Donnerstag, 3. April 2014

Das letzte Glas



Das Haus war festlich erleuchtet und die ausgelassene Stimmung bis zu dem großen Garten, eher ein Park, hin zu spüren. Über allem waren bereits in die hoch kriechende Schwärze Sterne aufgezogen und ein schmaler Sichelmond,
als der alte Mönch am Ende des mit Essensresten, Weinflaschen und Gläsern überfüllten Tisches sich erhob und auf seine leise Weise begann sich zu verabschieden von der munter plaudernden und dem Alkohol nicht wenig zusprechende Runde.
Da unterbrach ihn die Gastgeberin, stand auf wie er, schaute sich beim Sprechen mit glänzenden Augen unter mächtig onduliertem Haar zu ihren Gästen um. Sie verwies auf das ja erst halbleere Glas des Mönches und dass der gute Wein darin doch eine Verschwendung wäre, die dieser und sein Winzer nicht verdient hätten. Er solle es daher doch als guter Christ und Freund der Weinberge des Herrn in Ruhe zur Gänze leeren und genießen.
Da schüttelte der so Ausgebremste seinen Kopf, sah die Rednerin dabei voll der Milde an und sagte:
„Entschuldigen Sie mich, bitte! Verehrte Gastgeberin, bitte und wirklich ganz herzlichen Dank für Ihre Bewirtung. Aber dieser Wein dort in meinem Glas, der würde tatsächlich ein Opfer der Verschwendung und Missachtung, tränke ich ihn jetzt aus und schüttete ihn zu den anderen Tropfen, die ich bereits, und das sehr, liebe Gastgeberin, dank Ihnen hier genießen durfte.
Möge er besser in ihrer Runde noch ein wenig ruhen und sich setzen und dann ohne Umweg über meine eifrig arbeitende Magensäure seine letzte Reise antreten zurück in das Wasser, aus dem wir alle laut den Wissenschaftlern ja dereinst an Land gekrochen, nicht wir, doch aber das, was sich genetisch auffinden lässt. Denn wie sprach doch der Herr, Wasser werde zu Wein und Wein zu Wasser und meinem letzten Schluck hier gönne ich gerne dieses Werden von Einem zum Anderen.
So sollten wir es immer und alle halten, dem letzten Schluck gönnen, was ihm gebührt, wie viel mehr an Genuss bliebe uns in Erinnerung, an wie viel mehr von der Köstlichkeit seiner Aromen und Würze könnte uns den Tag versüßen und den Geist stärken in wohliger Zufriedenheit.
Trinken wir aber alles stets aus bis zum letzten Tropfen, erweckt uns am Morgen nur die Sehnsucht nach weniger Schmerzen, Durst und Nebel im Geist, wünschen wir uns nur noch, nicht erinnert und schnell wieder klar zu werden.
Ich für meinen Teil danke Ihnen sehr für die guten Tropfen und wünsche auch Ihnen den rechten Genuss derselben.“

Sprach es und ging.

Verdutzt und schweigend sahen alle hinter ihm her, manch einer zaghaft den Kopf schüttelnd, saßen so eine Weile, ohne dass einer zum Glas griff, weder zum Wein noch zum Wasser. 

Schließlich erhob die Gastgeberin wieder das Wort, diesmal aber sitzend.
„Was meinen Sie, liebe Freunde und Verwandte, war unserem Mönch nun sein Glas halbvoll oder halbleer?“
Niemand antwortete, einige zuckten mit den Schultern, die meisten machten eher ein ratloses Gesicht.
Die Gastgeberin gab sich mit dieser Art Antwort zufrieden und begann mit ihren Tischnachbarn das Gespräch fortzusetzen, das sie wegen des Aufbruchs des Mönches unterbrochen hatte. Auch die anderen gaben sich den bei solchen Festlichkeiten üblichen Beschäftigungen hin und bald schon musste neuer Wein herbeigeschafft werden.


Erst der Verlauf des nächsten Morgens und die Art der Begegnung mit dem neuen Tag rief den meisten der Festteilnehmer die Worte des alten Mönches in Erinnerung und einige beneideten ihn jetzt ob seiner Entscheidung es gut sein zu lassen mit dem Wein und dem letzten Schluck.

(c) bild + text jörn laue-weltring bad wildungen 2014

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