Mittwoch, 28. August 2013

Ein Magischer Augenblick in Florenz



Eines Tages lag ein junges Paar morgens in einem Hotel in Florenz. Der junge Mann war als erstes aufgewacht und traute seinen Augen nicht. Denn er sah nichts, nur Dunkelheit, egal wohin er seinen Kopf drehte. Im gleichen Moment meinte er völlig steif geworden zu sein und sich nicht mehr rühren zu können, nur den Kopf, der weiter vergeblich nach Licht suchte.
Er konnte auch seine Freundin neben sich nicht erkennen, hörte nur schwach ihr ruhiges Atmen, gelegentlich begleitet von einem ganz sanften Schnarcher.
Das Herz des Mannes begann sofort heftiger zu schlagen und heftiger und lauter, Schweiß trat ihm auf die Stirn und seine Glieder und Muskeln begannen von der Versteifung zu schmerzen. Auch meinte er seine Sehnen zu spüren, wie sie in die Länge gezogen wurden, bis sie aufs äußerste gespannt waren und kurz vor dem Reißen waren, begleitet von durch den ganzen Körper schießenden Schmerzen, wie Pfeilspitzen, so stachen sie ihn überall hin.
Am schlimmsten traf es den Rücken, der auf einem harten Felsbrocken zu liegen schien und die Härte peinigte ihn so sehr, dass er sich nur noch eines wünschte: sofort raus aus diesem Folterbett.
Aber er vermochte es nicht. Begann schließlich doch etwas ruhiger zu werden und im gleichen Maße zu wimmern, erst ganz leise, dann immer lauter, was ihn sehr verwunderte, hatte er seines Wissens nach doch noch nie gewimmert.
Sein Hals begann sich nun ebenfalls zu versteifen und auf seine Brust schien ein Panzer geraten zu sein, der sich mehr und mehr zu zog.
Als er spürte, dass er auch den Kopf nicht mehr bewegen konnte und sein Herz vergeblich gegen den Panzer schlug, begann er zu schreien. Aber die Schreie kamen kaum aus ihm heraus, so dachte er jedenfalls. So legte er alle Kraft in die Schreie, stemmte sie geradezu aus sich heraus, als müsste er schwere Balken hoch wuchten und doch meinte er nur klägliches Wimmern zu hören.
Neben ihm stoppte der Atemton, begann das Bett kurz zu quietschen. Seine Freundin war aufgewacht und hatte sich erschrocken aufgerichtet.
„Was ist? Was hast Du?“
„Das Licht, das Licht!!!“
„Was ist damit?“
„Es ist weg. Die Sonne ist weg!“
Er hörte wie sie aufstand und um das Bett herumging, dahin, wo gestern noch das Fenster herrlichsten Sonnenschein der Toskana hereingelassen hatte. Dort hatten sie am Abend, ihrem ersten auf dieser Fahrt, die ebenfalls ihre erste als Paar war, staunend gestanden und das warme Leuchten auf den gelbrötlich schimmernden Dächern und Wänden der Stadt bewundert, den Himmel, auf dem sich die Sonne toskanisch rot, so tauften sie beide für sich dieses besondere Licht, langsam verabschiedete, hatten dort gestanden, sich gespürt und genossen, eine Gegenwart, wie sie ihnen bisher in den vorhergehenden Beziehungen noch nicht geschehen war. Zu ihrer Überraschung hatten sie es im Bett bei dieser Nähe belassen und sich nicht in die erotischen Gefilde begeben, die ihnen zuvor eigentlich im Sinn waren, weil es ja dazu gehörte und noch so schön neu und aufregend war. Stattdessen hatten sie stumm und ohne Bewegung nebeneinander gelegen, sogar darauf verzichtet sich an den Händen zu fassen, da sie sich ja auch so spürten und sich wie eine Einheit vorkamen, wunderbar gewärmt und geborgen, gesättigt und von jedem Durst befreit. So waren sie, einer nach dem anderen, in den Schlaf hinüber geglitten, völlig überzeugt von ihrer Liebe und Zukunft, der Ewigkeit und grenzenlosen Tiefe des Glücks.
Umso weniger verstand er nun diesen Morgen, diese Schwärze um ihn herum, diese völlige Lähmung und Gefangenschaft in seinem Körper.
Er hörte, wie sie das Rollo hochzog und plötzlich kamen Sonnenstrahlen auf hellen Staubbahnen zu ihm, erleuchteten ihre schlanke Figur, die ihm wie ein filigranes Meisterwerk der Natur erschien, elfengleich und so zart, sah endlich auch das Zimmer und spürte wie der Panzer sich von ihm löste und seine Brust wieder frei gab.
„Dummerchen, da ist sie doch, “ flüsterte sie zärtlich und drehte sich zu ihm um. Sie sah wie Tränen ihm über die Wangen kullerten und von seinem unrasierten Kinn langsam auf den Hals tropften. Sie sah seine dankbaren Augen und mit Verwunderung, wie er ganz langgestreckt, die Arme fest an seinen Körper gepresst, vor ihr lag.
Sie war noch nicht wirklich wach, nur durch seine Schreie hochgeschreckt worden, verspürte selber keinerlei Unruhe und nahm alles wie von weit weg war, als gäbe es sie noch gar nicht in diesem Raum, wäre es jemand anders, der da aufstand und die Rollos hochzog, zu ihm hinsah und mit ihm sprach. In sich aber spürte sie noch die Vertrautheit des Abends und von der fühlte sie sich getragen wie ein Baby im Kopfkissen bei dem Verlassen des Krankenhauses nach der Geburt. Ja, genauso, das Bild gefiel ihr.
Er sah ihr in die Augen und wusste, dass er ihr ewig dankbar sein würde für dieses Licht, dass sie für ihn hervorgezaubert hatte.
Danach legte sie sich wieder neben ihn, sagte nichts mehr, so wenig wie er, und der Schlaf nahm sie beide wieder auf, entließ sie nach angemessener Zeit zurück in den Tag, an dem sie so wenig wie die kommenden Jahre über den Vorfall sprachen, so als hätten sie beide Angst, es könnte doch nur ein Traum zwischen den Schlafphasen gewesen sein, und nicht ein echter, wahrer, tief erlebter Moment voll mit Magie.
Noch Jahre später behauptete er, sie hätte ihm damals das Leben gerettet und ihm die Sonne geschenkt, und deshalb sei sie auf ewig seine Sonnengöttin.
Sie erinnerte sich mit der Zeit weniger daran. Hatte ihn auch nie wieder so erlebt. Aber diese Tränen, die hatten sie beeindruckt.
Ein Mann, der weint!
Es war ihr egal warum. Hauptsache er konnte weinen. Ihr erschien es als ein glücklicher Start in ein gemeinsames Leben. Und so gut war es ja auch gekommen.
Er dagegen schämte sich seiner ihm nicht erklärbaren Überreaktion und fand keinen Weg, zu begreifen, wie ihm diese Geschichte hatte passieren können. Aber solange er bei ihr blieb, da war er sich von da an stets sicher, brauchte er vor dem Verschwinden des Lichtes keine Angst mehr zu haben. Sie wäre ja jederzeit in der Lage es ihm wieder zu schenken, so wie damals, in dem kleinen Hotelzimmer in Florenz.

(c) Bild und Text: Jörn Laue-Weltring, Lingen 2013

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