsucht nach
einer wirklichen Auszeit, nach echten Ankern, Ankerplätzen? Hatte ich etwas
verloren in all den Jahren, etwa was ich war, sein könnte, wollte, vielleicht
ja auch nur alte Sehnsüchte, Träume, verschüttete Gefühle, Bilder, Verletzungen,
Streicheleinheiten? Wohin geht man, wenn
man nicht wirklich geht? Was fragt man, wenn zu viele Antworten um einen her
schwirren? Vielleicht halte ich mich seit geraumer Zeit auch nur einfach an
etwas fest, wo andere Seile, Haken, Ösen oder Balken mich irgendwie nicht mehr
tragen, nicht so richtig jedenfalls. Ich spüre einen komischen Riss in mir,
schon länger, ein Tau reißt langsam, kommt mir jedenfalls so vor, und noch
scheint ein Faden in der Mitte davon zu halten. Wie lange noch? Und wie
flicken? Ich werde mir auf jeden Fall mal alle Bilder und Alben, inklusive der
Nachlässe vor nehmen.
Sie
wird fluchen, kennt sie das ja bereits bei mir, führt dazu, dass unser
Wohnzimmer überquillt davon und man sich kaum noch irgendwo hinsetzen kann,
ohne auf Bilder zu treten. Egal, dort fange ich an! Irgendwie kommt es mir so
vor, als könnte das ein Schlüssel für mehr Ordnung in mir sein, keine abschließende
Antwort, vielleicht jedoch durch das Säubern der Wege ein besseres Blick auf
die Ziele und Gabelungen, auf das was links rechts stand, was es eben so gab.
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