Donnerstag, 27. Juni 2013

Ein Krimidesaster



Kennen Sie Simenon? Kennen Sie Maigret? Bevor ich sie kennen lernte, so richtig kennen lernte, war ich eine ganz normal scheiternde literarische Existenz inmitten ganz normal gescheiterter und halbwegs erfolgreicher Schreiber von allem, was sich formal absondern lässt, lebte spätpupertierend genusssüchtig in dem dazu passenden Viertel halbwegs genährt und finanziell auf wenn auch niedrigem Niveau mit dem Nötigsten versorgt, soweit ganz glücklich von Tag zu Tag, hockte mit den anderen im eigenen Künstlerhaus zusammen mit denen von der bildenden Kunst die Tage schwatzend, kochend, trinkend angenehm weg und las alles unbesorgt möglicher Folgen.
Bis ich auf sie traf: auf Simenon und seinen Maigret.
Hatte ich bis dahin immerhin fast jeden dritten Tag einen Einfall und nach einer Woche mindestens ein Textchen mir abgequält oder im Rausch runter gerotzt, so sollte sich das und noch mehr jetzt ändern, nicht sofort ganz, langsamer, aber von Tag zu Tag mehr.
Dabei kannte ich zumindest Maigret schon länger, als beleibten Pfeifenraucher in schwarz-weiß, an Samstagen kam er, glaube ich, im Fernsehen als Krimiserie mit Rubert Davies als Darsteller. Jean Gabin und Heinz Rühmann haben mir in der Rolle nie so gefallen. Auf jeden Fall ein spießiger, alles sofort und besser wissender autoritärer Mann, immerhin dabei ruhig aber auch alle einschüchternd durch Blicke und Gesten.
Die Bücher kamen zu meinem späteren Unglück in einer neuen Übersetzung ausgerechnet bei meinem damals frisch gefundenen, neuen Lieblingsverlag aus der Schweiz, dem Diogenes Verlag, heraus. Ja Diogenes, der Name war hier glatte Schizophrenie, zumindest ein Widerspruch. Hatte der nicht gesagt: „Störe meine Kreise nicht.“ Das war Archimedes, na gut. Und das hätte ich tun sollen oder sagen wie Diogenes, das hat er gesagt, da bin ich mir sicher, zu Simenon und Maigret: „Geht mir ein wenig aus der Sonne.“ Hätte mir viel Leid erspart.
Stattdessen las ich, jeden Tag mehr, kaufte ein Buch nach dem anderen, gab ja genügend, ging nicht mehr vor die Tür, las und las. Kroch mit Maigret in die Atmosphäre von Opfer und Täter, roch bald alles so wie er und begann wie er jeweils ein passendes Getränk beim Lesen mir ein zu flößen. Ich stieg in die Gefühle und Gedanken mit ein, machte mich so sehend und hörend wie er, ohne einen einzigen Fall lösen zu können vor ihm.
Zu Beginn war es noch die große Freude, gelungene Geschichten lesen zu können, wo kein Wort zu viel oder falsch gesetzt war, hautnah an der Wirklichkeit und doch pure Fiction, literarische Magie. Auch waren wir damals alle noch mehr frankophil als „Toskana-Fraktion“, hörten Chansons und sahen Filme von Godard, Truffaut, Ophüls, Malle oder Chabrol.
Ich merkte bald, dass mir selber keine Freude mehr kam bei meinen eigenen Sätzen und Zeilen. Nichts genügte mir mehr bei dem Vergleich. Ließ ich es also und dachte, pausiere ich halt. Aber es kam noch schlimmer.
Simenon und Maigret saugten mich gerade zu in diese bürgerlich miefige Welt Maigrets, in das Paris der Heuchler, Versager, Bürokraten und Diener, ein Paris ohne Charme, Chic oder gar fröhlicher Erotik. Es war ein Paris und auch Frankreich auf dem Lande voller alter Mauern, geschlossener Fenster und Misstrauen mit verbitterten Existenzen, verkrampfter Glückssuche im Kleinen, ohne jede Hoffnung auf Befreiung, echtes freies Glück und wer es doch mal bekam, verlor es meist binnen Stunden samt Leben.
Es ist zu erahnen: ich wurde schwermütig, regelrecht depressiv, träumte nur noch schlecht, bekam den großen Druck auf Hals und Brust und mein Herz schien nur noch mit Mühe zu schlagen. Nichts schmeckte mir noch und jede Bewegung erschien mir überflüssig und zu qualvoll. Bis ich eines Tages davon und von mir selbst genug hatte, alle Bücher von Simenon mit Maigret in einen großen Karton warf und drei Straßen weiter zu einem gescheiten Kollegen brachte, der gerade dabei war die Literaturbühne zu betreten.
Ich schenkte ihm die Bücher, lobte Simenon, lobte Maigret, aber nicht ohne ihn zu warnen, nicht zu viel auf einmal davon zu lesen. Gefahr der Depression.
Danach gelang es mir trotzdem lange nicht wieder zu schreiben. Jedes Mal standen mir die Texte von Simenon dagegen. So ließ ich das und wendete mich anderen und ertragreicheren Beschäftigungen zu, sehr zur Freude meiner Familie.
Ab und zu erkundigte ich mich nach dem Befinden des Kollegen, traute mich nach ein paar Monaten und beruhigenden Nachrichten auch mal wieder hin zu ihm, wo ich ihn unverändert und auch noch dankbar antraf. Ja, wären wirklich hervorragend, Simenon und sein Maigret.

Ich selber las danach die Krimis von Chandler und Hammet, dies mit viel Vergnügen an ihrer Sprache und Erzählkunst, ebenfalls von so hervorragender literarischer Qualität, dass ich weiterhin nicht mehr selber schreiben mochte, las dankbar alles von ihnen, vor allem, weil ich durch sie nicht depressiv wurde, nur sanft melancholisch und damit lässt sich gut am Leben bleiben.

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