Eines
Tages lag ein junges Paar morgens in einem Hotel in Florenz. Der junge Mann war
als erstes aufgewacht und traute seinen Augen nicht. Denn er sah nichts, nur
Dunkelheit, egal wohin er seinen Kopf drehte. Im gleichen Moment meinte er völlig
steif geworden zu sein und sich nicht mehr rühren zu können, nur den Kopf, der
weiter vergeblich nach Licht suchte.
Er
konnte auch seine Freundin neben sich nicht erkennen, hörte nur schwach ihr
ruhiges Atmen, gelegentlich begleitet von einem ganz sanften Schnarcher.
Das
Herz des Mannes begann sofort heftiger zu schlagen und heftiger und lauter,
Schweiß trat ihm auf die Stirn und seine Glieder und Muskeln begannen von der
Versteifung zu schmerzen. Auch meinte er seine Sehnen zu spüren, wie sie in die
Länge gezogen wurden, bis sie aufs äußerste gespannt waren und kurz vor dem
Reißen waren, begleitet von durch den ganzen Körper schießenden Schmerzen, wie
Pfeilspitzen, so stachen sie ihn überall hin.
Am
schlimmsten traf es den Rücken, der auf einem harten Felsbrocken zu liegen
schien und die Härte peinigte ihn so sehr, dass er sich nur noch eines wünschte:
sofort raus aus diesem Folterbett.
Aber
er vermochte es nicht. Begann schließlich doch etwas ruhiger zu werden und im
gleichen Maße zu wimmern, erst ganz leise, dann immer lauter, was ihn sehr
verwunderte, hatte er seines Wissens nach doch noch nie gewimmert.
Sein
Hals begann sich nun ebenfalls zu versteifen und auf seine Brust schien ein
Panzer geraten zu sein, der sich mehr und mehr zu zog.
Als
er spürte, dass er auch den Kopf nicht mehr bewegen konnte und sein Herz
vergeblich gegen den Panzer schlug, begann er zu schreien. Aber die Schreie
kamen kaum aus ihm heraus, so dachte er jedenfalls. So legte er alle Kraft in
die Schreie, stemmte sie geradezu aus sich heraus, als müsste er schwere Balken
hoch wuchten und doch meinte er nur klägliches Wimmern zu hören.
Neben
ihm stoppte der Atemton, begann das Bett kurz zu quietschen. Seine Freundin war
aufgewacht und hatte sich erschrocken aufgerichtet.
„Was
ist? Was hast Du?“
„Das
Licht, das Licht!!!“
„Was
ist damit?“
„Es
ist weg. Die Sonne ist weg!“
Er
hörte wie sie aufstand und um das Bett herumging, dahin, wo gestern noch das
Fenster herrlichsten Sonnenschein der Toskana hereingelassen hatte. Dort hatten
sie am Abend, ihrem ersten auf dieser Fahrt, die ebenfalls ihre erste als Paar war,
staunend gestanden und das warme Leuchten auf den gelbrötlich schimmernden
Dächern und Wänden der Stadt bewundert, den Himmel, auf dem sich die Sonne
toskanisch rot, so tauften sie beide für sich dieses besondere Licht, langsam
verabschiedete, hatten dort gestanden, sich gespürt und genossen, eine
Gegenwart, wie sie ihnen bisher in den vorhergehenden Beziehungen noch nicht
geschehen war. Zu ihrer Überraschung hatten sie es im Bett bei dieser Nähe
belassen und sich nicht in die erotischen Gefilde begeben, die ihnen zuvor eigentlich
im Sinn waren, weil es ja dazu gehörte und noch so schön neu und aufregend war.
Stattdessen hatten sie stumm und ohne Bewegung nebeneinander gelegen, sogar
darauf verzichtet sich an den Händen zu fassen, da sie sich ja auch so spürten
und sich wie eine Einheit vorkamen, wunderbar gewärmt und geborgen, gesättigt
und von jedem Durst befreit. So waren sie, einer nach dem anderen, in den Schlaf
hinüber geglitten, völlig überzeugt von ihrer Liebe und Zukunft, der Ewigkeit
und grenzenlosen Tiefe des Glücks.
Umso
weniger verstand er nun diesen Morgen, diese Schwärze um ihn herum, diese
völlige Lähmung und Gefangenschaft in seinem Körper.
Er
hörte, wie sie das Rollo hochzog und plötzlich kamen Sonnenstrahlen auf hellen
Staubbahnen zu ihm, erleuchteten ihre schlanke Figur, die ihm wie ein
filigranes Meisterwerk der Natur erschien, elfengleich und so zart, sah endlich
auch das Zimmer und spürte wie der Panzer sich von ihm löste und seine Brust
wieder frei gab.
„Dummerchen,
da ist sie doch, “ flüsterte sie zärtlich und drehte sich zu ihm um. Sie sah
wie Tränen ihm über die Wangen kullerten und von seinem unrasierten Kinn langsam
auf den Hals tropften. Sie sah seine dankbaren Augen und mit Verwunderung, wie
er ganz langgestreckt, die Arme fest an seinen Körper gepresst, vor ihr lag.
Sie
war noch nicht wirklich wach, nur durch seine Schreie hochgeschreckt worden,
verspürte selber keinerlei Unruhe und nahm alles wie von weit weg war, als gäbe
es sie noch gar nicht in diesem Raum, wäre es jemand anders, der da aufstand
und die Rollos hochzog, zu ihm hinsah und mit ihm sprach. In sich aber spürte
sie noch die Vertrautheit des Abends und von der fühlte sie sich getragen wie
ein Baby im Kopfkissen bei dem Verlassen des Krankenhauses nach der Geburt. Ja,
genauso, das Bild gefiel ihr.
Er
sah ihr in die Augen und wusste, dass er ihr ewig dankbar sein würde für dieses
Licht, dass sie für ihn hervorgezaubert hatte.
Danach
legte sie sich wieder neben ihn, sagte nichts mehr, so wenig wie er, und der
Schlaf nahm sie beide wieder auf, entließ sie nach angemessener Zeit zurück in
den Tag, an dem sie so wenig wie die kommenden Jahre über den Vorfall sprachen,
so als hätten sie beide Angst, es könnte doch nur ein Traum zwischen den
Schlafphasen gewesen sein, und nicht ein echter, wahrer, tief erlebter Moment
voll mit Magie.
Noch
Jahre später behauptete er, sie hätte ihm damals das Leben gerettet und ihm die
Sonne geschenkt, und deshalb sei sie auf ewig seine Sonnengöttin.
Sie
erinnerte sich mit der Zeit weniger daran. Hatte ihn auch nie wieder so erlebt.
Aber diese Tränen, die hatten sie beeindruckt.
Ein
Mann, der weint!
Es
war ihr egal warum. Hauptsache er konnte weinen. Ihr erschien es als ein
glücklicher Start in ein gemeinsames Leben. Und so gut war es ja auch gekommen.
Er
dagegen schämte sich seiner ihm nicht erklärbaren Überreaktion und fand keinen
Weg, zu begreifen, wie ihm diese Geschichte hatte passieren können. Aber solange
er bei ihr blieb, da war er sich von da an stets sicher, brauchte er vor dem
Verschwinden des Lichtes keine Angst mehr zu haben. Sie wäre ja jederzeit in
der Lage es ihm wieder zu schenken, so wie damals, in dem kleinen Hotelzimmer
in Florenz.(c) Bild und Text: Jörn Laue-Weltring, Lingen 2013
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