Mittwoch, 20. März 2013

"Am Ende stehen wir da, wo wir angefangen haben." Fortsetzung 2 (Neubearbeitung und Integration von „Komm auf die Schaukel Luise“)








„Was musste sie sich, sie die stolze Hilde, ewiger Jungschwarm der Straße, „Mädel, warum hast Du keinen von uns genommen?!“, sportliches Idol der 7. Klasse, Tag für Tag hier ansehen? Diese milchigen Hände mit den dicken, blauen Adern, die wie Krallen das Brot packten, als könne hier jemand auf die nun wirklich unsinnige Idee kommen, ihm das Essen zu mopsen.  Ausgehungert hatten sie ja auch nichts von ihm, nur noch weniger zu erwarten. Nicht mal richtig am Tisch sitzen kann er, immer fielen ihm die Schultern fast in die Teetasse und dann diese schlappe, fahrige Geste, alle fünf Minuten, als wenn ihn ein Wecker auf die Sekunde genau antriebe, seine linke Hand langsam an die Stirn, die dünnen Haarsträhnen aus der Stirn streichend, über seinen kleinen Ansatz von Glatze nach hinten und dann Hand zurück vorsichtig auf den Tisch, als hätte er Angst vor der Berührung mit dem Holz, so war er, so ist er, so wird er wohl immer bleiben, dieser warum auch immer ihr Karl.

So war der ganze Kerl, wie diese sinnlose Geste, so sein Leben, nach dem noch nicht mal der Führer und seine Leute gerufen hatten, nicht die Wehrmacht, nicht der Volkssturm, auch nicht jetzt wo es wohl doch schief lief, mit dem ganzen großen Reich nicht mehr viel war. Und was machte er mitten in diesem Krieg, der Entscheidungsschlacht überhaupt wo alle anderen an den Fronten ihr Leben in die Waagschale werfen?  Rechnungen schreiben, mit zwei anderen Backpfeifen, unter dem Regiment eines invaliden Rentners, das mit seinen einunddreißig Jahren und Malocherkreuz. Im besten Mannesalter, in der größten Bedrohung in der der Führer und sein Volk jeden Mann brauchten.

„Was ist das für ein Schicksal, dass der Mann ein Mann ist und ich eine Frau?“ fragte sich Hilde wie schon so oft, wenn sie dieses zornige Grübeln überfiel. „ Ich hätte und würde sofort für den Führer alles geben. Und der da, der schafft es ja nicht einmal einem Kind das Leben in mir zu wecken. „ Dies war jedes Mal der Moment in ihrem abendlichen Gedankenspiel, an dem das Bild kam, dieses entsetzlich peinliche Bild, wie er sich tapsig, mit vorsichtigen, schlappen Händen an ihrem Leib zu schaffen machte, hier drückte, da entlang strich, als sei sie eine Mimose, ein Pflanzenblatt, wie sein Schweiß bald darauf auf sie tropfte, sein Gesicht sich so merkwürdig verzerrte, sein Atem röchelnd wurde, seine Hast, wie er kam und in ihr abließ, was sie noch gar nicht haben wollte, nicht so schnell, kaum , dass er in ihr ihr war, nachdem ssie resignierend die Beine geöffnet hatte. Und das ihr, die von starken Händen träumte, kräftigen Schenkeln und Stößen, von Kerlen, die sich trauen, wenn doch einmal nur einer irgendwo nachts, sie ganz heimlich ….! Warum nur hatte sie dieses Kind von Mann geheiratet, war ihrer Mutter und ihren Ratschlägen gefolgt, da wäre doch manch einer, den sie vorher, …. Nur nicht dran denken!  Ihr Karl hatte doch noch nicht mal gemerkt, dass sie ihre Jungfräulichkeit längst los war, sie verfluchte noch immer den leichtsinnigen Abend, auch von ihrer Mutter arrangiert, wo der Kerl sie in das Bett ihrer Mutter gezerrt hatte und sich ausgetobt, als wäre sie seine Mangelrolle. Der hatte sie hin und her geworfen, war Gewalt pur gewesen und lange brauchte es bis er endlich kam. Und dafür ließ er es auch noch auf ihren Bauch tropfen, der so von Folgen bewahrt blieb. Danach hatte sie immerhin den Freibrief gehabt es mit mehreren zu probieren, Häutchen war eh hin. Nur wollte keiner der Kerle bleiben, egal wie gut es ihnen geschmeckt hatte und ihr. Wollten alle was Solides. Und darum ging es ja auch ihrer Mutter. „Du musst Dich beeilen, sonst bleibst Du als alte Jungfer hängen. „  Das wollte sie natürlich auch nicht,. Hatte ja gehofft, auf ihre Art einen Kerl fester zu packen. Doch es kam halt so, diese Kundgebung, dieser Hinweis, den die Mutter verteufelt von wem erhalten hatte, und dieser Karl hatte doch glatt zugegriffen, war zu allem bereit. Na ja, das würde ihr heute nicht mehr geschehen. Aber was nützte ihr das. Führer kurz vor dem Scheitern, ein Kerl am Hals ohne Mumm. Was sollte, was konnte da noch kommen für sie. Warum hatte sie dieses große, tapsige Kind geheiratet und keinen richtigen Mann?!
Die Arschkriecher, die erst später eingetreten waren, was hatten die für Karieren gemacht?! Und Karl und sie?!  Natürlich hatten die nicht eine Sekunde Karl auf der Liste geführt, war er doch schon 1932, bei seinem Eintritt, den sie immer noch nicht richtig verstand, was hatte den ausgerechnet dazu geführt, war von Anfang an nur ein Mitläufer, einer mit Mühe und Not seinen Federhalter im Büro über die Akten führte.
Seinetwegen mussten sie in diesem viel zu kleinen, engen Haus wohnen bleiben, als wenn sie dem nachgetrauert hätte nur wegen dem alten Sack, dem Vater und ihrer Mutter, die sich noch nie sehr dafür stark gemacht hatte. Ein starker Typ ja, immer sofort zur Stelle und Kommandos ohne Ende, weiß der Teufel, wie der ihre Mutter im Bett behandelt hatte, vor allem nach seinen Heimkünften mit bärenmäßigen Räuschen.  Zu ihr, ja, der war meistens nett gewesen, mit Süßigkeiten und über das Haar streichen, immer mit Lob und gerne auf seinem Schoß gesessen hatte sie, irgendwie blöd von der Mutter dabei angesehen. Die hatte es sie spüren lassen, wenn er weg war! Und wie! Mache doch aus dir kein Turteltäubchen. Das Prinzeschen konnte sie sich abschmieren, dafür sorgte die Alte.
Aber später, als es darauf ankam, sie keine Ausbildung bekommen und nur diese Arbeiten an den Fließbändern bekommen hatte, ja, da war die da! Und als keiner der Kerle sie nehmen wollte als Braut mit Haus und Einkommen, da sprang sie ein. Verhalf ihr zur Karl, immerhin. Einkommen war gesichert, das Haus wurde weiter abgezahlt, sie konnte zu Hause bleiben, auf Hausfrau machen, sich die Zeit einteilen. Aber nie hatte es gereicht zu den großen Auftritten, Auszeichnungen, nicht dazu, ohne ihre Mutter zu leben. Wenigstens in einem größeren Haus mit ihr in der Dachwohnung wie andere es geschafft hatten.
Schon ihr Vater hatte diese kleine Bienenwabe, wie er es nannte, nur als „vorübergehendes Heim“ angesehen, nur war sein grandioses Geschäft zu früh pleite gegangen, aber was sollte er auch gegen diese wahnsinnige Inflation ausrichten, irgendwann hatte er mehr Papiere in Geldform als Waren. Wahrscheinlich hatte das ihn mehr hingerafft als der Suff, was die Leute auf der dann doch noch wirklich großen Beerdigung hinter ihrem Rücken getuschelt hatten.
„Oh Vater, gut, dass Du ihn nicht mehr kennen gelernt hast, sehen musstest, wie wir hier versauern!“
Der war ein Mann, und für Deutschland an der Front! Hatte dabei so einiges für seine Familie zu Hause bei der Versorgung schieben und schicken können.  Wer das Glück hat und es nicht anpackt, hat selber schuld! So war sein Spruch dazu gewesen. „Und gekämpft hast Du trotzdem, die Front nicht gemieden, wie meiner.“ Und so die Mutter gewonnen, war mit ihr glücklich verheiratet worden, und Vater, nicht wie sie, deren Kinder wohl im Himmel warteten, aber einfach nicht bei ihr eintreffen wollten. Ja, die beiden, da hatte jeder Respekt vor, auch nach der Pleite!
Sie hatte ihn nicht mehr sehen dürfen,  mit seinem Loch im Kopf im leeren Geschäft, an dem großen Schreibtisch mit den vielen Papieren, die zum Schluss immer weniger geworden waren, aber nicht, weil er besser aufgeräumt hätte. Das war ihrer Ansicht sowieso Sache der Frauen, also ihrer Mutter Sache.
Mutter hatte ihr selbstverständlich verboten zu weinen. „Wer sind wir denn!  Habe immer Respekt vor Deinem Vater, der hat auch nicht geheult! „  Aber sie war weder gehorsam noch in der Lage dazu gewesen, auf ihre Tränen Einfluss zu nehmen,. Er fehlte ihr so sehr.
„ Dein Vater tat immer seine Pflicht, hat immer mehr an uns als an sich selbst gedacht!  Er war tapfer, Dein Vater, bis zum Schluss!  Er tat immer seine Pflicht, hat uns gut ernährt und beschützt in schwierigsten Zeiten!
Er war immer tapfer, mein Mann, dein Vater! Wir können stolz auf ihn sein, für immer! Wenn er auch nur ein kleiner Krauter war, hatte er doch den gleichen Mut wie sie am Anfang jedenfalls Führer und seine Leute besaßen! Vergiss das nie!“  
Hilde hatte ihr das gerne geglaubt, wenn sie auch das Gefühl nicht verdrängen konnte, dass sie mehr um ihren Vater trauerte als ihre Mutter.
Und dann hatte sie auf Anraten und Initiative ihrer Mutter den schmächtigen Hungerlappen, kurzatmigen und dünngesichtigen Karl geheiratet. Warum nur?
Diese Frage trieb sie um und Schuldgefühle gegenüber ihrem Vater, der sich so viel von ihr versprochen hatte. Und so kam es, dass sie sich vor dem Bild ihres Vaters auf der kleinen Anrichte im Wohnzimmer schämte, dass ihr jeden Abend bei jedem Umdrehen in Richtung Tür neben dem Bild des Führers , nur etwas kleiner, in die Augen sah.

Ihre Mutter war mehr mit dem Essen beschäftigt, was überhaupt zu ihrem Hauptlebensinhalt geworden zu sein schien, außer ihrer Lust ihren Schwiegersohn zu malträtieren.  Sie kaute stets schnell und erfolgreich, war immer als erste fertig. Sobald sie alles verspeist hatte, was sie zu sich nehmen wollte, räumte sie ohne sich um ihre Tochter und den Schwiegersohn zu kümmern, sofort alle Brotteller und Auflage nebst Butter und Streichmesser weg.

Karls Messer war an der Spitze abgebrochen.  Ohne große sichtbare Regung gab er es hin und nahm die restliche Hälfte seiner Brotscheibe in die Hand, biss dabei bedächtig ab, Essen war für ihn nun mal eine wichtige Beschäftigung an diesem Tisch und bei ihrem Zusammenhocken, dem er nun mal nicht entkommen konnte.“

Wir haben uns ausgesprochen. Ab heute beginnt etwas Neues, von dem wir nicht wissen, worauf es hinausläuft. Sie war traurig und entsetzt. So etwas mit mir war unerwartet, passte überhaupt nicht in das Bild. Vorsichtig habe ich ihr meinen Plan erklärt. Solange kein Psychologe für mich Zeit hätte, keiner unter drei Monaten Wartezeit, würde ich weiter meiner Geschichte nach spüren, anhand der der vorhandenen Bilder und mit Textversuchen darüber.  Sie willigte unsicher sein.

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