Freitag, 24. Januar 2014

Als ich ein Model gegen einen Mülleimer tauschen wollte


„Lieber würde ich mit einem Mülleimer das Bett teilen, als mit Dir.“ Der das so sagte, wörtlich, ohne dabei rot zu werden, ganz ruhig und freundlich der so Angesprochenen in die Augen sehend, das war ich. Wir saßen kurz vor Mitternacht zusammen mit den anderen aus der Clique in Gudruns Garage, Gudrun, der Goldschmiedin oben auf dem Berg, wo die reicheren Städter ihre Häuser hin verpflanzt hatten.
Es sollte in wenigen Minuten das Jahr 1970 beginnen und schon lagen die eingehakten Marschreihen und Ho-Ho-Ho-Chi-Minh-Rufe sowie die Hausbesetzungen Lichtjahre hinter uns. Noch hatten wir das zweite Jahrzehnt in unserem Leben nicht erreicht und doch schon, so jedenfalls fühlten wir es, gewaltig viel. Unsere Stadt mit unseren Aktionen gegen die Fahrpreiserhöhungen, in Bonn gegen die Notstandsgesetze das Land zum Zittern gebracht. Rudi war angeschossen worden und ein Regisseur hatte uns in seinem Film verewigt. „Ich bin ein Elephant, Madam.“ Da spielte unser Treffpunkt, die Lila Eule eine tragende Rolle.
Wir hatten uns längst in lausige Kleingruppen aufgeteilt, planten dort neue Parteien, Unterwanderungsstrategien und die Weltrevolution, völlig überzeugt davon, dass unsere Welle weiter rauschen würde und das Land verändern. Hätten wir das Wort Tsunami schon gekannt, das erst Jahrzehnte später grauenvoll Inseln zerstörte, hätten wir uns wohl mit dem identifiziert.
Ganz im Geiste jener Jahre machten wir vor nichts halt und keinem Thema. Sex und Drugs waren noch die kleinsten davon. Alles Etablierte bekams auf die Mütze oder Schnauze, je nachdem. Und so war gerade die Tatsache, dass ein aufstrebendes, bereits europaweit auf Titelseiten gedrucktes Model neben mir hockte, Verstärker spielte für meine Lust auf diesen Satz ihr gegenüber.
Nun war es nicht so, dass es irgendwelche Anzeichen dafür gegeben hätte, dass sie vorgehabt hätte mit mir statt eines Mülleimers in das nächste Bett oder wo auch immer hin zu marschieren für, na sie wissen schon. Im Gegenteil, nichts dergleichen hatten wir in dieser Silvesternacht im Künstlerdorf unweit meiner Heimatstadt vor. Nein, wir waren nur dabei uns zeitgemäß zu unterhalten und aus zu tauschen.
Und so diskutierten wir bis zu den ersten Sektkorken und deren Flug an die niedrige Betondecke der Garage über Mülleimer und Models, deren Vorzüge und Nachteile im Sinne Lenis und Freuds und wem auch immer. Dabei gestand sie mir, auch viel zu lesen und demnächst studieren zu wollen. Ja, damals, damals rechtfertigten sich die Erfolgreichen noch, suchten Argumente und hörten uns Underdogs betroffen zu.
Ja, damals, 1969, am Ende des Jahres, noch. Und sie besonders. Was mich von Herzen erfreute und mir zeigte, wie viel Macht wir uns doch bereits erkämpft hatten. Zumindest ihr gegenüber.
Schlafen ging ich dann mit einem anderen Mädchen, jünger, kleiner, Schülerin. Deren Eltern feierten außerhaus und sollten erst am Morgen wieder auftauchen.
Ja und dann geschah es, die Praxis von der Theorie. Das erste Mal. War ich unsicher, verklemmt, aufgeregt, kaum dass mir noch was hart bleiben wollte und als sie mich aufgenommen hatte, fast schon routiniert und sportsmäßig, war es auch schon vorbei in mir. Da kleckerte sich was raus und ich musste mich schämen, was sie sofort bemerkte und bestritt womit ich wieder zurück in meinem Leben war, dem Diskutieren.
Leider kamen deren Eltern früher heim und so musste ich nacktarschig und mit den Klamotten unterm Arm durch Fenster und Garten flüchten, was mir wenig gefiel, lag in jener Nacht doch verdammt viel Schnee.
Ich floh zum Kumpel, der damals noch bei der Tochter eines berühmten Jugendstilmalers als Mieter wohnte und Bob Dylan super imitierte. Bei dem schlief ich mich aus, nachdem ich noch seine Bände von Brecht, Marx, Lenin und Freud bewundert hatte. Natürlich auch von Wilhelm Reich.
Ich kam erst weit nach Mittag in die Wohnung meiner Mutter zurück, bei der ich damals noch wohnte wegen der niedrigen Löhnung als Schriftsetzerlehrling, Auszubildender nannte man das erst später, dafür standen uns noch ein paar Kämpfe bevor, Lehrlingsbewegung und sowas.
Meine Mutter war zu meiner Überraschung nicht da, dafür klingelte das Telefon, am anderen Ende ein Mann. Ob er meine Tochter sprechen könnte. Er meinte meine Mutter.
Da fühlte ich mich wieder stark und war gewiss, älter geworden zu sein, ein Mann, in jener Nacht, die eigentlich damit begonnen hatte, dass wir in einer Garage viel Wein gekippt hatten und ich lieber mit einem Mülleimer die Nacht verbracht hätte. Sie wissen es ja nun.
Wenige Monate später hat ein Städter auf dem Weg vom Künstlerdorf zu unserer Stadt das Model überfahren. Zurückblieben eine Mutter und eine Großmutter, wunderbar gebildete und feinfühlige Frauen, alle auch im Alter noch sehr schön so wie ihre Tochter es einst war, als sie noch lebte und auf Titelseiten glänzte. Die Zeiten änderten sich weiter rasch, aber nicht mehr nur zum Guten, das wurde auch mir da langsam klarer. Wie sehr, darüber zu schreiben fällt mir heute nicht leicht, nicht so leicht wie über jene Tage als alles leicht schien und überwindbar. Bis der Tod sich auch bei uns einschlich.

Sie war nur die erste, andere folgten, viele an der Nadel, einige erhängten sich, sprangen von Brücken. Ins Künstlerdorf kamen Terroristen, heimlich, zum Übernachten. Aber das gehört nun wirklich nicht mehr zu dieser Geschichte.

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