Mittwoch, 10. April 2013

"Am Ende stehen wir da, wo wir angefangen haben." Fortsetzung 7


Wahrscheinlich musste man dem Herrn, denn das war er offensichtlich, irgendetwas anbieten. Und das tat ich. Wein fand er gut, ich auch und so saßen wir bald darauf uns gegenüber, stießen die Gläser an und schlürften genüsslich roten Wein. Anderen hatte ich nicht im Hause, den Weißen trank sie am liebsten aber ich auch und so harte stets nur der Rotwein seiner Zeiten bei uns.

„Sie haben ihr nicht geglaubt“, begann er den Anlass seines Besucher mir vor zu stellen. Fuhr fort, „was ja verständlich ist. Ich habe ihr gesagt, dass sie etwas zu schnell damit raus gekommen ist. Ich hatte ihr vorher geraten, behutsam vor zu gehen, aber auf jeden Fall es zu versuchen.“
„Was zu versuchen?“
„Sie endlich in Kenntnis zu setzen und unser Interesse an Ihnen, oder darf ich Du sagen, schließlich sind wir verwandt?!“

Das mit dem Du regelten wir wie unter Verwandten üblich mit Glas an Glas aber ohne Bruderkuss. Das wäre mir in der Situation wirklich zu viel gewesen.

„Sie, Entschuldigung, Du hast wahrscheinlich inzwischen recherchiert und nichts gefunden über die Gemeinschaft der Hobbels. Brauchst nur zu nicken. Schließlich haben wir nicht wenig Energie darauf verwendet, das es so ist und hoffentlich auch so bleibt.“

„Großonkel, ich nenne Sie, Du mal so: so etwas behaupten andere, die einem Mist verkaufen wollen auch gerne! Ist geradezu ihre Masche, auf die ich, entschuldige, wirklich keinen Bock habe! Es gibt keine Geheimorganisation Hobbels, schon gar nicht mit Vertretern meiner Familie, erst recht nicht mit den mir genannten Verwandten, Schluss, Punkt, Aus!“

Er sah mich ruhig an, nippte genüsslich am Wein, was mich ebenfalls nippen ließ, streckte sich auf dem Sessel in die Höhe beim Sitzen, sah mir direkt in die Augen und sagte, wie nicht anders zu erwarten: „Doch, es gibt sie, es gibt uns und ich bin hier um Dir mehr darüber zu erzählen, vielleicht verschwindet ja dann Deine, wie ich leider zu geben muss, berechtigte Skepsis.“

Er hatte mich, einfach so durch seine sanfte beharrliche, nette Art, hatte mich und ich fragte mich, ob ich denn wenigstens die Chance hatte, ihm zu sagen, dass ich auf einem anderen Suchweg war, ein wichtiger Weg, jedenfalls für mich, auch wenn ich noch immer nicht formulieren konnte, warum eigentlich und mit welchem konkreten Ziel, was sie beim letzten Gespräch regelrecht an die sprichwörtliche Decke gebracht hatte, mich aber nicht beirren konnte oder abbringen, konnte ich ihm das entgegenbringen und so von seinen Hobbels verschont bleiben?

Wahrscheinlich nicht. Er saß da, ruhig, lächelnd, bestimmend entsprechend seines Alters und unserer Schwäche dem gegenüber, saß da also und ich, ich schwieg von meinen Gedanken, Zielen, Fragen, hörte mir stattdessen an, was er meinte, mir erzählen zu müssen, auch um seine, meine liebe Roswitha zu entlasten, ihr und mir unser nächstes Gespräch zu erleichtern.

„Roswitha war vor allem verwundert, warum Du so intensiv nach ihrem jahrelangem Freund und Besucher Karl gefragt hast, der dich mehr zu interessieren schien als unsere Geschichte, die der Hobbels.

Warte, ich habe bereits mit ihr darüber gesprochen und ihr versucht zu erklären, was ich meine verstanden zu haben an deinem Interesse.  Aber Du wirst mit Deinen Fragen nicht wirklich weiter kommen, wenn Du Dich gegen diese also uns Hobbels sperrst.

Ich kann ja verstehen, dass es unglaubwürdig, mehr noch total überraschend und völlig anders klingt, als das, was Du eigentlich gesucht und vermutet hast. Ginge mir wahrscheinlich genau so und auch Karl hat damals zuerst so reagiert wie Du.“

Jetzt hatte er mich, mit Karl, mit der Möglichkeit, dass in Karl mehr steckte als alle in ihm gesehen hatten. Und das war es, was ich bis jetzt schon für mich vermutet hatte und warum mich der Kerl überhaupt so sehr interessierte. Also entspannte ich mich und hörte zu, nur unterbrochen von dem Nachfüllen in unsere Weingläser. Später, im Laufe des Abends brachte ich auch noch kleine Häppchen auf den Tisch und am Ende stießen wir mit Grappa an.

Er überzeugte mich und am nächsten Morgen sah ich mir die Bilder in meiner Wohnung frisch und mit neuen Augen an. Das Gefühl von irgendetwas ausgesperrt gewesen zu sein, verstärkte sich und hatte plötzlich eine Erklärung. Trotzdem blieb in mir ein Unbehagen und das Gefühl, dass auch diese immer noch für mich jedenfalls abstruse Story mehr steckte in ihrem Verhalten und den Folgen auf mich, die damit noch nicht wirklich erklärt waren.

Eines war mir aber klar, ihr würde ich davon nichts erzählen, brächte nur meine eigenen Zweifel nach oben und noch mehr Verwirrung.

Wenn ich ihn richtig verstanden hatte, so waren diese Hobbels ungeachtet ihrer Gemeinschaft in allen möglichen Parteien und Organisationen aktiv. Karl brachte er bei, dass er sich nicht schämen müsse, da er offensichtlich eher pazifistisch eingestellt und dies wunderbar sei. Sein ganzes Verhalten, auch und gerade in seiner Familie, zeige das doch sehr offensichtlich. Karls Träume, auch gerade die mit Hans Albers, zeigten doch einen Menschen der mit dem ganzen Nazi-Scheiß nichts am Hute hätte. Er hätte Anerkennung gesucht, wie die meisten Menschen, auch Liebe, hätte sie nie aber mit Gewalt sich geholt. Was ihm vor allem gefehlt hätte wäre doch das was er in der Nazi-Partei vergeblich gesucht hätte, Orientierung, Hilfe für den Weg durch das Leben ohne Gewalt, ohne auf andere zu schießen oder sie zu vernichten, was ja das Gleiche wäre.

Er hätte Karl in den Gesprächen nie kritisiert für seinen Eintritt bei den Nazis und so hätten sie schnell eine gute Basis gefunden und am Ende wäre Karl überzeugt davon gewesen, das er immer schon ohne es zu wissen oder zu ahnen ein Hobbel gewesen sei,. Und er wäre auch sofort bereit gewesen den Weg mit seiner Frau in der Politik weiter zu gehen, jetzt aber vor allem um ihnen zu berichten und in ihrem Sinne vorsichtig gegen zu lenken.

Erst danach ließ er mich einiges über meine Familien erfahren. Und zum Schluss, es war nicht anders zu erwarten gewesen, fragte er mich direkt, ob ich es mir anbetracht dieser Vorgeschichte, nicht vorstellen könne, ein Mitglied der Hobbels zu werden. Er präsentierte mir auch gleich ein paar, zugegeben teils verlockende Angebote, dazu.

Dabei wurde er mir immer unheimlicher. Sein Lächeln, seine Augen, die nichts verrieten, nur Neugierde und Freundlichkeit, aber ich spürte dahinter etwas anderes, etwas, das er mir nicht verraten würde und dies mit gutem Grund: seine wirklichen Gedanken.

Ein Profi saß da vor mir, ein Menschenfänger, so in etwa stelle ich mir jedenfalls diese Gurus im Erstkontakt vor.

Und so war ich froh, als mich endlich verließ, freundlich, unverbindlich ein mögliches künftiges Wiedertreffen in meinen Räumen da lassend. Und eine merkwürdige Spannung, die sich auch durch mein sofortiges Lüften nicht verzog. Ich fühlte mich bedrückt, leicht verunsichert und zugleich wütend.

Überhaupt keine Lust verspürte ich, mich auf seine Bilder und Ideen weiter ein zu lassen. Fast hatte ich das Gefühl, sie sabotierten meinen Versuch mir Klarheit zu verschaffen über unsere Familien und mich und woher meine Gefühle und Schmerzen kamen. Was sollte ich nicht entdecken? Gab es ein Geheimnis, ein wirkliches, echtes neben diesem Hirngespinst der Hobbelei von Männern, die sich einerseits angeblich zu nichts zugehörig fühlten, nicht zu irgendwelchen Religionen noch zu irgendwelchen Ideologien und sich darin gefunden haben sollen, nur auf welcher Basis?

Alles sehr nebulös und wenn es ein tiefes schwarzes Loch verbarg in das ich nicht hinabsteigen sollte? Wovor könnten sie Angst haben, meine „leicht vertüdelte“ Stiefmutter, wie Hermiene immer sagte, und dieser freundliche alte Herr, ein bisschen zu freundlich, zu alt?

Was soll das helfen da draußen, wo nur die Zahnräder auf uns warten und wehe wir bewegen uns falsch zwischen ihnen, platsch, schon ist es aus und dieses Räderwerk verstehen, wie es dazu gekommen ist, bin ich nicht dafür ausgestiegen und losgezogen, zu erfahren wie es kommen konnte und kam, wie wir wurden was wir sind? Was braucht es da solche hohlen Geschichten über Leute die nichts sein wollten, nichts gut fanden im Angebot und doch bei allem mitmachten als angeblichem Sand im Getriebe. Wo hat es denn mal geknirscht, ist dadurch etwas stehen geblieben. Das hätte die Geschichte doch bestimmt nicht totgeschwiegen.

Ist es nicht wichtiger für mich zu erfahren, was mich an Karl, seiner Geschichte berührt, was mich zu ihm hinzieht, eventuell durch das, was er von mir enthält, wo wir uns berühren in unseren Ängsten und Sehnsüchten? Zum Beispiel wo ist Karl hängen geblieben, wo ich, wie können wir uns befreien?

Oder die Tatsache, die so spät auf meinen Tisch kam, nie Thema war und doch wahr und auf bösartige Weise schrecklich, weil auch ich bis dahin schon öfter diesem Volk gegenüber als Verräter und Verächter aufgetreten war, dass wir Polen sind, meine ganze Familie, zweite und dritte Generation, so wie die zweite und dritte Generation die wir immer noch als Türken, Araber, Afrikaner oder sonst was identifizieren, denunzieren, bloßstellen und ausgrenzen in meinem Land, in Häusern verbrennen lassen, an Haltstellen zu Tode prügeln?! Muss ich da jetzt nicht die Straßenseite wechseln, gehöre ich doch auf ihre Seite, unter die Schläge, in die brennenden Häuser? Warum haben wir nie darüber geredet, stattdessen Geschichten so wie die von Karl erzählt?

Wenn sie jetzt da wäre, könnte ich versuchen mit ihr darüber zu reden. Aber sie muss im Süden der Republik einen Job erledigen. Hätte es überhaupt Sinn? Wahrscheinlich nicht, sie fährt wohl mal mit, sieht sich mit um, sucht auch und hilft mir mit der einen oder anderen Idee, nur hören, hören will sie von all diesen Gedanken nichts, das sei meine Sache, wohl meine Art etwas auf zu arbeiten, aber nicht die ihre, früher hätten sie gesagt „Spökenkiekerei“. Hauptsache ich verlöre mich nicht ganz darin und die Realität völlig aus den Augen. Dabei ist es ja gerade sie, die ich suche, die Realität in und hinter uns, die, die wirklich uns antreibt oder runter zieht. Für sie eher eine Sache der Soziologen und Psychologen, vielleicht noch der Politologen obwohl sie die für „Vielquatscher und Wichtigtuer ohne echten wissenschaftlichen Hintergrund“ hält. Bei den Politologen ist sie konservativ, zumindest was den Begriff der Wissenschaft angeht. Gut, ihr Problem.

Ist es nicht merkwürdig, kaum bringen einem Leute fremde Ideen, schon hapert es mit den eigenen. Liegt das nun an mir oder diesen Leuten, vor allem diesen Hobbels? Kann mich kaum konzentrieren, möchte am liebsten raus laufen, wenn nicht der blöde Ostwind dort auf mich lauern würde, bereit in meine Hosenbeine zu kriechen und meinen Körper ein zu frieren. Da bleibe ich lieber hier, wüsste auch nicht, was mir jetzt das Laufen helfen könnte, ich würde doch nur meine Gedanken im Kreise drehen. Nein, muss mich auf Karl konzentrieren, ihm folgen, nicht dem feinen, alten Doktor mit seinen Hobbelspielchen. Unsere Geschichte ist mir sowieso schon lange mit zu viel konstruierten Geschichten angeblich erzählt, in Wirklichkeit vernebelt, verzuckert und zugeschmissen.

„Karl musste auf der Werft mit aufräumen, wie alle anderen Steine klopfen, Metall aufsuchen, säubern und biegen.

Der Besitzer und einst so stolze Chef kam erst nach einem Jahr etwas kleinlauter wieder in einem billigen grauen Trenchcoat wie eben Knastbrüder so wirken nach einem Jahr Zelle.

Da war Karl bereits Leiter des Büros geworden. Weil er nur einfaches Parteimitglied war, nie Soldat, nie groß in Erscheinung getreten, galt er von Anfang an als "Antifaschist" und einer der nie wirklich etwas mit „Denen“ zu tun gehabt hätte. Bestätigten ihm gerne alle Kollegen, vor allem die, die das Gegenteil getan und sich nun von ihm Vorteile versprachen.

Karl wehrte sich nicht dagegen.

Als der Chef den alten Horstmann mitbrachte und als Bürochef einsetzte, bedankte sich Karl für die Ehre, weiter sein Mitarbeiter sein zu dürfen, er wisse schon, mit diesem Arm, eigentlich sei er auch nicht der schnellste, und verzog sich froh zurück an seinen alten Arbeitsplatz.  Auch dass Horstmann aktiver Nazi, ein Goldfasan gewesen war, störte ihn nicht wirklich. Längst hatte er sich bezüglich deren Bestrafung einiges abgeschminkt, hörte er doch von allen Seiten dasselbe. Angeblich seien die „unverzichtbar“ beim Wiederaufbau und um den gehe es ja schließlich, wo so viele hungerten und der Winter fast den Rest der Bevölkerung hingerafft hätte wegen dem Mangel an Kohlen und Öfen Die Arbeiter buhten ihn dafür aus und streikten bis Horstmann freiwillig dem Chef seinen Ausstieg aus Firma anbot.  Karl wurde trotzdem nicht wieder ihr Leiter.

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