für Heiko
Bauriedl der weiß warum
Lieber
alter Freund, stelle Dir vor, ruft mich mein Lektor dieser Tage an und bestellt
im Auftrag seiner Verlegerin eine aktuelle Sommergeschichte bei mir, auf keinen
Fall aber solle ich wieder über die Vergangenheit schreiben, nein, auf jeden
Fall müsse es etwas über Sommer heute sein, am besten über den aktuellen
Sommer, denn sie plane eine Ausgabe mit Sommergeschichten ihrer Autoren.
Auf
meinen Einwurf, dass das Buch doch wohl für diesen Sommer zu spät käme und ob
sie denn meine, die Leute hätten im Herbst wirklich noch Lust über diesen
Sommer zu lesen mit all seinen Überschwemmungen, Stürmen, Zerstörungen in den Städten
und Häusern, getöteten Menschen und Tieren und die lange noch nachdauernden üblen
Gerüche über Seen und Flüssen, die Badeverbote wegen Krankheitserregern und
Giften, so etwas wolle doch keiner mehr lesen, auf all das antwortete der doch
glatt, dass es ja positive Geschichten sein sollten, Sommergeschichten wie die
von Tucholsky damals, und es solle erst im nächsten Frühjahr erscheinen und
zwei Wochen hätte ich Zeit, alle anderen hätten bereits zugesagt, zumindest die
Lebenden.
Und
so, lieber Freund, sitze ich nun hier und quäle mich noch mehr mit diesem
Sommer ab, der heuer, bisher jedenfalls, noch nicht einmal ein richtiger Sommer
war, muss es, ja, kann, darf nicht fehlen in dieser bekloppten Anthologie, da
bei den paar Autoren dieses Kleinverlages, der dankenswerter Weise mir beim
Überleben hilft und das dank dieses famosen Lektors, der als erster und bisher
einziger mein Geschreibe für den Buchmarkt fähig hielt und, auch dies gerne
zugegeben, durch seine feine Lektorarbeit an meinen Zeilen tatsächlich auch mit
Erfolg für den Verlag und mich verwirklicht hat, also bei den paar Autoren ich
sofort auffiele, wenn ich fehle und wer weiß schon die Konsequenzen von so
etwas und so richtig leisten kann ich sie mir auch eher nicht.
Andererseits,
Du weißt es ja selbst, in unserem Alter freuen wir uns mehr über Frühling und
Herbst, vertragen die Hitze von Sommer und die Kälte vom Winter nicht mehr so
recht und sind jedes Mal froh und erleichtert, wenn wir sie gesund überstanden
haben.
Natürlich,
früher war das anders, ganz anders, da gingen die Träume des Frühlings im
Sommer in Erfüllung, da gab es nichts schöneres als aus der Hitze ins Wasser zu
springen, zwischen den hohen Halmen zu radeln, über Berge und Brücken zu wandern,
vor den Cafés an Getränken zu nippen, leicht bekleideten Mädels hinter her zu
gaffen mit der damals zumindest noch theoretischen Chance auf ein schönes
Abenteuer. Aber über diese Sommer soll ich ja dieses mal nichts von mir geben.
Stattdessen
über heute, jetzt, diese Wochen, und da erklärt mir gerade der Radiowitzbold
auch noch, dass heute der Welttag des Stacheldrahtes sei, weil der heute vor
mehr als hundert Jahren zum Patent angemeldet worden sei. Stacheldraht!
Welttag! Als wenn der das Wasser aufhalten könnte oder den Sturm bändigen. Im
Sonnenschein sieht er auch nicht gerade schön aus, obwohl er schon zum Sommer
gehört, weißt Du noch, wie wir unsere Hose an ihm rissen und dafür Ärger zu Hause
bekamen, obwohl das auch im Herbst geschah wegen der schönen Äpfel.
Also
den Stacheldraht lasse ich besser auch weg.
Was
fängst Du mit dem Sommer an? Verkriechst Du Dich wie ich in den Schatten,
schaust grimmig das Thermometer an, fallen Dir auch alle Bewegungen schwer,
weil die Knochen matt und schlapp sind von der Hitze, oder sind es die langsam
sich mehr und mehr sperrenden Muskeln?
Sehnst
Du auch den milden Abend herbei, fängst erst dann an zu aufzuleben, genießt auf
der Terrasse den Abendschmaus bei einem kühlen Glas Weißwein oder angenehm temperierten
Rotwein?
Ich
jedenfalls kenne nichts was mir heute mehr gefiele als diese angenehm warmen
Sommerabende auf der Terrasse oder auf dem Rad bei einer kleinen Abendtour zwischen
den Feldern und Weiden. Nur hatten wir bisher dieses Jahr davon man gerade eine
Handvoll, vor und nach den Wassermassen und Stürmen.
Aber
weißt Du, was ich nach wie vor merkwürdig und phantastisch finde: kaum sitze
ich wie beschrieben am Abend mit meiner Frau so angenehm in die Nacht hinein,
sind Wasser und Sturm wie ausgelöscht, als gäbe es sie nicht, nur diese
herrlich entspannenden Wohlfühlmomente. Diese Fähigkeit scheint der Sommer auch
uns Älteren, Alte darf man ja nicht mehr sagen, geschweige denn schreiben und
das Wort Senioren mag ich nicht, jedenfalls bleibt diese Fähigkeit auch uns
erhalten und schafft es weiterhin, dass auch wir dem Sommer noch etwas
abgewinnen können.
Früher
haben wir im Sommer ja regelmäßig unseren Urlaub gemacht, möglichst dort, wo
garantiert die Sonne scheint. Heute aber verreisen wir nur noch im Frühling und
Herbst, jeweils für ein paar Tage, nicht mehr diese langen drei Wochen, wozu
auch, haben wir es uns daheim doch auch recht kommod eingerichtet, ja ich liebe
dieses Wort „kommod“, und so freuen wir uns schon nach kurzen Ausflügen fast
mehr auf unser Zuhause als vorher auf die Urlaubsfahrt. Na ja, fast.
Und
nun grübele ich, wie daraus mir eine Erzählung zu wachsen soll, so eine
richtige mit Handlung, Start, spannendem Höhepunkt und möglichst Happy End. Auf
unserer Terrasse geschieht ja nichts, was wir auch sehr begrüßen. Ruhe suchen
wir dort, keine Abenteuer. Das Aufregendste sind dort ein Igel, der in den
Abendstunden schmatzend um unsere Terrakotta Töpfe streicht und die Fledermäuse,
deren Körper für kurze Momente als kleine Schatten über uns hinweg huschen.
Spannender
geht es natürlich auch zu, wenn die Kinder mit den Enkeln uns besuchen und wir
auch die Hitze mit ihnen unter der Jalousie verbringen, den Kleinsten zu sehen
oder mit ihnen herumalbern und soweit es uns möglich ist herumspielen. Ja, das
genießen wir natürlich sehr und es ist im Sommer allemal schöner, herrlicher
und lenkt wunderbarer ab, als zu den anderen Jahreszeiten in denen wir nur
Spaziergänge mit ihnen machen können und ansonsten uns in Räumen aufhalten,
meist Gaststätten mit irgendwelchen angeblich sensationellen Gerichten, die wir
unbedingt probieren wollen oder sollen, während die Enkel sich eher langweilen
und mühsam bei Laune gehalten.
Wir
freuen uns jetzt schon auf den nächsten Besuch, da mag der Stacheldraht ruhig
heuer seinen Welttag haben, und hoffen dafür auf Sonne und klaren Himmel.
Überhaupt
der Himmel, findest Du nicht auch, dass der im Sommer stets am schönsten und aufregendsten
ist? Man kann ihn von der Liege oder der Terrasse aus betrachten und in seinem
Blau versinken, den Wolken nachschauen, sich von deren Formen erheitern lassen
und bezaubern. Sommerhimmel, ein Gottesgeschenk, ein Hinweis auf das himmlische
Paradies von dem so viele Menschen hoffen, es möge sie nach ihrem Weggang von
hier in Gnaden aufnehmen für alle Ewigkeit.
Ist
das Paradies wirklich ewiger Sommer? Ich möchte im Paradies auf keine der
Jahreszeiten verzichten, stört der Körper sich doch nicht mehr an ihren
Auswüchsen und Extremen, kann man endlich wieder alles so genießen wie einst in
Kindertagen. Also, wenn es den gütigen Herrn geben sollte und sein ewiges
Himmelreich, dann bitte mit allen Jahreszeiten und auch auf keinen Fall nur tropisch,
also nur mit Regen- und Sommerzeit und schon gar nicht nur mit Sommer.
Wo
aber nehme ich jetzt bloß eine Geschichte her, eine so schön wie die von dem
Tucholsky mit seinem Schloss Gripsholm, dass der ja angeblich auch aufgrund
eines solchen dubiosen Verlangens seines Verlegers geschrieben haben soll.
Seit
ich verheiratet bin und das mehr und mehr mit den Jahren, gelingt es mir kaum
noch Liebesgeschichten zu erfinden und mich daran zumindest beim Schreiben zu
vergeben, bis sie zu Ende geschrieben ist. Ich kann sie auch nur in
Vergangenheitsform, als gegenwärtig erscheint es mir absurd. Und die Liebe, die
ich heute so genieße, ist keine Geschichte, keine Handlung, mehr ein Zustand,
ein Dasein, ein kühlender Fächer im Sommer, ein wärmender Kachelofen und
Wärmflasche zugleich im Winter, ist ein Blick in die Augen, gemeinsames
Schweigen und Ruhen, mit vier Augen durch die Welt sehen, mit dem Körper des Anderen
als zutiefst erkundete Landschaft, bestens vertraut und immer wieder als
herrlich empfunden nicht zuletzt aufgrund der alten Erlebnisse und neuen,
jungen Begegnungen mit der Schönheit des Alters.
Hörst
Du, lieber Freund, sie hier lachen, sie lacht, weil sie die letzten Zeilen
mitgelesen hat und versucht meine Glatze zu küssen und fest zu halten. Jetzt
verdreht sie mir doch glatt den Kopf, ja in echt, dreht ihn so, dass ich nur
noch blind tippen kann und ich ihr in die Augen sehen muss.
Und
da sehe ich ihn wieder, meinen alten Frühlingstraum, sie, in der engen, noch
tatsächlich im Sinne des Wortes, Bluejeans mit dem rotbraunen Ledergürtel,
darüber diese weiße Bluse, die um ihren schlanken Oberkörper in kleinen Wellen
flattert, ihr kräftiges, braunes Haar über meinen Augen tanzen und schmecke
ihre Lippen.
Und
jetzt küsst sie mich auch noch, hält weiter meinen Kopf fest, als wolle ich es
nicht ebenso, küsst und mir wird ganz warm und kuschelig.
Ihre
Arme sind weicher geworden, ihre Berührungen zarter, Kleider und Röcke mag sie
inzwischen lieber als Hosen, wegen der Figur, wie sie meint, aber Blusen
kräuseln sich immer noch um ihren Oberkörper und flattern leicht im Wind. So
auch jetzt, wie sie da vor mir steht, die nackten Füße in den modernen
Gummilatschen, fest im Stand, als müsste sie mich halten, dass ich nicht
umfalle. Und küsst mich schon wieder.
„Was
ist los“, schaffe ich es nach einem Kuss sie zu fragen.
„Na
was? Sommer ist!“ antwortet sie ironisch, nein auch zärtlich mich angrinsend.
Sie
hat recht, bei mir gehen plötzlich alle Türen auf und ich empfange den Sommer,
den schönsten wie immer, den, den wir brauchen für unsere Körper und unser
Seelenheil und umarme sie fest, genieße den Gegendruck ihres Bauches, spüre an
der Wange ihren Busen und rieche, ja was? Ja, ich rieche ihn, rieche den
Sommer!
Ziehe
sie mir herunter, auf den Schoß und zusammen tippen wir weiter, starten mit
einem Ausflug zu den Flusswiesen, auf denen wir unsere Wolldecke ausbreiten, wo
wir uns langsam gegenseitig die Kleidungsstücke entfernen und daraufhin der
schwache Wind aus dem leisen Rascheln der Büsche über unsere noch wintermüde
Haut streichelt.
„Geht
doch,“ meint sie und zeigt auf die Schwäne, die langsam an uns vorbeigleiten,
die Raubvögel über den Baumkronen der Flussaue auf der anderen Seite.
„Siehst
Du, wie immer!“
Ich
sage nichts, will nur noch genießen, sie sehen, die Sonne spüren, den Himmel
sehen, vergessen, wie viel Tage, Wochen, ja Monate ohne ihn verstrichen sind.
Will nur noch das hier, was wir uns jeden Sommer gönnen, vor allem wenn aus den
Nachbargärten die Grillschwaden zu uns herüber ziehen.
Den
Geruch mögen wir nicht so gerne, jedenfalls nicht so häufig. Er kratzt uns zu
sehr an unserem Sommergenuss.
Und
so fliehen wir an den Fluss, kennen diese Stelle, die sonst keiner zu kennen
scheint, schon lange, haben hier früher mit den Kindern gezeltet, davor sie
hier vielleicht gezeugt, zeitlich käme es hin, und streicheln uns jetzt,
einfach so, aus purer Lust am Streicheln, nicht mehr so wie zu Beginn unseres
Liebens hier mit Ziel und Drang nach Erlösung, nein, heute sind wir schon vorab
erlöst, streicheln und lassen geschehen, geben unseren Händen freien Auslauf,
genießen einfach, was unsere Körper zu erzählen haben, gleiten von einer
Handlung in die nächste, treiben wie auf einem Floß dahin, haben auch keinen Picknickkorb
wie früher dabei, lassen den Hunger daheim, hören alles was um uns herum zwitschert,
kaum wahrnehmbar ächzt und stöhnt am Wiesenrand, was flattert in den Lüften,
uns selbst, unseren Herzschlag, den Atem, bis wir wie jedes Mal nichts mehr
hören außer uns selbst, nichts mehr sehen mit den Augen, nur noch von innen uns
schauen, dieses klare phantastische Bild von uns beim sommerlichen Lieben.
Sanfte
Ermattung und kicherndes, aufgeregtes Flüstern wechseln sich ab mit Schlingern
und Tanzen der Körper, mit entspannten Liegen Bauch an Bauch, Gesicht an
Gesicht, während ich wie immer das Gefühl habe, ihr Haar rieche im Sommer
einfach am schönsten, irgendwie sommerlich.
Wir
haben kein Alter mehr, sind wieder zeitlos und unsterblich, haben keine
Verpflichtungen mehr, weder im Haus noch auf der Arbeit, müssen nicht gehorchen
und nicht lernen, haben keinen Wunschzettel, der vergeblich auf die Geschenke
wartet, sind beschenkt, sind im Heute, im Hier und Jetzt in der größten Weite,
die Leben bieten kann, sind das ganze Leben, nicht mehr nur durchorganisiertes
Kleinteil davon, tanzen leicht über die Gräser, schweben liegend zu den Wolken,
alles ist Gefühl, Gefühl ist wieder alles, wirklich alles und alles ist Liebe.
Aber
das hier kann ich den Lesern natürlich nicht erzählen, geht sie nichts an, auch
Dich geht es nichts an, lieber Freund.
Dieser
Sommer gehört nämlich uns, meiner Frau und mir, ganz allein und wenn wir uns
etwas wünschen, dann das, dass unsere Kinder auch möglichst viele dieser Sommer
erleben mögen mit ihren Liebsten.
Und
wie so häufig fallen gegen Abend plötzlich diese kleinen warmen Sommertropfen
auf unsere Haut, die sich darauf und darüber freut. Unsere Gesichter sehen aus,
als weinten wir, und ein bisschen tun wir es auch, innerlich. Wir weinen vor
Glück.
„Und
deine Sommergeschichte?“
„Züchte
ich mir einen Kaktus drauf! Wer braucht im Sommer angebliche Sommergeschichten?
Die will man doch lieber selber erleben und nicht nur lesen.“
In
diesem Sinne, mache es gut, lieber alter Freund, bis zum nächsten Mal und
schenke Dir und Euch Beiden in unserem Namen auch einen herrlichen Sommer ein,
mit allen euren Zutaten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen