„Lieber
würde ich mit einem Mülleimer das Bett teilen, als mit Dir.“ Der das so sagte,
wörtlich, ohne dabei rot zu werden, ganz ruhig und freundlich der so
Angesprochenen in die Augen sehend, das war ich. Wir saßen kurz vor Mitternacht
zusammen mit den anderen aus der Clique in Gudruns Garage, Gudrun, der
Goldschmiedin oben auf dem Berg, wo die reicheren Städter ihre Häuser hin
verpflanzt hatten.
Es
sollte in wenigen Minuten das Jahr 1970 beginnen und schon lagen die
eingehakten Marschreihen und Ho-Ho-Ho-Chi-Minh-Rufe sowie die Hausbesetzungen
Lichtjahre hinter uns. Noch hatten wir das zweite Jahrzehnt in unserem Leben
nicht erreicht und doch schon, so jedenfalls fühlten wir es, gewaltig viel.
Unsere Stadt mit unseren Aktionen gegen die Fahrpreiserhöhungen, in Bonn gegen
die Notstandsgesetze das Land zum Zittern gebracht. Rudi war angeschossen
worden und ein Regisseur hatte uns in seinem Film verewigt. „Ich bin ein
Elephant, Madam.“ Da spielte unser Treffpunkt, die Lila Eule eine tragende
Rolle.
Wir
hatten uns längst in lausige Kleingruppen aufgeteilt, planten dort neue
Parteien, Unterwanderungsstrategien und die Weltrevolution, völlig überzeugt davon,
dass unsere Welle weiter rauschen würde und das Land verändern. Hätten wir das Wort
Tsunami schon gekannt, das erst Jahrzehnte später grauenvoll Inseln zerstörte,
hätten wir uns wohl mit dem identifiziert.
Ganz
im Geiste jener Jahre machten wir vor nichts halt und keinem Thema. Sex und
Drugs waren noch die kleinsten davon. Alles Etablierte bekams auf die Mütze
oder Schnauze, je nachdem. Und so war gerade die Tatsache, dass ein
aufstrebendes, bereits europaweit auf Titelseiten gedrucktes Model neben mir hockte,
Verstärker spielte für meine Lust auf diesen Satz ihr gegenüber.
Nun
war es nicht so, dass es irgendwelche Anzeichen dafür gegeben hätte, dass sie
vorgehabt hätte mit mir statt eines Mülleimers in das nächste Bett oder wo auch
immer hin zu marschieren für, na sie wissen schon. Im Gegenteil, nichts dergleichen
hatten wir in dieser Silvesternacht im Künstlerdorf unweit meiner Heimatstadt
vor. Nein, wir waren nur dabei uns zeitgemäß zu unterhalten und aus zu
tauschen.
Und
so diskutierten wir bis zu den ersten Sektkorken und deren Flug an die niedrige
Betondecke der Garage über Mülleimer und Models, deren Vorzüge und Nachteile im
Sinne Lenis und Freuds und wem auch immer. Dabei gestand sie mir, auch viel zu
lesen und demnächst studieren zu wollen. Ja, damals, damals rechtfertigten sich
die Erfolgreichen noch, suchten Argumente und hörten uns Underdogs betroffen
zu.
Ja,
damals, 1969, am Ende des Jahres, noch. Und sie besonders. Was mich von Herzen
erfreute und mir zeigte, wie viel Macht wir uns doch bereits erkämpft hatten.
Zumindest ihr gegenüber.
Schlafen
ging ich dann mit einem anderen Mädchen, jünger, kleiner, Schülerin. Deren Eltern
feierten außerhaus und sollten erst am Morgen wieder auftauchen.
Ja
und dann geschah es, die Praxis von der Theorie. Das erste Mal. War ich
unsicher, verklemmt, aufgeregt, kaum dass mir noch was hart bleiben wollte und
als sie mich aufgenommen hatte, fast schon routiniert und sportsmäßig, war es
auch schon vorbei in mir. Da kleckerte sich was raus und ich musste mich
schämen, was sie sofort bemerkte und bestritt womit ich wieder zurück in meinem
Leben war, dem Diskutieren.
Leider
kamen deren Eltern früher heim und so musste ich nacktarschig und mit den
Klamotten unterm Arm durch Fenster und Garten flüchten, was mir wenig gefiel,
lag in jener Nacht doch verdammt viel Schnee.
Ich
floh zum Kumpel, der damals noch bei der Tochter eines berühmten
Jugendstilmalers als Mieter wohnte und Bob Dylan super imitierte. Bei dem
schlief ich mich aus, nachdem ich noch seine Bände von Brecht, Marx, Lenin und
Freud bewundert hatte. Natürlich auch von Wilhelm Reich.
Ich
kam erst weit nach Mittag in die Wohnung meiner Mutter zurück, bei der ich
damals noch wohnte wegen der niedrigen Löhnung als Schriftsetzerlehrling,
Auszubildender nannte man das erst später, dafür standen uns noch ein paar
Kämpfe bevor, Lehrlingsbewegung und sowas.
Meine
Mutter war zu meiner Überraschung nicht da, dafür klingelte das Telefon, am
anderen Ende ein Mann. Ob er meine Tochter sprechen könnte. Er meinte meine
Mutter.
Da
fühlte ich mich wieder stark und war gewiss, älter geworden zu sein, ein Mann,
in jener Nacht, die eigentlich damit begonnen hatte, dass wir in einer Garage
viel Wein gekippt hatten und ich lieber mit einem Mülleimer die Nacht verbracht
hätte. Sie wissen es ja nun.
Wenige
Monate später hat ein Städter auf dem Weg vom Künstlerdorf zu unserer Stadt das
Model überfahren. Zurückblieben eine Mutter und eine Großmutter, wunderbar
gebildete und feinfühlige Frauen, alle auch im Alter noch sehr schön so wie
ihre Tochter es einst war, als sie noch lebte und auf Titelseiten glänzte. Die
Zeiten änderten sich weiter rasch, aber nicht mehr nur zum Guten, das wurde
auch mir da langsam klarer. Wie sehr, darüber zu schreiben fällt mir heute
nicht leicht, nicht so leicht wie über jene Tage als alles leicht schien und
überwindbar. Bis der Tod sich auch bei uns einschlich.
Sie
war nur die erste, andere folgten, viele an der Nadel, einige erhängten sich,
sprangen von Brücken. Ins Künstlerdorf kamen Terroristen, heimlich, zum
Übernachten. Aber das gehört nun wirklich nicht mehr zu dieser Geschichte.
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