Es war
Anfang der Siebziger im Hafenviertel unserer Stadt. Bei einer Gewerkschaftsdemonstration
hatte einer unserer Ordner einem KBWler ein Ohr abgebissen und das hing nun als
Bild stark vergrößert in der Fachhochschule, nebst Kopf mit und ohne Ohr, stark
vergrößert von allen Seiten.
Es hatte
Farbattacken gegeben auf das Parteibüro und in anderen Städten war es bereits
zu richtigen Überfällen und Vandalismus gekommen, allerdings von Neo-Nazis, die
durch die Wahlerfolge der NPD sich wieder stark fühlten.
Daher
beschlossen sie im Vorstand, dass die Jugendorganisation der Stadt die nächsten
Nächte Wache im Parteibüro schieben sollte. In der dritten Nacht, die
vorhergehenden waren bis dahin ohne Vorkommnisse geblieben, war unsere Stadtteilgruppe
dran.
Wir kamen
bereits am frühen Abend, denn wir wollten nicht, dass die möglichen Angreifer
von uns erfuhren. Und so hatten wir viel Zeit bis zur Dunkelheit und den
abwechselnden Wachdiensten. Wir saßen alle zusammen im hintersten Zimmer und
fanden uns recht schnell bei Themen wie „antifaschischtischer Kampf“, „Widerstand
im 3. Reich“ und ähnliches mehr. Einer holte seine Gitarre hervor und wir
sangen Arbeiterlieder wie „Auf, auf zum Kampf …“.
Plötzlich
fanden einige, dass Stalin vielleicht doch nicht so schlecht gewesen sei,
immerhin war sein Feind ein schrecklicher. Und wir sprachen über Brecht, seine „Maßnahme“
und „Die Partei“. Je später es wurde, je mehr die Dunkelheit vor den Fenstern
stand, um so mehr wurden wir zu kampfesmutigen Guerillas, fühlten uns wie
Weggefährten von Che im bolivianischen Dschungel und freuten uns tierisch den
Angreifern, welchen auch immer, eine böse Überraschung bereiten zu können.
Die
Muskeln unter den Hemden schwollen an wie unsere Reden und das alles natürlich
ohne Alkohol, wollten wir doch fit sein im Kampf.
Als ich am
nächsten Tag den Schlaf nachgeholt hatte, auch unsere Nachtwache war ohne
besondere Vorkommnisse geblieben wie übrigens auch alle nachfolgenden, so dass
der Vorstand unserem Treiben ein Ende bereitete, schämte ich mich der Gespräche
und Gefühle.
Hatten wir wirklich ein Loblied auf Stalin gesungen, uns tierisch
gefreut auf einen Überfall? Wie schnell kommt man in den Krieg hinein und wie
schwer da wieder raus? Mir war mulmig und ich hielt mich ein paar Tage von den
anderen fern. Seitdem beschäftigt mich die Sorge:
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