Freitag, 15. November 2013

Weit weg von uns


Alle im Dorf nannten die beiden seit ewigen Zeiten Pat und Patachon, nach alten Stummfilmchen im Fernsehen. Wie sie richtig hießen wusste hier kein Mensch mehr, vielleicht noch der Pastor, der hier alle 14 Tage die Messe las.
Ihr Dorf war eigentlich gar kein Dorf, denn der einzige Bauernhof war der von Pat und Patachon und die und deren Eltern hatten den Leuten aus der Stadt die Felder verkauft für ihre hübschen Häuschen und Gärten. So war mit der Zeit eine Siedlung gewachsen, die heute sich Dorf nennen durfte mit Dorfbürgermeister, neuer Dorfkirche und Dorfkindergarten in dem alten Bauerngarten. Alle Straßen wurden abends großzügig beleuchtet, die Kanalisation war perfekt und sie hatten sogar schnellen Internetzugang. Das Dorf hatte den Namen „Heimlingen“ erhalten, womit auch alle recht zufrieden waren. Was ihnen nun noch fehlte war eine eigene Dorfschule.
Pat und Patachon hatten viel Geld für den Ausbau der Kirche und den Kindergarten gespendet, ansonsten aber mit dem vielen Geld von den Verkäufen nichts anfangen können. Dafür hatte der Filialleiter der Sparkasse ein paar Ideen gehabt. Nicht alle waren gut gewesen und so blieb den Beiden nicht viel von ihrem Vermögen. Ihnen war es recht, mussten sie sich so keine weiteren Gedanken über das Geld machen. Sie gingen viel lieber Arbeiten, da sie aber nichts gelernt hatten konnten sie nicht in der Stadt arbeiten an Arbeitsplätzen wie ihre Dorfbewohner. Dafür pflegten sie deren Gärten, führten in den Häusern kleinere Reparaturen aus und halfen auch bei den Neubauten als Handlanger.
Eines Tages aber, zur Mittagszeit, rannte ein kleines Mädchen schreiend durch das Dorf, lief die geraden Straßen kreuz und quer, fand nicht sein Elternhaus, da die Straßen doch recht ähnlich aussahen. Schließlich lief es Pat und Patachon in die Arme. Obwohl es noch mehr schrie, trugen diese das Mädchen in ihr Bauernhaus und bald schon war nichts mehr von dem Mädchen zu hören.
Die Dorfbewohner, die gerade frei hatten oder zu Hause geblieben waren, weil sie eine Krankheit hatten oder der Arzt sie einfach mal krankgeschrieben hatte, hörten das Schreien des Kindes zwar, dachten sich aber nichts dabei und sahen auch nicht auf der Straße nach. Kinder schrien nun mal.
Ein paar Wochen darauf lief ein anderes Kind schreiend durch die Straßen. Diesmal kamen einige Anwohner vor die Tür, weil sie sich in ihrem Mittagsschläfchen gestört fühlten. Zwei Männer hatten sogar ihre Luftgewehre aus dem Schützenverein unter dem Arm. Eine ältere Frau schließlich fing das Mädchen ein und nahm es zu sich nach Hause. Dort berichtete das Mädchen so Ungeheuerliches, dass die Alte vor Schreck es zuerst nicht glauben mochte. Dann aber handelte sie energisch. Sie rief die Polizei an und berichtete, was das Mädchen erzählt hatte. Die Polizei reagierte sofort, fuhr mit mehreren Polizeiwagen und dem SEK auf den Hof von Pat und Patachon und durchsuchte das Bauernhaus. Pat und Patachon verfrachteten sie in das Gefängnis der Stadt.
Den Polizisten gelang es zwölf kleine Kinder aus den alten Ställen zu befreien. Das Dorf erfuhr davon noch am gleichen Tag, da die Polizisten sich im Dorf auf die Suche nach möglichen Eltern machten. Zuerst waren sie nicht sehr hoffnungsvoll, da es keine Vermisstenanzeigen gab aus dem Dorf. Dann aber meldeten sich doch mehr und mehr verstörte Eltern, die ihre Kinder nicht in deren Kinderzimmer und vor den Computern gefunden hatten und nun sehr in Sorge waren. Mit der Zeit meldeten sich so viele Eltern, dass mehr Kinder vermisst wurden als die Polizisten gefunden hatten. Aufgrund von Hinweisen der Kinder begann daraufhin eine große Grabungsaktion rund um das Bauernhaus. Auf diese Weise fanden die Polizisten auch den Rest der Kinder und bald schon hatten sie alle zu den Eltern zugeordnet, was aber nicht einfach war. Die Eltern konnten sich nur ungenau an das Aussehen erinnern. Aber Dank Gen-Tests war das keine große Hürde für die Polizei.
Das Dorf war nun entsetzt über Pat und Patachon und deren Verbrechen und viele meinten, denen noch nie getraut zu haben, zwei Männern ganz ohne Frauen.
Die Polizei versuchte in den Vernehmungen der Eltern heraus zu finden, warum sie die Kinder nicht vermisst hatten. Aber alle fragten nur ihrerseits: „Wann denn? Warum denn? Die hatten doch alles, Zimmer, Essen im Kühlschrank, Mikrowelle, Spielsachen, Computer, Spielconsole, einfach alles und dazu jede Menge an Freiheit!“
Der Bürgermeister seinerseits verbrauchte viel Kraft um die Polizei dazu zu bewegen, die Fragen sein und sein Dorf wieder in Ruhe zu lassen. Es sei doch nicht viel passiert, die Täter gefasst, alle könnten wieder ruhig schlafen, also was wolle man noch.

Das Dorf liegt sehr weit entfernt von hier und nur so ist es mir erklärbar, was dort geschah. Bei uns unvorstellbar, so etwas. Als wenn unsere Eltern nicht mehr wüssten, was ihre Kinder treiben.
Was die beiden Täter zu den scheußlichen Verbrechen getrieben und was sie mit den Kindern angestellt haben? Besser, Sie wissen es nicht und werden es nie erfahren, liebe Leser, glauben sie mir. Sie wollen das gar nicht wissen, es würde sie verfolgen bis an ihr Lebensende, jede Nacht.
Seien wir lieber froh, dass es so weit weg von uns geschah und kümmern wir uns lieber um unsere Kinder.

Keine Kommentare: