Sonntag, 17. März 2013

Fortsetzung: "Am Ende stehen wir da, wo wir angefangen haben."



„In Wilhelmshaven hatten sie sich eingerichtet, die Söhne auf die Werften geschickt, die Haushalte ausgestattet mit dem Nötigsten. Diddi wollte mehr. Und vor allem wollte er Meta. Meta wußte den Weg. Meta war eine Frau wie aus dem Bilderbuch. Meta war ein Biest. Diddi lernte Danke und Bitte sagen. Diddi entwickelte Schlachtpläne. Wie Wilhelm verlor er die meisten. Aber immerhin ein Kind konnte er zeugen. Sie nannten es Wilhelm. Sie nannte es Wilhelm. Es brachte ihm eine Nacht voller Wärme und Glut und Träume. Diddi wollte öfter wie im Fieber lieben. Vom Krieg und Gehorsam hatte er genug. Auch ein kleiner Mann, ein ehemaliger Gänsejunge kann was Großes leisten, noch lieber aber fühlen.“









„Der kleine Wilhelm war ihr nie groß genug. Sie zog ihn auf und lang und staffierte ihn und seinen Kopf  mit ihren Botschaften aus. So lernte der, dass die wahre Kraft in den Frauen liegen müsse und die mit dem Hakenkreuz Deutschland die bessere Zukunft bescheren würden..




Diddi schüttelte darüber heimlich, meist im Keller, in seinem Werkraum, den Kopf und begann zu schnitzen. Immer weniger ging ihn das da zu Hause an. Er sprach mit Meta. Wollte sie ein Haus, so mußte sie mit ihm nach Bremen gehen. Er jedenfalls wollte eine Stadt ohne diese Kriegsschiffe, eine Stadt mit friedlichen Werften. Träumte noch immer den Traum des alten Polentrecks, von guter Arbeit, Sicherheit und Frieden.



Das Wort Freiheit wäre ihm nie über die Lippen gekommen. Wie denn auch, bei Metas Regiment. Und dann der Ton auf der Werft, alles alte Soldaten und er war ja nicht dabei gewesen, konnte, durfte nicht mit reden. „Mach hinne, Diddi!“ Die ganze Schicht hindurch. Da hatte er wirklich andere Sorgen als Demokratie, Sozialismus und son „Tüch“.








Man kann nicht alles haben. Schnitzen beruhigt und Wilhelm  blieb ja ganz ordentlich, flüchtete sich nicht selten zu Diddi. Wir Männer und die Frauen. Tiefes Seufzen. Zweierlei Grund. Gleiches Gefühl.

Er fand Arbeit in Bremen. Sie das Haus. Es mußte noch gebaut werden. Sie zahlten an. Adolf war da. Er ließ die Arbeiter viele kleine Häuser bauen. Meta war es recht. Sie empfing Hitze für den Führer. Diddi musste sich strecken. Sein Sohn entschwand ihm. Abitur, Lehre, schließlich Personalchef bei einer großen Versicherung und dann noch seine zweite Meta. Agatha, Beamtentochter, Beamtenstolz, ein kräftiger Rotschopf, Diddi musste sofort an Besen denken. Neue Besen kehren gut. Seitdem kam Wilhelm  nur noch selten zu ihm hinter den Holzverschlag in seinem Kellerreich zum Schnitzen. Wozu dann alles?

Dann wurde der Junge Soldat, schnell Offizier, wurde verwundet, da nahm Diddi das alte, schwarze Rad aus Bantener Zeiten und fuhr damit die 130 Kilometer, den Jungen in  Lingen im Krankenhaus zu besuchen, wo dessen Agatha aus den Moorlagern kam, die Schreibkraft dort war und nichts erzählte von den Insassen, und so saßen sie an dem Bett von Wilhelm, nur ein paar Schritte entfernt, wo später seine Tochter ihre Chemotherapie bekommen, was ihr den Krebstod doch nicht ersparen sollte und sein Enkel im kleinen Lädchen gegenüber seine Ausbildung zum Buchhändler hinter sich brachte.

 Das Haus war da längst fertig. Diddi hatte das Klo und die Treppe selber gezimmert, ein Zimmer vom Boden mittels Leisten und Pappen abgetrennt und abgedichtet, im anderen Boden einen großen Schrank angefertigt für die Winterwäsche, Meta aber das Geld wie eine Klinge gegen ihn geführt. Jede Abrechnung wurde zu einer Anklage. Hatte Diddi sich da etwa ein Bier geleistet? Und vielleicht sogar mehr? Diddi wurde klein in diesen Tagen. Wenn da nicht Rita gewesen wäre. Dieses Kind der ersten Tage im eigenen Haus. Sogar Wilhelm  hatte plötzlich alleine seine Wäsche anpacken und zurückstehen müssen. Diddi hatte es genossen, wie er dann Rita genoss. Seine Tochter. Er verwöhnte sie. Frauen konnte Meta ihm nicht rauben. Frauen machen keine Kariere. Er hatte bald das Gefühl, dass Rita das erste weibliche Wesen nach seiner Großmutter war, mit dem es sich aushalten ließ.“

 Meine Erkältung erklimmt hier im Zug plötzlich rauschhafte Höhen. Bier und Korn, beides eigentlich für zu Hause gedacht, halten mich gerade noch in der Waage. Das Leben treibt mit uns Gänsehütern noch immer seine Kapriolen. Warum auch nicht.
 
 





















Ich schreibe immer mehr über Tote.  

Weil sie sich nicht wehren können, mir so Freiheiten erlauben, in ihrer Geschichte ungestraft spazieren zu gehen, zu vermuten, zu fabulieren, mir aus zu malen auf dem Papier, wie es gewesen sein könnte zwischen den Fetzen, die ich von ihnen mitbekommen habe? Vielleicht, sicher, wahrscheinlich. Egal. Es fällt mir nur auf und verwundert mich, da ich viel lieber unter den Lebenden weile, mit ihnen mein Vergnügen und meine Erfahrungen teile. Von ihnen ganze Bücher berichten könnte. Traue ich mich aber nicht, auch wegen der zu großen Nähe, der zu kurzen zeit, nicht genug zum sacken lassen. Also dann weiter ran an die Toten.

 



Jetzt, wo es um die Wurst geht, fehlen mir ihre Töne, werden ihre Gesichter schwammig. Ich muß mich beeilen. Irgendwo ist der Beleg versteckt. Einmal darf ich die Wahrheit nicht vergessen, unterbuddeln, verschweigen. Lebendig wird nichts davon werden. Nur meine Haut zu retten, kann mich auch nicht recht verführen. Ich taste mich lieber weiter vor. Werde mich und ihn stellen, ihn Diddi, Hafenmeister später, mehrfach dekoriert vom Chef der Werft, auch bei der zweiten Chance als Pionier sein Leben zu lassen „unabkömmlich“ gestellt, für zu alt befunden, dabei kerngesund und munter, gelassen in allem, was da noch auf sie zu kommen sollte. Dem Gröfaz hatte er nie über den Weg getraut und so schlimm würde es schon nicht werden.  Nur die Rita musste er trösten, seine Rita, war doch das U-Boot gesunken von dem schmucken Kerl, der vor ein paar Wochen zuvor so hoffnungsvoll auf Besuch gewesen war und ja, mit dem hätte er sich anfreunden können.

Die Toten, sie warten, halten still, lassen sich verlassen und bleiben schlicht für uns vorrätig. Das tun sie, haben sie je etwas anderes getan?

Erste Ansätze von Weihnachtsbeleuchtung glitzern durch die Nacht. Noch ist der Morgen weit, alles was da vorbeigleitet im rüttelnden Takt der für diese Strecke gelassenen alten Waggons mit ihren kaum noch Öl haltenden Rädern, stumpf und kalt und Nacht. Nacht am Morgen, Nacht am Abend. Da trösten diese Lichter.

Ich möchte nach Hause. Ich möchte nicht mehr frieren. Warum halten Frauen beim Zugfahren so gerne eine Hand am Schoß, fest eingeklemmt zwischen den Beinen? Weil es da noch wehtut? Selbstgemachte Wärme? Heimliche Nachfreude?

Neben mir breite Schenkel, schlaffe Brustkissen, das Gesicht eine Botschaft des Alters. Die grobe Nase zittert beim Inhalieren. Nur leicht, kaum sichtbar. Andere Nasen glänzen. Diese nicht.

„Ich betrachte das Bild mit dem Haus aus Banten, ihrem Arbeitsplatz, da wo die Dienstmagd einst hoffte und lutherisch oder reformiert, was weiß man schon genau, betete, dass ihr Diddi zu ihr hielt, das Geld zusammen, es Hoffnung gab und irgendwann selber ein Haus mit Leuten, denen sie befehlen konnte, so vom bequemen Sessel aus, so einer mit Ohren, ein Glas Eierlikör in der Hand,  die müden Füße auf dem Hocker davor. „



Jetzt habe ich die Belege gefunden, alle noch da im rötlichgelben Briefkuvert, von den Jahrzehnten verfärbt, gesammelt darin die Beträge für das Haus, der Kauf von Möbeln, später die Musiktruhe mit Hermiene, der erste Staubsauger.  Und da kann ich es sehen, unwiderlegbar, sogar die Quittungen für Schallplatten sind dabei und alles an Vergnügungen erst nach Metas Tod gekauft, sich geleistet, genossen mit der neuen, meiner Oma Hermiene.  Ich packe den Umschlag wieder zurück in die Tasche, verstaue ihn ganz unten, als könnte so das bisschen Wahrheit, das mich schreckt, verborgen bleiben, mich weniger berühren.

„Zurück zu Banten, andere hatten den Dampfer genommen nach Amerika, Postkarten geschickt, einige, nicht alle, sie aber hatte ja Diddi, den kleinen Gänsehüter, den Polenjungen der immer so höflich und zu Scherzen aufgelegt war.“

Den Rest der Fahrt verbringe ich mit dem kleinen, durch die Zeit leicht grauneblig gewordenen Bild aus Banten, dass etwas wellig,  sanft gezackt mit vergilbtem schmalem Rand in meiner Hand ruht wie ein Schatz.
Das Haus darauf sieht nun für mich aus wie ein Schiff, ein alter, von den Jahren und Stürmen, den wilden Wellen zusammen geschrumpfter Kahn.

Ein vergessenes Traumschiff der untergegangenen Kaiserzeit inmitten  schwarzer Felder.



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