Donnerstag, 29. August 2013

Unliebsame Gerechtigkeit


Zwei Kommilitonen hatten fast die ganze Zeit ihres Studiums freundschaftlich eine Wohngemeinschaft gebildet und sich stets gut vertragen. Nun, da es in Richtung Abschluss und Arbeitsfindung ging, bemühten sich beide Einladungen für wichtige Events und Vorstellungsgespräche zu erhalten, um sich dort Firmen zu empfehlen oder zumindest mit ihnen in Kontakt zu kommen.
Sie einigten sich darauf, nie die gleiche Veranstaltung oder Firma zu besuchen, um sich dort keine Konkurrenz zu machen.
Nach einigen Wochen aber hatte der eine von ihnen plötzlich keine Einladungen mehr und sah verwundert, wie häufig der andere zu Events und Gesprächen verschwand und fröhlich zurückkam und von seinen neuen Kontakten prahlte.
Bei einer Firma rief er schließlich an, da sein Vater ihm fest zugesichert hatte, dass er von dort ganz sicher eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch erhalten würde. Er wurde auch sofort zu dem Bekannten seines Vaters durchgestellt. Der ließ ihn gar nicht erst groß zu Wort kommen, beschimpfte ihn, weil er sich unmöglich hier aufgeführt habe und er froh sein solle, wenn er dem Vater, seinem alten Freund, noch nicht davon berichtet habe.
Verzweifelt versuchte der arme Student klar zu stellen, dass er doch gar nicht dagewesen wäre, ja, nicht einmal eine Einladung erhalten hätte.
Schließlich einigten sie sich darauf, sich zu treffen in der Mittagspause und zur großen Überraschung des Mannes war ihm der Sohn seines Freundes völlig unbekannt und offensichtlich musste jemand anders unter dessen Namen bei ihm erschienen sein.
Der Student sprach noch lange mit dem Mann und erhielt die Zusage, als Praktikant sich zeigen zu dürfen, um bei Bewährung eine Beschäftigung zu erhalten.
Fröhlich einerseits, zornig andererseits ging der Student zurück in seine Wohnung, wo sein Kommilitone wenig später ebenfalls eintraf.
Es kam, wie leicht vorstellbar, zu einem großen und mehr als heftigem Streit, wobei der Kommilitone nichts abstritt, sogar die Einladungen vorzeigte, die er dem Freund unterschlagen hatte und berichtete dazu noch, was er sich alles hatte einfallen lassen um den anderen dort für immer unmöglich zu machen.
Auf die Frage nach dem „Warum?“ hatte der nur die Schultern gezuckt und gemeint, dessen Naivität wäre ihm schon immer auf den Keks gegangen und da draußen sei eben kein Platz für Fairness und Freundschaft.
Der Streit wurde durch den fröhlichen Abgang des Kommilitonen beendet, der seinen Mitbewohner zornbebend und hilflos vor Wut zurückließ.
Der Student nahm die Einladungen, setzte sich an den Computer und schrieb alle Einlader an, schilderte das Vergehen seines Mitbewohners und entschuldigte sich für die Geschichte, für die er ja nicht wirklich etwas konnte.
Die Tage vergingen, die beiden mieden jeden Kontakt und schließlich gelang es ihnen Nachmieter und neue Zimmer zu finden.
Unser Student erhielt kurz darauf eine Absage von dem Freund seines Vaters mit der Begründung, die Firma habe zurzeit doch keinen Arbeitsplatz für ihn frei.
Verwundert rief er den Mann sofort an. Der bat ihn um ein Treffen, wieder zur Mittagszeit.
Dort erklärte er dem Studenten, dass er leider zur Lachnummer verkommen, ja, überall Gesprächsthema Nummer eins wäre, sein Mitbewohner in eine große Firma eingestiegen sei und darauf bestände, dass er, der Sohn seines Freundes, ja, das müsse er ihm hier sagen, ein großer Trottel wäre, und selber schuld. Auch hätten dessen Briefe nur Gelächter ausgelöst und diese Einschätzung bestätigt. Schließlich fragte der Mann, warum er denn diese blöden Briefe überhaupt losgeschickt habe, statt die Sache auf sich beruhen zu lassen. Ob er ein Gerechtigkeitsfanatiker sei, die, das müsse er ihm deutlich sagen, könne man nirgendwo gebrauchen, würden nur schlechtes Klima produzieren und die Mannschaften beschädigen, damit auch deren Output. Was er denn, um Himmels willen, sich dabei nur gedacht habe.
Geschockt blieb der Student noch lange in dem Café, in dem sie sich getroffen hatten, sitzen und trank einen Kakao nach dem anderen, als könnte er so den Kakao vernichten, durch den man ihn gezogen hatte.
Es war für niemanden seines Studienganges verwunderlich, dass er seinen Abschluss nicht machte, stattdessen sich bei der Bundesbahn bewarb, die gerade Lokführer suchten. Er durfte nach der Ausbildung bleiben, da als stets ruhig galt und nie widersprach, allen Anordnung folgte, jeden Einsatz akzeptierte, ja allen bald als der Idiot galt, der alles mit sich machen ließe.
Seitdem hoffte er, dass ihm sein einstiger Mitbewohner doch mal auf die Schienen fallen möge. Aber natürlich tat der ihm nie den Gefallen und so schien auch sein weiteres Leben leer aus zu gehen.
Bis er in der Zeitung lesen konnte, dass dieser ehemalige Mitbewohner zwar erfolgreich die Karriereleiter nach oben gekommen war, aber zu wenig seine Finger von den Frauen anderer Männer hatte lassen können, woraufhin ihn einer dieser Männer mittels Porsche und Höchstgeschwindigkeit aus dem Leben befördert hatte.
Da sprach er das erste Mal das lange gemiedene Wort wieder aus: „Es gibt doch noch Gerechtigkeit!“
Zugleich war er froh, dass ein anderer getan hatte, was ihm nun selber völlig straffrei tiefe Befriedigung verschaffte.
War auch die Welt geblieben, wie sie war, seine eigene hatte sich wieder in Ordnung gerüttelt. In der Folgezeit verliebte er sich, heiratete und lebte zufrieden mit sich und seiner Welt in die Tage hinein.
Ach ja, Kakao hat er seit damals nach dem Gespräch im Café nie mehr angerührt.

Und wenn er nicht doch noch verunglückt ist mit seiner Lok fährt er auch heute noch hin und her, her und hin.

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