Donnerstag, 12. Dezember 2013

Ein Geldkoffer in neuen Zeiten


„Dass nicht alles so uneben sei, was im Morgenland geschieht“, an diese ersten Zeilen der Geschichte von Johann Peter Hebel, „der kluge Richter“ in seinem alten Deutschbuch „die Fackel“, musste er denken, als er den geöffneten Koffer voller Geld vor sich sah. In der Geschichte ging es auch um einen Geldfund und wie der Verlierer den Finder zu betrügen versuchte, aber in einem Richter seinen Meister fand.
Der Mann hier hatte kein Tuch mit eingenähtem Geld wie in der Geschichte gefunden, dafür einen Koffer in der Nähe einer Großbank im Park unter einem Gebüsch. Edles Leder, nun verschmutzt und von der nassen Erde verfleckt.
Gefunden hatte er ihn schon vor drei Tagen, aber sich noch nicht getraut etwas von dem Geld zu nehmen. Vielleicht gehörte der ja einer Mafiabande wie in den Nachtfilmen seines Fernsehers.
Heute Morgen dann hatte er einen Artikel im Regionalteil seiner Tageszeitung entdeckt, in dem über genau so einen Koffer geschrieben wurde, unter anderem was für ein Mensch ihn wie verloren hatte. Ein junger Taschendieb hatte den Koffer dem Mann vor der Bank entrissen und war mit dem Fahrrad geflüchtet. Sofort hatten sich mehrere Männer an die Verfolgung gemacht, was den Dieb wohl dazu bewogen hatte sich des Koffers zu entledigen. Jedenfalls hatten sie ihn ohne erwischt und seitdem leugne er, der Dieb zu sein.
Der beraubte Mann hatte daraufhin eine hohe Belohnung für das Auffinden des Koffers ausgesetzt. Am Ende des Artikels war eine Telefonnummer angegeben, bei der man sich melden könne, wenn man nicht die Polizei direkt anrufen wolle.
Der Finder sah den Koffer lange an, nahm einzelne Geldpäckchen heraus, schließlich alle und zählte. Eine Millionen Euro zählte er. So viel Geld hatte er noch nie auf einen Haufen gesehen.
Ob die Scheine wohl registriert waren? Wahrscheinlich. Die machten das heute in jedem Krimi mit Banküberfall so. Andererseits klang der Artikel nicht so, als wenn der Bestohlene zuvor selber die Bank ausgeraubt hätte. Dann wäre er ja kaum noch in Freiheit und könnte eine Belohnung aussetzen.
Überhaupt die Belohnung, 10% der Summe hier. Das waren 100.000 Euro. Auch so viel Geld hatte er zuvor noch nie zusammen gehabt, geschweige denn als Bündel vor sich liegen sehen.
Was tun? Allzu lange konnte er die Entscheidung nicht raus zu zögern. Nicht, dass man ihm noch unterstellt, er hätte das Geld behalten wollen. Andererseits liest nicht jeder Zeitung, aber als er das Radio wie gewohnt zur Nachrichtenzeit anmachte, berichteten auch die über den Diebstahl des Koffers.
Weder Zeitung, noch Radio aber nannten die Summe. Warum wohl? Er wurde nicht so richtig schlau daraus.
Er musste an die Schulbuchgeschichte denken und daran, wie der Verlierer den Finder betrügen wollte. Er hatte behauptet, dass genau jene Summe im Tuch fehle, die er als Belohnung ausgerufen, der Finder sich wohl also schon die Belohnung selber genommen hätte. Der Richter hatte dann aber beiden die Wahrheit zugesprochen, so dass der Verlierer weiter sich gedulden sollte, dass einer mit seiner Summe käme und der Finder sollte das Geld solange behalten, bis einer käme, der seine gefundene Summe vermisste.
„Wie wäre es“, überlegte unser Finder hier, „wenn ich tatsächlich den Geldbetrag vorher entnehme? Bringt man mich vor Gericht, kann ich bestimmt auch die ganze Summe behalten.“
Und so tat er. Er meldete sich telefonisch, gab an, nicht in den Koffer gesehen zu haben, brachte ihn zum dem Bestohlenen, der ihn hereinbat und den Koffer auf dem Wohntisch öffnete. Sofort zählte er 100.000 Euro ab und gab sie dem Finder.
Der ließ sich nichts anmerken und bedankte sich, trank in Ruhe den angebotenen Kaffee aus und wartete. Tatsächlich wurde das Geld gezählt, nicht von dem glücklichen Besitzer, aber von dessen Frau. Und so kam die Differenz heraus.
Und wie von dem Finder nicht anders erwartet, kam es zum Streit, gegenseitigen Vorwürfen und Beteuerungen, wobei er den Finderlohn in der Tasche behielt und sich wie geplant drei Monate später vor Gericht wieder fand, des Diebstahls bezichtigt und auf der Anklagebank.
Der Richter hörte sich beide Versionen über die Höhe des Geldbetrages und den Fund an, fragte wenig zuvorkommend den Finder wieder und wieder aus, der aber standhaft bei seiner Version blieb. Schließlich, als alle Fragen mehrfach ohne neues Ergebnis gestellt worden waren, kam das Urteil:
Der Finder würde des Diebstahls für schuldig befunden, da seine Version wenig glaubwürdig sei, hätte der Dieb doch auf seiner Flucht kaum die Zeit gehabt exakt 100.000 Euro dem Koffer zu entnehmen und außerdem bestreite der das.
Das keinerlei Fingerabdrücke des Finders am Geld oder Innenraum des Koffers sich befänden, wäre eher merkwürdig, da auch sonst keine Fingerabdrücke vorhanden seien, was aber schlechterdings nicht angehen könnte, müssten doch wenigstens die der Bankangestellten, die das Geld hinein gelegt hatten, sich finden lassen. Der Bestohlene jedenfalls sage auf jeden Fall die Wahrheit, dies hätten Belege und die Aussagen der Bankangestellten zur Genüge bewiesen.
Daher würde der Finder aufgrund der Hartnäckigkeit seines Leugnens zu einer Haftstrafe und der Rückgabe des Finderlohnes verurteilt.
Der arme Mann wusste nicht wie ihm geschah, ließ sich verbittert in das Gefängnis bringen und schrieb von dort dem Richter einen bösen Brief, in dem er das Urteil des Richters aus der Erzählung vom Dichter Hebel aufführte und auf dessen Weisheit verwies, die so ganz anders sei als die des von ihm jetzt angeschriebenen Kollegen. Der Richter las den Brief, überlegte lange ob er überhaupt antworten solle, entschloss sich aber dann doch mit leisem Schmunzeln.
„Sehr geehrter Herr X, sie vermissen zu Recht Weisheit in meiner Entscheidung. Die aber brauchte ich ja in ihrem Falle nicht. Nur den gesunden Menschenverstand.
Auch ich kenne diese Schulbuchgeschichte und sie hat sicherlich mit dazu beigetragen, dass ich meinen Berufsweg in die Juristerei fand.
Ansonsten bleibt mir nur, Ihnen den Hinweis an ihr Herz zu geben: andere Zeiten, andere Menschen. Das werden Sie nach Ihrem Handeln doch bestimmt am besten verstehen. „
Der Finder las das, ärgerte sich sehr, sah sich durchschaut und saß daraufhin brav seine Strafe ab ohne in Berufung zu gehen.

Er versuchte nie wieder schlauer als eine gelesene Geschichte zu sein, kam damit ganz gut zurecht und wurde nie wieder straffällig.

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