„In Wilhelmshaven hatten sie
sich eingerichtet, die Söhne auf die Werften geschickt, die Haushalte
ausgestattet mit dem Nötigsten. Diddi wollte mehr. Und vor allem wollte er
Meta. Meta wußte den Weg. Meta war eine Frau wie aus dem Bilderbuch. Meta war
ein Biest. Diddi lernte Danke und Bitte sagen. Diddi entwickelte Schlachtpläne.
Wie Wilhelm verlor er die meisten. Aber immerhin ein Kind konnte er zeugen. Sie
nannten es Wilhelm. Sie nannte es Wilhelm. Es brachte ihm eine Nacht voller
Wärme und Glut und Träume. Diddi wollte öfter wie im Fieber lieben. Vom Krieg
und Gehorsam hatte er genug. Auch ein kleiner Mann, ein ehemaliger Gänsejunge
kann was Großes leisten, noch lieber aber fühlen.“
„Der kleine Wilhelm war ihr
nie groß genug. Sie zog ihn auf und lang und staffierte ihn und seinen Kopf mit ihren Botschaften aus. So lernte der, dass
die wahre Kraft in den Frauen liegen müsse und die mit dem Hakenkreuz Deutschland
die bessere Zukunft bescheren würden..
Diddi schüttelte darüber
heimlich, meist im Keller, in seinem Werkraum, den Kopf und begann zu
schnitzen. Immer weniger ging ihn das da zu Hause an. Er sprach mit Meta.
Wollte sie ein Haus, so mußte sie mit ihm nach Bremen gehen. Er jedenfalls wollte
eine Stadt ohne diese Kriegsschiffe, eine Stadt mit friedlichen Werften.
Träumte noch immer den Traum des alten Polentrecks, von guter Arbeit,
Sicherheit und Frieden.
Das Wort Freiheit wäre ihm
nie über die Lippen gekommen. Wie denn auch, bei Metas Regiment. Und dann der
Ton auf der Werft, alles alte Soldaten und er war ja nicht dabei gewesen,
konnte, durfte nicht mit reden. „Mach hinne, Diddi!“ Die ganze Schicht
hindurch. Da hatte er wirklich andere Sorgen als Demokratie, Sozialismus und
son „Tüch“.
Man kann nicht alles haben.
Schnitzen beruhigt und Wilhelm blieb ja
ganz ordentlich, flüchtete sich nicht selten zu Diddi. Wir Männer und die
Frauen. Tiefes Seufzen. Zweierlei Grund. Gleiches Gefühl.
Er fand Arbeit in Bremen. Sie
das Haus. Es mußte noch gebaut werden. Sie zahlten an. Adolf war da. Er ließ
die Arbeiter viele kleine Häuser bauen. Meta war es recht. Sie empfing Hitze
für den Führer. Diddi musste sich strecken. Sein Sohn entschwand ihm. Abitur,
Lehre, schließlich Personalchef bei einer großen Versicherung und dann noch
seine zweite Meta. Agatha, Beamtentochter, Beamtenstolz, ein kräftiger
Rotschopf, Diddi musste sofort an Besen denken. Neue Besen kehren gut. Seitdem
kam Wilhelm nur noch selten zu ihm
hinter den Holzverschlag in seinem Kellerreich zum Schnitzen. Wozu dann alles?
Dann wurde der Junge Soldat,
schnell Offizier, wurde verwundet, da nahm Diddi das alte, schwarze Rad aus
Bantener Zeiten und fuhr damit die 130 Kilometer, den Jungen in Lingen im Krankenhaus zu besuchen, wo dessen
Agatha aus den Moorlagern kam, die Schreibkraft dort war und nichts erzählte
von den Insassen, und so saßen sie an dem Bett von Wilhelm, nur ein paar
Schritte entfernt, wo später seine Tochter ihre Chemotherapie bekommen, was ihr
den Krebstod doch nicht ersparen sollte und sein Enkel im kleinen Lädchen
gegenüber seine Ausbildung zum Buchhändler hinter sich brachte.
Das Haus war da längst fertig.
Diddi hatte das Klo und die Treppe selber gezimmert, ein Zimmer vom Boden mittels
Leisten und Pappen abgetrennt und abgedichtet, im anderen Boden einen großen
Schrank angefertigt für die Winterwäsche, Meta aber das Geld wie eine Klinge
gegen ihn geführt. Jede Abrechnung wurde zu einer Anklage. Hatte Diddi sich da
etwa ein Bier geleistet? Und vielleicht sogar mehr? Diddi wurde klein in diesen
Tagen. Wenn da nicht Rita gewesen wäre. Dieses Kind der ersten Tage im eigenen
Haus. Sogar Wilhelm hatte plötzlich
alleine seine Wäsche anpacken und zurückstehen müssen. Diddi hatte es genossen,
wie er dann Rita genoss. Seine Tochter. Er verwöhnte sie. Frauen konnte Meta
ihm nicht rauben. Frauen machen keine Kariere. Er hatte bald das Gefühl, dass Rita
das erste weibliche Wesen nach seiner Großmutter war, mit dem es sich aushalten
ließ.“
Meine Erkältung erklimmt hier
im Zug plötzlich rauschhafte Höhen. Bier und Korn, beides eigentlich für zu
Hause gedacht, halten mich gerade noch in der Waage. Das Leben treibt mit uns
Gänsehütern noch immer seine Kapriolen. Warum auch nicht.
Ich schreibe immer mehr über
Tote.
Weil sie sich nicht wehren
können, mir so Freiheiten erlauben, in ihrer Geschichte ungestraft spazieren zu
gehen, zu vermuten, zu fabulieren, mir aus zu malen auf dem Papier, wie es
gewesen sein könnte zwischen den Fetzen, die ich von ihnen mitbekommen habe?
Vielleicht, sicher, wahrscheinlich. Egal. Es fällt mir nur auf und verwundert
mich, da ich viel lieber unter den Lebenden weile, mit ihnen mein Vergnügen und
meine Erfahrungen teile. Von ihnen ganze Bücher berichten könnte. Traue ich
mich aber nicht, auch wegen der zu großen Nähe, der zu kurzen zeit, nicht genug
zum sacken lassen. Also dann weiter ran an die Toten.
Jetzt, wo es um die Wurst
geht, fehlen mir ihre Töne, werden ihre Gesichter schwammig. Ich muß mich
beeilen. Irgendwo ist der Beleg versteckt. Einmal darf ich die Wahrheit nicht vergessen,
unterbuddeln, verschweigen. Lebendig wird nichts davon werden. Nur meine Haut
zu retten, kann mich auch nicht recht verführen. Ich taste mich lieber weiter vor.
Werde mich und ihn stellen, ihn Diddi, Hafenmeister später, mehrfach dekoriert
vom Chef der Werft, auch bei der zweiten Chance als Pionier sein Leben zu
lassen „unabkömmlich“ gestellt, für zu alt befunden, dabei kerngesund und
munter, gelassen in allem, was da noch auf sie zu kommen sollte. Dem Gröfaz
hatte er nie über den Weg getraut und so schlimm würde es schon nicht
werden. Nur die Rita musste er trösten,
seine Rita, war doch das U-Boot gesunken von dem schmucken Kerl, der vor ein
paar Wochen zuvor so hoffnungsvoll auf Besuch gewesen war und ja, mit dem hätte
er sich anfreunden können.
Die Toten, sie warten, halten
still, lassen sich verlassen und bleiben schlicht für uns vorrätig. Das tun
sie, haben sie je etwas anderes getan?
Erste
Ansätze von Weihnachtsbeleuchtung glitzern durch die Nacht. Noch ist der Morgen
weit, alles was da vorbeigleitet im rüttelnden Takt der für diese Strecke
gelassenen alten Waggons mit ihren kaum noch Öl haltenden Rädern, stumpf und
kalt und Nacht. Nacht am Morgen, Nacht am Abend. Da trösten diese Lichter.
Ich
möchte nach Hause. Ich möchte nicht mehr frieren. Warum halten Frauen beim
Zugfahren so gerne eine Hand am Schoß, fest eingeklemmt zwischen den Beinen?
Weil es da noch wehtut? Selbstgemachte Wärme? Heimliche Nachfreude?
Neben mir breite Schenkel,
schlaffe Brustkissen, das Gesicht eine Botschaft des Alters. Die grobe Nase
zittert beim Inhalieren. Nur leicht, kaum sichtbar. Andere Nasen glänzen. Diese
nicht.
„Ich
betrachte das Bild mit dem Haus aus Banten, ihrem Arbeitsplatz, da wo die
Dienstmagd einst hoffte und lutherisch oder reformiert, was weiß man schon
genau, betete, dass ihr Diddi zu ihr hielt, das Geld zusammen, es Hoffnung gab
und irgendwann selber ein Haus mit Leuten, denen sie befehlen konnte, so vom
bequemen Sessel aus, so einer mit Ohren, ein Glas Eierlikör in der Hand, die müden Füße auf dem Hocker davor. „
Jetzt
habe ich die Belege gefunden, alle noch da im rötlichgelben Briefkuvert, von
den Jahrzehnten verfärbt, gesammelt darin die Beträge für das Haus, der Kauf
von Möbeln, später die Musiktruhe mit Hermiene, der erste Staubsauger. Und da kann ich es sehen, unwiderlegbar,
sogar die Quittungen für Schallplatten sind dabei und alles an Vergnügungen
erst nach Metas Tod gekauft, sich geleistet, genossen mit der neuen, meiner Oma
Hermiene. Ich packe den Umschlag wieder
zurück in die Tasche, verstaue ihn ganz unten, als könnte so das bisschen
Wahrheit, das mich schreckt, verborgen bleiben, mich weniger berühren.
„Zurück
zu Banten, andere hatten den Dampfer genommen nach Amerika, Postkarten
geschickt, einige, nicht alle, sie aber hatte ja Diddi, den kleinen Gänsehüter,
den Polenjungen der immer so höflich und zu Scherzen aufgelegt war.“
Den
Rest der Fahrt verbringe ich mit dem kleinen, durch die Zeit leicht grauneblig
gewordenen Bild aus Banten, dass etwas wellig, sanft gezackt mit vergilbtem schmalem Rand in
meiner Hand ruht wie ein Schatz.
Das
Haus darauf sieht nun für mich aus wie ein Schiff, ein alter, von den Jahren
und Stürmen, den wilden Wellen zusammen geschrumpfter Kahn.
Ein
vergessenes Traumschiff der untergegangenen Kaiserzeit inmitten schwarzer Felder.
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