„Nicht
bewegen. Und: Goschn halten, einmal die Goschn halten! Jetzt red i! Ihr habts
lang genug geredet. Daran erinnere i mi!
I soll mich
nich erinnern, das weiss i, aber ich tus, und zwar an alles. Auch wenn i net
weiß, welche Erinnerung wirklich di meine is, welche von mein Mutter und was
von die Bilder kommt.
Euer Alois,
der hat scho recht, dass man sich nicht an alles erinnern möcht und sich selbst
nur die allerbesten Erinnerungen behält.
An Euch beide
aber erinnere i mi immer. Jeden Tog. Von früh bis spat. Jeden Tog.
Wie mei Mutter
hat schuften müssen für Euch, Gott hab sie selig, immer, all die Tog und kei
Zeit hat für mie. Nimmer. Und ich auch hab springen müssen, das erinner i mi
und zwar recht fad.
De Alois hat
recht, Euer Sohn, ihr seids a Greuel, Leuteschinder seids.
I erinner
mich an wenig schöne Tog, ans Schuften allweil aber schon, mehr als gnug. I
wüßt gern, was noch war, was i nit erinnern tu.“
„Was redest
fürn Schmarrn!“
Der große
Mann auf dem Teppich vor dem Sofa sah richtig wütend aus und ungeduldig. Die
Frau neben ihm legte ihm ihre Hand auf den Arm, versuchte ihn zu beruhigen.
„Goschn.
Halts Goschn! Kruzifix! Jetzt red i und zwar von meinen Erinnerungen, meinen,
verstehts mi? Die, die ich selber hab und nicht die, die haben sollt, wie ihr
es wollt. Mei Leben!
Nix das mit
Dankbarkeit, das i hab bei Euch fressen dürfen und schlofen, wie mei Mutter,
Gott hab sie selig. Jo freili, die Geschenke zweimal im Johr, an Christkindl
und Namenstag, dass de Arzt immer kommen is, wenn’s muß. Schöne Gchichten, Eure
nicht meine. Alles fad.
Aber immer
mußt i schön Danke machen und Bitte, Bitte. Geschlagen habs mi nit, aber
gequält, bös anschauen, wenn was war. Ja Du, mit Deinem dicken Bart, Du
besonders, seitdem mog i kei Leut wie die Bart.
Euer Bub
meint auch, dass man sich erinnern tut durch Wiederholung, sagt er, was immer
und immer wieder passiert, das wird einem das Leben nachher, und was nit wieder
auftaucht, is dann weg. Und da zeigts noch Fotografien daher, dass man am End
ein anderes Leben glauben tut, aber nimmer mit mi!“
„Ich halte es
nicht mehr aus! Wer hat Dir diesen Quatsch eingeblasen? Redest doch sonst nicht
so gescheit daher? Ist es wegen der Mutter ihren Tod, Jung?“
„Loß mei
Mutter weg, loß sie weg! Goschn!!!“
„Aber er hat
doch recht, was redest Du?“
„Du a! Hochnäsig
Zieg, allweil kalts Weib. Ni durft i mi normal fühlen, immer Deine Augen, dass
i deppert bin und geduldet, wenn die Mann nicht gwesen wär, hättst mich doch
allweil schon fortgejagt!“
„Aber
Hans-Hermann!“
„Nix
Hans-Hermann! Für euch nimmer.“
Der Mann
wirkte jetzt entspannter, ruhiger, richtete sich halb auf.
„Was willst?
Was sollen wir tun?“
„Nix, nix
halt! Goschn! Will mei eigene Bilder zrück, mei Erinnerung! Mei Kindheit und
nicht Euren Schmarrn!“
„Und die
Ausflüge, der Urlaub damals in der Türkei?“
„Schmarrn!
Nur wegen Eurem Bub, dem Alois, weil der nicht allein sein sollt und de Mutter
als Euer Magd! Nix Urlaub, Ausflüge, i erinner mi an nix.“
„Und die
schönen Dias, Hans-Hermann, weißt Du noch wie wir alle gelacht haben hinterher,
an dem schönen Abend?“
„Nix gelacht!
Schmarrn! Lustig gmacht habt ihr Euch. Sonst nix. Sagt der Alois auch.“
„Das soll
unser Sohn gesagt haben?“
„Goschn! Jo!
Kruzifix!“
Der Knall war
leiser als Hans-Hermann erwartet hatte, der Rückschlag des Gewehres dafür
heftig. Der große Mann zuckte nur einmal kurz und blieb dann bewegungslos
liegen. Die Frau schrie auf und warf sich auf den Mann.
„Goschn! Du
kommst auch noch dran. Wenn i fertig bin. Noch bin i net fertig.“
Die Frau sah
ihn nicht an, weinte und begann das Gesicht des Toten zu küssen.
„Jetzt
heulst! Gut! Heul i net, sondern endlich mal Du! Aber i geb di net son Tempo
für die Tränen. Ja, das hast mir schnell gegeben, immer, damit i aufhör zu plärren,
weils Dich nerven tut.“
Die Frau
drehte ihren Kopf, sah Hans-Hermann direkt in die Augen.
„Was, was haben
wir Dir je Böses getan? Sag mir was?“
Sie schrie
es, laut, kreischend, dass sich ihre Stimme unangenehm überschlug.
„Du bist fad.“
Auch der
zweite Schuss traf und die Frau starb sofort, brach über dem Leichnam ihres
Mannes zusammen und rührte sich auch nicht mehr.
„Na endlich!“
Der junge
Mann betrat die Stube und schritt um die beiden Toten herum.
„Alois!“
„Ja, das war
sauber!“
Der mit Alois
angesprochene brachte seine rechte Hand nach vorne, in der er eine Pistole
hielt. Er drückte ohne eine Gesichtsregung sofort ab. Hans-Hermann ließ das
Gewehr fallen und fiel auf die beiden Toten.
Der junge
Mann nahm sein Handy heraus und rief die Gendarmerie an, die kurz darauf vor
dem Wohnhaus eintraf. Ihre Wagen füllten rasch den großen Platz zwischen Hof
und Sägerei.
Der junge
Mann empfing sie weinend vor der Tür sitzend.
Drinnen fiel
den Polizisten sofort der aufgebrochene Waffenschrank auf.
„Und sie
haben nichts gehört vorher, keinen Knall, nicht den Krach von dem Aufbruch?“
Nein, er habe
nichts gehört, habe geschlafen, erst als er müssen habe müssen und auf dem Weg
zur Toilette, da habe er den Hans-Hermann gehört und vorsichtig durch den
Türspalt geschaut und gleich angerufen. Als es aber geknallt habe, habe er die
Pistole vom Vater geholt und sei in die Stube gekommen, aber leider zu spät.
Viel zu spät.
Der Kommissar
aus der Kreisstadt nickte. „Und, haben sie eine Erklärung, warum der das getan
hat? Rache? Und wenn ja, wofür?“
„I glaub der
war ganz wirr im Kopf wegen dem Tod seiner Mutter.“
„Die ist in
die Maschine gekommen vom Sägewerk, sah fürchterlich aus, alles voller Blut und
nichts mehr zu machen. Ihr Sohn hat sie gefunden.“
Der
Wachtmeister Franz sagte es und sah misstrauisch zu dem Alois dabei.
„Gab es eine
Untersuchung?“
„Ja, aber sie
muss wohl irgendwie gestolpert sein beim Putzen der Maschine und versehentlich
an den falschen Knopf gekommen. Es kam nicht mehr Gescheites raus bei der Untersuchung“.
Der alte
Franz sah den Kommissar an und wartete. Ein Jahr noch, dann ging er in Pension.
Und hatte nichts mehr mit diesen unerfreulichen Geschichten zu tun.
„So? Na ist
ja auch egal. Hier ist die Sache wohl ziemlich eindeutig Notwehr.“
Der
Wachtmeister Franz sah ihn kommentarlos an, dann zu dem jungen Neuerben. Er
erinnerte sich mehr als genau an so manchen üblen Streich des Jungen, Streiche
für die meist der Hans-Hermann oder andere Buben aus dem Dorf die Schuld
bekamen. Was aber so nur geflüstert wurde. Dessen Eltern mochten dagegen alle
hier im Dorf, um die tat es ihnen leid wegen dem missratenen Bengel. Konnten
nichts dafür. „Ist halt böses Blut in ihm. Wer weiß, wo das herkommen mochte“.
Und jetzt waren die tot.
Am nächsten
Tag war der Mord natürlich Dorfgespräch, alle bemitleideten den Alois, fanden
den nun nett und „das hätten der und seine lieben Eltern nun wirklich nicht
verdient. Wo die alle drei doch stets so nett zu Hans-Hermann und seiner Mutter
gewesen waren.“
Es sprach keiner
mehr von den Gerüchten, dass die wahrscheinlich nur auf dem Hof sein durften,
weil der Großvater der Erzeuger vom Hans-Hermann gewesen wäre und man einen
Skandal hätte vermeiden wollen. Niemand erinnerte sich plötzlich an die tollen
Streiche und Eskapaden des Alois, an seine Faulheit und Hinterhältigkeit. Nun
war er nur noch der „leeve Bub“ und neue Sägewerksbesitzer samt großem
Bauernhof.
Nur der alte
Franz guckte scheel und machte sich seine Gedanken. Er fuhr in die große Stadt
und erfuhr dort, dass der Alois schon länger nicht mehr in der Universität
eingeschrieben sei, von der Zimmerwirtin, dass der „junge Kerl allweil Weiber
ghabt hätt und Radau gmacht in die Nacht, weswegen sie ihn gekündigt hätt, aber
der sich nicht gerühret hätt. Na, ja, jetzt sei er ja von allein gangen.„
Da schaute
der alte Wachtmeister wieder zufriedener. Er fuhr in die Kreisstadt und
erzählte dem Kommissar von seinen Gedanken. Der wollte erst nicht, musste dann
aber zugeben, dass es nicht aus zu schließen war.
„Setzt aber
ein gehöriges Maß an krimineller Energie voraus!“
Das gab der Franz
zu.
„Erst die
Mutter, nur um deren Bub …?!“
„Wahrscheinlich.
Vielleicht hat er sie aber auch und wollts vertuschen!“
„Können sie
sich das denn vorstellen?“
„Naja, fesch
war die noch, ist ja erst 14 gewesen, als der Hans-Hermann kam.“
„14?!“
„Jo.“
„Aber, das
wäre ja wirklich ein Skandal, wenn der Großvater das war.“
„Jo!“
„Und sie
meinen …?“
„Jo!“
Daraufhin
wurden alle Akten neu durchgesehen und alles überprüft. Es nützte nichts. Sie
konnten weder beweisen, dass Alois selber den Waffenschrank aufgebrochen, noch
dass er das Gewehr geladen und für Hans-Hermann parat gelegt hatte, noch war zu
beweisen, dass er so lange gewartet hatte mit seinem Eingreifen, bis seine
Eltern tod waren, und auch nicht den Mord an der Mutter.
Der Kommissar
und der Franz resignierten schließlich, nicht zuletzt weil der Franz seine
Pension antrat.
An einem
Sonntag, zwei Stunden vor Kirchgang, betrat der alte Franz das Sägewerk. Er
hatte keine Mühe gehabt hinein zu kommen.. Die Behälter, die er den Berg mit
etwas mehr Mühe als ihm lieb, den Berg hochgetragen hatte, stellte er daneben
ab und legte Schläuche von ihnen zur Maschine, danach stellte er die große
Maschine an.
Binnen
Minuten kam Alois in das Gebäude gerannt, mit vom Alkohol geröteten Augen und
wütend.
„Wer ist da!
Was soll das?“
„Erinnerst di
net?“
Der alte
Franz hatte sich vor dem Eintreffen vom Alois bereits hinter dem Gebäude
versteckt und sprach nun durch ein Megaphon.
„Hast sie
hier gevögelt oder im Haus? Hat sie geschrien Alois? Kannst di erinnern?“
„Komm raus,
Du Hund! Ich geb Dir’s aufs Maul!“
Franz aber
war bereits zum großen Tor geschlichen, schob es schnell zu, drehte den
Schlüssel und ging kichernd vom Hof den Berg hinunter, ohne dass ihn jemand sah,
schließlich bereite sich das Dorf auf den Kirchgang vor und dabei sieht man
kaum mal zum Fenster raus.
Im Sägewerk
explodierte es derweil dreimal kurz hintereinander und daraufhin schossen schon
die ersten Flammen durch das Dach.
Der Kommissar
stellte hinterher öffentlich fest, dass es wohl Selbstmord war und somit ein
spätes Schuldeingeständnis.
Da kamen die
alten, echten Erinnerungen wieder zurück ins Dorf. Wie der Alois so wirklich
war, und jeder es hatte kommen sähen, dass das kein gutes Ende gäben würde mit
dem.
Wochen
danach, als schon kaum jemand mehr darüber sprach und die Gemeinde bereits
einen neuen Eigentümer und Betreiber für Sägewerk und Hof gefunden hatte,
besuchte der Kommissar aus der Kreisstadt noch einmal den alten Franz auf
dessen kleinen Hof, wo der alleine wohnte, weil ihm die Frau schon lange
verstorben war.
„Des geht
nit, das weißt schon!“ sagte der Kommissar nach dem ersten Begrüßungsschnaps.
„Jo!“
„Muss ein End
haben, Franz!“
„Jo!“
„Das darf mer
nett! Ist kein Recht sowas!“
„Jo!“
Beim Abschied
an der Tür hielt Franz den Kommissar am Ärmel fest.
„Ist der
Krebs! Drei Monat noch, oder zwoa, oder viere! Dann wars!“
„Sowas in der
Art dachte ich mir.“
„I wollt a
bessere Erinnerung ham auf dem Sterbebette, woast. Damit i hinterher besser
schlof.“
„Ist schon
recht. Zwei oder drei Monate. Tut mir leid.“
„A
Schmarrn is.“
P.S.:Mit
Dank an Günter Landsberger, durch dessen Erinnerungsgedanken ich auf die Idee
kam
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