Mittwoch, 27. März 2013

Jan



Wieso ausgerechnet hierhin?

Wieso wieder an diesem Garten vorbei, durch den freien Raum in der immer noch wildwuchernden Hecke, durch diese mit grauen Platten belegte Lücke, zu den drei breiten Stufen, die in den zuletzt hingestellten Klinker-Anbau führten, zu den Garderobehaken, rechts die große Turnhalle mit den kältedurchlässigen großen Scheiben und den stumpfen Dielenbrettern, links die Klasse, in der Burmester stand, mit dem Stock auf den hellen Schreibtisch schlug und alle 5 Minuten "Zuhören!" schrie.

Hätte es nicht wenigstens einer der umliegenden Höfe sein können, der von Bauer Harm zum Beispiel mit seinem fetten Traktorhintern und der blauen Wilma, die den Korn zu Hause alleine aussoff, während Harm zur Dorfgaudi am Tresen hing und sich veräppeln ließ?

Auch das Spritzenhaus vorne an der Abzweigung mit dem Dorftelefon wäre noch ganz witzig gewesen, wenn auch ein wenig zu klein für son Psychokasten.

Aber ausgerechnet die seit langem aufgelöste Schule in Bannsdorf.
Seine Schule. Die Burmesterschule.

Nicht weit von der alten Wohnung, zu der er ganz bestimmt nicht hingehen wird. Und wenn ihn einer erkennt? Alle hatten es doch gewusst und geschwiegen, Harm, Wilma und die anderen. Burmester hatte dafür gesorgt.

Wenn die ihm das vor dem Urteilsspruch gesagt hätten, Jan hätte den kahlen Schädel geschüttelt, die drei Ringe am linken Ohr zum Klimpern gebracht. 

"Nein, hochverehrter Richter, nicht dorthin, wo ich herkam, wo alles anfing." Was denn dort angefangen habe?

Alles, hätte er gesagt, die ganze Scheiße eben, die ganze beknackte bundesdeutsche Scheiße.

Hätten sie nicht kapiert. Wie auch.

Diese Saftärsche. Die mit ihren Streichholzmuttis, deren Titten so aufregend wie Garderobehaken sein mussten.

Diese PS-Kotzer. Gesichter, wie zehnmal durch die Scheiße gezogen. Nazi-Scheiße. K.Z-Wärter.

Wie sollten die das verstehen.

Fanden doch alles gut hier. Lief doch alles für sie. Für sie.

Nicht für die Jans. Für die lief nix, nur so'ne Scheiße wie diese Schule.

Ob das Bild noch hängt? Das mit dem runden Kindergesicht und den ergrauten Backentaschen? Der soll Bundespräsident gewesen sein, stolz darauf, dass er in so einer Schule was hätte lernen dürfen.

Ja, so sah der auch aus. Dem war zu glauben.

Auch wenn es Burmester war, der den immer wieder hochlobte.

Von  diesen Bauten, erfuhr Jan erst später. Durch Zufall auf einer Bank.  Da hatte er'n Typen um was Rauchbares angemacht. Warn Linker. Hatte ihm dann sogar seine Zeitung geschenkt. War irgend so ein neumodisches Witzblatt.

Da hatte er sein Vorbild, sein 4 Jahre vor ihm hängendes Bild, als Comicfigur entdeckt. Vor flachen Bauten. KZs. Soll der Opa entworfen haben und dann vergessen. Die Typen, die in diese Dinger reinkamen, konntest auch vergessen. Nee, nicht vergessen. So 'n paar Millionen vergessen? Sonst merken sie sich auch jeden Pfurz. Was hatten sie ihm nicht alles vorgerechnet:

Drogenbesitz. Illegal. Klar. Steuerhinterziehung. Klar. Wer Drogen illegal besitzt, muss wenigstens Steuern zahlen.

Zollvergehen. Klar. Wer Drogen illegal besitzt, muss sie aus dem Ausland haben, weil hier soviel nicht wächst. Klar. Der Knast geht ja. Rein. Ein paar Jahre, wieder raus. Vorbei. Aber die Schulden beim Zoll und beim Finanzamt. Wie die abzahlen?

Wer KZ-Bauten errichtet hat diese Probleme nicht. Soviel war klar.

Sein Verteidiger hatte dem Gericht gesagt, Jan wäre doch nur ein User, ein kleiner Fisch.

Von wegen Fisch, du Sackratte mit Bügelfalte. Mensch. Jan Mensch!

10 Mark kostete so ein Zwischenruf.

Ob das Vorbild ein großer Fisch war?  Ein großer vergesslicher Fisch in einem schmalen hellen Holzrahmen?

Wer KZs entwirft und wieder vergisst, kann Bundespräsident und Vorbild in Schulzimmern für kleine Jans werden.

Wer Drogen missbraucht, kann da wieder hin zurückkommen, wo Alpträume anfingen: hierhin, Zwergschule für Zwerge und Vorbilder mit kurzem Gedächtnis und Burmesters mit selbstgeschnitzten Stöcken.

Jan war nie ein Zwerg. Also gehörte er doch wohl auch nie hierhin. Oder hieß das so, weil die Zwerge darin machten?

Egal. Burmester hatte ihn auf die Doofenpenne schlagen können, aber nicht zum Zwerg. Zum Zwerg hatte er sich selber gemacht.

Mit Berliner Tinke und viel Speed.
Und John Reed.
Dipdedipdedippdedipp.
Und dann dieser Scheiß hier.

Klar war das besser, wieder sauber zu sein. Das Zeug zerfetzt einen. Frisst einen auf. Die Junkie-Szene ist auf Dauer auch zum Kotzen. Jeder bescheißt jeden.

Aber, wie soll man in dieser Schule sauber bleiben? Hier sich das Drücken abgewöhnen? Da muss man ja hochkarätig zugepolstert und verblödet sein.

Immerhin, der Garten ist nicht mehr so pieke. Das ist schon mal gut.
Die wohnten wohl auch nicht mehr hier, die Burmesters.

"Sieh zu, du Zigeuner!  Heute Abend will ich kein Unkraut mehr sehen. Ist das klar? Ob das klar ist?!“'

Wie soll ein Jan so was vergessen, die beiden Beine über ihm, diese gebügelten grauen Hosen mit dem muffigen Geruch, die nasse Erde in den Händen, in der Nase, in den Knochen?

Der Stock lag zufällig zwischen den Erdbeerbüschen. Jan wusste wirklich nicht, wie der da hingekommen sein konnte.

Aber der gezielte Schlag damit, daran war Jan schuld. Es ging sehr schnell. Der graue Stoff gab nicht mal viel nach dort, wo die beiden Beine ineinander übergingen. Die gebräunte Burmester-Hand war zu langsam da, wo der Stock schon nicht mehr war. Die andere Burmester-Hand wollte Jan packen. Einen Jan, der bereits weglief und schrie: "Ich sag's meiner Mutter, dass Sie mich unsittlich machen wollten. Ich sag's meiner Mutter."

Den Stock konnte er noch zwischen den Lehrerbeinen liegen sehen. Kein Ton war aus Burmester gekommen. Nur kreidebleich hatte der ausgesehen. Die Alte von ihm schien weggewesen zu sein. Kam jedenfalls nicht raus.

Dann war Jan zur Doofenschule gekommen. Heißt jetzt Sonderschule. War ganz nett. Jan schaffte gute Zensuren, hatte Freunde und die Lehrer mochten ihn.

Nur danach gab’s nichts mehr für Jan. Keine Lehre. Kein Job. Da war’s wieder 'ne Doofenschule. Hätten die Ärsche den Namen doch auch gleich lassen können.

Dabei hatte der bestusste Burmester ihn nur deswegen nicht leiden können, weil Jans Mutter den nicht rangelassen hatte. Jan hatte es doch gesehen. Zuerst war er in die Küche der Burmesters kommandiert worden. Musste sich auf Burmesters angeschwitzten Bügelfaltenschoß setzen. „Jan, du machst mir Sorgen. Große Sorgen!“

Augen konnte der Burmester machen, wie Scheunentore, und ganz ernst gucken, dass es kleinen Jans kotzübel im Bauch wurde und sie nachts nicht schlafen konnten. „Bitte, bitte, ich will Ihnen ja keine Sorgen machen, nie mehr.“

Soweit bringen es solche grauen gebügelten Saftärsche bei kleinen Jans. Aber Jans werden größer.

Jedenfalls meldete sich der Herr Burmester immer auf diese Weise zu einem Besuch an. Alle paar Wochen Schoß von Burmester. Wer weiß, vielleicht war der auch noch auf Kinder scharf gewesen. Zutrauen würde er ihm das.

Dann kam der zu ihm nach Hause, brachte Blumen aus dem Schulgarten mit, die sie am Morgen noch hatten gießen müssen. Schließlich wechselte Burmester seinen Geruch. Die Rasierwasserdüfte hingen noch an den nächsten Tagen in der Wohnung rum.

Jan vergaß, wie sein Vorbild neben der alten Schiebetafel. Er vergaß die Schulaufgaben. Hatte schlecht geschlafen. Warum, das konnte er nicht sagen, wollte es auch nicht.

Er kam in der Burmesterschule jedenfalls nicht so gut durch wie der Bilderrahmen, durfte nicht zum Klassensprecher gewählt werden. „Jan, Jan!“ Kopfschütteln, Schläge, Kopfschütteln.

"Ihr wollt doch nicht diesen Zigeuner!  Damit kommt ihr bei mir nicht durch. Mommsens Meier ist euer Klassensprecher. Keine Widerrede."

Dabei hatte Burmester vorher strahlend seiner vierten Klasse mitgeteilt, sie dürften nun das erstemal in ihrem Leben an der Demokratie teilnehmen.

Was das sein sollte?  Wusste keiner von ihnen, musste was Typisches für Burmester sein.

Erst wählten alle den Jan, und dann wurde der Klassenstreber Thomas Klassensprecher.

Jan war nicht wirklich scharf darauf gewesen. Er wusste auch, dass sie hofften, sie könnten so seine Stärke und Wut für sich nutzen. Einige hofften bestimmt, dass er sie dann nicht mehr verprügeln dürfte. Dabei war das Prügeln manchmal noch das schönste an der Schule. Die meisten Bauernjungs dachten wie Jan.

Jetzt wussten sie, was Demokratie ist.  Ein Scheißwort. Eine Verarschung.

Am gleichen Tag rückte Burmester abends mal wieder an. Dieses Mal hatte er sich auch noch Pomade in das bisschen Haar geklebt. Jan verkroch sich sofort im Schrank. Die Alte war unglückseligerweise da. Er musste ihr immer Bescheid geben von Burmester, wenn er kommen wollte. Hatte Jan aber vergessen wegen der Wahl. Außerdem hatte Burmester zum Schluss noch gesagt: „Jetzt ist es aus Jan. Für dich ist hier kein Platz mehr!“ Wieso? Jan hatte nicht verstanden, was Burmester damit sagen wollte. Man musste doch zur Schule gehen. Jan war schließlich nicht freiwillig hier.

„Hat Ihr Sohn nicht? Hat er nicht. Na warte, Bengel!“ Setzten sich im Wohnzimmer.

„Gläschen? Bier habe ich nicht.“
„Aber gerne. Zigarette?“
„Nein, rauche nicht mehr seit gestern. Oh, mein seliger Mann hat die gleiche Sorte geraucht. Hier ist der Aschenbecher.“

Was für ein Gelaber. Und wieso rauchte sie nicht mehr, hatte doch gerade den Aschenbecher in die Küche geräumt und ihre Kippen in den Müll gedonnert.

Wann kommen die endlich zur Sache, zum Jan, zum nervös schwitzenden Jan in Lederhose und Strullerpfütze. Er hatte zuletzt vor Vaters Tod in die Hosen gemacht. Damals fast grundsätzlich. Und jedes Mal hatte es Schläge von diesem Alten gegeben, todkrank und wohl seine letzte Befriedigung, ihn, Jan, kräftig durch zu prügeln.

Deswegen war Jan fast glücklich bei der Beerdigung gewesen, genoss mit Begeisterung das einsetzende Mitleid für den armen Halbwaisen. Trotzdem dachte er, dass er ein fieser Jan sein müsste, da er nicht eine Träne vergießen konnte und die Alte soviel, als wenn sie nicht unter ihrem Besteiger gelitten hätte.

Ab jetzt kein Geschrei mehr, weniger Gestank, weniger Tränen. Dachte er. Aber die Alte übernahm plötzlich das Schreien und heulte immer noch und stinken konnte sie auch.

Auf dem Sofa kam man nicht zu Jan. Der Burmester-Mund brüllte nicht wie sonst im Klassenzimmer, schlug auch nicht mit dem selbstgeschnitzten Stöckchen rum, warf kein Schlüsselbund durch die Gegend. Im Gegenteil. War ganz leise und irgendwie so wie Cary Grant oder Joachim Fuchsberger im Edgar Wallace.

Im Fernsehen kannte Jan sich aus. Der machte sich nichts aus dem Chaos in der Wohnung, lief und lief bis Jan das Gefühl hatte, er könne in ihn hineingehen und woanders wohnen.

Beide Arme hatte Burmester auf der Lehne ausgebreitet. Das braune, etwas glitzernde Jackett lag auf der Sessellehne. Der Schlips wurde von Burmesters Händen gelockert, ohne dass die Burmester-Lippen dabei stillstanden. Jans Mutter hatte Likörgläser geholt und lachte ein paarmal. Über den Jan im Schrank? War er ein lächerlicher Zwerg? Dann lachte sie anders, komisch. Durch einen schmalen Spalt konnte er sie sehen.

Sie waren beide rot im Gesicht. Dann war nur noch das dicke Haar des Burmester-Kopfes zu sehen und der weiße Hemdrücken, auf dem Jan einen dunklen Fleck bemerken konnte. Darunter zappelte es. Nicht es. Nylonbestrumpfte Beine zappelten da. Der weiße behemdete Rücken fuhr nach oben. Fiel wieder runter.

Irgendwas wie "Nein!!!" meinte Jan zu hören. War sich aber nicht sicher. Eine merkwürdige Spannung war in ihn gekrochen.

Damals konnte er sich nichts vorstellen, was zu dem vor ihm zappelnden keuchenden Bild gepasst hätte.

Klar kannte er Worte wie Vergewaltigung. Er hatte es oft genug auf der Bildzeitung gesehen, die Burmester jeden Morgen in der ersten Pause von einem Schüler holen ließ.

Dann hatte er sich furchtbar erschrocken. Es hatte plötzlich einen Knall gegeben. Die Stehlampe war umgefallen.

„Zier dich nich so, verdammt. Du alte Hure. Die anderen lässt du doch auch.“
„Du verdammtes Schwein!  Hau ab oder ich sage es endgültig Deiner Frau.“
„Halts Maul, geiles Miststück. Dir glaubt hier sowieso keiner!“
„Das werden wir sehen, Du Scheißkerl.“
„Sei vorsichtig. Ich kann deinen Jan in die Klapse bringen! Bisher hab ich wegen Dir alle Augen zugedrückt. Los, mach jetzt.“
„Aua, bisse zu doof zum ficken! Au!!! Nicht! Nicht! Hilfe! Jan! Hilfe!“

Da war er aus dem Schrank raus. Sah zu dem weißen Rücken mit dem dunklen Fleck auf der Mutter, sah schlaffe Brüste mit zwei großen Schrammen, sah sofort von ihrem käsigen Gesicht weg.

Angeblich soll er dabei wie am Spieß geschrien und auf Burmester eingetreten und ihn mit einem Besen, wo hatte er den bloß so schnell gefunden, immer wieder eingeschlagen haben.

Aber als der Bauer, der sie im Häuslerhaus wohnen ließ und nervös geworden war wegen der Schreie und Geräusche, endlich ihnen zu Hilfe eilte und ins Zimmer kam, war Burmester schon wegstürmt, nicht ohne ihnen leise zischend zu drohen. „Haltet bloß Eure verdammte Schnauze, das hier wird Euch was kosten!

Jan hatte das alles dem Bauer erklären wollen aber eine feste Hand auf dem Mund gespürt. Warum?

Sie hatte es ihm nie erklären wollen. Nicht einmal danke hatte sie hinterher gesagt. Nur. „Halt bloß den Mund, hast ja gehört was der gesagt hat.“ Schlimmer noch war, dass sie manchmal sagte: „Der hat Recht, du gehörst in die Klapse und ich habe endlich meine Ruhe.“

Eines Tages fand er sie mit noch schlafferen Brüsten unter dem Küchentisch. Braune Flecken bedeckten den runzligen Bauch. Gelblicher Schaum verklebte Mund und Nase. Da hatte sie schon länger die Flasche mit der Spritze getauscht, ihm waren dafür die ersten Joints in die Hände gefallen. Fand er geil, ließ bald keine Gelegenheit aus, sie zu beklauen. Das war ein Stoff!

Erst als der Arzt vor ihrer Leiche ihn böse anstarrte und sagte "Die ist tot!  Die ist doch längst perdü!" Da begriff er es. Es war vorbei mit Eltern. Endgültig. Und mit heimlichen Joints auch.

Dann machten sie ihm Schwierigkeiten, ihren traurigen Rest in Vaters Grab zu bringen. Die Anatomische hatte diesen Rest irgendwie verloren, verschoben. Keiner wusste was. Das Jugendamt schaltete sich ein. Ein junger, netter Kerl. Am Anfang jedenfalls, als sie sich noch nicht so richtig kannten.

Für die Polizei war der Fall erledigt. Überdosis. Er bekam sie dann doch noch zurück.  Nur Bauer Sonnenschein und der vom Jugendamt kamen mit zur Beerdigung.

Ob Burmester aufgeatmet hat, als er davon erfuhr?

Jan hatte ihn besucht. Er war diese Treppen hoch, durch den Flur, in den Klassenraum rein ohne anzuklopfen.

„Sie, Herr Schneider?"
„Meine Mutter ist tot."

Burmester war erst bleich geworden, dann aber hatte er gesagt: „Na und? Was kommen Sie damit zu mir?  Sie sehen doch, dass hier Unterricht ist. Denken Sie an die kleinen Kinder.  Sie bringen sie ganz durcheinander."

"Ich?"

Das Wort hatte er einen Moment stehen lassen. Burmester hatte geschwiegen und ihn wütend angestarrt. Hatte er in diesem einen Moment endlich auch mal Angst verspürt, Angst davor, dass Jan nun alles erzählen würde? Hatte er dabei geschwitzt?  War wieder so ein dunkler Fleck auf dem Hemd gewesen?

"Sie bringen doch die Menschen durcheinander. Sie schaden den Kindern. Mir zum Beispiel. Auf Wiedersehen, Herr Lehrer, und noch mal schöne Grüße von meiner Mutter."

Was hatte Burmester den Kindern als Begründung für dieses Schauspiel erzählt? Ein Spinner? Jan hätte lauschen können. Wollte aber nicht. Hatte das Ganze hinterher eigentlich affig gefunden. Mutter wurde nicht wieder lebendig.  Und so sehr hatte er an ihr auch nicht mehr gehangen. Hatte ihn trotz Burmesters Überfall nicht gegen den in Schutz genommen.

Was war denn das für eine Mutter gewesen: nachts knarrte meist ihr altes Bett, und einmal sah er einen Typen mit tierischen Augen und stinkender Schnapsfahne in sie reinpowern. Stank wie Scheiße das Ganze.  Die Alte hatte nur noch gelallt von ihren Tabletten und Stoff. Der Typ hatte ihn bemerkt.

"Willst auch mal?"

Da war er abgehauen. Nicht für lange. Griffen ihn. Sperrten ihn ein. Riss er sich zusammen. Hielt durch. Bis sie unter dem Tisch lag. Und jetzt wollten sie den Eltern mehr Rechte über ihre Kinder geben.

Noch mehr?

Im Flur sprang ihn ein langer, zotteliger Hund an. „Ruhig, Rufus!"

Die Stimme kam aus der Turnhalle. Von einem kleinen dicken Mädchen mit langen schwarzen Haaren. Was machte die hier? Drücken jetzt schon die Kinder?

Rufus sollte wohl das große Tier sein. Dessen nasse Zunge fuhr Jan quer über das Gesicht.

"Wo ist hier der Seelendoktor?  Ich komm frisch aus der Heile. Bin der Jan. Drücker-Jan."

"Die erwarten dich schon.  Wolltest abhauen?'

"Nee. Ich hab mir nur den Laden hier angeguckt. War meine alte Penne."

"Das gibst doch nicht."

Dachte Jan auch.


(überarbeitete Fassung, veröffentlicht 1985 im „Kürbiskern“, Damnitz Verlag,
die ehemalige Dorfschule als „therapeutische Wohngemeinschaft“ gab es tatsächlich, wir haben sie dorthin verlegt, nach dem Dorfbewohner unsere erste Einrichtung in einem Dorf auf der anderen Seite der Stadt angezündet hatten. Die Geschichte entstand aus meiner Arbeit als „Therapeut“ dort zu Beginn der 70er Jahre) Das Bild zeigt eine andere Schule 1950
© Jörn Laue-Weltring 2013

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