Harke
Frausen, im dritten Jahrzehnt Sozialarbeiter, steuerte den kleinen Wagen
vorsichtig über den großen Vorplatz des Schweinemastbetriebes, denn dort
standen viele landwirtschaftliche Geräte herum, alle schön herausgeputzt und
strahlend im blassen Sonnenschein der morgendlichen Stunde. Offensichtlich
wurden diese Geräte nicht mehr gebraucht und waren zu Ausstellungsstücken einer
längst dahin gegangenen Zeit der Bauernhöfe geworden.
Jürgen
Kolthof, der hagere Mann neben Harke im Wagen, sah sich erstaunt um.
„Ich
erkenne es kaum wieder,“ sagte er und machte keinerlei Anstalten, den Wagen zu
verlassen.
„Wir
sind aber doch richtig hier?“
„Ja,
aber es hat sich total verändert. Die alten krummen Ställe stehen nicht mehr,
das Haus ist völlig umgebaut. Nur die Linde da vor dem Treppenaufgang, die ist
die Gleiche.“
„Soll
ich nicht doch erst mit reinkommen?“
„Lieber
nicht. Da muss ich jetzt alleine durch.“
„Ja,
wahrscheinlich. Denken sie jetzt vor allem auch daran: Sie haben den Entzug
geschafft, haben sich selbst aus Ihrem alten Leben befreit. Das schaffen
wenige. Sie haben es geschafft! Und was war ist gewesen.“
„Ja,
… ich weiß.“
Sie
sahen sich an und Jürgen Kolthof öffnete vorsichtig die Beifahrertür, ließ
seine Füße in den ausgetretenen Halbschuhen aus der Kleidersammlung nur langsam
auf die Erde, als hätte er Angst diese zu berühren.
„Wird
schon schief gehen!. Wenn was ist, Anruf genügt.!“
„Ja.“
Der
hagere Mann stand. Er stand kerzengerade und blieb stehen, sah sich um, atmete
tief durch oder sog die Luft des Hofes ein. Wahrscheinlich beides.
Harke
Frausen beugte sich zur Beifahrertür hinüber und zog sie zu.
Er
sah bedrückt zu dem Mann auf dem Hof.
„Das
wird schwer,“ dachte er,“ich möchte nicht tauschen mit ihm. Nach über dreißig
Jahren. Eine sehr lange Zeit.“
Dann
fuhr im Rückwärtsgang, bis er den Wagen wenden konnte und vom Hof bis zur
Einfahrt in die Allee, auf der sie gekommen waren. Dort stellte er den Wagen
neben einem Maisfeld ab und wartete. Das war nicht abgesprochen, aber er hatte
so ein Gefühl.
Jürgen
Kolthof rührte sich nicht, bis eine ältere Frau aus der Tür oberhalb des
mächtigen Treppenaufgangs trat.
„Was
suchen sie hier?“
„Mutter?“
Die
Frau trat einen Schritt vor, stand so genau an der Treppe und sah ihn an.
„Hier
gibt es keinen Mutter. Wer soll das sein?“
Dann
drehte sie sich schon wieder um und ging zurück in das Haus, ließ aber die Tür
offen.
So
konnte er hören, wie sie laut rief:
„Heinz,
Klaus, da sucht jemand 'ne Familie oder Person Mutter!“
„Wer
soll das sein“, kam es von irgendwo in dem Haus zurück.
Der
hagere Mann gab sich einen Ruck und ging langsam aber zielstrebig auf die Treppe
zu. Hinauf traute er sich nicht.
„Ich
bin's, der Jürgen, Euer Sohn!“
Anstelle
der Frau kam ein alter, weißhaariger Mann zur Tür.
„Was‘n
Sohn?“
„Ich
bin es Vater! Ich bin zurück. Bin clean.“
Der
Alte kam die Treppe hinunter und Jürgen Kolthof trat vorsichtshalber zwei
Schritte zurück. Er wusste nicht wohin mit seinen Händen, mochte sie vor allem
nicht wie gewöhnlich in die Hosentaschen stecken.
Sein
Vater hatte das gehasst. Machten nur Faulpelze hatte der immer gesagt.
Eine
Hand ließ er seitwärts baumeln, die andere streckte er vorsichtig dem alten
Mann entgegen.
Der
sah sie nicht, sah auch ihn nicht an, besah sich nur den Hof, als sähe er den
zum ersten Mal.
„Soso,“
sagte er dann. Mehr nicht. Schließlich räusperte er sich. Jürgen Kolthof hatte
ihn nur stumm angesehen und gewartet. Er hatte nichts dabei gedacht, gar
nichts. Nur gewartet, gehofft.
„Also
Praktikanten nehmen wir schon lange nicht mehr.“
Entgeistert
sah Hagere den Alten an. Wobei der Hagere in seinen verschlissenen,
altmodischen Klamotten eher nach Bauer aussah als der Alte.
„Und
einstellen tun wir auch nicht. Alles Elektronisch, alles automatisch, verstehen
Sie das! Nix Arbeit hier.“
Mit
dem letzten Wort drehte sich der Alte um und ging die Treppen hoch.
„Ich
würde auch im Stall schlafen, bei den Schweinen, aus ihrem Trog fressen, Vater!
Vater!“
Aber
der Alte ging in das Haus, ohne sich noch einmal um zu drehen, murmelte für den
Hageren gerade noch hörbar:
„Ist
doch alles nicht mehr. Geht nicht mehr. Keine Tröge, kein Platz bei den
Schweinen. Alles nichts mehr. Ist jetzt eine bessere Zeit“
Wie
der Wind oben in der Krone der Linde, dachte der Hagere. Klingt wie der Wind
und den verstehe ich auch nicht.
Er
hatte allen Mut verloren, sah nur noch flüchtig in die großen Ställe, sah, dass
da kein Mensch mehr schlafen konnte, auch die Tröge waren auch abgeschafft.
Hauke
Frausen wunderte sich nicht wirklich als er ihn die Allee zurück schlurfen sah.
Er machte ihm die Beifahrertür weit auf und stieg aus. Streckte ihm eine
Zigarette entgegen.
An
dem Wochenende nach diesem Tag war der Hof festlich geschmückt und zwischen den
alten Geräten waren lange Tische aufgebaut. Vor der Treppe leuchtete eine große
Leinwand weiß auf den Platz. Alle Tische waren mit Menschen unterschiedlichen
Alters besetzt und diese aßen, tranken, lachten und gestikulierten bis der
alte Mann am Kopf eines der Tische aufstand und laut auf den Teller schlug.
„Freunde,
Familie, Du Gertrud, Du Klaus: Ich möchte Euch allen herzlich danken für Eure
Geschenke zu meinem 65ten und meiner Abdankung, ja Abdankung, Klaus wird das
alles hier jetzt zu verantworten haben. Gertrude und ich machen Urlaub. Ach ja,
Klaus, Danke für die Reise nach China. Weiter weg von hier haste wohl nichts
gefunden. Tja, so sind sie die Kinder. Aber der Jürgen, der hat mir den Jaguar
unter den Traktoren geschenkt, hier den großen roten Fendt. Ein Prachtbengel!“
Ganz
klar war nicht, ob er den Riesentrecker auf der Allee meinte oder den Sohn.
Niemand fragte nach Jürgen. Im „Schilikon Wällei“ sei der, hieß es, dort zu
viel beschäftigt und reich geworden, konnte wohl nicht kommen deshalb.
Zufrieden
saß der Alte wieder vor seinem Bierglas. Hatte gerade noch geklappt mit dem
roten Elektronikmonster. Den würde er nicht mehr fahren, zu kompliziert. Egal.
Auf den Jürgen sollte nichts kommen. Lange genug hatte das Sparen gedauert.
Jetzt stand das Biest dort und keiner würde es wagen, etwas gegen den Jürgen zu
sagen.
Nur
Gertrud Kolthof erinnerte sich ausgerechnet in diesem Moment an den Fremden vor
ein paar Tagen. Sie stupste ihren Sohn Klaus von der Seite an.
„Du,
was war eigentlich mit dem komischen Kerl vor ein paar Tagen. Wer war das?“
„Nix, Mutter. Mit dem war nix.“
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