Es
ist wahr, steht in ihren Augen, bewegt sich mit ihren Blicken durch die müden
Wände zu den Räumen, spricht aber nicht davon, wozu auch, wo es alle wissen,
jeder sie hier kennt, gehörte ihnen doch alles seit Jahrhunderten, hatten sich
abgequält mit dem Boden, später war das Holz dazu gekommen, als man es durfte,
sie sah es, ohne unsere Siedlungsgedanken, Ergebnisse aus Magazinen wie
„Schöner wohnen“ oder „Mein Garten“, sah auch unsere Kinder nicht, sah sich
selbst, dann die ihren spielen, streiten, aufwachsen, Schultornister auf dem
Rücken, Kleider auftragen, selbstgenähte, später bei der Schneiderin. Da
seufzte sie leise. „Alle tod, auch die Schneiderin.“ Wie sie hieß, woher sollte
das einer von uns wissen, war bevor wir mit unseren Baggern hier ankamen.
Ihr
Bett war das ihrer Mutter, dunkel von den Jahren, hoch am Kopf, niedrig zum
drüber weggucken an den Füßen, wegen den Mägden, damit die sehen konnten, die
Arbeitsbefehle entgegen nehmen, dann nur noch eine, die Magd, bis keine mehr da
war, nur das Bett, vielleicht auch vor Scham mittlerweile mehr schwarz als
braun, gute Eiche aus der Gegend, da drechselten die Drechsler noch, zimmerten
die Zimmerleute und bauten solche Betten die Schreiner. Überall, jedes Dorf
voller Werkstätten. „Kannengießer“, murmelte die Alte, „Beckenbauer“,
„Rossschmiede“, „Besenmacher“ und heute, nur noch „Stubenhocker!“
Wir
sahen uns, sie, uns an, ein Scherz von ihr? Ein böser Hinweis auf unsere
Tätigkeiten?
Die
Nacht strich über ihr Gesicht, aber ihre Hand gebot uns zu bleiben. Wir
schwiegen das Gespräch zusammen, sahen alles in ihren Blicken, den Wind der
Jahre mit ihr vorüber ziehen, wie sie das Geld bekamen, immer mehr, immer zu
schnell verkauft, geärgert, weil der Bauer nebenan, der schon immer größer war,
reicher war, schlauer, viel mehr bekam, wie sie beschlossen nicht aus zu
wandern wie die Verwandten aus dem Nachbardorf, nach Amerika, dort verstorben,
viel vererbt, mehr hörte man nicht, sie aber, hiergeblieben, Holzhandel
aufgezogen, der älteste Sohn taugte nur nicht recht für das Geschäft, hier im
Haus wie schon immer die Sorgen, die Pfanne dagegen erst auf dem Herd, dann auf
den Tisch mit den Spiegeleiern und Bratkartoffeln, die selbst eingemachten
Gurken im Glas daneben. Bissen für Bissen, Jahr für Jahr, sicher auch mit
Schnaps hinterher, vorher oder ganz ohne, einfach aus der Flasche, ja auch mal
am Morgen, genügend Brennereien rings um, sogar berühmte, später sehr berühmte,
konnte man ja wohl nichts dagegen haben.
Unsere
Häuser ließen ihren Blick nicht durch, zu wenig Kraft, wollte wohl auch nie
wirklich,
nichts sehen von dem, was da bei uns warum auch immer anders ging. Warum wir
unsere älteste Tochter nicht am Morgen in der Scheune fanden, der alten Scheune
an der Straße immer noch zitternd bei Sturm und Wind, dort in der Mitte nahe
der Leiter. Warum unser ältester Sohn nicht sein Blut vergoss im Sandkasten
daneben, die Schrotflinte neben sich im wildwuchernden Gras, das schon lange
keiner mehr mähte von ihnen, gab ja kein Vieh mehr dafür. Und jetzt unser
Besuch, der Grund unseres Erscheinens, die jüngste Tochter, erhängt im Flur, wo
ihre Mutter sie finden musste, sie, die nie fortging, die Tochter alles
besorgen ließ, sich nicht mehr unter die Leute traute, hier, wo doch eigentlich
alles ihr Land war, ihr Reich, aber wo nicht mal ihr Name der Siedlung
geschenkt wurde wie bei den Pottkerdieks neben an, dieser Bauer hatte natürlich
seinen Namen dafür geben dürfen, trotz seiner paar Kühe im Stall, den paar
Legehennen auf dem Hof und hatte alles so umgebaut, als wäre er nie Bauer
sondern dies ein Adelssitz gewesen, während sie hier nur innen die Ställe zu
Wohnungen gemacht hatten, für die Kinder zum Leben, was aber wohl nicht
gereicht hatte, waren dahin gegangen wie die schönen alten Bäume, eines und
einer nach dem anderen, hatte sich so nicht mehr raus getraut, war nur mit dem
Taxi zum Arzt gefahren, weil ihre Tochter unpässlich war, die mit ihrer Migräne
und dem Kotzen immer, wollte dann auch die Pfanne nicht auf dem Tisch, ja und
dann hing sie da, unübersehbar und doch ist sie dagegen gestolpert, hatte den
Boden betrachtet, die alten Fliesen, sehr sauber hielt ihre Tochter das Haus ja
wirklich nicht, und dann war sie auch die Tochter los. Da hatte sie nicht zum
ersten Mal den Verdacht, dass das alles von ihm kam, von ihm, der vielleicht
gerne gefallen war vor Stalingrad, nichts Held, nur Flucht, wie seine Kinder.
Brauchte ja nicht mal einen Strick zu nehmen. Diesen Rest erzählte sie warum
auch, zwar leise aber verstehbar, ließ uns Fremde teilhaben an etwas, was sie
doch wissen musste, für uns nicht mehr Verstehbares, aus der finsteren
Erzählzeit dieses Landes, oft genug im Schulbuch vor die Nase gelegt und
abgefragt bekommen. Was waren das nur für …wer wollte richten, so hier und
jetzt denken also besser nur nicken, schweigen ihren Blicken durch die
Staubbahnen zur Wand folgen, zum Fenster, so wie er gerade an uns vorbei durch
die schmale Kammer strich, bei wie immer verrammelten Fenstern zur Terrasse
hin, auf der sie früher ab und zu aber auch schon sehr selten saß, wenn die
Enkelkinder in dem Sandkasten mit der Katze spielten und dabei Kartoffeln
schälte. Diese, die uns hereingelassen hatten, stumm, leere Gesichter, blass,
viel zu jung noch immer für all das hier.
„Viele
sind wir ja nicht mehr. Und mir hat der Arzt an dem Tag gesagt, ich könnte noch
über hundert Jahre alt werden. Über hundert!“ Sie kam plötzlich hoch, bellte
es, sah uns starr an und lachte und lauter und lauter, lachte, schrie
dazwischen „Wozu, warum? Warum ich?“ und lachte weiter, hörte sich an wie
heiseres Hundebellen, ja, wie das des alten Schäferhundes im Schuppen, den sie
einschläfern mussten, bellte, lachte, biss geradezu mit ihrem Lachen uns
hinaus, hörten es noch in unseren Häusern, obwohl wir sofort die Jalousien
herunter ließen.
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