Und da war da noch das Mädchen, das auf einer hohen Klippe
stand und laut rief:
„Ich habe keinen Bock darauf ein Leben lang zu sterben!“
Und so sprang sie, wie sie meinte in den schnelleren Tod.
Aber die Strömung trug sie zurück und die tanzenden Wellen warfen sie auf den
warmen Strand.
Da marschierte sie los bis sie zu einer hohen
Eisenbahnbrücke kam, kletterte auf das Geländer und rief wieder:
„Ich habe keinen Bock darauf ein Leben lang zu sterben!“
Und so sprang sie, erneut in dem Glauben, gleich alles
hinter sich zu haben. Aber in diesem Moment fuhr gerade ein Waggon mit
Matratzen unter der Brücke hindurch und fing sie mit seiner Ladung weich auf.
Da weinte das Mädchen und ging traurig zurück in seine
Stadt, kam dort an eine stark befahrene Kreuzung. Sie sah eine Weile zu,
lächelte wieder, ja lachte und rief begeistert:
„Ich habe keinen Bock darauf ein Leben lang zu sterben!“
Und so sprang sie mitten zwischen die Wagen und erwartete
den Bumms mit einem Auto, dass ihr das Genick brechen und sie so ins Jenseits
befördern würde.
Nun sahen aber alle Fahrer das Mädchen, versuchten sie zu
retten und fuhren so alle ineinander, aufeinander, wobei auch mancher von ihnen
sein Leben ließ. Das Mädchen aber musste aufstehen und weiter ziehen.
Das wollten aber einige der Fahrer nicht, die hinter ihr
herliefen und es festhielten, bis die Polizei kam.
Am Ende des Tages fand sie sich statt im Sarg im Gefängnis
wieder und musste dort lange auf ihren Prozess warten, denn es war gerade ein
Umsturz und die neuen Machthaber brauchten Zeit, alles wieder zum Laufen zu
bringen. Schließlich kam sie aber doch vor Gericht und das Mädchen sagte nur
einen Satz bis zum Ende der Verhandlung:
„Ich habe keinen Bock darauf ein Leben lang zu sterben!“
Auf diese Weise hoffte sie, das in ihrem Land noch praktizierte
Todesurteil zu erhalten.
Die Richter sprachen es ihr auch zu, wegen der vielen Toten
und der darüber und ihrem Spruch sehr aufgebrachten Angehörigen.
Das Mädchen dachte, dauert es halt ein wenig länger aber
nicht so lang wie ein ganzes Leben.
Zu ihrem Pech führten die neuen Machthaber die Demokratie
ein und schon kam es zu dem ersten Volksbegehren, in dem die Abschaffung der
Todesstrafe gefordert wurde. In der Zwischenzeit durften ab sofort keine Todesurteile
vollstreckt werden. War also wieder nichts mit dem Sterben für sie.
Weil die Menschen in dem Land das erste Mal Demokratie
erlebten und daher erst noch am Üben waren, wurde das Ergebnis der
Volksbefragung im neuen Parlament gleich hinterfragt und wurden außerdem neue
Gesetze verlangt. Das aber zog sich und zog sich.
Kurz, dem Mädchen wurde die Zeit im Gefängnis sehr lang.
Schließlich hatte das Militär mal wieder keine Geduld mehr
mit der Demokratie und putschte sie wieder weg.
Sie beließen es bei der Todesstrafe, weil sie die nun bei
den überhand nehmenden Demokraten reichlich brauchten. Auch interessierte sie
nicht das Mädchen sondern ihre eigenen erbitterten Gegner sehr viel mehr und so
starben die in Scharen und das Mädchen war wieder nicht dran.
Und wieder änderte sich die Lage im Land, zu viele im Volk,
ja fast alle, hatten dieses Militär mit seinen Morden satt und wollten ihre
Demokratie zurück.
Da befahl das Militär alle verbliebenen Todeskandidaten
sofort zu töten.
So kam nun, wenn auch erst nach vielen Jahren, für das
Mädchen ihre lang ersehnte Stunde.
Sie ging tapfer zu dem Galgen hoch, sah die Soldaten, die
Richter, den Pastor, die Mitdelinquenten und dachte zum ersten Mal:
„Vielleicht hätte ich mir doch besser ein anderes Sterben
ausgesucht oder noch besser, ein anderes Leben. In diesem ist mir das Sterben
jedenfalls arg lang und sauer geworden.“
Als hätte das jemand ganz oben vernommen, wurde die Hinrichtung
abgebrochen, das Militär zurück in die Kasernen verbannt und die Demokratie
abermals eingesetzt.
Nicht genug damit, verwirrt sehen wir das Mädchen hinaus in
das Leben schleichen, heraus komplementiert aus dem Gefängnis von einer
Generalamnestie.
Das Mädchen brauchte danach wirklich sehr lange, bis es
einen Weg zum Leben hin für sich fand, denn viel hatte es gelernt über das
Sterben, nur über das Leben wusste es immer noch nicht viel.
Und wenn sie heute noch lebt, hat sie wohl das eine
oder andere gefunden, vielleicht sogar mit Vergnügen daran und ist wohl noch
immer nicht gestorben.
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