Mittwoch, 9. April 2014

Barsicht



Mir gegenüber sitzt ein Mann, an der anderen Seite der Theke. Der schreibt wie ich, irgendetwas, so etwas vielleicht wie diese Worte hier oder etwas ganz anderes.
Er lehnt sich wie ich zurück. Er raucht wie ich von Zeit zu Zeit eine Zigarette, denn das darf man hier noch in dieser Hotelbar des Maritim im Waldecker Land.
Er trägt ein dunkel gestreiftes Hemd, darüber einen schwarzen Pullunder, der so heißt obwohl auch der Mann ihn wie ich über dem Hemd trägt.
Er hat graue Haare im Übergang zum Weiß der letzten Jahre so wie ich. Scheint, zumindest im Sitzen, ungefähr gleicher Körpergröße zu sein, vielleicht auch fünf Zentimeter kleiner.
Er knabbert zwischendurch wie ich die Nüsse, aus dem Glas in die linke Hand gekippt, nimmt sie mit rechts einzeln heraus und steckt sie sich in den Mund, Kopf und Rücken dabei leicht zurückgelehnt, die Augen auf dem Geschriebenen.
Er trägt wie ich eine Brille aus dünnem schwarzen Material, so dass es von mir aus aussieht, als hätte jemand mit dünnem Bleistift ihm diese in das Gesicht gezeichnet.
Aber er ist nicht ich. Es gibt keinen Spiegel vor mir, auch wenn es für mich so wirkt, als mache er meine Bewegungen nach. Er schreibt auch noch mit rechts, wie ich, und ich ihn lieber mit links schreiben sehen würde.
Er schweigt wie ich, blickt aber immer öfter zu dem Barmädchen auf und umher, als erwarte er etwas oder suche jemanden. Ich will nicht, dass er mich sucht. Ich will nicht mit ihm reden, nur wissen, was er schreibt. Im Zweifel aber verzichte ich lieber auf seine Schreibe für den Genuss hier weiter schweigend sitzen zu können und zu schreiben.
Er blickt jedes Mal nur kurz, als wolle er diese Blicke verbergen, mit ihnen nicht entdeckt werden.
Weil er weniger schreibt und mehr Nüsse knabbert, raucht er auch weniger als ich. Er wirkt jetzt sprungbereit. Aber wozu oder zu wem?
Ich sehe nur noch kurz auf, so wie er, hoffe er entdeckt meine Augen nicht, übersieht meine Gegenwart.
Ich esse keine Nüsse im Moment, während er knabbert und Kurzblicke verschießt, rauche auch nicht, da ich parallel schreibe zu ihm und seinen Blicken.
Er trinkt Bier, ich Wein. Es ist ein guter Tropfen. Den hat mir der Junge, nicht das Mädchen ausgesucht und vorgeschlagen. Der ist der Profi, sie die Azubine.
Das Bier des Gegenüber verschafft mir die Sicherheit, dass ich nicht vor meinem Spiegelbild sitze, es sei denn der Spiegel zeigt mich lieber mit Bier statt mit Wein. Aber warum sollte ein Spiegel das tun, selbst dann, wenn er in einer Hotelbar hängt?
Also, er ist nicht ich. Zweifelsfrei. Zumindest heute nicht. Vielleicht in ein paar Jahren, wenn mein Haarweiß so weit fortgeschritten ist wie bei ihm, mein Gesicht wie seins in müden Falten hängt.
Ja, er ist älter, nicht weil ich das unbedingt will, auf die Erdnüsse und Zigarette verzichte, damit ich schreiben kann, während er zur Abwechslung wieder Nüsse einzeln seiner linken Hand entnimmt und im Mund verschwinden lässt, um sie dort langsam zu zerkauen. Nein, er ist älter weil er es ist, so wie er nicht ich ist.
Er ist zumindest älter als ich mich fühle oder sehe hier im Barlicht und dem Spiegel zu meiner rechten, der mich von der Seite zeigt, wie ich schreibe, während der drüben weiter Nüsse isst.
Dann ist plötzlich alles anders. Er bricht alle Spielregeln, spricht mit der Azubine, dem blonden Barmädchen, während ihr Kollege mein Glas betrachtet. Ich nicke und er bringt ein neues Glas, gefüllt, nimmt das leere Glas mir weg, leert den Aschenbecher, dies alles wortlos. Wir lächeln uns nur kurz an, wissen von einander was wir wissen müssen, was wir wissen wollen, quatschen nicht.
Der Mann mir gegenüber dagegen quatscht, schreibt nicht mehr, hat den Stift dafür verschwinden lassen, vielleicht sogar sein Geschriebenes, zumindest kann ich es nicht mehr sehen.
Nein, der ist nicht wie ich. Ich quatsche keine Barmädels an, schon gar nicht wenn sie so jung und noch Azubinen sind.
Ich schreibe. Bin wütend, irgendwie, obwohl der mir ja eigentlich egal sein könnte, wenn er nicht ich ist und mir auch gar nicht mehr ähnlich, jetzt.
Die spricht natürlich auch mit ihm, wieso auch nicht, wenn er sie anspricht. Ist er doch ein Kunde und der darf sie ansprechen.
Sie steht dabei steif mit ihrem Rücken an den Kassentisch gelehnt und wirft ihren blonden Zopf beim Sprechen ab und zu zur Seite, mal nach links, mal nach rechts.
Hübsch sieht sie aus, jung, hat spürbar ein Leben vor sich, ein Leben dass er und ich so ziemlich hinter uns gebracht haben, wie auch immer.
Die unterhalten sich und ich beende mein Schreiben. Werde zahlen und gehen. Bis der Barmann soweit ist sehe ich im Spiegel, was da sich zum Verlassen der Bar vorbereitet, sehe meine müden Anziehversuche, den Ansatz von Buckel, silbern schimmerndes Bürstenhaar vom Gläsergefunkel über mir.
Ich erkenne mich nicht.
Der da drüben quatscht und ich suche mich und erkenne mich nicht. Weiß nicht, wer sich da hölzern anzieht und vom Barhocker schiebt.
Der Preis ist genannt. Ich zahle, könnte jetzt eigentlich gehen. Aber ich bestelle noch einen „Absacker“, einen Grappa und sehe zu dem da drüben hin, der zu mir hinsieht, wieder nur kurz, weiter mit ihr quatscht, dann lachen sie.
Ich kippe meinen Grappa und verziehe mich. Vielleicht lachen sie über mich oder ich bin doch er und lache mit ihr über mich selber, dieses trottelige Spiegelbild eines alten Mannes, der sich am Schreiben festhält statt zu quatschen, dafür sogar sein Rauchen und die Erdnüsse verschmäht und flieht, wenn man lacht. Vielleicht. Genaueres weiß auch der kalte Februarwind nicht, der mich draußen in Empfang nimmt. Vielleicht sollte ich demnächst über den schreiben. Im Alter spürt man ihn mehr, den Wind.

(c) bild + text jörn laue-weltring bad wildungen 2014

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