Donnerstag, 26. September 2013

Vergebliche Wiederkehr



Harke Frausen, im dritten Jahrzehnt Sozialarbeiter, steuerte den kleinen Wagen vorsichtig über den großen Vorplatz des Schweinemastbetriebes, denn dort standen viele landwirtschaftliche Geräte herum, alle schön herausgeputzt und strahlend im blassen Sonnenschein der morgendlichen Stunde. Offensichtlich wurden diese Geräte nicht mehr gebraucht und waren zu Ausstellungsstücken einer längst dahin gegangenen Zeit der Bauernhöfe geworden.
Jürgen Kolthof, der hagere Mann neben Harke im Wagen, sah sich erstaunt um.
„Ich erkenne es kaum wieder,“ sagte er und machte keinerlei Anstalten, den Wagen zu verlassen.
„Wir sind aber doch richtig hier?“
„Ja, aber es hat sich total verändert. Die alten krummen Ställe stehen nicht mehr, das Haus ist völlig umgebaut. Nur die Linde da vor dem Treppenaufgang, die ist die Gleiche.“
„Soll ich nicht doch erst mit reinkommen?“
„Lieber nicht. Da muss ich jetzt alleine durch.“
„Ja, wahrscheinlich. Denken sie jetzt vor allem auch daran: Sie haben den Entzug geschafft, haben sich selbst aus Ihrem alten Leben befreit. Das schaffen wenige. Sie haben es geschafft! Und was war ist gewesen.“
„Ja, … ich weiß.“
Sie sahen sich an und Jürgen Kolthof öffnete vorsichtig die Beifahrertür, ließ seine Füße in den ausgetretenen Halbschuhen aus der Kleidersammlung nur langsam auf die Erde, als hätte er Angst diese zu berühren.
„Wird schon schief gehen!. Wenn was ist, Anruf genügt.!“
„Ja.“
Der hagere Mann stand. Er stand kerzengerade und blieb stehen, sah sich um, atmete tief durch oder sog die Luft des Hofes ein. Wahrscheinlich beides.
Harke Frausen beugte sich zur Beifahrertür hinüber und zog sie zu.
Er sah bedrückt zu dem Mann auf dem Hof.
„Das wird schwer,“ dachte er,“ich möchte nicht tauschen mit ihm. Nach über dreißig Jahren. Eine sehr lange Zeit.“
Dann fuhr im Rückwärtsgang, bis er den Wagen wenden konnte und vom Hof bis zur Einfahrt in die Allee, auf der sie gekommen waren. Dort stellte er den Wagen neben einem Maisfeld ab und wartete. Das war nicht abgesprochen, aber er hatte so ein Gefühl.
Jürgen Kolthof rührte sich nicht, bis eine ältere Frau aus der Tür oberhalb des mächtigen Treppenaufgangs trat.
„Was suchen sie hier?“
„Mutter?“
Die Frau trat einen Schritt vor, stand so genau an der Treppe und sah ihn an.
„Hier gibt es keinen Mutter. Wer soll das sein?“
Dann drehte sie sich schon wieder um und ging zurück in das Haus, ließ aber die Tür offen.
So konnte er hören, wie sie laut rief:
„Heinz, Klaus, da sucht jemand 'ne Familie oder Person Mutter!“
„Wer soll das sein“, kam es von irgendwo in dem Haus zurück.
Der hagere Mann gab sich einen Ruck und ging langsam aber zielstrebig auf die Treppe zu. Hinauf traute er sich nicht.
„Ich bin's, der Jürgen, Euer Sohn!“
Anstelle der Frau kam ein alter, weißhaariger Mann zur Tür.
„Was‘n Sohn?“
„Ich bin es Vater! Ich bin zurück. Bin clean.“
Der Alte kam die Treppe hinunter und Jürgen Kolthof trat vorsichtshalber zwei Schritte zurück. Er wusste nicht wohin mit seinen Händen, mochte sie vor allem nicht wie gewöhnlich in die Hosentaschen stecken.
Sein Vater hatte das gehasst. Machten nur Faulpelze hatte der immer gesagt.
Eine Hand ließ er seitwärts baumeln, die andere streckte er vorsichtig dem alten Mann entgegen.
Der sah sie nicht, sah auch ihn nicht an, besah sich nur den Hof, als sähe er den zum ersten Mal.
„Soso,“ sagte er dann. Mehr nicht. Schließlich räusperte er sich. Jürgen Kolthof hatte ihn nur stumm angesehen und gewartet. Er hatte nichts dabei gedacht, gar nichts. Nur gewartet, gehofft.
„Also Praktikanten nehmen wir schon lange nicht mehr.“
Entgeistert sah Hagere den Alten an. Wobei der Hagere in seinen verschlissenen, altmodischen Klamotten eher nach Bauer aussah als der Alte.
„Und einstellen tun wir auch nicht. Alles Elektronisch, alles automatisch, verstehen Sie das! Nix Arbeit hier.“
Mit dem letzten Wort drehte sich der Alte um und ging die Treppen hoch.
„Ich würde auch im Stall schlafen, bei den Schweinen, aus ihrem Trog fressen, Vater! Vater!“
Aber der Alte ging in das Haus, ohne sich noch einmal um zu drehen, murmelte für den Hageren gerade noch hörbar:
„Ist doch alles nicht mehr. Geht nicht mehr. Keine Tröge, kein Platz bei den Schweinen. Alles nichts mehr. Ist jetzt eine bessere Zeit“
Wie der Wind oben in der Krone der Linde, dachte der Hagere. Klingt wie der Wind und den verstehe ich auch nicht.
Er hatte allen Mut verloren, sah nur noch flüchtig in die großen Ställe, sah, dass da kein Mensch mehr schlafen konnte, auch die Tröge waren auch abgeschafft.
Hauke Frausen wunderte sich nicht wirklich als er ihn die Allee zurück schlurfen sah. Er machte ihm die Beifahrertür weit auf und stieg aus. Streckte ihm eine Zigarette entgegen.
An dem Wochenende nach diesem Tag war der Hof festlich geschmückt und zwischen den alten Geräten waren lange Tische aufgebaut. Vor der Treppe leuchtete eine große Leinwand weiß auf den Platz. Alle Tische waren mit Menschen unterschiedlichen Alters besetzt und diese aßen, tranken, lachten und gestikulierten bis der alte Mann am Kopf eines der Tische aufstand und laut auf den Teller schlug.
„Freunde, Familie, Du Gertrud, Du Klaus: Ich möchte Euch allen herzlich danken für Eure Geschenke zu meinem 65ten und meiner Abdankung, ja Abdankung, Klaus wird das alles hier jetzt zu verantworten haben. Gertrude und ich machen Urlaub. Ach ja, Klaus, Danke für die Reise nach China. Weiter weg von hier haste wohl nichts gefunden. Tja, so sind sie die Kinder. Aber der Jürgen, der hat mir den Jaguar unter den Traktoren geschenkt, hier den großen roten Fendt. Ein Prachtbengel!“
Ganz klar war nicht, ob er den Riesentrecker auf der Allee meinte oder den Sohn. Niemand fragte nach Jürgen. Im „Schilikon Wällei“ sei der, hieß es, dort zu viel beschäftigt und reich geworden, konnte wohl nicht kommen deshalb.
Zufrieden saß der Alte wieder vor seinem Bierglas. Hatte gerade noch geklappt mit dem roten Elektronikmonster. Den würde er nicht mehr fahren, zu kompliziert. Egal. Auf den Jürgen sollte nichts kommen. Lange genug hatte das Sparen gedauert. Jetzt stand das Biest dort und keiner würde es wagen, etwas gegen den Jürgen zu sagen.
Nur Gertrud Kolthof erinnerte sich ausgerechnet in diesem Moment an den Fremden vor ein paar Tagen. Sie stupste ihren Sohn Klaus von der Seite an.
„Du, was war eigentlich mit dem komischen Kerl vor ein paar Tagen. Wer war das?“
„Nix, Mutter. Mit dem war nix.“

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