Wahrscheinlich
musste man dem Herrn, denn das war er offensichtlich, irgendetwas anbieten. Und
das tat ich. Wein fand er gut, ich auch und so saßen wir bald darauf uns gegenüber,
stießen die Gläser an und schlürften genüsslich roten Wein. Anderen hatte ich
nicht im Hause, den Weißen trank sie am liebsten aber ich auch und so harte
stets nur der Rotwein seiner Zeiten bei uns.
„Sie
haben ihr nicht geglaubt“, begann er den Anlass seines Besucher mir vor zu
stellen. Fuhr fort, „was ja verständlich ist. Ich habe ihr gesagt, dass sie
etwas zu schnell damit raus gekommen ist. Ich hatte ihr vorher geraten,
behutsam vor zu gehen, aber auf jeden Fall es zu versuchen.“
„Was
zu versuchen?“
„Sie
endlich in Kenntnis zu setzen und unser Interesse an Ihnen, oder darf ich Du
sagen, schließlich sind wir verwandt?!“
Das
mit dem Du regelten wir wie unter Verwandten üblich mit Glas an Glas aber ohne
Bruderkuss. Das wäre mir in der Situation wirklich zu viel gewesen.
„Sie,
Entschuldigung, Du hast wahrscheinlich inzwischen recherchiert und nichts
gefunden über die Gemeinschaft der Hobbels. Brauchst nur zu nicken. Schließlich
haben wir nicht wenig Energie darauf verwendet, das es so ist und hoffentlich
auch so bleibt.“
„Großonkel,
ich nenne Sie, Du mal so: so etwas behaupten andere, die einem Mist verkaufen
wollen auch gerne! Ist geradezu ihre Masche, auf die ich, entschuldige,
wirklich keinen Bock habe! Es gibt keine Geheimorganisation Hobbels, schon gar
nicht mit Vertretern meiner Familie, erst recht nicht mit den mir genannten
Verwandten, Schluss, Punkt, Aus!“
Er
sah mich ruhig an, nippte genüsslich am Wein, was mich ebenfalls nippen ließ,
streckte sich auf dem Sessel in die Höhe beim Sitzen, sah mir direkt in die
Augen und sagte, wie nicht anders zu erwarten: „Doch, es gibt sie, es gibt uns
und ich bin hier um Dir mehr darüber zu erzählen, vielleicht verschwindet ja
dann Deine, wie ich leider zu geben muss, berechtigte Skepsis.“
Er
hatte mich, einfach so durch seine sanfte beharrliche, nette Art, hatte mich
und ich fragte mich, ob ich denn wenigstens die Chance hatte, ihm zu sagen,
dass ich auf einem anderen Suchweg war, ein wichtiger Weg, jedenfalls für mich,
auch wenn ich noch immer nicht formulieren konnte, warum eigentlich und mit
welchem konkreten Ziel, was sie beim letzten Gespräch regelrecht an die
sprichwörtliche Decke gebracht hatte, mich aber nicht beirren konnte oder
abbringen, konnte ich ihm das entgegenbringen und so von seinen Hobbels
verschont bleiben?
Wahrscheinlich
nicht. Er saß da, ruhig, lächelnd, bestimmend entsprechend seines Alters und
unserer Schwäche dem gegenüber, saß da also und ich, ich schwieg von meinen
Gedanken, Zielen, Fragen, hörte mir stattdessen an, was er meinte, mir erzählen
zu müssen, auch um seine, meine liebe Roswitha zu entlasten, ihr und mir unser
nächstes Gespräch zu erleichtern.
„Roswitha
war vor allem verwundert, warum Du so intensiv nach ihrem jahrelangem Freund
und Besucher Karl gefragt hast, der dich mehr zu interessieren schien als
unsere Geschichte, die der Hobbels.
Warte,
ich habe bereits mit ihr darüber gesprochen und ihr versucht zu erklären, was
ich meine verstanden zu haben an deinem Interesse. Aber Du wirst mit Deinen Fragen nicht wirklich
weiter kommen, wenn Du Dich gegen diese also uns Hobbels sperrst.
Ich
kann ja verstehen, dass es unglaubwürdig, mehr noch total überraschend und
völlig anders klingt, als das, was Du eigentlich gesucht und vermutet hast.
Ginge mir wahrscheinlich genau so und auch Karl hat damals zuerst so reagiert
wie Du.“
Jetzt
hatte er mich, mit Karl, mit der Möglichkeit, dass in Karl mehr steckte als
alle in ihm gesehen hatten. Und das war es, was ich bis jetzt schon für mich
vermutet hatte und warum mich der Kerl überhaupt so sehr interessierte. Also
entspannte ich mich und hörte zu, nur unterbrochen von dem Nachfüllen in unsere
Weingläser. Später, im Laufe des Abends brachte ich auch noch kleine Häppchen
auf den Tisch und am Ende stießen wir mit Grappa an.
Er
überzeugte mich und am nächsten Morgen sah ich mir die Bilder in meiner Wohnung
frisch und mit neuen Augen an. Das Gefühl von irgendetwas ausgesperrt gewesen
zu sein, verstärkte sich und hatte plötzlich eine Erklärung. Trotzdem blieb in
mir ein Unbehagen und das Gefühl, dass auch diese immer noch für mich jedenfalls
abstruse Story mehr steckte in ihrem Verhalten und den Folgen auf mich, die
damit noch nicht wirklich erklärt waren.
Eines
war mir aber klar, ihr würde ich davon nichts erzählen, brächte nur meine
eigenen Zweifel nach oben und noch mehr Verwirrung.
Wenn
ich ihn richtig verstanden hatte, so waren diese Hobbels ungeachtet ihrer
Gemeinschaft in allen möglichen Parteien und Organisationen aktiv. Karl brachte
er bei, dass er sich nicht schämen müsse, da er offensichtlich eher
pazifistisch eingestellt und dies wunderbar sei. Sein ganzes Verhalten, auch
und gerade in seiner Familie, zeige das doch sehr offensichtlich. Karls Träume,
auch gerade die mit Hans Albers, zeigten doch einen Menschen der mit dem ganzen
Nazi-Scheiß nichts am Hute hätte. Er hätte Anerkennung gesucht, wie die meisten
Menschen, auch Liebe, hätte sie nie aber mit Gewalt sich geholt. Was ihm vor
allem gefehlt hätte wäre doch das was er in der Nazi-Partei vergeblich gesucht
hätte, Orientierung, Hilfe für den Weg durch das Leben ohne Gewalt, ohne auf
andere zu schießen oder sie zu vernichten, was ja das Gleiche wäre.
Er
hätte Karl in den Gesprächen nie kritisiert für seinen Eintritt bei den Nazis
und so hätten sie schnell eine gute Basis gefunden und am Ende wäre Karl
überzeugt davon gewesen, das er immer schon ohne es zu wissen oder zu ahnen ein
Hobbel gewesen sei,. Und er wäre auch sofort bereit gewesen den Weg mit seiner
Frau in der Politik weiter zu gehen, jetzt aber vor allem um ihnen zu berichten
und in ihrem Sinne vorsichtig gegen zu lenken.
Erst
danach ließ er mich einiges über meine Familien erfahren. Und zum Schluss, es
war nicht anders zu erwarten gewesen, fragte er mich direkt, ob ich es mir
anbetracht dieser Vorgeschichte, nicht vorstellen könne, ein Mitglied der
Hobbels zu werden. Er präsentierte mir auch gleich ein paar, zugegeben teils
verlockende Angebote, dazu.
Dabei
wurde er mir immer unheimlicher. Sein Lächeln, seine Augen, die nichts
verrieten, nur Neugierde und Freundlichkeit, aber ich spürte dahinter etwas
anderes, etwas, das er mir nicht verraten würde und dies mit gutem Grund: seine
wirklichen Gedanken.
Ein
Profi saß da vor mir, ein Menschenfänger, so in etwa stelle ich mir jedenfalls
diese Gurus im Erstkontakt vor.
Und
so war ich froh, als mich endlich verließ, freundlich, unverbindlich ein mögliches
künftiges Wiedertreffen in meinen Räumen da lassend. Und eine merkwürdige
Spannung, die sich auch durch mein sofortiges Lüften nicht verzog. Ich fühlte
mich bedrückt, leicht verunsichert und zugleich wütend.
Überhaupt
keine Lust verspürte ich, mich auf seine Bilder und Ideen weiter ein zu lassen.
Fast hatte ich das Gefühl, sie sabotierten meinen Versuch mir Klarheit zu
verschaffen über unsere Familien und mich und woher meine Gefühle und Schmerzen
kamen. Was sollte ich nicht entdecken? Gab es ein Geheimnis, ein wirkliches,
echtes neben diesem Hirngespinst der Hobbelei von Männern, die sich einerseits
angeblich zu nichts zugehörig fühlten, nicht zu irgendwelchen Religionen noch
zu irgendwelchen Ideologien und sich darin gefunden haben sollen, nur auf
welcher Basis?
Alles
sehr nebulös und wenn es ein tiefes schwarzes Loch verbarg in das ich nicht
hinabsteigen sollte? Wovor könnten sie Angst haben, meine „leicht vertüdelte“
Stiefmutter, wie Hermiene immer sagte, und dieser freundliche alte Herr, ein
bisschen zu freundlich, zu alt?
Was
soll das helfen da draußen, wo nur die Zahnräder auf uns warten und wehe wir
bewegen uns falsch zwischen ihnen, platsch, schon ist es aus und dieses
Räderwerk verstehen, wie es dazu gekommen ist, bin ich nicht dafür ausgestiegen
und losgezogen, zu erfahren wie es kommen konnte und kam, wie wir wurden was
wir sind? Was braucht es da solche hohlen Geschichten über Leute die nichts
sein wollten, nichts gut fanden im Angebot und doch bei allem mitmachten als angeblichem
Sand im Getriebe. Wo hat es denn mal geknirscht, ist dadurch etwas stehen geblieben.
Das hätte die Geschichte doch bestimmt nicht totgeschwiegen.
Ist
es nicht wichtiger für mich zu erfahren, was mich an Karl, seiner Geschichte
berührt, was mich zu ihm hinzieht, eventuell durch das, was er von mir enthält,
wo wir uns berühren in unseren Ängsten und Sehnsüchten? Zum Beispiel wo ist
Karl hängen geblieben, wo ich, wie können wir uns befreien?
Oder
die Tatsache, die so spät auf meinen Tisch kam, nie Thema war und doch wahr und
auf bösartige Weise schrecklich, weil auch ich bis dahin schon öfter diesem
Volk gegenüber als Verräter und Verächter aufgetreten war, dass wir Polen sind,
meine ganze Familie, zweite und dritte Generation, so wie die zweite und dritte
Generation die wir immer noch als Türken, Araber, Afrikaner oder sonst was
identifizieren, denunzieren, bloßstellen und ausgrenzen in meinem Land, in
Häusern verbrennen lassen, an Haltstellen zu Tode prügeln?! Muss ich da jetzt
nicht die Straßenseite wechseln, gehöre ich doch auf ihre Seite, unter die
Schläge, in die brennenden Häuser? Warum haben wir nie darüber geredet,
stattdessen Geschichten so wie die von Karl erzählt?
Wenn
sie jetzt da wäre, könnte ich versuchen mit ihr darüber zu reden. Aber sie muss
im Süden der Republik einen Job erledigen. Hätte es überhaupt Sinn?
Wahrscheinlich nicht, sie fährt wohl mal mit, sieht sich mit um, sucht auch und
hilft mir mit der einen oder anderen Idee, nur hören, hören will sie von all
diesen Gedanken nichts, das sei meine Sache, wohl meine Art etwas auf zu
arbeiten, aber nicht die ihre, früher hätten sie gesagt „Spökenkiekerei“. Hauptsache
ich verlöre mich nicht ganz darin und die Realität völlig aus den Augen. Dabei
ist es ja gerade sie, die ich suche, die Realität in und hinter uns, die, die
wirklich uns antreibt oder runter zieht. Für sie eher eine Sache der Soziologen
und Psychologen, vielleicht noch der Politologen obwohl sie die für „Vielquatscher
und Wichtigtuer ohne echten wissenschaftlichen Hintergrund“ hält. Bei den
Politologen ist sie konservativ, zumindest was den Begriff der Wissenschaft
angeht. Gut, ihr Problem.
Ist
es nicht merkwürdig, kaum bringen einem Leute fremde Ideen, schon hapert es mit
den eigenen. Liegt das nun an mir oder diesen Leuten, vor allem diesen Hobbels?
Kann mich kaum konzentrieren, möchte am liebsten raus laufen, wenn nicht der
blöde Ostwind dort auf mich lauern würde, bereit in meine Hosenbeine zu
kriechen und meinen Körper ein zu frieren. Da bleibe ich lieber hier, wüsste
auch nicht, was mir jetzt das Laufen helfen könnte, ich würde doch nur meine Gedanken
im Kreise drehen. Nein, muss mich auf Karl konzentrieren, ihm folgen, nicht dem
feinen, alten Doktor mit seinen Hobbelspielchen. Unsere Geschichte ist mir
sowieso schon lange mit zu viel konstruierten Geschichten angeblich erzählt, in
Wirklichkeit vernebelt, verzuckert und zugeschmissen.
„Karl
musste auf der Werft mit aufräumen, wie alle anderen Steine klopfen, Metall
aufsuchen, säubern und biegen.
Der
Besitzer und einst so stolze Chef kam erst nach einem Jahr etwas kleinlauter wieder
in einem billigen grauen Trenchcoat wie eben Knastbrüder so wirken nach einem
Jahr Zelle.
Da
war Karl bereits Leiter des Büros geworden. Weil er nur einfaches
Parteimitglied war, nie Soldat, nie groß in Erscheinung getreten, galt er von
Anfang an als "Antifaschist" und einer der nie wirklich etwas mit „Denen“
zu tun gehabt hätte. Bestätigten ihm gerne alle Kollegen, vor allem die, die
das Gegenteil getan und sich nun von ihm Vorteile versprachen.
Karl
wehrte sich nicht dagegen.
Als
der Chef den alten Horstmann mitbrachte und als Bürochef einsetzte, bedankte sich
Karl für die Ehre, weiter sein Mitarbeiter sein zu dürfen, er wisse schon, mit
diesem Arm, eigentlich sei er auch nicht der schnellste, und verzog sich froh
zurück an seinen alten Arbeitsplatz. Auch
dass Horstmann aktiver Nazi, ein Goldfasan gewesen war, störte ihn nicht
wirklich. Längst hatte er sich bezüglich deren Bestrafung einiges abgeschminkt,
hörte er doch von allen Seiten dasselbe. Angeblich seien die „unverzichtbar“
beim Wiederaufbau und um den gehe es ja schließlich, wo so viele hungerten und
der Winter fast den Rest der Bevölkerung hingerafft hätte wegen dem Mangel an
Kohlen und Öfen Die Arbeiter buhten ihn dafür aus und streikten bis Horstmann
freiwillig dem Chef seinen Ausstieg aus Firma anbot. Karl wurde trotzdem nicht wieder ihr Leiter.
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