Sonntag, 17. März 2013

"Am Ende stehen wir da, wo wir angefangen haben."



 "Solche Sätze rauben mir den Verstand." Das Gespräch im Zug kommt von einem älteren Ehepaar neben mir. Sie sitzen zusammen mit mir in Fahrtrichtung, er am Fenster. Ich musste alleine reisen, meine Freundin entgegensetzt fahren, auf uns beide wartete der Montag, viel Arbeit vor Weihnachten und die Hoffnung auf ein paar ruhige Tage. Dieses Wochenende aber waren wir zusammen auf Diddis Spuren gewesen.  Zumindest einen Tag, der für schönere Ausflüge sowieso nicht geschaffen war. Am Abend brach meine Erkältung los, auf dem Bahnsteig, als wir uns zum Abschied küssten, da spürte ich sie in der Nase, im Hals und im Nacken.





Wilhelmshaven. Einen ganzen verregneten Tag lang sind wir da rumgelaufen. Eine Kasernenstadt. Breite Straßen für Aufmärsche. Schmuck- und freudlose Häuser für Todeskandidaten. Wilhelms Flotte ruhte da schon lange auf dem Meeresboden. Sein Kaisertitel ist immer noch vakant. Die Stadt trägt weiter seinen Namen. Nach diesem Tag hatten wir genug davon.

Banten, ein Dorf, ihr Dorf, das meiner eigentlichem Oma, der Mutter meiner Mutter, die ich nie kennen lernen durfte, da sie lange vor mir verstarb,  von der es nur wenige Bilder in Diddis Haus und Boden gab, wo sonst alles doch so gut geordnet ruhte und verpackt war und auch nicht im Nachlass meiner Mutter, wenige Bilder also, unscharf und wenigstens Banten hätte ich mir ansehen können, das, was nach der Eingemeindung davon noch übrig war.

„Banten, bis  dorthin sind wir nicht gekommen. Aber ein Tross von polnischen Arbeitern und ihre Familien. Oder, Neiße, Elbe und Weser hatten sie überquert. Reichlich Junkerland durchschritten. Klein-Diddi immer am Kopf des Zuges. Hatte Angst etwas zu verpassen. Noch träumte er nicht von Palmen und feinkörnigen, hellen Stränden. Saftig grüne Marschen, heideüberzogene Geesten waren ihm noch Paradies genug. Den Erwachsenen weniger. Sie mußten sich zwischendurch bei den großen Gütern verdingen. Von nichts kommt nichts, pflegte Paul auch später noch oft zu sagen. Paul war der Erstgeborene, Diddi der Benjamin. Er hatte leicht lachen.

Gänsehüter hieß man sie im Königreich Polen. Damit war nun nicht viel Brot zu machen. Im Westen erklangen gewaltige Schmiedehämmer, Dampfluftpressen und das Fauchen der Lokomotiven. Dorthin wollten sie, das Gänsehüten weit hinter sich lassen. Im Westen würden sie immer noch nur die Gonschiors heißen, aber keiner je an Gänse dabei denken.





Diddi wäre gerne mit den Gänsen gezogen. Er hatte das richtige Alter dazu. 10 Jahre war er noch in Polen geworden, kurz nach dem Aufbruch des Trecks. 10. Was für eine Zahl. Zahlen hatten es ihm schon immer angetan. "Ja, rechnen kann der Diddi, wenn er sonst auch nur Flausen im Kopf hat."

Eine neue Stadt sollte gebaut werden. Der deutsche Kaiser persönlich würde seinen Namen dafür geben. Was ist schon ein polnischer König gegen einen deutschen Kaiser. Die Eltern nannten ihren letzten Sohn also Wilhelm und zogen bis Banten. Diddi war nicht länger der Benjamin, immerhin nur noch zweitjüngster und das normale Leben konnte beginnen.“

Wir haben Banten nicht gefunden. Es war von der Stadt verschluckt worden.

„Diddi blieb bei den Zahlen. Das konnte er gut gebrauchen als Schiffszimmermann. Zu seinem Verdruß durfte er trotzdem nicht auf Wilhelms waffenstarrenden Schiffen fahren. Er wurde Pionier, durfte Balken schleppen, Brücken bauen und wieder in die Luft sprengen.



Da ertönte ein neuer Ruf. Nach dem Wasser wollte Wilhelm auch die Luft besiegen. Zeppeline sollten aus dem Himmel heraus schießen, bomben und siegen helfen. Diddi wollte Zeppeline bauen. Das gab auch mehr Geld. Die Meta beim Bauer Grotewohl würde auf ihn warten. Sparen tat sie. Sein Geld würde helfen Haus und Heim zu erwerben. Dienstmagd auf Dauer wollte sie nicht bleiben. Diddi hatte verstanden und zog los zum Bodensee, nach Friedrichshafen. Tausende zogen mit ihm. Wie Ameisen sehen sie heute aus auf den alten Filmen. Groß und unbesiegbar die Luftschiffe. Diddi zu erkennen im Gewimmel ist unmöglich. Seine Junggesellenzeit.





Hat er sich damals selbst erkannt? Er war klein. Immer noch. Witz muß ihm geholfen haben, knorrige Freundlichkeit. Meta würde warten. Damals war auf die Dienstboden noch Verlass. Zumindest auf dem Lande. Wieviel Mark durfte er vertrinken, wieviel riskieren bei einem Spaß? Meta war schlank. Stolzes Gesicht. Schöne dicke Haare. Nicht unbedingt kuschelig. Hatte starke Arme. War einen halben Kopf größer als er. Eine gute Eroberung, fand er. Und ihr Verhältnis zu Zahlen kam seinem sehr entgegen. Diddi sah im Krieg die Zeppeline sich erheben. Er durfte, mußte auf der Erde bleiben. Nichts mit Wasser, nichts mit Luft. Diddi musste aber auch nicht als Pionier sich tief durch die Erde graben. Er war unabkömmlich. Vom Krieg freigestellt. Selbst noch, als die Zeppeline wie Papierflieger brennend vom Himmel fielen.“

Bombenstimmung in Osnabrück. 10 Kilo schwer und fast 50 Jahre alt. Alles ist hier abgesperrt. 800 Personen wurden evakuiert. Und ich stehe frierend, hoch erkältet auf dem Bahnsteig und frage mich, was wohl einstürzen würde bei einer Explosion. Warum drängten sich die drei Polizisten so sehr in den hintersten Winkel des Gebäudes. Berechneten sie schon den Wirkungsbereich der Druckwelle? Würde die Bombe mich und meine Bockwurst, nirgendwo sonst so gut auf deutschen Bahnhöfen, erst zusammenfalten und dann in Richtung Gleise schleudern? Mit oder ohne Bank?

Ansonsten ist der Bahnhof wie immer. Überfüllt, kalt und unschön. Die Bombe hat auch kein Erbarmen mit mir und meinen ästhetischen Bedürfnissen. Auf jeden Fall habe ich nie wieder etwas von ihr gehört.

Meine Erkältung ist mit mir zusammen in den nächsten Zug umgestiegen, der irgendwann rein gelassen wurde, nach dem die Polizisten schon länger aus ihrer Ecke verschwunden waren.

Nichts hatte sich verändert. Scheiß Bombenillusion.

(Fortsetzung folgt, (c) Jörn Laue-Weltring 2013)

Keine Kommentare: