Ich habe länger überlegt, welche Frau ich dieses Mal bei FB
in den Mittelpunkt stelle. Die immer auftauchende Rosa, Berta oder wie früher
Angela Davis? Die von mir sehr vermisste
und hochgeschätzte ehemalige Zeit-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff wäre ein gutes Thema. Aber ich habe mich dann
doch für die Frau entschieden, der ich mein Leben, meinen Humor und manchen
guten Bodensatz, sie hätte gesagt Dünger, verdanke. Sie kam am 12. Dezember 1898 als letztes Kind
in der Kirche zur Welt, da ihre Mutter keinen Gottesdienst verpassen wollte. So
hatte sie eine Kindheit, in der der Krieg sich erst durch Wortgeplänkel und
Waffenrasseln andeutete.
Sie wuchs auf einem Bauernhof am Rande von Twistringen
inmitten von großen starken Kerlen, ihren Brüdern, auf. Die zogen in den Krieg, kamen alle wieder und
sie wurde zum von allen eifrig bewachten Teenager. Nach und nach heirateten
ihre Geschwister und verließen den Hof. Nur sie blieb zurück und war so zu
sagen die Magd ihrer Mutter. Das war normal für sie, wenn auch nicht immer
einfach. Treffen mit Männern allein, das war fast unmöglich, da ihre Mutter
stets argwöhnisch hinter ihr her sah. Das änderte sich erst nach dem Tod der
Mutter. Mittlerweile hatte sich Adolf
Hitler mit seinen Schergen breitgemacht in Deutschland. Da kam ein Bautrupp die
Landstraße entlang. Der Gröfaz
investierte viel in Straßen, mit wenig friedlichen Absichten. Aber trotzdem:
diesem Programm verdankte sie die Begegnung, die ihr Leben verändern sollte.
Ein Bauarbeiter warf achtlos seine Schaufel fort, gerade in dem Moment, in dem
sie mit Rad zum Hof fuhr. Die Schaufel traf das Rad, sie lag auf der Landstraße
und er kümmerte sich sofort erschrocken um sie. Ich habe sein Polierbuch nach
ihrem Tod gefunden. Da kann ich sogar den Kilometer des Ereignisses auf den Tag
genau finden. Ebenso die Flitterwochen, die als Urlaub eingetragen sind. Ja, so war das, sagte sie immer, gesehen,
verliebt, geheiratet.
Sie zog zu ihm auf seine Häuslerstelle in Drebber und musste
bei der Hochzeit auf die Anwesenheit aller großen, starken Kerle und der
übrigen Verwandtschaft verzichten. Hatte sie doch gewagt einen Evangelischen zu
heiraten. Und das, wo sie doch sogar in der katholischen Kirche in Twistringen
zur Welt gekommen war. Besonders fehlte ihr der Bruder, der immer so schön bei
den Familienfesten auf dem Akkordeon spielen konnte.
Ihr Mann war Witwer und brachte zwei kleine Mädchen mit in
die Ehe. Kurz nach der Hochzeit bricht das polierbuch ab. Der Gröfaz hatte
ernst gemacht und seinen großen Krieg begonnen. Ihr Mann mußte an die Front und
sie hatte plötzlich nicht nur den kleinen Hof, die Zwangs-Dienste beim Bauern
sondern auch noch zwei fremdelnde Kinder zu versorgen. Aber er kam für ein paar Tage zurück, ihre
restlichen Tage einer verdammt kurzen Ehe. Danach hat sie ihn nie mehr wieder
gesehen. Er starb in einem russischen Kriegsgefangenlager. Die Bilder, die er ihr von der Front schickte,
hat sie ordentlich eingeklebt. Ich weiß nicht wie viel Tränen darauf
eingetrocknet sind.
Der Krieg dauerte an und sie bekam 2 russische
Kriegsgefangene auf den Hof als Hilfe, da die Männer alle an der Front waren.
Gut kamen sie miteinander aus, diese Männer aus dem für sie fernen und
unbekannten Land, in dem ihr Mann erst kämpfte und dann seinen Tod fand. Ein
Kriegskamerad tauchte eines Tages auf ihrem Hof auf, überbrachte ihr den
kümmerlichen Nachlass eines Soldaten. Aber das war schon nach dem Krieg. Vorher
aber musste erst mal der Krieg ein Ende finden und das war gar nicht so
angenehm, da ja die Russen auf den Höfen schufteten und das zum Teil wie
Sklaven, nur noch schlechter versorgt.
Nicht so bei ihr. Und so kam es, dass die Russen den
Befreiern in den Jeeps entgegen liefen und riefen: „Gute Frau, gute Frau!“ So
kam sie ungeschoren davon, hat die beiden hinterher sogar vermisst, nicht nur
wegen der Arbeit, die sie nun wieder über nehmen musste und hat alleine weiter
gemacht, so gut es ging versucht den mittlerweile jungen Damen eine gute Mutter
zu sein.
Wie zuvor schon arbeitete sie zusätzlich in der
Trinkhalmfabrik in Twistringen, schaute auch mal den Männern nach, war lange
nicht Witwe bis der Kriegskamerad kam und sie nach kurzer Trauer wieder nach
vorne zu sehen begann. So vergingen die vierziger Jahre, die Töchter „machten mit Männern rum“, „fingen
sich was“, heirateten, und sie wurde 50 und war allein.
Da verlor in der für sie fernen Großstadt Bremen ein
Schiffbauer seine Frau, fühlte sich noch zu jung für ewiges Witwerdasein, bekam
den Hinweis auf eine lebenslustige, fleißige Frau in Drebber.
Er fuhr hin, besuchte sie, verliebte sich und sie tat ihm
gleich und so wurde eine große Hochzeit daraus. Dieses Mal kam auch ihre
Verwandtschaft dazu obwohl der Neue auch ein Evangelischer war. „So sind die
Leute, Jörn.“
Auch der Neue hatte zwei Kinder, einen schon lange
erwachsenen Sohn und eine Tochter, die als Angestellte in der Stadt arbeiten
ging, aber noch zu Hause beim Vater wohnte.
Der Hof gehörte der späten Braut nicht, aber das Vieh und
Inventar. Aus dem Erlös des Verkaufes finanzierte sie einen Balkon an dem Haus
ihres Schiffbauers, der das Haus nicht lange zuvor gerade abbezahlt hatte. Dort sollte sie die nächsten Jahrzehnte leben.
Seine Tochter begann etwas mit einem 5 Jahre jüngeren „Jungspund“,
der noch in der Ausbildung war und „man gerade 16 Lenze zählte“. Als er 17
wurde, wurde er zugleich Vater eines Jungen. Das war ich, ungeplant und ohne Ehehintergrund oder eigene Wohnung
schwer zu versorgen. Daher beschloss das Paar mich in einem Heim unter zu
bringen.
Das passte der Frau des Schiffbauers aber gar nicht und
schon nach zwei Besuchen holte sie mich
zusammen mit ihrem Mann zu sich nach Hause, bis ich mit 5 Jahren zurück zu
meinen Eltern kam.
Wenige Jahre später starb auch ihr zweiter Mann. Es soll
eine gute Ehe gewesen sein, mit allem, was laut Familiensaga die
Schwiegertochter und den ältesten Sohn auf den Platz brachte: „Sie möge ihren
Mann doch ein wenig schonen, der magere ja toll ab.“ Als hätte ihr Schiffbauer
ein Interesse daran das sein zu lassen, was ihm lange genug gefehlt hatte. Wie
gesagt, diese Frau war sehr lebenslustig und tolerant. Sie fuhren in Urlaub, das erstemal für sie beide, gingen regelmäßig ins Kino, kauften und hörten Schallplatten. Das alte Röhrengerät von ihnen steht heute bei uns im Wohnzimmer.
Ab der dritten Klasse und die ersten beiden Jahre auf dem Gymnasium wohnte ich wieder bei ihr, da meine Eltern durch den langen Krankenhausaufenthalt meiner kleinen Geschwister stark verschuldet waren und nur eine kleine "Buzze" sich leisten konnten.
Danach habe ich meine Heldin, ja, das schreibbe ich hier mit vollem ernst, immer wieder besucht, zu gegeben des Öfteren in der Hoffnung auf ein bisschen Zusatz-Taschengeld, aber auch bei Kummer und Sorgen. Während andere sich über meine wachsenden Haare und "merkwürdigen Klamotten", den "Hippie" mokierten, nahm sie es stumm, wenn auch innerlich zweifelnd, ohne Vorwürfe hin. Ihre Türe blieb bis zum Schluss weit, ganz weit für mich offen, war ich doch eigentlich "ihr Kind".
Bei ihr gingen in den nächsten Jahren viele
verschiedene Menschen ein und aus und viele mochten sie gerne und noch lieber
mit ihr feiern. Mein Vater gehörte dazu,
den sie auch nach der Scheidung meiner Eltern gerne bei sich empfing. Und ich natürlich, der immer willkommen war,
umsorgt wurde und gelegentlich dezent auf das eine oder andere
hingewiesen. So traf ich Griechen und
Türken bei ihr, Facharbeiter und Hilfsarbeiter, Alkoholiker und arme, einsame
Nachbarinnen. Alles, was das Viertel in den Jahrzehnten so am Menschen tat und
anlieferte.
Sie starb „hochbetagt“ mit 99 Jahren. Diese Frau war meine „Stiefoma“,
meine liebste Oma, meine Hermiene von allen nur Miene genannt, was im doppelten
Sinne zu ihr passte. Ja, sie war unsere und meine beste „Miene“. Ihr schulde ich mehr als Dank, Liebe und Respekt. Schön dass Du für mich da warst, liebste Miene!
Nachtrag: Ihr liebster Traum, oft am Telefon erzählt, war der Besuch von Hans Albers in ihrem Bett. Fröhlich erzählte sie es und es war durchaus Erotik im Spiel. Den Hans albers mochten wir beide. Und wenn ich sein "Auf die Schaukel Luise" höre, denke ich immer an sie. Wie gerne wäre sie seine Luise gewesen. Wenigstens mal zum Naschen, probieren wie der wirklich schmeckt.
Nachtrag: Ihr liebster Traum, oft am Telefon erzählt, war der Besuch von Hans Albers in ihrem Bett. Fröhlich erzählte sie es und es war durchaus Erotik im Spiel. Den Hans albers mochten wir beide. Und wenn ich sein "Auf die Schaukel Luise" höre, denke ich immer an sie. Wie gerne wäre sie seine Luise gewesen. Wenigstens mal zum Naschen, probieren wie der wirklich schmeckt.
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