Donnerstag, 1. August 2013

Der Fluguntaugliche


Eines Tages, in einem Gerichtssaal im Süden unseres Landes:

„Kommen wir zu dem eigentlichen Tathergang. Können Sie uns schildern, wie es dazu kam, dass sie ihren besten Freund seit Kindertagen, unseren hoch verehrten Arzt Dr. Klammpeter ermordet haben?“

„Ja, das kann ich. Es ist richtig und wahr, dass er wirklich mein Freund war, all die Jahre, obwohl er aus einem reichen und ich aus einem armen Elternhaus stammte. Er hat mich, auch da kann ich der Schilderung des Gerichtes nur zu stimmen, stets unterstützt, wo er nur konnte, mir Jobs besorgt, finanziell unter die Arme gegriffen, hat mir, auch das ist richtig, beim Hausbau geholfen, ohne ihn wäre ich tatsächlich noch mehr auf die Hilfen unseres Staates angewiesen gewesen.“

„Und trotzdem haben sie ihn umgebracht!“

„Ja! Es geschah einfach, war überhaupt nicht geplant, also Totschlag, wie mein Verteidiger hier gesagt hat.
An dem bewussten Tag hatte ich mich entschlossen ihm, Dr. Klammpeter, für mich Pauli, endlich von meinem Traum zu erzählen, der mich seit Jahren verfolgt und mir seit langem aufs übelste die Morgende und Tage verdirbt, so jede Kraft raubt für mein Leben. Und das bestimmt zwei bis dreimal pro Woche.
Ich träume dann, ich könnte so schnell rennen, dass mich die Geschwindigkeit abheben lässt von der Erde und fliegen. Der Traum ist immer gleich. Ich verabschiede mich von jemandem, gehe auf die Straße, renne los und fliege, fliege über sein Haus und die Stadt, sehe tief unter mir die Menschen, manche sehen auch hoch, aber keiner bemerkt mich, keiner reagiert überrascht auf meine Fähigkeit zu fliegen. Ich fliege über Familienfeiern, Betriebsfesten und Parks. Immer das Gleiche: keiner bemerkt mich, niemand nimmt Notiz von meinem Fliegen. Es ist so herrlich das Fliegen, aber was habe ich davon, wenn es keiner sehen will? Das kränkt mich tief und tut mir bereits sehr weh beim Träumen.
Sehr geehrter Herr Richter, das müssen sie sich vorstellen: kein Mensch kann fliegen, nur ich und trotzdem nimmt keiner Notiz davon, zeigt sich überrascht oder bewundert mein Können.
Das Schlimmste aber kommt noch: ich wache auf, bewege meine Beine, die schmerzen als wäre ich tatsächlich gerannt und geflogen, stehe auf und weiß, ich kann nicht fliegen, kann auch nicht mehr so gut rennen, und draußen ist keine Chance für mich, Anerkennung zu finden, gelingt es mir doch nicht einmal in meinen eigenen Träumen Aufmerksamkeit zu finden.“

„Traurig, bedauerlich, ja. Aber warum musste ihr Freund deswegen sterben? Wollten sie so fliegen lernen?“

Im Gerichtssaal wird minutenlange Heiterkeit notiert.

„Nein, natürlich nicht. Es war nur so, dass er mir kaum zu hörte und als er sich an meiner Haustür von mir verabschiedete, auf der Stelle losrannte und hoch flog, über mein Haus, dort drei Runden und schließlich in Richtung des seinen davon flog, plötzlich, er dachte wohl er sei weit genug von mir entfernt und ich hätte seine Flugkünste nicht bemerkt, zu lachen begann, ganz laut und furchtbar gehässig und gemein. Da habe ich das Gewehr und ihn damit vom Himmel geholt.“

„Sie haben ihn versucht zu erschießen, das ist richtig, aber getötet haben sie ihn durch die massiven Verletzungen, die sie ihm danach zugefügt haben.“

„Nein! Ich habe ihn erschossen, die Verletzungen kamen doch durch den Sturz, Herr Richter. Er fiel aus größer Höhe, Herr Richter, auf harten Boden.“

Wochen später, nach Abschluss des Prozesses, trafen sich Verteidiger und Richter dieses Prozesses zufällig auf dem Flur des Gerichtes wieder. Der Verteidiger fragte: „Eins würde mich noch interessieren, warum haben sie in ihrem Urteil ausdrücklich bestimmt, dass mein Mandant in die Psychiatriestation XY überwiesen wird?“

„Wissen sie das nicht? Die liegt genau gegenüber der neuen Flugschule für Kinder im Vorschulalter. Da kann er jetzt jeden Tag von seinem Fenster aus den Kleinsten beim Fliegen zu sehen.“
Laut lachend und sich auf ihre Schultern klopfend verabschiedeten sich daraufhin die beiden Herren voneinander. 

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