Freitag, 8. März 2013

Zum 8. März 2013 Internationaler Frauentag: Meine Heldin





 


Ich habe länger überlegt, welche Frau ich dieses Mal bei FB in den Mittelpunkt stelle. Die immer auftauchende Rosa, Berta oder wie früher Angela Davis?  Die von mir sehr vermisste und hochgeschätzte ehemalige Zeit-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff  wäre ein gutes Thema. Aber ich habe mich dann doch für die Frau entschieden, der ich mein Leben, meinen Humor und manchen guten Bodensatz, sie hätte gesagt Dünger, verdanke.  Sie kam am 12. Dezember 1898 als letztes Kind in der Kirche zur Welt, da ihre Mutter keinen Gottesdienst verpassen wollte. So hatte sie eine Kindheit, in der der Krieg sich erst durch Wortgeplänkel und Waffenrasseln andeutete. 



Sie wuchs auf einem Bauernhof am Rande von Twistringen inmitten von großen starken Kerlen, ihren Brüdern, auf.  Die zogen in den Krieg, kamen alle wieder und sie wurde zum von allen eifrig bewachten Teenager. Nach und nach heirateten ihre Geschwister und verließen den Hof. Nur sie blieb zurück und war so zu sagen die Magd ihrer Mutter. Das war normal für sie, wenn auch nicht immer einfach. Treffen mit Männern allein, das war fast unmöglich, da ihre Mutter stets argwöhnisch hinter ihr her sah. Das änderte sich erst nach dem Tod der Mutter. Mittlerweile hatte sich  Adolf Hitler mit seinen Schergen breitgemacht in Deutschland. Da kam ein Bautrupp die Landstraße entlang.  Der Gröfaz investierte viel in Straßen, mit wenig friedlichen Absichten. Aber trotzdem: diesem Programm verdankte sie die Begegnung, die ihr Leben verändern sollte. Ein Bauarbeiter warf achtlos seine Schaufel fort, gerade in dem Moment, in dem sie mit Rad zum Hof fuhr. Die Schaufel traf das Rad, sie lag auf der Landstraße und er kümmerte sich sofort erschrocken um sie. Ich habe sein Polierbuch nach ihrem Tod gefunden. Da kann ich sogar den Kilometer des Ereignisses auf den Tag genau finden. Ebenso die Flitterwochen, die als Urlaub eingetragen sind.  Ja, so war das, sagte sie immer, gesehen, verliebt, geheiratet.

 
Sie zog zu ihm auf seine Häuslerstelle in Drebber und musste bei der Hochzeit auf die Anwesenheit aller großen, starken Kerle und der übrigen Verwandtschaft verzichten. Hatte sie doch gewagt einen Evangelischen zu heiraten. Und das, wo sie doch sogar in der katholischen Kirche in Twistringen zur Welt gekommen war. Besonders fehlte ihr der Bruder, der immer so schön bei den Familienfesten auf dem Akkordeon spielen konnte.
Ihr Mann war Witwer und brachte zwei kleine Mädchen mit in die Ehe. Kurz nach der Hochzeit bricht das polierbuch ab. Der Gröfaz hatte ernst gemacht und seinen großen Krieg begonnen. Ihr Mann mußte an die Front und sie hatte plötzlich nicht nur den kleinen Hof, die Zwangs-Dienste beim Bauern sondern auch noch zwei fremdelnde Kinder zu versorgen.  Aber er kam für ein paar Tage zurück, ihre restlichen Tage einer verdammt kurzen Ehe. Danach hat sie ihn nie mehr wieder gesehen. Er starb in einem russischen Kriegsgefangenlager.  Die Bilder, die er ihr von der Front schickte, hat sie ordentlich eingeklebt. Ich weiß nicht wie viel Tränen darauf eingetrocknet sind. 


Der Krieg dauerte an und sie bekam 2 russische Kriegsgefangene auf den Hof als Hilfe, da die Männer alle an der Front waren. Gut kamen sie miteinander aus, diese Männer aus dem für sie fernen und unbekannten Land, in dem ihr Mann erst kämpfte und dann seinen Tod fand. Ein Kriegskamerad tauchte eines Tages auf ihrem Hof auf, überbrachte ihr den kümmerlichen Nachlass eines Soldaten. Aber das war schon nach dem Krieg. Vorher aber musste erst mal der Krieg ein Ende finden und das war gar nicht so angenehm, da ja die Russen auf den Höfen schufteten und das zum Teil wie Sklaven, nur noch schlechter versorgt.
Nicht so bei ihr. Und so kam es, dass die Russen den Befreiern in den Jeeps entgegen liefen und riefen: „Gute Frau, gute Frau!“ So kam sie ungeschoren davon, hat die beiden hinterher sogar vermisst, nicht nur wegen der Arbeit, die sie nun wieder über nehmen musste und hat alleine weiter gemacht, so gut es ging versucht den mittlerweile jungen Damen eine gute Mutter zu sein. 

 
Wie zuvor schon arbeitete sie zusätzlich in der Trinkhalmfabrik in Twistringen, schaute auch mal den Männern nach, war lange nicht Witwe bis der Kriegskamerad kam und sie nach kurzer Trauer wieder nach vorne zu sehen begann. So vergingen die vierziger Jahre,  die Töchter „machten mit Männern rum“, „fingen sich was“, heirateten, und sie wurde 50 und war allein.


Da verlor in der für sie fernen Großstadt Bremen ein Schiffbauer seine Frau, fühlte sich noch zu jung für ewiges Witwerdasein, bekam den Hinweis auf eine lebenslustige, fleißige Frau in Drebber.
Er fuhr hin, besuchte sie, verliebte sich und sie tat ihm gleich und so wurde eine große Hochzeit daraus. Dieses Mal kam auch ihre Verwandtschaft dazu obwohl der Neue auch ein Evangelischer war. „So sind die Leute, Jörn.“


Auch der Neue hatte zwei Kinder, einen schon lange erwachsenen Sohn und eine Tochter, die als Angestellte in der Stadt arbeiten ging, aber noch zu Hause beim Vater wohnte.
Der Hof gehörte der späten Braut nicht, aber das Vieh und Inventar. Aus dem Erlös des Verkaufes finanzierte sie einen Balkon an dem Haus ihres Schiffbauers, der das Haus nicht lange zuvor gerade abbezahlt hatte.  Dort sollte sie die nächsten Jahrzehnte leben.


Seine Tochter begann etwas mit einem 5 Jahre jüngeren „Jungspund“, der noch in der Ausbildung war und „man gerade 16 Lenze zählte“. Als er 17 wurde, wurde er zugleich Vater eines Jungen. Das war ich, ungeplant  und ohne Ehehintergrund oder eigene Wohnung schwer zu versorgen. Daher beschloss das Paar mich in einem Heim unter zu bringen.


Das passte der Frau des Schiffbauers aber gar nicht und schon nach zwei  Besuchen holte sie mich zusammen mit ihrem Mann zu sich nach Hause, bis ich mit 5 Jahren zurück zu meinen Eltern kam.
Wenige Jahre später starb auch ihr zweiter Mann. Es soll eine gute Ehe gewesen sein, mit allem, was laut Familiensaga die Schwiegertochter und den ältesten Sohn auf den Platz brachte: „Sie möge ihren Mann doch ein wenig schonen, der magere ja toll ab.“ Als hätte ihr Schiffbauer ein Interesse daran das sein zu lassen, was ihm lange genug gefehlt hatte. Wie gesagt, diese Frau war sehr lebenslustig und tolerant.  Sie fuhren in Urlaub, das erstemal für sie beide, gingen regelmäßig ins Kino, kauften und hörten Schallplatten. Das alte Röhrengerät von ihnen steht heute bei uns im Wohnzimmer.
Ab der dritten Klasse und die ersten beiden Jahre auf dem Gymnasium wohnte ich wieder bei ihr, da meine Eltern durch den langen Krankenhausaufenthalt meiner kleinen Geschwister stark verschuldet waren und nur eine kleine "Buzze" sich leisten konnten. 
Danach habe ich meine Heldin, ja, das schreibbe ich hier mit vollem ernst, immer wieder besucht, zu gegeben des Öfteren in der Hoffnung auf ein bisschen Zusatz-Taschengeld, aber auch bei Kummer und Sorgen. Während andere sich über meine wachsenden Haare und "merkwürdigen Klamotten", den "Hippie" mokierten, nahm sie es stumm, wenn auch innerlich zweifelnd, ohne Vorwürfe hin. Ihre Türe blieb bis zum Schluss weit, ganz weit für mich offen, war ich doch eigentlich "ihr Kind". 


Bei ihr gingen in den nächsten Jahren viele verschiedene Menschen ein und aus und viele mochten sie gerne und noch lieber mit ihr feiern.  Mein Vater gehörte dazu, den sie auch nach der Scheidung meiner Eltern  gerne bei sich empfing.  Und ich natürlich, der immer willkommen war, umsorgt wurde und gelegentlich dezent auf das eine oder andere hingewiesen.  So traf ich Griechen und Türken bei ihr, Facharbeiter und Hilfsarbeiter, Alkoholiker und arme, einsame Nachbarinnen. Alles, was das Viertel in den Jahrzehnten so am Menschen tat und anlieferte.


Sie starb „hochbetagt“ mit 99 Jahren. Diese Frau war meine „Stiefoma“, meine liebste Oma, meine Hermiene von allen nur Miene genannt, was im doppelten Sinne zu ihr passte. Ja, sie war unsere und meine beste „Miene“. Ihr schulde ich mehr als Dank, Liebe und Respekt. Schön dass Du für mich da warst, liebste Miene!

Nachtrag: Ihr liebster Traum, oft am Telefon erzählt, war der Besuch von Hans Albers in ihrem Bett. Fröhlich erzählte sie es und es war durchaus Erotik im Spiel. Den Hans albers mochten wir beide. Und wenn ich sein "Auf die Schaukel Luise" höre, denke ich immer an sie. Wie gerne wäre sie seine Luise gewesen. Wenigstens mal zum Naschen, probieren wie der wirklich schmeckt.

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