„Dass nicht alles so uneben sei, was im
Morgenland geschieht“, an diese ersten Zeilen der Geschichte von Johann Peter
Hebel, „der kluge Richter“ in seinem alten Deutschbuch „die Fackel“, musste er
denken, als er den geöffneten Koffer voller Geld vor sich sah. In der Geschichte
ging es auch um einen Geldfund und wie der Verlierer den Finder zu betrügen
versuchte, aber in einem Richter seinen Meister fand.
Der Mann hier hatte kein Tuch mit
eingenähtem Geld wie in der Geschichte gefunden, dafür einen Koffer in der Nähe
einer Großbank im Park unter einem Gebüsch. Edles Leder, nun verschmutzt und
von der nassen Erde verfleckt.
Gefunden hatte er ihn schon vor drei
Tagen, aber sich noch nicht getraut etwas von dem Geld zu nehmen. Vielleicht
gehörte der ja einer Mafiabande wie in den Nachtfilmen seines Fernsehers.
Heute Morgen dann hatte er einen Artikel
im Regionalteil seiner Tageszeitung entdeckt, in dem über genau so einen Koffer
geschrieben wurde, unter anderem was für ein Mensch ihn wie verloren hatte. Ein
junger Taschendieb hatte den Koffer dem Mann vor der Bank entrissen und war mit
dem Fahrrad geflüchtet. Sofort hatten sich mehrere Männer an die Verfolgung
gemacht, was den Dieb wohl dazu bewogen hatte sich des Koffers zu entledigen. Jedenfalls
hatten sie ihn ohne erwischt und seitdem leugne er, der Dieb zu sein.
Der beraubte Mann hatte daraufhin eine
hohe Belohnung für das Auffinden des Koffers ausgesetzt. Am Ende des Artikels
war eine Telefonnummer angegeben, bei der man sich melden könne, wenn man nicht
die Polizei direkt anrufen wolle.
Der Finder sah den Koffer lange an, nahm
einzelne Geldpäckchen heraus, schließlich alle und zählte. Eine Millionen Euro
zählte er. So viel Geld hatte er noch nie auf einen Haufen gesehen.
Ob die Scheine wohl registriert waren?
Wahrscheinlich. Die machten das heute in jedem Krimi mit Banküberfall so. Andererseits
klang der Artikel nicht so, als wenn der Bestohlene zuvor selber die Bank
ausgeraubt hätte. Dann wäre er ja kaum noch in Freiheit und könnte eine
Belohnung aussetzen.
Überhaupt die Belohnung, 10% der Summe
hier. Das waren 100.000 Euro. Auch so viel Geld hatte er zuvor noch nie
zusammen gehabt, geschweige denn als Bündel vor sich liegen sehen.
Was tun? Allzu lange konnte er die
Entscheidung nicht raus zu zögern. Nicht, dass man ihm noch unterstellt, er
hätte das Geld behalten wollen. Andererseits liest nicht jeder Zeitung, aber
als er das Radio wie gewohnt zur Nachrichtenzeit anmachte, berichteten auch die
über den Diebstahl des Koffers.
Weder Zeitung, noch Radio aber nannten die
Summe. Warum wohl? Er wurde nicht so richtig schlau daraus.
Er musste an die Schulbuchgeschichte
denken und daran, wie der Verlierer den Finder betrügen wollte. Er hatte
behauptet, dass genau jene Summe im Tuch fehle, die er als Belohnung
ausgerufen, der Finder sich wohl also schon die Belohnung selber genommen
hätte. Der Richter hatte dann aber beiden die Wahrheit zugesprochen, so dass
der Verlierer weiter sich gedulden sollte, dass einer mit seiner Summe käme und
der Finder sollte das Geld solange behalten, bis einer käme, der seine
gefundene Summe vermisste.
„Wie wäre es“, überlegte unser Finder
hier, „wenn ich tatsächlich den Geldbetrag vorher entnehme? Bringt man mich vor
Gericht, kann ich bestimmt auch die ganze Summe behalten.“
Und so tat er. Er meldete sich
telefonisch, gab an, nicht in den Koffer gesehen zu haben, brachte ihn zum dem
Bestohlenen, der ihn hereinbat und den Koffer auf dem Wohntisch öffnete. Sofort
zählte er 100.000 Euro ab und gab sie dem Finder.
Der ließ sich nichts anmerken und bedankte
sich, trank in Ruhe den angebotenen Kaffee aus und wartete. Tatsächlich wurde
das Geld gezählt, nicht von dem glücklichen Besitzer, aber von dessen Frau. Und
so kam die Differenz heraus.
Und wie von dem Finder nicht anders
erwartet, kam es zum Streit, gegenseitigen Vorwürfen und Beteuerungen, wobei er
den Finderlohn in der Tasche behielt und sich wie geplant drei Monate später
vor Gericht wieder fand, des Diebstahls bezichtigt und auf der Anklagebank.
Der Richter hörte sich beide Versionen
über die Höhe des Geldbetrages und den Fund an, fragte wenig zuvorkommend den
Finder wieder und wieder aus, der aber standhaft bei seiner Version blieb.
Schließlich, als alle Fragen mehrfach ohne neues Ergebnis gestellt worden waren,
kam das Urteil:
Der Finder würde des Diebstahls für
schuldig befunden, da seine Version wenig glaubwürdig sei, hätte der Dieb doch
auf seiner Flucht kaum die Zeit gehabt exakt 100.000 Euro dem Koffer zu
entnehmen und außerdem bestreite der das.
Das keinerlei Fingerabdrücke des Finders
am Geld oder Innenraum des Koffers sich befänden, wäre eher merkwürdig, da auch
sonst keine Fingerabdrücke vorhanden seien, was aber schlechterdings nicht
angehen könnte, müssten doch wenigstens die der Bankangestellten, die das Geld
hinein gelegt hatten, sich finden lassen. Der Bestohlene jedenfalls sage auf jeden Fall die Wahrheit, dies hätten Belege und die Aussagen der Bankangestellten zur Genüge bewiesen.
Daher würde der Finder aufgrund der
Hartnäckigkeit seines Leugnens zu einer Haftstrafe und der Rückgabe des
Finderlohnes verurteilt.
Der arme Mann wusste nicht wie ihm
geschah, ließ sich verbittert in das Gefängnis bringen und schrieb von dort dem
Richter einen bösen Brief, in dem er das Urteil des Richters aus der Erzählung
vom Dichter Hebel aufführte und auf dessen Weisheit verwies, die so ganz anders
sei als die des von ihm jetzt angeschriebenen Kollegen. Der Richter las den
Brief, überlegte lange ob er überhaupt antworten solle, entschloss sich aber
dann doch mit leisem Schmunzeln.
„Sehr geehrter Herr X, sie vermissen zu
Recht Weisheit in meiner Entscheidung. Die aber brauchte ich ja in ihrem Falle
nicht. Nur den gesunden Menschenverstand.
Auch ich kenne diese Schulbuchgeschichte
und sie hat sicherlich mit dazu beigetragen, dass ich meinen Berufsweg in die
Juristerei fand.
Ansonsten bleibt mir nur, Ihnen den
Hinweis an ihr Herz zu geben: andere Zeiten, andere Menschen. Das werden Sie
nach Ihrem Handeln doch bestimmt am besten verstehen. „
Der Finder las das, ärgerte sich sehr, sah
sich durchschaut und saß daraufhin brav seine Strafe ab ohne in Berufung zu
gehen.
Er versuchte nie wieder schlauer als eine
gelesene Geschichte zu sein, kam damit ganz gut zurecht und wurde nie wieder
straffällig.
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