Wie
jeden Abend vermied er es, seinen Blick hoch und gerade aus zu richten, ihren
Anblick, ihr massiges, in schlaffen Falten vom Bluthochdruck geplagten Gesicht
zu blicken, das Gesicht ihrer Mutter, die seine hatte werden wollen, sofort
nach dem ersten Anstandsbesuch, wo er doch quasi Waise wäre, obwohl ihm das
komisch vor kam so als arbeitender, erwachsener Mann Waise sein zu sollen, nur
weil er keine Eltern mehr am Leben hatte, aber andere lebten doch auch ohne
ihre Eltern. Waise. Er nahm es hin, wie er danach noch vieles hinnehmen sollte,
war ihm doch das bisschen Familie, was er hier bekam, doch auch ein wenig was Gutes,
was Beruhigendes, ein Ort, der leicht an zu laufen war und blieb, nicht
verschwand wie die Eltern, manch guter Freund und Nachbar. Hinter ihr war
sowieso der Blick verstellt durch die Pappen für die Verdunkelung und so konnte
er auch nicht an ihr vorbei zu dem Baum sehen, der ihm die Jahreszeiten vorlas
und stets so ruhig ablenkte von dem was um ihn herum an Worten ausgestoßen
wurde. Wann hatte er den Baum, wann die vom
Stadtdunst stets scheinbar leicht zitternden und blinkenden Sterne das letztemal
ohne Angst betrachten können, froh und optimistisch, mit Lust auf die Nacht und
den Tag?
Hilde
saß wie von Anfang an, vielleicht schon seit ihren Kindheitstagen, am von ihm
aus gesehen, rechten Tischende, saß, nein thronte, präsidierte, saß vor, gab
vor, nahm nie etwas zurück, sah ihn an, sah zur Mutter, machte auf Gespräch,
was ihm sinnlos vor kam, was sollten sie sich zu sagen haben nach den vielen
Tagen der Angst, der ständigen Aufbrecherei in den Bunker, die Rückkehr, das
nächste Warten, Hoffen, Bangen, was sollte man sich da noch wirklich zu sagen
haben, worüber sprechen, wenn selbst die Namen der letzten Toten wie ein ewig
gleicher Rosenkranz zwischen ihnen hin und her ging, bedeutungslos wurde,
Alltag, mit nichts auf zu frischen, nicht einmal mit Tränen, Wut oder
Abschiedsschmerz. Sie hatten sich abgefunden. Ja das war es und im Abfinden, da
war Karl ja Meister, Großmeister.
Zwischen
der Tür und ihm saß seine Hilde wie ein unüberwindlicher Fels. Nie hätte er es
gewagt einfach an ihr vorbei auf zu stehen und die Tür an zu streben. Die Tür
gehörte ihrer Mutter, wie die Küche, das Geschirr, das Handtuch für die
Glühbirne, nur Brot und Wurst kamen von ihm, durch ihn, aber das verschwand
jeden Tag hier an diesem Tisch, von den Frauen mit gespreizten Fingern zum Mund
geführt und weggebissen, weggekaut, runtergeschluckt, am nächsten Morgen, wenn es
die Angriffe ermöglichten, auf seinem Klo, seiner Klobrille, sein Klodeckel im
Rücken, von ihm so liebevoll selbst aus Holz angefertigt, gestrichen, dort nun
das durch ihn verschaffte Essen ausgeschissen, bisweilen mehr hörbar, als er es
vertragen konnte.
Hilde
brauchte ihn nicht an zu sehen, schon seit Ewigkeiten nicht mehr, sie hatte ihn
im Kopf, seinen, ihrer Meinung nach und auf der hielt sie was, war ja nicht von
Dummsdorf, wenn sie auch mit ihm nicht den fang gemacht hatte auf der
Versammlung, wie anfangs erhofft, also seinen immer nur teilnahmslosen,
gelangweilten Blick, diese undurchschaubare Miene, obwohl sie sicher war, dass
bei ihm nicht viel zu holen wäre mit dem Durchschauen, auch wenn ihre Mutter
immer wieder warnte: „Pass auf! Stille Wasser sind tief. Man weiß ja nie, schon
gar nicht bei den Kerlen!“
Hilde
sah zur Mutter, dachte: „Was ist das nur für ein Waschlappen, kaum siegen wir
mal eine Weile nicht, dreht der sein Gehirn aus und markiert toten Mann, den
das alles jetzt nichts mehr angeht.“
Wenn sie
das doch nur geahnt hätte, wie wenig in diesem stets bleichen, etwas
kurzgeratenen Kerl steckte, gut, solide war er ja, ließ sich auch viel gefallen,
vor allem von ihrer Mutter, da war er ja ein guter Blitzableiter, vor der Ehe war
sie dauernd dran gewesen, die Kopfnüsse mochte sie gar nicht zählen, die sie von ihr
bekommen hatte.
Mutter war es ja auch gewesen die ... , aber das durfte der Kerl nie
erfahren, nie! Trotzdem, ein bisschen mehr Ehrgeiz, die Größe, nun gut, aber
der Führer war auch nicht groß gewachsen und trotzdem hatte der Deutschland, ja
was, im Moment sah es wirklich nicht gut aus, aber der war … , natürlich
Blödsinn ihren Kerl mit dem zu vergleichen, durfte sie nicht mal laut sagen,
kam bestimmt nicht gut an, trotzdem, der Karl hätte mehr werden können und
blieb einfach stur son kleiner Malochermann mit Lohntüte am Freitag, die, ja
die er immer vollständig ablieferte. Was anderes hätte sie, vor allem Mutter
ihm auch nicht raten mögen. Sollte der nur mal wagen. Ach was, tat der noch
nie. Zu feige, erbärmlich, Bettelhund, Winselknabe. Sie hätte ihn am liebsten
beschimpft und gerüttelt und die Bomber draußen wären weg gewesen wie ihre
Angst am Nachthimmel verschwunden. Irgendwie, vom Gefühl her jedenfalls!
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