Sonntag, 17. März 2013

"Komm' auf die Schaukel, Luise!" Fortsetzung 1






Wie jeden Abend vermied er es, seinen Blick hoch und gerade aus zu richten, ihren Anblick, ihr massiges, in schlaffen Falten vom Bluthochdruck geplagten Gesicht zu blicken, das Gesicht ihrer Mutter, die seine hatte werden wollen, sofort nach dem ersten Anstandsbesuch, wo er doch quasi Waise wäre, obwohl ihm das komisch vor kam so als arbeitender, erwachsener Mann Waise sein zu sollen, nur weil er keine Eltern mehr am Leben hatte, aber andere lebten doch auch ohne ihre Eltern. Waise. Er nahm es hin, wie er danach noch vieles hinnehmen sollte, war ihm doch das bisschen Familie, was er hier bekam, doch auch ein wenig was Gutes, was Beruhigendes, ein Ort, der leicht an zu laufen war und blieb, nicht verschwand wie die Eltern, manch guter Freund und Nachbar. Hinter ihr war sowieso der Blick verstellt durch die Pappen für die Verdunkelung und so konnte er auch nicht an ihr vorbei zu dem Baum sehen, der ihm die Jahreszeiten vorlas und stets so ruhig ablenkte von dem was um ihn herum an Worten ausgestoßen wurde.  Wann hatte er den Baum, wann die vom Stadtdunst stets scheinbar leicht zitternden und blinkenden Sterne das letztemal ohne Angst betrachten können, froh und optimistisch, mit Lust auf die Nacht und den Tag?

Hilde saß wie von Anfang an, vielleicht schon seit ihren Kindheitstagen, am von ihm aus gesehen, rechten Tischende, saß, nein thronte, präsidierte, saß vor, gab vor, nahm nie etwas zurück, sah ihn an, sah zur Mutter, machte auf Gespräch, was ihm sinnlos vor kam, was sollten sie sich zu sagen haben nach den vielen Tagen der Angst, der ständigen Aufbrecherei in den Bunker, die Rückkehr, das nächste Warten, Hoffen, Bangen, was sollte man sich da noch wirklich zu sagen haben, worüber sprechen, wenn selbst die Namen der letzten Toten wie ein ewig gleicher Rosenkranz zwischen ihnen hin und her ging, bedeutungslos wurde, Alltag, mit nichts auf zu frischen, nicht einmal mit Tränen, Wut oder Abschiedsschmerz. Sie hatten sich abgefunden. Ja das war es und im Abfinden, da war Karl ja Meister, Großmeister.

Zwischen der Tür und ihm saß seine Hilde wie ein unüberwindlicher Fels. Nie hätte er es gewagt einfach an ihr vorbei auf zu stehen und die Tür an zu streben. Die Tür gehörte ihrer Mutter, wie die Küche, das Geschirr, das Handtuch für die Glühbirne, nur Brot und Wurst kamen von ihm, durch ihn, aber das verschwand jeden Tag hier an diesem Tisch, von den Frauen mit gespreizten Fingern zum Mund geführt und weggebissen, weggekaut,  runtergeschluckt, am nächsten Morgen, wenn es die Angriffe ermöglichten, auf seinem Klo, seiner Klobrille, sein Klodeckel im Rücken, von ihm so liebevoll selbst aus Holz angefertigt, gestrichen, dort nun das durch ihn verschaffte Essen ausgeschissen, bisweilen mehr hörbar, als er es vertragen konnte.

Hilde brauchte ihn nicht an zu sehen, schon seit Ewigkeiten nicht mehr, sie hatte ihn im Kopf, seinen, ihrer Meinung nach und auf der hielt sie was, war ja nicht von Dummsdorf, wenn sie auch mit ihm nicht den fang gemacht hatte auf der Versammlung, wie anfangs erhofft, also seinen immer nur teilnahmslosen, gelangweilten Blick, diese undurchschaubare Miene, obwohl sie sicher war, dass bei ihm nicht viel zu holen wäre mit dem Durchschauen, auch wenn ihre Mutter immer wieder warnte: „Pass auf! Stille Wasser sind tief. Man weiß ja nie, schon gar nicht bei den Kerlen!“
Hilde sah zur Mutter, dachte: „Was ist das nur für ein Waschlappen, kaum siegen wir mal eine Weile nicht, dreht der sein Gehirn aus und markiert toten Mann, den das alles jetzt nichts mehr angeht.“

Wenn sie das doch nur geahnt hätte, wie wenig in diesem stets bleichen, etwas kurzgeratenen Kerl steckte, gut, solide war er ja, ließ sich auch viel gefallen, vor allem von ihrer Mutter, da war er ja ein guter Blitzableiter, vor der Ehe war sie dauernd dran gewesen, die Kopfnüsse mochte sie gar nicht zählen, die sie von ihr bekommen hatte. 

Mutter war es ja auch gewesen die ... , aber das durfte der Kerl nie erfahren, nie! Trotzdem, ein bisschen mehr Ehrgeiz, die Größe, nun gut, aber der Führer war auch nicht groß gewachsen und trotzdem hatte der Deutschland, ja was, im Moment sah es wirklich nicht gut aus, aber der war … , natürlich Blödsinn ihren Kerl mit dem zu vergleichen, durfte sie nicht mal laut sagen, kam bestimmt nicht gut an, trotzdem, der Karl hätte mehr werden können und blieb einfach stur son kleiner Malochermann mit Lohntüte am Freitag, die, ja die er immer vollständig ablieferte. Was anderes hätte sie, vor allem Mutter ihm auch nicht raten mögen. Sollte der nur mal wagen. Ach was, tat der noch nie. Zu feige, erbärmlich, Bettelhund, Winselknabe. Sie hätte ihn am liebsten beschimpft und gerüttelt und die Bomber draußen wären weg gewesen wie ihre Angst am Nachthimmel verschwunden. Irgendwie, vom Gefühl her jedenfalls!

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