„Was musste
sie sich, sie die stolze Hilde, ewiger Jungschwarm der Straße, „Mädel, warum
hast Du keinen von uns genommen?!“, sportliches Idol der 7. Klasse, Tag für Tag
hier ansehen? Diese milchigen Hände mit den dicken, blauen Adern, die wie
Krallen das Brot packten, als könne hier jemand auf die nun wirklich unsinnige
Idee kommen, ihm das Essen zu mopsen.
Ausgehungert hatten sie ja auch nichts von ihm, nur noch weniger zu
erwarten. Nicht mal richtig am Tisch sitzen kann er, immer fielen ihm die
Schultern fast in die Teetasse und dann diese schlappe, fahrige Geste, alle
fünf Minuten, als wenn ihn ein Wecker auf die Sekunde genau antriebe, seine
linke Hand langsam an die Stirn, die dünnen Haarsträhnen aus der Stirn
streichend, über seinen kleinen Ansatz von Glatze nach hinten und dann Hand
zurück vorsichtig auf den Tisch, als hätte er Angst vor der Berührung mit dem
Holz, so war er, so ist er, so wird er wohl immer bleiben, dieser warum auch
immer ihr Karl.
So
war der ganze Kerl, wie diese sinnlose Geste, so sein Leben, nach dem noch nicht
mal der Führer und seine Leute gerufen hatten, nicht die Wehrmacht, nicht der
Volkssturm, auch nicht jetzt wo es wohl doch schief lief, mit dem ganzen großen
Reich nicht mehr viel war. Und was machte er mitten in diesem Krieg, der
Entscheidungsschlacht überhaupt wo alle anderen an den Fronten ihr Leben in die
Waagschale werfen? Rechnungen schreiben,
mit zwei anderen Backpfeifen, unter dem Regiment eines invaliden Rentners, das
mit seinen einunddreißig Jahren und Malocherkreuz. Im besten Mannesalter, in
der größten Bedrohung in der der Führer und sein Volk jeden Mann brauchten.
„Was
ist das für ein Schicksal, dass der Mann ein Mann ist und ich eine Frau?“
fragte sich Hilde wie schon so oft, wenn sie dieses zornige Grübeln überfiel. „
Ich hätte und würde sofort für den Führer alles geben. Und der da, der schafft
es ja nicht einmal einem Kind das Leben in mir zu wecken. „ Dies war jedes Mal
der Moment in ihrem abendlichen Gedankenspiel, an dem das Bild kam, dieses
entsetzlich peinliche Bild, wie er sich tapsig, mit vorsichtigen, schlappen
Händen an ihrem Leib zu schaffen machte, hier drückte, da entlang strich, als
sei sie eine Mimose, ein Pflanzenblatt, wie sein Schweiß bald darauf auf sie
tropfte, sein Gesicht sich so merkwürdig verzerrte, sein Atem röchelnd wurde,
seine Hast, wie er kam und in ihr abließ, was sie noch gar nicht haben wollte,
nicht so schnell, kaum , dass er in ihr ihr war, nachdem ssie resignierend die
Beine geöffnet hatte. Und das ihr, die von starken Händen träumte, kräftigen
Schenkeln und Stößen, von Kerlen, die sich trauen, wenn doch einmal nur einer
irgendwo nachts, sie ganz heimlich ….! Warum nur hatte sie dieses Kind von Mann
geheiratet, war ihrer Mutter und ihren Ratschlägen gefolgt, da wäre doch manch
einer, den sie vorher, …. Nur nicht dran denken! Ihr Karl hatte doch noch nicht mal gemerkt,
dass sie ihre Jungfräulichkeit längst los war, sie verfluchte noch immer den leichtsinnigen
Abend, auch von ihrer Mutter arrangiert, wo der Kerl sie in das Bett ihrer Mutter
gezerrt hatte und sich ausgetobt, als wäre sie seine Mangelrolle. Der hatte sie
hin und her geworfen, war Gewalt pur gewesen und lange brauchte es bis er
endlich kam. Und dafür ließ er es auch noch auf ihren Bauch tropfen, der so von
Folgen bewahrt blieb. Danach hatte sie immerhin den Freibrief gehabt es mit mehreren
zu probieren, Häutchen war eh hin. Nur wollte keiner der Kerle bleiben, egal
wie gut es ihnen geschmeckt hatte und ihr. Wollten alle was Solides. Und darum
ging es ja auch ihrer Mutter. „Du musst Dich beeilen, sonst bleibst Du als alte
Jungfer hängen. „ Das wollte sie
natürlich auch nicht,. Hatte ja gehofft, auf ihre Art einen Kerl fester zu
packen. Doch es kam halt so, diese Kundgebung, dieser Hinweis, den die Mutter
verteufelt von wem erhalten hatte, und dieser Karl hatte doch glatt
zugegriffen, war zu allem bereit. Na ja, das würde ihr heute nicht mehr
geschehen. Aber was nützte ihr das. Führer kurz vor dem Scheitern, ein Kerl am
Hals ohne Mumm. Was sollte, was konnte da noch kommen für sie. Warum hatte sie
dieses große, tapsige Kind geheiratet und keinen richtigen Mann?!
Die
Arschkriecher, die erst später eingetreten waren, was hatten die für Karieren
gemacht?! Und Karl und sie?! Natürlich
hatten die nicht eine Sekunde Karl auf der Liste geführt, war er doch schon
1932, bei seinem Eintritt, den sie immer noch nicht richtig verstand, was hatte
den ausgerechnet dazu geführt, war von Anfang an nur ein Mitläufer, einer mit
Mühe und Not seinen Federhalter im Büro über die Akten führte.
Seinetwegen mussten sie in diesem viel zu
kleinen, engen Haus wohnen bleiben, als wenn sie dem nachgetrauert hätte nur
wegen dem alten Sack, dem Vater und ihrer Mutter, die sich noch nie sehr dafür
stark gemacht hatte. Ein starker Typ ja, immer sofort zur Stelle und Kommandos
ohne Ende, weiß der Teufel, wie der ihre Mutter im Bett behandelt hatte, vor
allem nach seinen Heimkünften mit bärenmäßigen Räuschen. Zu ihr, ja, der war meistens nett gewesen, mit
Süßigkeiten und über das Haar streichen, immer mit Lob und gerne auf seinem
Schoß gesessen hatte sie, irgendwie blöd von der Mutter dabei angesehen. Die
hatte es sie spüren lassen, wenn er weg war! Und wie! Mache doch aus dir kein
Turteltäubchen. Das Prinzeschen konnte sie sich abschmieren, dafür sorgte die
Alte.
Aber später, als es darauf ankam, sie keine
Ausbildung bekommen und nur diese Arbeiten an den Fließbändern bekommen hatte,
ja, da war die da! Und als keiner der Kerle sie nehmen wollte als Braut mit
Haus und Einkommen, da sprang sie ein. Verhalf ihr zur Karl, immerhin.
Einkommen war gesichert, das Haus wurde weiter abgezahlt, sie konnte zu Hause
bleiben, auf Hausfrau machen, sich die Zeit einteilen. Aber nie hatte es
gereicht zu den großen Auftritten, Auszeichnungen, nicht dazu, ohne ihre Mutter
zu leben. Wenigstens in einem größeren Haus mit ihr in der Dachwohnung wie
andere es geschafft hatten.
Schon ihr Vater hatte diese kleine Bienenwabe,
wie er es nannte, nur als „vorübergehendes Heim“ angesehen, nur war sein
grandioses Geschäft zu früh pleite gegangen, aber was sollte er auch gegen
diese wahnsinnige Inflation ausrichten, irgendwann hatte er mehr Papiere in
Geldform als Waren. Wahrscheinlich hatte das ihn mehr hingerafft als der Suff,
was die Leute auf der dann doch noch wirklich großen Beerdigung hinter ihrem
Rücken getuschelt hatten.
„Oh Vater, gut, dass Du ihn nicht mehr
kennen gelernt hast, sehen musstest, wie wir hier versauern!“
Der war ein Mann, und für Deutschland an der
Front! Hatte dabei so einiges für seine Familie zu Hause bei der Versorgung
schieben und schicken können. Wer das
Glück hat und es nicht anpackt, hat selber schuld! So war sein Spruch dazu
gewesen. „Und gekämpft hast Du trotzdem, die Front nicht gemieden, wie meiner.“
Und so die Mutter gewonnen, war mit ihr glücklich verheiratet worden, und
Vater, nicht wie sie, deren Kinder wohl im Himmel warteten, aber einfach nicht
bei ihr eintreffen wollten. Ja, die beiden, da hatte jeder Respekt vor, auch
nach der Pleite!
Sie hatte ihn nicht mehr sehen dürfen, mit seinem Loch im Kopf im leeren Geschäft,
an dem großen Schreibtisch mit den vielen Papieren, die zum Schluss immer
weniger geworden waren, aber nicht, weil er besser aufgeräumt hätte. Das war
ihrer Ansicht sowieso Sache der Frauen, also ihrer Mutter Sache.
Mutter hatte ihr selbstverständlich verboten
zu weinen. „Wer sind wir denn! Habe
immer Respekt vor Deinem Vater, der hat auch nicht geheult! „ Aber sie war weder gehorsam noch in der Lage dazu
gewesen, auf ihre Tränen Einfluss zu nehmen,. Er fehlte ihr so sehr.
„ Dein Vater tat immer seine Pflicht, hat
immer mehr an uns als an sich selbst gedacht!
Er war tapfer, Dein Vater, bis zum Schluss! Er tat immer seine Pflicht, hat uns gut
ernährt und beschützt in schwierigsten Zeiten!
Er war immer tapfer, mein Mann, dein Vater!
Wir können stolz auf ihn sein, für immer! Wenn er auch nur ein kleiner Krauter
war, hatte er doch den gleichen Mut wie sie am Anfang jedenfalls Führer und
seine Leute besaßen! Vergiss das nie!“
Hilde hatte ihr das gerne geglaubt, wenn sie
auch das Gefühl nicht verdrängen konnte, dass sie mehr um ihren Vater trauerte
als ihre Mutter.
Und dann hatte sie auf Anraten und Initiative
ihrer Mutter den schmächtigen Hungerlappen, kurzatmigen und dünngesichtigen
Karl geheiratet. Warum nur?
Diese Frage trieb sie um und Schuldgefühle
gegenüber ihrem Vater, der sich so viel von ihr versprochen hatte. Und so kam
es, dass sie sich vor dem Bild ihres Vaters auf der kleinen Anrichte im
Wohnzimmer schämte, dass ihr jeden Abend bei jedem Umdrehen in Richtung Tür
neben dem Bild des Führers , nur etwas kleiner, in die Augen sah.
Ihre Mutter war mehr mit dem Essen
beschäftigt, was überhaupt zu ihrem Hauptlebensinhalt geworden zu sein schien, außer
ihrer Lust ihren Schwiegersohn zu malträtieren. Sie kaute stets schnell und erfolgreich, war
immer als erste fertig. Sobald sie alles verspeist hatte, was sie zu sich
nehmen wollte, räumte sie ohne sich um ihre Tochter und den Schwiegersohn zu
kümmern, sofort alle Brotteller und Auflage nebst Butter und Streichmesser weg.
Karls Messer war an der Spitze abgebrochen. Ohne große sichtbare Regung gab er es hin und
nahm die restliche Hälfte seiner Brotscheibe in die Hand, biss dabei bedächtig
ab, Essen war für ihn nun mal eine wichtige Beschäftigung an diesem Tisch und
bei ihrem Zusammenhocken, dem er nun mal nicht entkommen konnte.“
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