Donnerstag, 14. März 2013

So leicht waren wir zu kriegen



Es war Anfang der Siebziger im Hafenviertel unserer Stadt. Bei einer Gewerkschaftsdemonstration hatte einer unserer Ordner einem KBWler ein Ohr abgebissen und das hing nun als Bild stark vergrößert in der Fachhochschule, nebst Kopf mit und ohne Ohr, stark vergrößert von allen Seiten.

Es hatte Farbattacken gegeben auf das Parteibüro und in anderen Städten war es bereits zu richtigen Überfällen und Vandalismus gekommen, allerdings von Neo-Nazis, die durch die Wahlerfolge der NPD sich wieder stark fühlten.

Daher beschlossen sie im Vorstand, dass die Jugendorganisation der Stadt die nächsten Nächte Wache im Parteibüro schieben sollte. In der dritten Nacht, die vorhergehenden waren bis dahin ohne Vorkommnisse geblieben, war unsere Stadtteilgruppe dran.

Wir kamen bereits am frühen Abend, denn wir wollten nicht, dass die möglichen Angreifer von uns erfuhren. Und so hatten wir viel Zeit bis zur Dunkelheit und den abwechselnden Wachdiensten. Wir saßen alle zusammen im hintersten Zimmer und fanden uns recht schnell bei Themen wie „antifaschischtischer Kampf“, „Widerstand im 3. Reich“ und ähnliches mehr. Einer holte seine Gitarre hervor und wir sangen Arbeiterlieder wie „Auf, auf zum Kampf …“.   

Plötzlich fanden einige, dass Stalin vielleicht doch nicht so schlecht gewesen sei, immerhin war sein Feind ein schrecklicher. Und wir sprachen über Brecht, seine „Maßnahme“ und „Die Partei“. Je später es wurde, je mehr die Dunkelheit vor den Fenstern stand, um so mehr wurden wir zu kampfesmutigen Guerillas, fühlten uns wie Weggefährten von Che im bolivianischen Dschungel und freuten uns tierisch den Angreifern, welchen auch immer, eine böse Überraschung bereiten zu können. 

Die Muskeln unter den Hemden schwollen an wie unsere Reden und das alles natürlich ohne Alkohol, wollten wir doch fit sein im Kampf.

Als ich am nächsten Tag den Schlaf nachgeholt hatte, auch unsere Nachtwache war ohne besondere Vorkommnisse geblieben wie übrigens auch alle nachfolgenden, so dass der Vorstand unserem Treiben ein Ende bereitete, schämte ich mich der Gespräche und Gefühle. 

Hatten wir wirklich ein Loblied auf Stalin gesungen, uns tierisch gefreut auf einen Überfall? Wie schnell kommt man in den Krieg hinein und wie schwer da wieder raus? Mir war mulmig und ich hielt mich ein paar Tage von den anderen fern. Seitdem beschäftigt mich die Sorge:

Sind wir so leicht zu kriegen?

 



 




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