Montag, 14. Oktober 2013

Tod und Krankheit in Manila



Manila. In einer kleinen Bar aus Abfallbrettern mit einem lang schon modernden dunklem Bambusdach  trafen sich Tod und Krankheit. Sie sahen eine kurze Weile zusammen zu, wie junge Männer ihre Pfeile auf eine Dartscheibe warfen. Ein junges Mädchen sang zur Musik der Karaokeanlage, während ihre Freundinnen sich dazu im Rhythmus bewegten.
„Er ist noch nicht da“, sagte der Tod.
„Nein, aber ich glaube, ich sehe ihn“, sagte die Krankheit
Tatsächlich kam auf der vom Regen durchwühlten Straße ein junger Mann hoch und zu ihnen in die Bar. Er begrüßte kurz die Dartspieler und sah dabei zu dem Mädchen hin.
„Willst Du gleich? Wir haben wenig Zeit in dieser Stadt“, sagte der Tod.
Die Krankheit sah zu dem wie ihm schien bildhübschen jungen Mann, dessen Augen ehrlich und freundlich in die Barwelt sahen.
„Er freut sich so. Ein netter Kerl. Warum soll ich ihn mit mir schlagen? Kannst Du ihn nicht einfach zeichnen und patsch ist es vorbei. Ich sehe ihn ungerne leiden. Es wird hier doch schon genug gelitten, meinst Du nicht?“
„Vielleicht“, sagte der Tod.
„Du bist ihnen eine Erlösung, ich bin ihnen nur ein böses Übel, oder“, sagte die Krankheit.
„Ist wohl so. Jeder hat halt seinen Job“, sagte der Tod und nickte verständnisvoll und sah zu dem Jungen hin. Das Mädchen hatte mit dem Singen aufgehört und sah ebenfalls zu dem Jungen. Sie ging auf ihn zu, strahlte ihn an und umarmte ihn.
 „Oh weia, auch noch frisch verliebt“, sagte die Krankheit.
„Es wird ihr nicht gefallen, wenn er ihr jetzt gleich leblos in den Armen liegt“, knurrte der Tod.
„Nein“, sagte die Krankheit leise.
„Wir kommen immer ungelegen und die hier werden dann alle diesen schrecklichen Moment mit in ihr Leben nehmen müssen“, fuhr der Tod fort.
„Die kennen Dich hier doch, mehr als es ihnen lieb sein kann. Das weißt Du, warst schon kräftig tätig bei allen Familien, bist ja fast wie ein Rasenmäher hier. Ich glaube, sie werden es verkraften. Aber der Junge, der sollte nicht leiden. Wenigstens er nicht.“
„Wir haben nicht mehr viel Zeit“, sagte der Tod.
„Nein, in Manila haben wir nie viel Zeit. Viel Arbeit bei den Soldaten, bei den Rebellen und in den Slums“, stöhnte die Krankheit.
„Ja“, sagte der Tod.
Das Paar drehte sich um und ging zu den Dartspielern. Der Junge zog kleine Briefumschläge aus der Hosentasche und gab jedem eine, den Rest gab er dem Mädchen, die diesen an ihre Freundinnen verteilte.
„Ihr kommt doch zu unserer Hochzeit“, fragten sie die Empfänger und alle nickten, einige umarmten die beiden.
„So eine Scheiße! Die wollen heiraten,“ sagte die Krankheit.
Der Tod sagte nichts, sah nur nachdenklich zu den jungen Leuten hin. Schließlich sah er die Krankheit traurig an.
„Also, was machen wir? Erst Du, dann ich oder nur ich?“
„Wie viel Zeit gibst Du mir?“
„Ein paar Monate. Es wird nicht leicht für ihn, bis ich ihn erlöse.“
„Und für sie?“
„Für sie auch nicht. Sie wird ihn pflegen müssen.“
„Aber er könnte heiraten und sogar Vater werden?“
„Werden ja, lange erleben nein.“
„Und sie?“
„Steht ganz weit unten auf der Liste.“
„Das Kind würde also keine Waise werden?“
„Nein, jedenfalls soweit ich die Liste überblicken kann!“
Die Krankheit nickte, ging zu dem Jungen, schlug ihn und dann trat der Tod von hinten heran und zeichnete ihn. Der Junge spürte kaum etwas davon, lächelte seine Braut verliebt an und freute sich seines Lebens.
Tod und Krankheit aber sahen zu, dass sie zu ihren nächsten Kunden kamen. Richtig wohl fühlten sie sich nicht mit ihrer Entscheidung. Aber letztlich hatten sie ja wie meist nur gemäß ihrem Auftrag gehandelt. Ihr Spielraum ist eben nur klein.

© bild + text jörn laue-weltring lingen 2013

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